♦ EINUNDSECHZIG
Special Agent Richard Williams hatte während seiner zwanzig Jahre beim FBI ja einiges erlebt, aber der Bericht über die Ereignisse in Santa Mondega grenzte an eine Farce. Vor einem Jahr war ein ehemaliger Kollege von ihm, Detective Miles Jensen, in dieses Dreckloch abkommandiert worden und dann spurlos verschwunden. Angeblich sollte es in der Stadt nicht mit rechten Dingen zugehen. Williams versuchte, auch bei Übersinnlichem erst einmal immer offen zu bleiben. Doch jetzt, im Büro des Captain mit den beiden Hilfspolizisten und ihrem Bericht vom jüngsten Massaker in der Stadt, war damit Schluss. Hier musste sich wohl jemand einen Scherz mit ihm erlauben.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte er.
Die beiden Polizisten ihm gegenüber sahen aus wie Halb-Kretins. Der eine, Sanchez Garcia, trug die Uniform der Highway Police inklusive verspiegelter Sonnenbrille und Stetson, die er alle beide nicht abgesetzt hatte. Die zweite war Officer Flake Munroe, die sich offenbar wirklich für eine richtige Polizistin hielt, dafür aber viel zu harmlos wirkte. »Genauso hat sich das alles abgespielt«, antwortete sie nun vollkommen ernst.
Williams zwang sich zu einem Lächeln. »Okay«, sagte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Dann will ich das mal kurz zusammenfassen, damit Sie mir bestätigen können, dass ich Sie auch richtig verstehe. Gemäß Ihren Angaben befand sich diese Stadt in den Händen einer Mumie, die eine Armee aus Vampiren und Werwölfen aufgestellt hat, um die Weltherrschaft an sich zu reißen.«
»Das stimmt«, sagte Sanchez.
»Aha. Und es sind diese Vampire und Werwölfe, die für die gesamten Morde in Santa Mondega verantwortlich sind.«
»Für die meisten jedenfalls«, sagte Flake. »Und der Weihnachtsmann hat eine Menge Kinder umgebracht.«
Williams holte tief Luft und lockerte seine Krawatte. »Stimmt, die Kinder gehen auf die Kappe des Weihnachtsmanns. Und dann hätten wir natürlich noch den Bourbon Kid, der die Stadt vor den Untoten gerettet hat.«
»Zumindest hatte er einen gewissen Anteil daran«, berichtigte Sanchez. »Aber eigentlich war es eher Teamwork.«
»Teamwork also, ja?« Williams hörte auf, an seiner Krawatte herumzuspielen, und fuhr sich durch das dünne silbergraue Haar. Das war doch unglaublich! »Und wer von euch hat das Museum angezündet?«
»Das war die Mumie«, erklärte Sanchez. »Sie konnte Laserblitze aus ihren Fingerspitzen abfeuern. Damit hat sie es gemacht.«
»Laserblitze, ja natürlich.« Williams starrte Sanchez durchdringend an. Dieser geistig Minderbemittelte in seiner idiotischen Uniform verzog dennoch keine Miene. »Ich finde es in dem Zusammenhang sehr interessant, was noch im Bericht steht. Namentlich, dass Sie, Sanchez Garcia, vor den Augen der Sunflower Girls den Weihnachtsmann angezündet haben.«
»Das ist korrekt.«
»Saubere Arbeit. Und Sie sind ganz sicher, dass Sie nicht auch das Museum angezündet haben?«
»Ja, absolut.«
Williams hätte gern Sanchez’ Augen gesehen, aber er trug ja die verspiegelte Sonnenbrille. »Faszinierend«, sagte Williams nachdenklich. »Die Casa De Ville ist ebenfalls abgebrannt. Und da gab es auch keinen einzigen Überlebenden. Und wenn ich es richtig sehe, waren Sie in der Nacht dort, bevor Sie ins Museum gefahren sind. Stimmt das?«
»Ja.«
»Sie scheinen ja eine wirklich bemerkenswerte Affinität zu Bränden und Feuer zu haben, Mr Garcia.«
»Affini… was?«
Es hatte keinen Sinn. Williams wollte die beiden Irren nur noch loswerden, und dann musste er dafür sorgen, dass sie sofort aus dem Polizeidienst entfernt wurden. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln, dann sagte er: »Ferner behaupten Sie, Sie hätten das sogenannte Buch des Todes aus der Bibliothek entwendet. Angeblich muss jeder sterben, dessen Namen man in dieses Buch einträgt.«
»Richtig.«
»Das Buch ist aber zusammen mit einem weiteren Buch verbrannt …« Williams unterbrach sich. »Verzeihung, zusammen mit einem weiteren magischen Buch verbrannt, mit dem man Vampire töten konnte.«
Jetzt schaltete sich Flake ein. »Dass es ein magisches Buch war, kann ich bezeugen. Ich habe damit die Vampirkönigin erledigt. Und die Bibliothekarin.«
»Tatsächlich?« Williams’ Stimme war Sarkasmus pur. Er war davon überzeugt, dass die beiden ihn verarschten, und trotzdem blieben sie vollkommen ernst. »Leider ist sämtliches Beweismaterial beim Brand im Museum und in der Casa De Ville zerstört worden. Ist das nicht praktisch?«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach Flake. »Ich finde es sogar ziemlich unpraktisch. Es ist offensichtlich, dass Sie uns nicht glauben, was im Bericht steht. Daher wäre mir etwas Beweismaterial ganz lieb. Stimmt das nicht, Sanchez?«
»Ja.«
Williams klappte die Akte mit dem Bericht auf seinem Schreibtisch zu. »Schön. Sie beide behaupten also, Sie hätten mithilfe zweier Bücher eine ganze Vampirarmee ausgelöscht, ja?«
»Vergessen Sie die Werwölfe nicht«, ergänzte Sanchez.
