♦ DREI
Der Swamp, Vanitys Club, war viel nobler als sein an Moder und Dreck erinnernder Name vermuten ließ. Kacy hatte mit einer billigen Bar in einer dunklen Nebenstraße und einem Haufen Säufern gerechnet. Stattdessen erwartete sie ein fünfstöckiges Gebäude im Süden der Stadt. Als sie sich dem Eingang näherten, landete etwas vor ihnen auf dem Boden.
»Ist das Schnee?«, fragte Kacy.
»Unmöglich«, antwortete Dante. »In Santa Mondega hat es noch nie geschneit.«
»Was zum Teufel ist das denn dann?«
»Keine Ahnung, aber komm, wir beeilen uns besser, dort reinzukommen.« Er stieß die leichtgängige schwarze Eingangstür des Clubs auf. »Hier hängen immer eine Menge unheimlicher Kerle rum, Kacy. Du bleibst also besser in meiner Nähe.«
»Na super.«
Dante stieg seiner Freundin voran mehrere Stockwerke hoch. Nirgends war weit und breit auch nur eine einzige Menschenseele zu sehen. Und auch kein einziger unheimlicher Kerl. Nicht mal irgendein Depeche-Mode-Fan. Im Swamp war es genauso einsam und verlassen wie draußen auf den Straßen.
»Hier ist tote Hose«, flüsterte Kacy.
»Seltsam«, meinte Dante. »Als ich das letzte Mal da war, hingen auf der Treppe jede Menge Vampire ab, die allen möglichen Scheiß gemacht haben. Wo sind die bloß hin?«
Eine Stimme über ihnen antwortete: »Die sind in der Casa de Ville.«
Die beiden blieben stehen und schauten nach oben. Von einem Treppenabsatz über ihnen starrte ein Vampir mit einer Sonnenbrille und einem gepflegten Kinnbart auf sie herab. Dante erkannte ihn sofort.
»Hey, Vanity, wie läuft’s?«, rief er und winkte.
Kacy kam Vanitys Outfit sofort bekannt vor. Er trug dieselbe schwarze Lederjacke, die man Dante gegeben hatte, als er sich vor ein paar Tagen in den Shades-Clan der Vampire eingeschleust hatte. Vanity kombinierte die Lederjacke mit einem schwarzen T-Shirt, schwarzen Jeans und passenden Boots.
»Kommt rauf!«, rief er ihnen zu. »Ich geb euch ein paar saubere Klamotten. Und dann erzählt ihr mir, was ihr die ganze Nacht getrieben habt.«
Kacy griff nach Dantes Hand und folgte ihm zum Treppenabsatz, auf dem Vanity gestanden hatte. Als die beiden ihn erreicht hatten, befand Vanity sich bereits im Billardsaal. Hier gab es zahlreiche mit Filz bezogene Tische und eine lange Bar.
»Ich war hier schon mal. Hab mich mit so ein paar Komikern geprügelt«, flüsterte Dante Kacy zu.
»Warum überrascht mich das nicht?«
Vanity wartete neben einem der Billardtische, auf den er zwei schwarze Lederjacken geworfen hatte. Die Rückseite war mit dem goldenen Schriftzug »The Shades« bestickt. Wie billig, dachte Kacy, behielt das aber aus Höflichkeitsgründen für sich.
Vanity nahm die Sonnenbrille ab. Solche Augen hatte Kacy noch nie gesehen. Ihre Farbe changierte flackernd zwischen verschiedenen Tönen – Gold, Schwarz, Silber – wie eine Diskokugel. Ein hypnotisierender Anblick. Vanity starrte Kacy einen Moment an, bevor er sich an Dante wandte.
»Wer ist die Kleine?«
»Die hab ich gerade aufgerissen«, sagte Dante. Kacy ließ ihn los, er ging zu Vanity hinüber und begrüßte ihn mit Handschlag. »Sie ist ziemlich cool. Du wirst sie mögen.«
Vanity zog einen Schmollmund und musterte Kacy von Kopf bis Fuß. »Wie heißt du, Süße?«
»Kacy.«
»Kacy. Hübscher Name«, stellte er fest und musterte sie noch einmal. »Genau wie du. Die wird bei der Initiation gut ankommen. Bestimmt will jeder Kerl sie vögeln.«
Kacys ohnehin schon kaltes Vampirblut kühlte sich noch einmal ein paar Grad ab. »Was?«
Vanity grinste. »Nur ein Witz.«
Kacy seufzte ziemlich erleichtert und sah, wie Dante sich eine Schweißperle von der Stirn wischte. Er war offenbar ebenfalls auf Vanitys schlechten Scherz reingefallen.
