♦ FÜNFZEHN
Kurz nach der großen Versammlung in der Casa de Ville hatte Vanity sich von Dante und Kacy getrennt. Die beiden mussten noch diverse Sachen erledigen, bevor sie in den Swamp gingen. Vanity hatten sie erzählt, sie hätten noch irgendwo Sachen in einem Hotelzimmer. Also war er allein mit Cleavage und Moose losgezogen, um neue Clan-Mitglieder aufzutun. Doch bevor er damit weit gekommen war, bekam er leider einen Anruf, der ihn ins Büro des großen Rameses Gaius beorderte. Weil es dringend war, hatte Vanity keine Gelegenheit mehr, sich noch in einen Anzug zu werfen, um den neuen Boss zu beeindrucken. Stattdessen tauchte er in Jeans und seiner schwarzen Lederjacke mit dem goldenen Shades-Schriftzug auf. Damit vermasselte er bestimmt den so wichtigen ersten Eindruck.
Vanity betrat Gaius’ Büro im vollen Bewusstsein, dass seine Tage möglicherweise gezählt waren. Immerhin war er der Chef des Clans, den der Bourbon Kid infiltriert hatte. Das hatte ihm nicht gerade besondere Beliebtheitspunkte eingebracht. Gaius neigte zu cholerischen Wutausbrüchen, und wahrscheinlich würde er seine Wut gleich an Vanity auslassen. Blieb nur zu hoffen, dass er noch alles erklären konnte, bevor Gaius den Stab über ihn brach. Die Geschichte wies den ehemaligen Herrscher von Ägypten als rücksichtslosen Killer aus, der seinen Opfern selten Zeit ließ, noch lange Verteidigungsplädoyers zu halten. Falls die Gerüchte stimmten, konnte er Blitze aus seinen Fingerspitzen schießen lassen. Vanity befürchtete ernsthaft, dass ihm eine Demonstration dieser Kräfte bevorstand.
Das Büro wurde von einer einigermaßen attraktiven Vampirin mit sportlicher Figur aus dem Panda-Clan bewacht. Mit geheucheltem Selbstbewusstsein trat Vanity auf sie zu.
»Hallo, ich soll mich bei Rameses Gaius melden«, erklärte er.
Die Miene des Panda-Mädchens blieb undurchdringlich. »Er erwartet dich. Geh rein.«
»Danke.« Vanity holte tief Luft. Ob man ihm ansah, wie nervös er war? Bevor er die Tür öffnete, zog er schnell einen Handspiegel aus der Jackentasche und tat, als würde er sein Aussehen damit kontrollieren.
Das Panda-Mädchen schüttelte den Kopf. »Du bist ja ein Irrer«, sagte sie und grinste.
Vanity ignorierte sie und starrte weiter in den Spiegel, strich sich über den Kinnbart und das wellige dunkle Haar hinter die Ohren. Als Vampir konnte er sein Bild im Spiegel natürlich gar nicht sehen, aber der Gag kam bei Frauen immer gut an.
»Wie wäre es, wenn wir beide mal zusammen essen gehen?«, fragte er und zwinkerte dem Panda-Mädchen zu.
Sie schüttelte Kopf. »Ein Mann, der einen Handspiegel mit sich herumschleppt, ist mir zu eitel.«
»Nichts gegen den Spiegel«, sagte Vanity und versuchte, nicht beleidigt zu klingen. »Er ist antik – handgefertigt von einem mächtigen Hexer aus Ägypten. Das Ding ist unzerstörbar. Nicht einmal dein hässlicher Anblick könnte es zerspringen lassen.«
Die Vampirin seufzte. »Falls sie dir dadrinnen gleich den Kopf abhacken, werde ich fragen, ob ich ihn als Souvenir behalten kann. Und jetzt rein mit dir, du Spinner.«
Vanity steckte den Spiegel wieder in die Tasche, griff nach der Türklinke, musste aber unbedingt noch das letzte Wort behalten. »Jetzt weiß ich jedenfalls, warum du die Augen schwarz geschminkt hast – damit man die Veilchen darunter nicht sieht.«
Im Büro saß Gaius hinter seinem Schreibtisch. Er trug noch immer den eleganten silbernen Anzug und auch die Sonnenbrille wie bei seiner bewegenden Rede in der großen Halle. Sein dunkler Teint verriet nicht, dass er zum Volk der Untoten gehörte. Kreaturen der Nacht hatten üblicherweise keine so gesunde Gesichtsfarbe – mal abgesehen von Vanity, der sich für Selbstbräuner nicht zu schade war.
