SECHSUNDDREISSIG

In Todesangst rannten die Sunflower Girls durch die Straßen von Santa Mondega und schrien aus Leibeskräften. Vampire vom Clan der Clowns schnappten sich eine nach der anderen und zerrten sie in dunkle Gassen, egal wie sehr sie auch brüllten und zappelten. Seit dieser fette Bulle den Weihnachtsmann angezündet hatte, war der Tag für die Mädchen nicht besser geworden. Am Anfang waren sie noch dreißig gewesen, jetzt waren sie gerade einmal noch fünfzehn Sunflower Girls. Ihre Betreuerin hatte es als eine der Ersten getroffen, während sie verzweifelt versuchte, die Kinder zu beschützen.

Gerade als die noch übrig gebliebenen Mädchen sich einer Kirche näherten, in der sie Zuflucht suchen wollten, warf sich ein besonders widerwärtiger Clown in einem rot-weiß gestreiften Anzug und mit einer hellroten Perücke auf dem Kopf auf eines von ihnen. Das gerade einmal zehnjährige Mädchen wurde unter dem Vampir mit dem Gesicht nach unten im Schnee begraben. Sie konnte nicht mehr um Hilfe schreien.

Der Clown setzte sich auf sie, während zwei seiner Kameraden an ihm vorbei hinter den anderen Sunflower Girls herjagten. Ohne seine Kumpane zu beachten, drehte der Clown sein Opfer auf den Rücken, um sein verängstigtes Gesicht zu sehen. Dann fuhr er mit seinen langen dünnen Fingern über den Hals der Kleinen und spürte, wie das warme Blut in den Adern pulsierte.

»Hallo, meine Hübsche«, krähte er. »Du hast aber schöne Haut.« Er zog das Band aus ihrem blonden Haar und strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Es tut auch nur ganz kurz weh.«

Weit riss er den Mund auf und zeigte seine riesigen Vampirreißer. Die Kleine schloss die Augen und schrie.

RUUUMMMS!

Dante wurde in letzter Sekunde zu ihrem Retter. Gerade als der Clown zubeißen wollte, rammte er ihn mit der Wucht eines Schnellzugs. Weil Dante den Überraschungseffekt auf seiner Seite hatte, war er seinem Gegner zunächst überlegen. Kacy packte das kleine Mädchen und hob sie hoch. Dann tauchte aus dem Nichts plötzlich Vanity auf. Er rannte an Dante vorbei und hinter den Vampiren her, die noch immer Jagd auf die Mädchen auf ihrem Weg zur Kirche machten.

Dante setzte sich auf den Clown, den er eben zu Boden geschleudert hatte. Die rote Perücke seines Gegners rutschte herunter und gab den Blick auf braunes Haar frei. Leider hatte Dante nicht wirklich nachgedacht, als er beschloss, den Sunflower Girls zu helfen, und jetzt wusste er nicht weiter. Wie immer hatte er impulsiv reagiert. Zwar war er sicher, dass er das Richtige tat, nur was jetzt? Der Clown war von diesem Angriff total überrumpelt worden und schaute nun ängstlich zu Dante hinauf. Also hob Dante die Faust über seinen Kopf und ließ sie dann auf das Gesicht des Clowns niederfahren. Es knackte laut, und Dante jaulte auf, weil ein stechender Schmerz nun in seine Hand schoss.

Er hörte Kacy rufen. Sie war gerade dabei, die Sunflower Girls in die Kirche zu bringen. Vanity hatte die beiden anderen Vampire zu Fall gebracht und tat nun sein Bestes, um sie festzuhalten.

Der Clown unter Dante stöhnte. »Au! Du hast mir die Nase gebrochen!«

Dante sah ihn an. Die rote Pappnase war zerbrochen, und darunter sah man nun eine warzenbesetzte Nase. Unter diesen Umständen gab es nur eine richtige Reaktion – dem Clown noch eine zu verpassen, um ihm auch seine richtige Nase zu brechen. Gerade als Dante wieder zuschlagen wollte, bekam der Clown eine Hand frei. In seiner Hand befand sich eine Waffe, mit der er auf das Gesicht seines Angreifers zielte.

