♦ NEUNZEHN
Das Santa Mondega International Hotel wirkte so beeindruckend wie immer, und das obwohl man den Hubal-Mönch Peto hier in der Nacht zuvor geköpft hatte. Und der war nicht das einzige Opfer gewesen. Vor den Stufen zum Eingang hatte Dante Robert Swann mit einem Kopfschuss erledigt. Kacys Schuss ins Gesicht von Agent Roxanne Valdez kam natürlich auch noch dazu. Dafür war es wieder verdammt sauber im Hotel. Wer nicht wusste, was hier passiert war, dem wäre auch nichts aufgefallen.
In der Lobby ging es ein wenig ruhiger zu als sonst, aber das war in der Stadt momentan überall so, einfach weil über Nacht die Einwohnerzahl abrupt gesunken war.
Dante marschierte zum Empfangstresen, Kacy folgte ihm. Hinter dem Tresen stand Benito in der beschissenen pinkfarbenen Portiersuniform, die Dante früher auch getragen hatte. Damals hatte er selbst hier gearbeitet.
»Morgen, Benny«, sagte Dante fröhlich. »Ich habe meinen Zimmerschlüssel verloren, könntest du mir einen anderen geben?«
Benito schien sich zu freuen, ihn zu sehen. Die beiden waren früher gut miteinander klargekommen. »Dann sind zwanzig Dollar für den Ersatz fällig«, erklärte er entschuldigend.
»Das ist okay, schreib’s auf die Zimmerrechnung.«
»Klar, mach ich.«
Benito tippte etwas in die Tastatur auf seinem Tresen, dann holte er einen Schlüssel aus der Schublade neben seinem rechten Bein und schob ihn rüber zu Dante.
»Pass aber diesmal besser drauf auf«, sagte er. »Beim nächsten Mal beträgt die Gebühr nämlich schon dreißig Dollar.«
»Danke.«
Als Dante sich umdrehte, befand sich Kacy schon auf dem Weg zur Treppe. »Wollen wir nicht den Fahrstuhl nehmen?«, rief er ihr hinterher.
»Nein, ich nicht. Du?«
Er überlegte kurz. In Santa Mondega waren Fahrstühle lebensgefährlich.
»Nein«, sagte er. »Ich nehme mit dir die Treppe.«
Auf dem Weg nach oben war Dante damit beschäftigt, Kacys Hintern vor ihm zu bewundern. Nebenbei überlegte er, was sie beide in ihrem Hotelzimmer wohl gleich erwarten würde. War noch immer alles so, wie sie es zurückgelassen hatten? Oder waren die Bullen da, um die Morde an Robert Swann und Roxanne Valdez zu untersuchen? Gab es überhaupt noch genug Bullen in der Stadt, um eine Mordermittlung durchzuführen? Offiziell hatte er das Zimmer gemietet und es ausschließlich mit Kacy bewohnt, deshalb gab es eigentlich auch keinen Grund, im Zimmer nach Beweisstücken zu suchen. Als sie es betraten, waren tatsächlich nur die Betten frisch gemacht. Sonst hatte sich nichts verändert.
»Nimm nur das mit, was du wirklich brauchst«, sagte er zu Kacy, wusste aber schon, dass sie die meisten Klamotten aus dem Schrank behalten würde.
Natürlich hörte sie nicht auf ihn und stopfte einen großen Koffer mit Kleidung voll. Sie hatte ihn auf dem Bett aufgeklappt, durchwühlte eine Kommode und schien wirklich alles daraus mitnehmen zu wollen. Dante hingegen begnügte sich mit einem kleinen Koffer, in den er ein paar Boxershorts, zwei Jeans und ein paar T-Shirts warf.