»Hier!« Vanity warf Kacy eine der Lederjacken zu. »Zieh die an. Wir drei müssen uns auf die Socken machen. Alle Vampire haben sich in der Casa de Ville bei Rameses Gaius zu versammeln.«
»Warum?«, fragte Dante.
»Du hast doch wohl mitbekommen, was heute Nacht abgegangen ist, oder?«, entgegnete Vanity.
»Der Bourbon Kid soll eine Menge Leute plattgemacht haben«, meldete sich Kacy zu Wort, damit Dante nicht verraten musste, wo genau er sich aufgehalten hatte, als es losgegangen war.
»Ja.« Vanity nickte. »Déjà Vu hat sich als der Bourbon Kid entpuppt. Schon gewusst, Dante?«
Dante zog gerade die Lederjacke über. Ein paar Sekunden lang tat er so, als hätte er Vanitys Frage nicht gehört, und klopfte imaginären Staub von der Lederjacke ab. Währenddessen überlegte er sich krampfhaft eine Antwort. Schwer zu sagen, ob Vanity bereits Bescheid wusste und ihn nur auf die Probe stellen wollte. Wieder mischte Kacy sich schnell ein. »Haben wir draußen schon mitbekommen«, verkündete sie. »Ist Stadtgespräch.«
»Ach ehrlich?«, fragte Vanity. »Habt ihr dann auch gehört, dass sie ihn erwischt haben?«
Diesmal antwortete Dante sofort. »Wirklich? Sie haben den Bourbon Kid erwischt?«
»Klar. Ein paar Jungs vom Militär, die Gaius angeheuert hat, haben ihn gefangen und ihm den verdammten Kopf abgeschlagen.«
»Oh, scheiße.« Dante gelang es nicht, seinen Schock darüber zu verbergen.
Kacy hingegen bereitete das nicht halb so viel Kummer wie Dante. Sie interessierte sich vor allem dafür, wie die neue Lederjacke ihr wohl stehen würde. Schnell schlüpfte sie hinein und stellte begeistert fest, dass die Jacke perfekt passte. Dann warf Vanity ihr eine Sonnenbrille zu.
»Sie haben ihn geschnappt und umgelegt und euch damit wahrscheinlich den Hals gerettet«, erklärte Vanity. »Ich bezweifle, dass die höheren Mächte im Moment besonders beglückt sind unseretwegen.«
»Vielleicht sollten wir dann lieber hier bleiben?«, schlug Kacy vor und musterte die Sonnenbrille. Konnte man da wirklich etwas durchsehen?
»Wir kriegen jetzt schon Ärger«, sagte Vanity. »Wir haben Glück, dass der Bourbon Kid heute Nacht Hunderte Vampire erledigt hat und Gaius nicht mehr viele Leute hat. Er stellt nämlich gerade eine Armee der Untoten auf, die die Stadt übernehmen soll. Dass er dafür erfahrene Vampire braucht, sollte uns erst mal den Kopf retten.«
»Ist es draußen denn momentan sicher?«, fragte Kacy. »Ich meine … Geht nicht bald die Sonne auf?«
Vanity schüttelte den Kopf. »Gaius sagt nein. Er hat es irgendwie hinbekommen, dass schwarze Wolken die gesamte Stadt verdunkeln. Also sind wir so lange Daywalker.«
»Echt?«
»Ja. Archie Somers hat jahrelang versucht, den Himmel dauerhaft zu verdunkeln. Gaius hat es problemlos hinbekommen.«
Kacy hob den Kopf. »Wer ist denn Archie Somers?«
»Der alte Boss. Ober-Blutsauger, einer der ersten Daywalker.«
»Wir haben eben sein Blut getrunken«, platzte Dante mit dem Gedanken heraus, der Kacy gerade durch den Kopf gegangen war.
»Was?«
»Wir waren in der Polizeistation auf der Suche nach potenziellen Opfern und haben dort einen Beutel mit dem Namen Archie Somers drauf entdeckt.«
»Archie Somers? Wo ist der Beutel jetzt?«
»Wir haben ihn leer gemacht.«
Vanity schaute sie misstrauisch an. »Wollt ihr mich verarschen?«
»Nein«, versicherte Dante. »Das Zeug war verdammt geil.«
Vanity seufzte. »Ich an eurer Stelle würde das hübsch für mich behalten«, sagte er. »Lasst so einen Scheiß nicht Jessica oder Gaius hören, sonst grillt der euch mit Laserstrahlen aus seinen Fingerspitzen. Tja, und Jessica würde euch gleich die Gedärme rausreißen.«
»Wer ist Jessica?«, erkundigte sich Kacy vorsichtig.