Perplex beobachtete Dante, wie der Clown abdrückte. Es klickte leise, dann spritzte warmes Wasser in Dantes Augen. Das war doch typisch für einen Clown! Eine Wasserpistole, um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Dante ließ dem Kerl keine Zeit mehr für einen zweiten Streich und schlug wieder zu, diesmal mit mehr Kraft. Jetzt krachte es laut, und die Nase des Clowns war gebrochen. Blut lief ihm übers Gesicht, und er sah vollkommen benommen aus. Möglich, dass er eine Gehirnerschütterung hatte. Auf jeden Fall würde er sich nicht mehr wehren. Dante sprang auf und rannte zu Vanity und den anderen beiden Vampiren hinüber.

Einen von ihnen hatte Vanity bereits bewusstlos geschlagen. Der andere kam gerade wieder auf die Füße und wollte angreifen. Dante warf sich auf ihn und schmiss ihn zurück in den Schnee, wo sein Gesicht schmerzhaft Bekanntschaft mit dem gefrorenen Boden schloss.

»Schnell!«, schrie Vanity und packte Dantes Arm. »Wir müssen in die Kirche, bevor noch mehr von denen kommen!«

Während sie zur Kirche liefen, blickte Dante über seine Schulter. Eine Gruppe Clowns hatte beobachtet, was passiert war, und rannte nun los in Richtung Kirche. Manche von ihnen hatten Macheten dabei, die anderen waren lediglich mit Wasserpistolen bewaffnet. Es wurde wirklich Zeit, hier zu verschwinden. Wer ließ sich schon gern von ein paar Komikern niedermetzeln?

Dante und Vanity knallten in letzter Sekunde die Holztüren der Kirche zu. Ein paar besonders schnelle Clowns hatten sie fast eingeholt und prallten jetzt gegen die Tür, die Vanity im selben Moment mit einem Metallriegel verschloss.

Dante schaute sich nach Kacy um. Sie stand ein Stück entfernt in der Mitte des Seitenschiffs. Von den Kirchenbänken rechts und links neben ihr spähten fünfzehn verschreckte Sunflower Girls herüber.

»Wie viele von denen warten da draußen?«, fragte Kacy.

»Ungefähr fünf«, sagte Vanity und ging an Dante vorbei auf sie zu. »Wenn die ernsthaft versuchen sollten, hier reinzukommen, sind wir gearscht. Ich schaue eben nach, dass es hier keine offene Hintertür gibt.«

Vanity lief weiter in den hinteren Teil der Kirche und verschwand dann im linken Flügelgebäude.

Dante bemerkte die Tränen in den Augen der Kinder und versuchte, sie zu beruhigen. »Macht euch seinetwegen keine Sorgen«, sagte er. »Der tut euch nichts.«

Mit zitternder Stimme fragte die blonde Kleine, die er vorhin gerettet hatte: »Seid ihr auch Vampire?«

Dante sah Kacy an. »Kannst du das beantworten? Ich geh los und helfe Vanity.«

»Klar.«

Er lief den Gang entlang, an Kacy und den Kindern vorbei. Dabei hörte er noch, wie Kacy sagte: »Wir sind nette Vampire und beschützen kleine Mädchen vor den bösen Vampiren. Den Clowns.«

Als Dante am Ende des Ganges angekommen war, konnte er Vanity nirgendwo sehen.

Es war kalt und dunkel in der Kirche. Das einzige Licht und die einzige Wärme spendeten ein paar wenige Kerzen an den Wänden. Während Dante nach Vanity und möglicherweise offen stehenden Türen Ausschau hielt, hörte er hinter sich ein gewaltiges Krachen.

Es war das Geräusch von zersplitterndem Glas. Die Mädchen begannen wieder zu kreischen. Dante flog herum und sah, wie fünf Clowns durch die bemalte Scheibe über dem Eingang krachten. Glasscherben knallten auf den Steinboden und zersprangen in winzige Teile.

Vier der Clowns landeten mitten unter den Sunflower Girls, der fünfte hinter Kacy. Dann packte er sie und schleppte sie mit sich zum Eingang. Die vier anderen Clowns schnappten sich jeder ein Mädchen und zogen es von seinen sich unter die Bänke duckenden, schreienden Freundinnen weg.