»Ich grüße Sie, Mr Gaius«, verkündete Vanity servil und betrat das Büro. Das Panda-Mädchen zog hinter ihm die Tür zu, worüber Vanity sich so erschrak, dass er innerlich zusammenzuckte.
»Setz dich bitte«, sagte Gaius und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Vanity tat, wie ihm geheißen, und nahm die Sonnenbrille ab.
Gaius lehnte sich in seinem ledernen Chefsessel zurück. »Du hast es wirklich vermasselt«, stellte er dann fest.
»Ich weiß«, sagte Vanity und hob die Hände. »Aber wenn Sie mir …«
»Normalerweise wärst du jetzt schon tot. Das ist dir doch wohl klar?«
»Ja, ich hatte eigentlich erwartet, heute Morgen neben einem Pferdekopf aufzuwachen.«
Gaius nahm die Sonnenbrille ab und warf sie auf den Schreibtisch. Es war schwer, sein strahlend blaues Auge nicht anzustarren, das so sonderbar aussah. Vanity wünschte inbrünstig, sein Boss würde die Brille wieder aufsetzen.
»Du lebst noch, weil ich dich irgendwie mag. Du bist der einzige Kerl in der Stadt, der noch verrücktere Augen hat als ich. Und wie ich höre, bist du ein guter Kämpfer.«
»Danke.«
»Dennoch, der Bourbon Kid hat sich in deinem Clan versteckt.«
Vanity nickte. »Das ist wahr, Sir. Und dafür kann ich mich nur entschuldigen. Er hat uns exzellent getäuscht. Immerhin war er ja wirklich ein Vampir, und da wir nicht wussten, wie der Bourbon Kid aussieht, ahnten wir natürlich nicht, mit wem wir es zu tun hatten.«
Gaius griff unter seinen Schreibtisch und hob etwas vom Boden hoch. Dann schmiss er es vor Vanity auf den Schreibtisch. Es war ein abgetrennter Kopf. Ein Kopf, den Vanity trotz der Entstellungen wiedererkannte.
»Wessen Kopf ist das?«
Vanity verzog beim Anblick des verschrumpelten Kopfs das Gesicht. »Das ist Obedience.«
»Obedience?«, wiederholte Gaius zweifelnd.
»Ja, er sieht ziemlich zerschunden aus, aber das CUNT-Tattoo auf seiner Stirn lässt da keine Zweifel aufkommen. So was haben nicht besonders viele Leute.«
Gaius runzelte die Stirn. »Und warum war er angezogen wie der Bourbon Kid?«
Vanity zuckte mit den Schultern. »Davon wusste ich nichts.«
»Wie ich höre, hat sich der Bourbon Kid unter dem Namen Déjà Vu in deinen Clan eingeschlichen.«
»Jedenfalls wird das behauptet, aber ich habe Déjà Vu nicht mehr gesehen, seit es gestern rundging. Ich dachte, er wäre geköpft worden.«
»Das ging uns allen so. Aber wie du mir ja eben bestätigt hast, haben wir den Falschen erwischt. Kannst du mir sagen, wo Déjà Vu jetzt steckt?«
Vanity schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich ist er tot. Dieser Scheißkerl hat ja fast alle Mitglieder meines Clans erledigt. Mal abgesehen von Cleavage, Moose und zwei neuen Rekruten namens Dante und Kacy.«
»Was?«
»Vom Shades-Clan sind nur noch eine Handvoll übrig, und zwei von ihnen sind neu.«
»Sagtest du eben Dante und Kacy?«
Vanity schaute Gaius fragend an. »Ja, kennen Sie die zwei denn?«
»Die beiden Idioten sollten doch tot sein! Sein Name sollte im Buch des Todes stehen!«
»Ich kann Ihnen gerade nicht folgen. Wovon reden Sie?«
»Dante Vittori wurde von mir angeheuert, damit er den Mönch enttarnt, der sich in einem der Clans versteckt hielt. Deshalb habe ich Dante ein Serum injiziert, durch dessen Wirkung er in den Clans nicht mehr als Mensch auffiel. Verdammt, Vanity, all diese Verräter sind in deinem Clan untergetaucht. Wie beschissen bist du eigentlich darin, einen Pseudo-Vampir von einem echten Vampir zu unterscheiden? Und seine Freundin hat von dem Serum gar nichts abbekommen. Konntest du nicht wenigstens erkennen, dass die ein Mensch ist?«
Vanity strich sich wieder über seinen Kinnbart. »Das ist eigenartig«, sagte er dann. »Die beiden sind auf jeden Fall Vampire. Sie haben mir sogar erzählt, dass sie letzte Nacht das Blut von Archie Somers getrunken haben.«
»Was?«, fragte Gaius verwirrt.
