ACHTUNDFÜNFZIG

Dante spürte Kacys Hand an der Wange. Er öffnete die Augen. Das Leben hatte nicht vieles zu bieten, was schöner gewesen wäre, als aufzuwachen und zu sehen, wie Kacy auf einen herabblickte.

»Bist du okay?«, fragte sie.

Er wollte die Arme bewegen, stellte aber nur fest, dass sie an den Körperseiten feststeckten. Er lag mit dem Rücken auf einem harten Fußboden. Er reckte den Hals und blickte am Körper hinab. Er war von den Füßen bis an die Schultern in Verbände eingewickelt.

»Was zum Teufel hast du jetzt mit mir gemacht?«, fragte er stirnrunzelnd.

»Das war doch nicht ich, du Idiot.«

»Warum zum Teufel bin ich dann wie ein Riesenwurm hergerichtet?«

Kacy sah verwirrt aus. »Wann hast du jemals einen Wurm so zurechtgemacht gesehen?«

»Zeichentrickporno.«

»Darüber reden wir später.«

Als seine Sinne sich zunehmend zurückmeldeten, entdeckte er etwas im Augenwinkel. »Der beschissene Fußboden steht auch in Flammen! Hast du das gesehen? Der beschissene Fußboden brennt!«

»Ich weiß.«

»Was zum Henker?«

Kacy wirkte bemerkenswert ruhig, wenn man bedachte, dass einige fast einen Meter hohe Flammen nur einen Steinwurf entfernt loderten.

»Hier, ich helfe dir«, sagte sie, hob ihn an den Schultern vom Boden hoch und brachte ihn in eine sitzende Position.

Er sah sich um. Hinter Kacy und rechts vom Feuer entdeckte er den Bourbon Kid und Sanchez. Sie beugten sich über die Gestalt von Rameses Gaius. Der Kid war dabei, Gaius mithilfe eines Messers mit Knochengriff zu zerschneiden. Noch mehr Leichen lagen herum.

»Okay, ich erinnere mich an einen Scheißdreck. Ernsthaft: Was ist diesmal passiert?« Er fasste Kacy genauer ins Auge. »Und warum hast du keine Hose an?«

»Sie wurde mir runtergerissen. Und bevor du irgendwas sagst: Du solltest wissen, dass deine Klamotten hinter dir auf dem Boden liegen.«

»Meine sämtlichen Klamotten?«

»Ja.«

Dante wurde leiser. »Haben wir hier drin gevögelt?«

»Nein. Du wurdest von einigen Vampiren nackt ausgezogen. Sie haben versucht, es auch mit dir zu machen.«

»Sie haben versucht, mich zu vögeln?«

»Nein, dich zu mumifizieren. Weißt du noch? Dazu dienen diese Bandagen. Halt still, während ich dich auspacke.«

Sie packte einige der weißen Verbände an seinen Schultern und machte sich daran, sie herunterzuwickeln. Er war ganz schön fest eingewickelt. Während sie arbeitete, versuchte er sich verzweifelt daran zu erinnern, wie er in dieser lächerlichen Zwangslage gelandet war. Es fiel ihm jedoch nicht wieder ein, egal wie angestrengt er sich den Kopf zerbrach.

»Mach schnell, verdammt!«, blaffte er, als er sah, wie sich das Feuer in ihre Richtung ausbreitete.

»Dann halt still.«

»Ich halt still.«

»Okay, dann halt einfach die Klappe.«

Sobald ihm Kacy die Arme befreit hatte, begann er sich die restlichen Verbände eigenhändig herunterzureißen. Er war bis zu den Knien gelangt, als Sanchez auf sie zugelaufen kam. Der Barkeeper-und-Cop packte Kacy am Arm.

»Hast du immer noch das Auge des Mondes?«

»Ähm, ja.« Sie hob es neben Dante vom Boden auf und zeigte es Sanchez. »Hier ist es. Brauchst du es?«

Sanchez nickte. »Hab ein sterbendes Mädchen draußen im Auto.«

Kacy warf ihm den Stein zu. »Nicht dran schnuppern!«, mahnte sie ihn. »Dante hat gerade eben darauf gesessen.«

Sanchez blickte Dantes nackten Körper an und verzog das Gesicht. »Warum sollte ich überhaupt daran schnuppern?«, fragte er.

»Ich weiß nicht. Du siehst nach so jemandem aus.«

»Ja, na gut, deine Hose brennt.«

»Mist!«

Er hatte recht. Drüben neben Beethovens Klavier hatten Kacys Jeans gerade Feuer gefangen. Es breitete sich inzwischen auch zu ihren Sneakers hin aus. Es wurde allmählich beschissen heiß. Kacy ließ Dante zurück und rannte hinüber, um ihre Sneakers aufzuheben, ehe sie dem Weg ihrer Jeans folgten.

Sanchez lief mit dem Auge des Mondes davon und nahm Kurs auf die Treppe am anderen Ende des Raums, wobei er einigen Flammen auswich, die absichtlich auf ihn loszugehen schienen, während er rannte.

Dante befreite seine Füße aus den letzten Bandagen und griff nach seinen Klamotten. Es gelang ihm, die Jeans und Schuhe anzuziehen, und er griff gerade nach dem schwarzen T-Shirt, als er den Bourbon Kid entdeckte. Der Serienkiller hatte Rameses Gaius’ Körper über den Boden Richtung Gruft geschleift. Er legte die einst stolze Mumie zu Dantes Füßen ab. Der selbsternannte Herr der Untoten hatte inzwischen zwei leere Augenhöhlen und ein riesiges Loch im Gesicht, wo zuvor die Nase gesessen hatte. Der Kid hatte ihm auch die Kleidung ausgezogen. Die nackte Gestalt bot keinen schönen Anblick. Sie war von Blut und einigen ganz schön tiefen Schnitten bedeckt, dank des Messers, womit ihm der Kid zugesetzt hatte. Während sich Dante das T-Shirt überstreifte, grüßte er den Kid mit erhobenem Daumen.