»Genau, eine Armee aus Vampiren und Werwölfen«, sagte Williams erschöpft.
»Ach so, Zombies waren auch noch dabei«, fuhr Sanchez fort. »Ich habe einem von denen einen gezielten Schlag auf den Schädel versetzt, übrigens.«
Williams überging Sanchez’ Protzerei. »Gut, wie viele Namen hatten Sie doch gleich im Buch des Todes notiert?«
»Den von der Mumie und der Vampirkönigin«, antwortete Sanchez stolz.
»Also nur die Namen der Bösen. Und Elijah Simmonds? Haben Sie seinen Namen auch reingeschrieben?«
»Was?«
»Den Namen des stellvertretenden Leiters der Museumsbibliothek. Seine verkohlte Leiche wurde genau wie die von James Beam im ausgebrannten Museum entdeckt. Laut gerichtsmedizinischem Bericht soll Simmonds sich mit einer Desert Eagle das Gehirn weggeschossen haben, und Beam ist erstochen worden. Hundertprozentig lässt sich das aber nicht feststellen, weil von ihnen nicht viel übrig geblieben ist. Die beiden kommen in Ihrem Bericht gar nicht vor. Waren diese Männer ebenfalls Vampire?«
Sanchez zog eine Augenbraue hoch. »James Beam ist tot?«
»Ja. Wissen Sie was darüber?«
»Nee.«
Flake knuffte Sanchez freundschaftlich. »Jim Beam«, sagte sie und lachte los. »Das wollte ich dir die ganze Zeit noch sagen. Die Flasche Jack Daniel’s, die du Rick mitgebracht hast, war in Wahrheit voller Jim Beam. Ich hab gestern was davon getrunken.«
Sanchez zuckte mit den Schultern. »Mein Jack Daniel’s war alle, also hab ich die leere Flasche mit Jim Beam aufgefüllt. Ich dachte, Rick merkt das sowieso nicht.«
Williams haute mit der Faust auf den Tisch. »Wenn ich Sie beide bitten dürfte! Ich versuche gerade diesen Fall zu rekonstruieren!«
»Eigentlich ist das doch nicht so schwer«, sagte Sanchez. »Alle sind tot und Ende.«
»Sie Idiot!«, schimpfte Williams. »Ich begreife nicht, wer Ihnen erlaubt hat, diese Uniform zu tragen!«
»Sind wir jetzt fertig?«
»Noch nicht«, sagte Williams. »Ich habe noch eine letzte Frage zu Ihrem Bericht. Was ist mit dem Bourbon Kid passiert? Sie schreiben, er sei im Museum gewesen, als es abbrannte.«
»Das stimmt«, bestätigte Sanchez.
»Tja, wir konnten aber seine Leiche nicht finden. Alle Toten, die wir aus dem Feuer geborgen haben, sind inzwischen identifiziert. Nur er fehlt.«
Sanchez und Flake zuckten mit den Schultern. »Kommen Sie schon«, schimpfte Williams. »Was ist mit ihm passiert?«
Vorsichtig hob Sanchez die Hand. »Vielleicht ist er noch im Museum?«
Williams runzelte die Stirn. »Was?«
»Ich hab mal was über eine Katze gelesen. Die hat sechs Monate in einem abgebrannten Haus überlebt. Muss sich wohl von Asche ernährt haben.«
Williams ertrug es nicht länger. Bloß noch weg aus Santa Mondega! Er musste möglichst schnell den Fall diskret abschließen und dann neue Polizisten einstellen. Diese beiden Idioten waren die letzte Verbindung zur alten Truppe hier. Also gut. Williams zwang sich zu einem breiten Lächeln.