»Ich fand das ja auch sehr merkwürdig. Die beiden meinten, sie hätten einen Beutel Blut mit Archie Somers’ Namen darauf gefunden. Und zwar im Polizeirevier. Keine Ahnung, wie der da hingekommen ist.«
Gaius sprang wütend auf. »Du weißt doch wohl, was Archie Somers mir angetan hat, oder etwa nicht?«, brüllte er.
»Hm, er hat Ihre Tochter gegen Ihren Willen geheiratet.«
»Archie Somers, damals noch Armand Xavier, hat mich verraten. Er ist dafür verantwortlich, dass ich erst betäubt und dann mumifiziert wurde. Ich habe Hunderte von Jahren in diesem verdammten Sarg im Museum verbracht.«
»Tja, klingt so, als wären Sie nicht gerade sein größter Fan?«
»Verdammt richtig! Als er umgebracht wurde, hat sich der Fluch von mir gehoben, und ich konnte aus meinem Sarg im Museum ausbrechen.«
»Wenigstens hat die Geschichte ein Happy End.«
Gaius überging diese Bemerkung und starrte tief in Gedanken versunken vor sich hin. »Sehr interessant«, sagte er dann. »Immerhin haben die beiden sein Blut nicht aus dem Heiligen Gral getrunken.«
»Aus dem Heiligen Gral? Machen Sie Witze?«
»Das geht dich zwar nichts an, aber nein, das war kein Witz. Wichtig ist nur, dass ich nun doch noch einmal eine Chance bekomme, um mich an Armand Xavier zu rächen. Sein Blut fließt durch die Adern von Dante Vittori und seiner nörgeligen Freundin. Das ist meine Gelegenheit, um es Armand heimzuzahlen. Rache an ihm und diesem grässlichen Pärchen! Zwei Fliegen mit einer Klappe! Wo stecken die beiden jetzt?«
»Ich habe ihnen gesagt, dass sie zu mir in den Swamp ziehen sollen. Im Augenblick sind sie gerade in dem Hotel, in dem sie wohnen. Die Kleine wollte sich ein paar saubere Klamotten holen. Wenn sie alles zusammengepackt haben, kommen sie in den Swamp. Soll ich sie Ihnen dann vorbeischicken?«
Gaius machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, das wird nicht nötig sein«, sagte er. »Ich habe da ganz andere Pläne für die beiden. Schleich dich in ihr Vertrauen. Das hier ist deine Chance, alles wiedergutzumachen, Vanity. Ja, mehr noch als das – es ist deine Chance, in der Hierarchie der Vampire ganz weit aufzusteigen, falls du mir jetzt hilfst.«
Vanity hatte alle Träume von einem Aufstieg in Gaius’ Organisation eigentlich schon beerdigt. Die Aussicht auf Macht und Privilegien war ein starker Motivator. »Okay«, sagte er und bemühte sich, nicht breit und selbstgefällig zu grinsen. »Was genau haben Sie vor?«
»Du tust den beiden gegenüber erst einmal, als wäre alles in Ordnung. Setz einfach deinen legendären Charme ein. Erzähl ihnen, was du willst, aber sorg dafür, dass sie im Museum für Kunst und Geschichte landen. Ich lasse meinen Sarg für die beiden vorbereiten. Dann können Armand Xavier und diese beiden kleinen Esel, in deren Adern sein Blut fließt, einmal ausprobieren, wie es ist, Hunderte von Jahren darin eingesperrt zu sein.«
»Sie wollen sie mumifizieren?«
»Eine gerechte Strafe, findest du nicht?«
Vanity gestattete sich nun doch ein strahlendes Lächeln. »Gefällt mir«, sagte er. »Ein aufrichtig böser Plan.«
»Ganz genau das ist er«, bestätigte Gaius ernst. »Aber wenn du die Sache wieder vermasselst, mich verarschst oder dich als unfähig erweist, reiß ich dir die Eingeweide heraus und hänge sie in deinem Nachtclub auf. Das ist deine letzte Chance, du Wichser, und der Tod hat deinen Namen schon auf der Liste. Klar?«
»Absolut klar. Ich werde Sie nicht enttäuschen. Ich freue mich sogar auf diese Aufgabe.«
»Schön, und jetzt verschwinde verflucht nochmal aus meinem Büro, du Pussy!«