»He Mann, danke, dass du uns zu Hilfe gekommen bist.«

»Bedank dich bei deiner Freundin. Sie hat sich wirklich für uns eingesetzt.«

»Ja klar, sie ist so cool!« Dante griff nach Kacy, packte sie am Hinterkopf und zog sie heran. Er musste dazu nicht viel Kraft aufwenden. Sie lehnte sich an ihn, und ihre Lippen verschmolzen mehrere Sekunden lang miteinander, ehe sich Dante wieder von ihr löste. »Ich liebe dich, Kace«, sagte er.

»Liebe dich auch. Sehen wir jetzt lieber zu, dass wir abhauen.«

Der Bourbon Kid hielt Dante am Arm fest. »He, ich brauche Hilfe dabei, dieses Arschloch in diese Bandagen zu wickeln.«

»Wozu?«

»Wir müssen ihn in die Scheißgruft packen.«

»Ist er nicht schon tot?«, fragte Dante.

»Der Typ ist seit Jahrhunderten tot. Er muss zurück in die Gruft, um sicherzustellen, dass er nicht zurückkommt.«

»Sogar angesichts des Feuers?«

»Würdest du einfach nur das tun, worum ich dich verdammt nochmal bitte?«

»Haben wir noch Zeit dafür?«, fragte Kacy.

Dante gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. »Warum verschwindest du nicht schon mal nach draußen?«, fragte er. »Ich folge dir in einer Minute.«

»Machst du Witze?«

»Nein. Geh schon, ich werd klarkommen.«

Kacy schüttelte den Kopf. »Nein, wirst du nicht. Die letzten beiden Male, die ich dich allein gelassen habe, wurdest du in einen Vampir und eine Mumie verwandelt. Sollte ich dich nochmal dir selbst überlassen, mache ich mir Sorgen, dass du zu einem Zombie oder Werwolf wirst!«

Der Bourbon Kid hob einige Bandagen auf, die zu Dantes Füßen lagen. »Wenn ihr zwei euch nicht beeilt, verbrennen wir alle noch zu Asche. Hört auf zu streiten und helft mir, diesen Scheißkerl einzuwickeln.«

Kacy packte Gaius’ Füße und hob sie an, damit Dante und der Kid loslegen konnten, Gaius die Verbände um die Beine zu wickeln.

Als sie damit fertig wurden, auch noch den letzten Zentimeter von Gaius’ Körper einzuwickeln, hatte sich das Feuer bis zur Treppe an der Wand gegenüber ausgebreitet. Der Sauerstoff im Raum wurde knapp, in nicht geringem Maße aufgrund des vielen Rauchs, der allmählich zur Decke aufstieg.

Sie schleppten Gaius zum offenen Sarkophag in der Gruftausstellung. Vor einem Jahr war er aus genau dieser Gruft entkommen. Jetzt wurde es Zeit, ihn zurückzuschicken. Der Kid stellte die mumifizierte Gestalt auf die Beine, und zu dritt schoben sie sie in den Sarkophag.

»Er passt perfekt hinein«, bemerkte Dante. »Man könnte denken, er wäre für ihn angefertigt worden.«

»Das wurde er«, sagte Kacy.

»Wirklich?«

»Ich erklär es später.«

Etwas krachte hinter ihnen laut und erinnerte sie daran, dass die Zeit nicht auf ihrer Seite war. Die Beine von Beethovens Klavier hatten nachgegeben, sodass das Instrument zu Boden gekracht war, von Flammen umlodert. Weitere Ausstellungsstücke überall im Saal fingen rapide Feuer und fielen auseinander.

»Sind wir so weit?«, überschrie Dante den Lärm.

Der Kid nickte. »Haut ab. Ich klapp noch den Deckel über diesem Mistkerl zu.«

Kacy zupfte Dante am Arm und lief Richtung Treppe auf der anderen Seite des Saals. Das Feuer breitete sich so schnell aus, dass jede Gelegenheit zur Flucht bald versperrt sein würde. Dante traf Anstalten, Kacy zu folgen, warf aber noch einen letzten Blick zurück, um zu sehen, wie der Kid zurechtkam.

»Mach schnell, Mann, es bleibt nicht mehr viel Zeit!«, brüllte er.

Der Kid sicherte gerade den Deckel vor Gaius’ Grabmal und setzte ihn damit ein weiteres Mal für alle Ewigkeit gefangen, oder bis das Feuer ihn erreichte, was immer als Erstes eintrat. Der Kid blickte zu Dante herüber und gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er fliehen solle.

»Ich muss noch eine weitere Person umbringen!«, schrie er zurück.

»Was? Wen?«

»Elijah Simmonds. Er ist irgendwo da oben.«

»Bist du verrückt? Er wird inzwischen längst weg sein. Dafür reicht die Zeit nicht. Du wirst hier drin verbrennen!«

Der Kid warf einen abschließenden Blick auf das Mumiengrab und überzeugte sich davon, dass es verschlossen war. Er wandte sich wieder Dante zu und zog die Kapuze tief über den Kopf.

»Es bleibt immer Zeit, noch jemanden umzubringen.«