Dante wollte sich instinktiv auf den Clown stürzen, der Kacy gepackt hatte. Doch gerade als er Anstalten dazu machte, zückte der Freak mit der grünen Perücke und dem bösen Lächeln seine Machete und drückte sie Kacy gegen den Hals. Dann leckte er ihr über die Wange und fragte ihr ins Ohr:

»Warum helft ihr den Kindern?«

»Weil sie Kinder sind«, antwortete Kacy eingeschüchtert.

Dantes Magen zog sich zusammen. Die Klinge der Machete drückte sich in Kacys Hals. Ein kleiner Fehler von ihm, und sie würde ihr die Schlagader durchtrennen. Dante kam sich vollkommen hilflos vor. Kacy sah jetzt genauso panisch aus wie die Mädchen, die sie eben noch zu beruhigen versucht hatte. Und wo zum Teufel steckte Vanity?

Der Clown, der Kacy festhielt, schien der Anführer des Trupps zu sein. Die anderen warteten ganz offensichtlich auf sein Zeichen, um mit dem Blutbad zu beginnen. Er bedachte Dante mit einem verachtungsvollen Blick.

»Ihr habt das Vampirgesetz gebrochen, als ihr euch auf die Seite dieser Kinder geschlagen habt!«, brüllte er. »Es war übrigens ein Fehler, sie hierher in die Kirche zu bringen. Das wird sie nicht retten.«

Dante wusste nicht, was er dazu sagen sollte, aber glücklicherweise musste er darüber auch nicht mehr nachdenken. Hinter sich hörte er nämlich plötzlich eine vertraute heisere Stimme: »Euch wird die Kirche auch nicht retten.«

Der Clown runzelte die Stirn und versuchte etwas in der Dunkelheit hinter Dante zu erkennen. »Wer ist da?«, rief er.

Dante wendete den Blick keine Sekunde von der Machete ab, die noch immer in Kacys Hals gedrückt wurde. Ein roter Punkt spiegelte sich jetzt darauf, bewegte sich langsam den Hals des Clowns hinauf und dann in sein Gesicht. Als der Punkt über sein Kinn und die Nase kroch, schien auch der Clown ihn zu bemerken. Es war die Markierung einer Laserzielerfassung. Der rote Punkt beendete seine Reise genau zwischen den Augen des Clowns, der jetzt schielend danach spähte. Und dann ging das Blutbad los.

BÄÄÄM!

Der Kopf des Clowns explodierte. Eine Kugel war in seine Stirn eingedrungen und hatte seinen Schädel bersten lassen. Blut und Gehirnmasse spritzten in alle Richtungen. Eine Hälfte von Kacys Gesicht war mit einer roten klebrigen Masse überzogen. Sie duckte sich und schrie wohl, was aber schwer festzustellen war, weil nun alle in der Kirche schrien. Diese Schreie wurden kurz darauf von vier extrem lauten Schüssen übertönt, die schnell aufeinander folgten. Nach jedem einzelnen verlor einer der verbliebenen Clowns seinen Kopf, und sein Sunflower Girl fiel kreischend, bedeckt mit Blut und Gehirnmasse, zu Boden.

Jetzt trat die dunkle Gestalt des Bourbon Kid aus den Schatten hinter dem Altar. Sein Gesicht war unter einer schwarzen Kapuze verborgen wie so oft, wenn er Leute erschoss. In seiner rechten Hand hielt er eine ziemlich große Pistole, die er nun zurück in das Holster unter seinem Umhang steckte.

Dante atmete erleichtert auf. »Das war wirklich in letzter Minute. Danke, Mann.«

Der Kid ging an ihm vorbei und den Mittelgang entlang. »Kein Problem«, murmelte er.

Dante folgte ihm. »Gaius ist nicht mehr in der Casa De Ville«, sagte er.

»Wo dann?«

»Er ist auf dem Weg zum Museum im Stadtzentrum. Dort müssen wir unbedingt hin, wenn wir uns das Auge holen wollen.«

Der Kid blieb stehen und drehte sich um. »Ich muss erst noch ein paar andere Sachen erledigen. Bleibt noch eine Weile hier, okay? Wir treffen uns dann später im Museum.«

»Ich weiß nicht, ob wir noch lange warten können. Gaius bringt das Auge ins Museum, um es dort nachschleifen zu lassen oder so was.«

Weiter vorn war Kacy gerade damit beschäftigt, eine große Umarmungsrunde mit den Sunflower Girls einzuläuten, um sie zu beruhigen und ihnen dabei auch gleich das Blut abzuwischen. Der Kid blickte zu ihr hinüber.