»Die lernst du gleich in der Casa de Ville kennen. Allerdings müssen wir auf dem Weg dahin einige Zwischenstopps einlegen, um zu schauen, ob wir noch ein paar Verstreute aus unserem Clan finden. Je mehr wir sind, desto sicherer sind wir.«
»Super«, sagte Kacy, und man merkte ihr die mangelnde Begeisterung deutlich an.
Vanity setzte die Sonnenbrille auf und zeigte zur Tür. Kacy bemerkte, dass auch Dante seine Brille aufsetzte, und tat es ihm schnell gleich. Erstaunt stellte sie fest, wie perfekt sie sehen konnte, obwohl es relativ dunkel im Raum war.
Eilig ging Vanity an ihr vorbei zur Treppe, sprang über das Geländer und war verschwunden. Kacy rannte ihm hinterher. Vanity landete unten gerade sanft auf dem Boden. Sie drehte sich zu Dante um.
»So was können wir?«, fragte sie.
Dante verzog das Gesicht. »Sieht ganz so aus. Ich zuerst?«
»Darauf kannst du einen lassen!«
Er holte gerade Schwung, da packte Kacy ihn am Arm. »Wollen wir uns jetzt ernsthaft einer Armee aus Untoten anschließen, Schatz?«
»Ich glaub schon.«
»Bist du sicher, dass das wirklich eine gute Idee ist?«
»Na ja, im Moment sind wir Vampire, da sollten wir uns erst mal anpassen.«
»Ich weiß nicht, ob ich schon so weit bin, andere Leute abzumurksen.«
Dante zog Kacy an sich und drückte ihr einen Kuss auf das lange dunkle Haar. »Wir sind jetzt Vampire, Süße«, wiederholte er. »Bis wir das Auge des Mondes finden und uns in Menschen zurückverwandeln können, müssen wir mitmachen.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Kacy. »Aber Vanity meinte, die Vampirarmee will die Stadt unterwerfen. Sollen wir das etwa unterstützen?«
»Weiß nicht, Süße, aber ohne den Bourbon Kid wird sie keiner davon abhalten können. Zumindest sind wir dann auf der Seite der Sieger.«
»Das stimmt, aber ich krieg einfach das Bild des kleinen Jungen in der Polizeistation nicht aus meinem Kopf.«
»Na danke auch, den hatte ich gerade vergessen.«
»Ich schaff das nicht. Es macht mich immer noch fertig.«
»Versuch, an was anderes zu denken.«
»Woran denn?«
»Baseball.«
Kacy seufzte. »Es ist nicht nur die Erinnerung allein, sondern auch, was das für uns bedeutet.«
»Hä?«
Dante kapierte einfach nicht, worauf sie hinauswollte, also musste sie es ihm wohl erklären. »Ich könnte niemals ein Kind verletzen. Was, wenn unser Blutdurst uns dazu bringt, Kinder zu töten?«
»Du würdest niemals einem Kind etwas antun, Kacy, und ich auch nicht.«
»Ich weiß, aber falls sich das nun ändert? Ich will auf keinen Fall die Kinder von irgendwelchen Leuten umbringen. Ich wäre am liebsten sofort wieder ein Mensch.«
Dante küsste sie auf die Stirn. »Schon okay, Süße. Ich sag dir was. Wenn wir mitbekommen, dass ein Vampir ein Kind aussaugen will, schlag ich dem Vampir den Schädel ein.«
»Und ich helf dir dabei.«
»Abgemacht, aber du weißt, dass wir vor allem und zuallererst das Auge des Mondes finden müssen, ja?«
»Hast du schon einen Plan?«
»Nein. Wann hatte ich jemals einen Plan? Pläne sind was für Weicheier.«
Wenn Dante so leidenschaftlich wurde und dabei alle Gefahren in den Wind schlug, wusste Kacy wieder, warum sie sich in ihn verliebt hatte. Er mochte zwar ein unterbelichteter Idiot sein, aber er hatte wirklich Mut.
»Ich liebe dich«, sagte sie.
Dante kniff ihr in den Hintern. »Ich liebe dich auch, und dieser ganze Vampirkram ist für uns bald Geschichte. Vertrau mir.«