»Warme Sachen brauchst du nicht, Kacy, schon vergessen? Im Moment kann Kälte uns nicht viel anhaben, die spüren wir kaum.«
Kacy hielt kurz inne, legte aber dann doch eine braune Fleecejacke in ihren Koffer. »Falls wir uns wieder in Menschen verwandeln, brauchen wir so viele warme Sachen wie möglich. Denk doch bloß mal an den ganzen Schnee.«
Verdammt! Da hatte sie natürlich recht. Schnell wühlte Dante in seinen Schubladen nach warmen Sachen. »Manchmal habe ich fast das Gefühl, du bist noch schlauer als ich, Kacy.«
»Manchmal?«
»Ja. Jetzt zum Beispiel.«
»Machst du Witze? Allein kannst du dir nicht mal die Schuhe zubinden!«
»Ich trage keine zum Schnüren.«
»Und ich weiß auch, warum.«
»Na schön, wenn du also angeblich so schlau bist, wieso muss ich mir dann einen Plan einfallen lassen, wie wir an das Auge des Mondes kommen?«
»Weil du uns die ganze Scheiße eingebrockt hast!«
»Na und?«
Kacy schnaubte. »Vielleicht hat Vanity ja eine Idee.«
»Aber mit dem können wir nicht darüber reden.«
»Du nicht – ich schon.«
»Wieso?«
»Weil ich bei ihm meinen Charme spielen lasse.«
»Aha, und was soll das genau heißen?«, fragte Dante misstrauisch.
»So meinte ich das nicht. Aber er weiß bestimmt eine ganze Menge über Gaius. Wenn ich mir ein bisschen Mühe gebe, schaffe ich es möglicherweise, Vanity auszuhorchen.«
»Was soll Vanity dir denn schon groß über Gaius verraten?«
»Vielleicht hat Gaius ja einen Hund, den er regelmäßig allein ausführt.«
»Einen Hund?«
»Hey, nur so ein Beispiel. Falls wir Gaius das Auge abnehmen wollen, müssen wir ihn allein erwischen. Oder noch besser im Schlaf.«
Dante lachte verächtlich. »Wie lahm ist das denn?«
»Klappe!« Kacy warf eine Socke nach ihm. »Ich versuch nur, mir das ein oder andere Szenario auszumalen, bei dem es klappen könnte.«
»Weiß ich doch, Süße, ich mach nur Spaß.«
Dante zog den Reißverschluss an seinem Koffer zu. Aus den Augenwinkeln sah er in einer Schublade ein paar Sachen, die bis zu seinem Tod Robert Swann gehört hatten. Es waren eine Spritze und ein Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit darin. Sofort erkannte Dante die beiden Dinge wieder. Es war die Flasche mit dem Serum, das seine Körpertemperatur gesenkt hatte, damit die Vampire ihn nicht mehr als Mensch erkennen konnten. Er war erst hinterher zu einem richtigen Vampir geworden. Mit der Spritze hatte man ihm das Serum injiziert.
»Das Zeug nehm ich wohl besser mit«, sagte er und hielt die Flasche und die Spritze in die Höhe, um sie Kacy zu zeigen.
»Warum?«
»Na ja, an dieses Serum kommt man nicht so leicht ran. Wer weiß, ob wir es nicht nochmal gebrauchen können?«
Kacy verzog das Gesicht. »Ich kann mir echt nicht vorstellen, wann das sein sollte.«
»Ich auch nicht, trotzdem – sicher ist sicher.«
»Dann nenn mir doch bitte eine Gelegenheit, bei der du so ein Serum brauchen würdest. Los, und bitte was Realistisches.«
Dante kratzte sich am Kinn und schien angestrengt nachzudenken, was bei ihm eher selten vorkam. Dann sagte er vorsichtig: »Und wenn wir nun das Auge haben und geheilt werden? Mit dem Serum könnten wir uns vor den Vampiren in der Stadt verstecken.«
Kacy schaute ihn erstaunt an. »Mann, da hattest du ja wirklich mal einen logischen Gedankengang.«
Er runzelte die Stirn. »Kommt mir tatsächlich auch so vor.«
»Okay, lass uns hier abhauen. Wer weiß, was für Wunder uns heute noch erwarten?«
Dante steckte sich die Spritze in die Innentasche seiner Jacke und die kleine Flasche in seine Jeans. »Los, gehen wir. Hast du alles?« Er verschloss seinen Koffer.
Kacy schaute sich noch einmal im Zimmer um. Es war vergleichsweise aufgeräumt und sauber, nichts ließ auf eine Straftat schließen. Natürlich mussten sie jetzt Robert Swanns Sachen zurücklassen, aber das kam ihr nicht weiter schlimm vor.