»Deine Freundin wird die Kinder jetzt nicht allein lassen wollen. In einer Stunde sind die Straßen vampirfrei. Dann könnt ihr euch von den Mädchen trennen und ins Museum aufbrechen. Ich komme dann nach. Zuerst muss ich allerdings noch ein paar Zwischenstopps einlegen.«

»Wo willst du denn noch hin außer in die Casa De Ville?«, fragte Dante.

»Erst mal muss ich die Straßen für euch säubern. Und danach fahre ich zur Bibliothek und zum Polizeirevier.«

»Warum das denn?«

»Ich suche nach ein paar Büchern, und dann will ich ein paar Bullen abknallen.«

Kacy kratzte sich am Kopf. »Und wieso nicht nur die Vampire, sondern auch die Bullen?«

»Tradition.«

Ohne ein weiteres Wort ging der Kid an Kacy und den Mädchen vorbei, die vor ihm zurückwichen. Die Clowns waren schlimm genug gewesen, aber dieser Kerl schien noch gefährlicher zu sein. Am Haupteingang angekommen, schob er den großen Metallriegel zurück und öffnete den linken Teil der Doppeltüren. Beim Rausgehen drehte er sich doch noch einmal um und schaute sich das Blutbad an, das er angerichtet hatte.

»Verriegelt die Tür besser wieder«, sagte er.

Kacy machte sich von den Mädchen los und lief zum Kid. »Das erledige ich.«

Der Kid verschwand hinaus auf die schneebedeckten Straßen. Das Schließen der Tür überließ er Kacy.

In dem ganzen Chaos hatte Dante Vanity ganz vergessen. Der erschien jetzt plötzlich wieder auf der Bildfläche. In aller Seelenruhe kam er aus dem linken Nebengebäude der Kirche geschlendert und winkte Dante zu. »Ich hab die Tür im Keller verriegelt. Jetzt müsste es hier sicher sein.« Er stellte sich neben Dante und blickte sich um. In dieser Kirche hatte sich während seiner kurzen Abwesenheit einiges verändert. Mehrere Clowns-Leichen lagen herum, und alle anderen Anwesenden waren blutverschmiert. Und dann war natürlich noch das Fenster über der Tür kaputt und alles voller Glassplitter. »Was zum Teufel ist hier passiert?«, fragte er.

Dante zuckte mit dem Schultern. »Die Clowns sind durchs Fenster rein und haben sich Kacy und ein paar von den Mädchen geschnappt. Dann ist der Bourbon Kid aufgetaucht, hat sie alle plattgemacht und ist wieder abgehauen.«

Vanity machte ein überraschtes Gesicht. »Ich war doch nur eine Minute weg. Ernsthaft? Der Bourbon Kid war hier?«

»Ja, er ist wohl direkt vom Devil’s Graveyard hergekommen.«

»Was wollte er denn dort?«

»Keine Ahnung, aber auf jeden Fall ist er jetzt wieder ganz der Alte.«

Vanity runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«

Die Frage bedurfte keiner Antwort mehr – von draußen waren bereits zahlreiche Schüsse und Schreie zu hören. Kacy zog die Tür ran, ließ sie aber noch offen. Vanity und Dante gingen zu ihr, und zusammen spähten sie durch einen Spalt hinaus.

»Bringt der Mann mit der Kapuze jetzt alle Vampire um?«, fragte eines der Mädchen.

Kacy schaute erst die Kleine an, dann Dante und Vanity. Ihr noch immer blutverschmiertes Gesicht verriet echte Besorgnis. Schnell schloss sie die Tür.

»Ihr bleibt hier drinnen, Süße«, sagte sie dann zu dem Mädchen. »Das ist am sichersten.«

Draußen kamen die Schüsse nun immer schneller, und die Schmerzensschreie schwollen an. Es waren Stimmen zu hören, die um Gnade winselten und dann nach einem erneuten Schuss verstummten.

Vanity wiederholte die Frage des Mädchens. »Bringt er jetzt alle Vampire um?«

Zitternd verriegelte Kacy die Tür. »Nein«, sagte sie und drehte sich zu den anderen um. »Er bringt alle um.«