»Das war’s dann«, erklärte er locker. »Sie beide sind entlassen, die Polizei braucht Ihre Hilfe nicht länger.«
Flake schaute ihn erstaunt an. »Aber ich hab keinen anderen Job mehr!«
»Das ist nicht mein Problem. Es war ja ohnehin nur eine befristete Anstellung. Ich habe dafür gesorgt, dass hier dreißig erfahrene Polizeikräfte von außerhalb anfangen. Die übernehmen jetzt. Geben Sie Ihre Marken bitte beim Verlassen des Gebäudes am Empfang ab. Die Stadt bedankt sich bei Ihnen für die geleisteten Dienste und so weiter und so weiter.«
»Aber das ist unfair!«, beschwerte sich Flake. »Ich brauche den Job. Das Olé Au Lait wird geschlossen. Ich hab sonst nichts anderes.«
William zuckte mit den Schultern. »So ein Pech! Aber das Leben ist eben nicht fair, Süße!« Er nahm sich den Bericht und wedelte damit herum. »Ich finde sowieso, dass Sie den Beruf verfehlt haben. Nachdem ich Ihren Bericht gelesen habe, würde ich Ihnen raten, es mal als Astrologin zu versuchen. Ist nicht weiter schwierig. Da müssen Sie sich auch nur irgendwelchen Scheiß ausdenken und dann hoffen, dass die Leute es glauben.«
Flake zwang sich zu einem geheuchelten Lächeln. »Sie mich auch.« Damit stand sie auf und wollte schon gehen, fügte dann aber hinzu: »Sie sollten sich nicht über Horoskope lustig machen. Ich hab meins heute schon gelesen. Da stand drin, ich soll mit meinem Chef schlafen, aber nachdem Sie mich nun gefeuert haben, kommen Sie dafür ja nicht mehr infrage! Und da verpassen Sie was!«
»Ich werde es überleben.«
Sanchez rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. »Ich könnte jemanden fürs Catering im Tapioca gebrauchen.«
Flake sah zu ihm runter. »Ehrlich?«
»Ja. Nachdem das Olé Au Lait nun geschlossen wird, braucht die Stadt einen neuen Laden, wo man gut frühstücken kann.«
»Das wär super!« Flake begann zu strahlen.
»Okay, dann hast du den Job. Wär sowieso schön, den Morgen mit dir zu verbringen.«
Williams machte ein verwirrtes Gesicht. »Entschuldigung, aber würden Sie beide jetzt verdammt nochmal endlich aus meinem Büro verschwinden? Ich habe Sie gerade gefeuert, schon vergessen?«
Sanchez stand auf. »Kann ich die Uniform behalten?«
»Klar. Und jetzt raus, aber sofort!«
Flake knallte hinter ihnen die Tür zu. Erleichtert atmete Williams auf. Den Morgen mit zwei Verrückten zu verschwenden, konnte ganz schön anstrengend sein. Er klappte die Akte mit dem Bericht zusammen, öffnete die oberste Schublade seines Schreibtischs, legte den Bericht hinein und holte die Regionalzeitung heraus. Die Santa Mondega Universal Times. Er blätterte die ersten Seiten durch und las die Artikel über das jüngste Massaker. Als er zur Seite mit dem Horoskop kam, lächelte er in sich hinein. Normalerweise las er so was nicht, aber nach dem Gespräch mit Flake beschloss er, eine Ausnahme zu machen. Der Name der Astrologin lautete »Big Busty Sally«. Das wird ein Spaß, dachte Williams und suchte nach dem Sternzeichen Fische. Dort stand:
Uranus verleiht Ihnen heute die Kraft, eine wichtige Entscheidung zu fällen. Wenn Sie Ihre Karriere vorantreiben wollen, sollten Sie mit Ihrem Chef schlafen. Es könnte der Beginn eines ganz neuen und wunderbaren Lebensabschnitts werden.
Williams blieb der Mund offen stehen. Flake hatte ihn also nicht angelogen und sich das nur ausgedacht. Er stellte sich kurz vor, wie er sie auf seinem Schreibtisch vögelte. Flake hatte eine ziemlich gute Figur, und es hätte bestimmt Spaß gemacht mit ihr. Doch dann schüttelte er den Kopf und lachte über sich selbst. Flake mochte ja dämlich sein, aber selbst sie war nicht bescheuert genug, ihr Horoskop derart wörtlich zu nehmen.