Die beiden machten sich auf den Weg die Treppe hinunter zur Rezeption. Unten angekommen, beschwerte Kacy sich bereits über das Gewicht ihres Koffers.
»Kannst du den für mich tragen?«, jammerte sie.
»Machst du Witze? Bis zum Swamp sind es verdammte zwei Meilen!«
»Oh Gott, Dante, das schaffe ich nie.«
»Okay, warum klaue ich dann nicht einfach einen Wagen vom Parkplatz? Spart Zeit und Arbeit.«
»Ich bin voll dafür«, stimmte Kacy zu. »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich fühle mich richtig schwach. Ich bräuchte mal wieder einen Drink, falls du verstehst, was ich meine.«
Und ob Dante das verstand. Ihn dürstete es auch nach Menschenblut. Würde das von jetzt an immer so sein? Fühlten sich Vampire die ganze Zeit so? »Ich habe ganz beschissenen Durst«, sagte er und ging Kacy voran hinaus zum Parkplatz.
Dort schaute er sich dann nach einem geeigneten Wagen um. Der Parkplatz war ziemlich voll.
»Siehst du ein Auto, das dir besonders gefällt?«, fragte er.
»Spinnst du? Die sind alle mit Schnee bedeckt. Da kann man gar nichts erkennen.«
»Stimmt, dann suche ich eins aus.«
Dante hatte seine Wahl schnell getroffen. »Du wartest hier und stehst Schmiere. In einer Sekunde bin ich mit dem Auto wieder da.« Er ließ seinen Koffer fallen und verschwand zwischen den parkenden Wagen.
Kacy wusste, dass Dante ein geschickter Autoknacker war. Er mochte ja ansonsten auf den Kopf gefallen sein, aber einen Wagen aufzubrechen und kurzzuschließen schaffte er in dreißig Sekunden. Ihr Vertrauen in ihren Freund erwies sich als gerechtfertigt. Es war noch keine Minute vergangen, da hörte sie, wie ein Motor ansprang. Einen Moment später kam ein Auto auf sie zugefahren. Als sie den grinsenden Dante hinterm Steuer sah, schlug sie sich vor die Stirn.
Er hatte sich ausgerechnet einen Streifenwagen ausgesucht.
Das Auto kroch über den Schnee und hielt schließlich neben ihr. Dante fuhr die Fensterscheibe herunter.
»Schmeiß das Gepäck hinten rein und steig ein«, sagte er und startete aus Versehen die Sirene, als er das Fenster wieder schließen wollte.
Kacy wusste, dass es sinnlos war, mit Dante darüber zu diskutieren, wie dämlich es war, ausgerechnet einen Polizeiwagen zu klauen. Also stieg sie einfach ein. Gleich darauf verließen sie den Hotelparkplatz und fuhren auf die vereiste Straße.
»Hättest du nicht einen weniger auffälligen Wagen nehmen können?«, fragte sie.
»Ich wollte schon immer ein Polizeiauto.«
Das Funkgerät knackte, während sie über die Hauptstraße Richtung Swamp fuhren. Dann war laut und deutlich eine Stimme zu hören.
»Hier spricht Detective Sanchez Garcia. Bitte um Verstärkung. Ich befinde mich im dritten Stock des Remington Tower in der 54. Straße und habe hier ein paar noch nicht identifizierte Leichen gefunden. Überall klebt Blut. Ich glaube, dass die Morde gerade erst passiert sind und sich der Killer noch immer in der Nähe aufhalten könnte. Bitte schicken Sie Verstärkung oder ich verpiss mich.« Es folgte eine kurze Pause. »Ich hab auch Donuts hier.«
Dante und Kacy schauten sich an.
Es war Kacy, die aussprach, was sie beide dachten. »Er meinte, da wäre alles voller Blut. Frisches Blut. Was meinst du?«
Dante nickte. »Frisches Blut, für das wir niemanden töten müssen.«
»Der Remington Tower ist nur ein paar Straßen von hier entfernt«, sagte Kacy.
Dante trat aufs Gas. »In zwei Minuten sind wir da.«