♦ DREIUNDDREISSIG
Rameses Gaius hatte eine Mordslaune, als er in der Bibliothek von Santa Mondega ankam. Der Weihnachtsmann hatte sich wegen des Buchs des Todes nicht mehr gemeldet, und der fette Kinderfresser ging auch nicht ans Handy. Offenbar war er schlau genug gewesen, gleich die Stadt zu verlassen, statt sich dem Zorn seines Herrn und Meisters zu stellen.
Gaius lief die Treppe hinauf und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. Oben angekommen, marschierte er durch die Schwingtüren vor dem Empfangsbereich und sah sich dahinter einem Jungen mit ungepflegten Haaren und einem zerknitterten Hemd gegenüber, das lange kein Bügeleisen mehr gesehen hatte.
»Wo ist Ulrika Price?«, fragte Gaius, ohne sich lange mit irgendwelchen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.
Der Junge schaute hoch. »Die ist heute nicht gekommen. Ich bin ihre Vertretung.«
Gaius nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche seines silbernen Anzugjacketts. »Bist du Josh?«, fragte er und starrte den jungen Hilfsbibliothekar böse an.
»Hm … Ja, aber woher wissen Sie das?«
»Dann hast du das Buch des Todes neulich Abend an eines eurer Mitglieder ausgeliehen?«
»Das Buch des Todes?«
»Ja, weißt du überhaupt, wovon ich rede?«
Josh nickte. »Aber ich habe es niemandem ausgeliehen«, sagte er nervös. »Ich habe es nur ins Regal geräumt, weil Ulrika Price mir das aufgetragen hat.«
Gaius beugte sich weit über den Schreibtisch und rückte Josh auf die Pelle. »Dann hol es mir jetzt.«
»Das kann ich nicht«, erklärte Josh. »Die Polizei war heute Morgen hier und hat es mitgenommen.«
»Was?«
»Ja, einer von den Bullen war heute Morgen deshalb da.«
»Wer genau?«
»Sanchez Garcia. Der Barmann vom Tapioca.«
»Verdammte, beschissene Scheiße!«
»Heute ist ja wohl alle Welt hinter diesem Buch her«, sagte Josh achselzuckend.
Gaius runzelte die Stirn. »Wer denn noch?«
»Irgend so ein fetter Weihnachtsmann. Der war gleich nach Sanchez bei mir und hat mich mit Pisse bespuckt.«
Gaius schnüffelte. »Riecht man.«
Josh wurde rot, senkte den Kopf und roch an seinem Hemd. Dann verzog er angewidert das Gesicht und blickte Gaius wieder an. »Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
»Ja, in der Tat«, sagte Gaius. »Zeig mir bitte das Regal, in das du das Buch neulich Abend gestellt hast.«
»Ja, klar.«
Josh hob die Klappe im Empfangstresen an und kam nach vorn. »Hier entlang«, sagte er und führte Gaius dann in den Gang mit den Referenzwerken.
Gaius folgte ihm und musste sich bemühen, regelmäßig und tief zu atmen, um seine ungeheure Wut darüber zu kontrollieren, dass das Buch sich in den Händen der Polizei befand. Josh bog jetzt in einen Gang ein, in dessen Regalen zahllose dicke Hardcover standen. Dann zeigte er auf eine Reihe knapp unter Augenhöhe.
»Da habe ich es hingestellt«, erklärte er stolz. »Unter A wie Anonymus.«
Gaius deutete auf ein dickes Buch mit grünem Rücken in der untersten Reihe. »Könntest du das da eben freundlicherweise für mich herausholen?«, fragte er dann höflich.
Josh zuckte mit den Schultern. »Ja, klar.«
Als der Junge sich bückte, packte Gaius ihn am Haarschopf, zerrte ihn daran hoch und rammte sein Gesicht gegen das massive Holzregal. Es knackte laut, als Joshs Nase brach. Der Junge hatte kaum noch Zeit, vor Schmerz zu schreien, bevor Gaius sein Gesicht erneut dreimal gegen das Regal knallte. Blut strömte aus Joshs Nase und seinem Mund, dem nun mehrere Zähne fehlten. Gaius warf ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Boden und beugte sich über ihn. Der arme Josh versuchte noch, sich hinzuknien, doch Gaius schlug ihm die Faust in die Rippen, sodass Josh herumflog und dann auf dem Rücken landete.
Tränen standen ihm in den Augen, und sein blutverschmiertes Gesicht spiegelte vollständiges Entsetzen. Joshs Hände zitterten, und es sah aus, als würde er gleich weinen. Gaius beugte sich zu ihm hinunter und drückte ihm das Knie auf die Brust.
»Das ist die Rache dafür, dass du das Buch der Polizei gegeben hast«, sagte Gaius und hob die riesige rechte Faust. Josh jaulte auf und drehte den Kopf weg. Ihm blieb noch Zeit, einmal aufzuschluchzen, bevor Gaius zuschlug und ihm den Wangenknochen zerschmetterte, als wäre er aus Glas.
Er bearbeitete Joshs Gesicht bestimmt eine Minute lang mit den Fäusten. Nach dem dritten oder vierten Schlag war Josh wohl schon tot, aber Gaius machte weiter, weil er die Gewalt einfach zu sehr genoss.
Als sein Adrenalinspiegel langsam sank, hielt er inne und betrachtete seine blutigen Fäuste. Während er noch ganz berauscht war von ihrer Kraft, taten sie schon nicht mehr weh, und auch die Schwellung an den Knöcheln verschwand. Das Auge des Mondes in seinem Schädel heilte jede Verletzung in kürzester Zeit.
Gaius griff in seine Brusttasche und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Dann zückte er das Handy und rief seine Tochter an.
Jessica nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Ja, Vater?«
»An das Buch des Todes kommen wir momentan nicht heran«, sagte Gaius und holte tief Luft. »Dieser Idiot Sanchez Garcia hat es.«
»Sanchez?«
»Das habe ich doch gerade gesagt.«
»Um den mach dir keine Sorgen, der Esel wird es direkt zu mir bringen. Wahrscheinlich ist er schon unterwegs hierher.«
»Meinst du?«
»Ja, gar kein Zweifel.«
»Und warum bist du dir da so sicher?«
»Weil dieser Loser total in mich verknallt ist. Vertrau mir, Vater, wenn Sanchez das Buch hat, befindet es sich auf direktem Weg zu uns. Treib also deinen großen Plan weiter voran.«
»Na endlich mal gute Nachrichten«, sagte Gaius triumphierend. »Dann gib allen Bescheid, dass wir jetzt die Stadt übernehmen. Alle sollen raus auf die Straße und jagen. Sie können umbringen, wen sie wollen – auch Kinder.«
»Kinder?« Jessica klang überrascht. »Und warum hast du deine Meinung in dem Punkt geändert?«
Gaius wischte sich die freie blutige Hand an Joshs weißem Hemd ab. »Ich habe gerade einem Teenager den Schädel eingeschlagen«, sagte er. »Das war wie ein Rausch. Ich glaube sogar, er hat einmal nach seiner Mutter gejammert.«
Er konnte Jessicas wohlwollendes Lächeln fast hören. »Ich gebe deine Anweisungen weiter«, sagte sie. »Die meisten sind sowieso schon unterwegs. Kommst du jetzt zurück?«
»Nein«, sagte Gaius. »Ich habe erst noch einen Termin im Museum. Da warten ein paar Opfer darauf, dass ich sie fertigmache.«