ZWEIUNDDREISSIG

Der Fußboden des Fegefeuers war mit rauchenden Leichen übersät – es mussten über hundert sein. Nach einem Schluck Whiskey war JD Geschichte, und es existierte nur noch sein Alter Ego, der Bourbon Kid. Wie in einem Rausch hatte er die Leute abgeknallt, und es war so einfach gewesen! Ja, er war wieder der Alte, und es wurde Zeit, nach Santa Mondega zurückzukehren. Diesmal würde ihm keiner von der Untoten-Brut entgehen.

Berkley, der Barmann, war der Einzige, der noch lebte. Er schenkte dem Kid nach. Diesmal befüllte er das Glas gleich bis zum Rand, ohne dass er dazu aufgefordert werden musste. Der Kid setzte sich auf einen Barhocker, klopfte sich den Staub ab und dachte darüber nach, wie toll es war, wieder er selbst zu sein. Während die Leichen um ihn herum weiter rauchten oder in Flammen aufgingen, hörte er, wie jemand die Saloontüren aufstieß. Sie schwangen quietschend hin und her. Danach vernahm der Kid Schritte von Stiefeln, die sich auf den Tresen zubewegten.

Eine tiefe männliche Stimme rief: »Hey, Barmann, eine Flasche Shitting Monkey!«

Der Kid erkannte die Stimme. Der Mann, dem sie gehörte, würde sich nicht gerade freuen, ihn zu sehen. Ihre erste und letzte Begegnung war nicht gerade erfreulich verlaufen.

Berkley öffnete die Flasche und stellte sie dann auf den Tresen. Der Mann, der eben hereingekommen war, setzte sich links vom Kid auf einen Barhocker. Er nahm die Flasche und trank einen kräftigen Schluck. Danach machte er laut »Aaaah«, um zu beweisen, wie hervorragend es ihm schmeckte. Darauf folgten einige Momente unangenehmen Schweigens, bevor er den Kid ansprach.

»So treffen wir uns also wieder.«

Der Kid hob den Kopf und blickte den Mann an. Am auffälligsten an ihm war seine rechte Hand. Sie bestand aus massivem Stahl. Nur ein Mensch auf dieser Welt besaß eine solche Hand.

Rodeo Rex.

Rex war ein Kopfgeldjäger, der behauptete, im Auftrag des Herrn zu arbeiten. Und auch ansonsten war er ein blödes Arschloch. Sein braunes schulterlanges Haar verschwand fast vollständig unter einem enormen weißen Stetson. Die ärmellose Jeansjacke gab den Blick auf gewaltige Oberarme frei, auf denen sich zahlreiche Tattoos befanden – unter anderem die Wörter TOD und AUSERWÄHLTER. Enge Jeans vervollständigten das Ensemble. Bei den meisten Männern hätten sie weniger figurbetont gesessen, aber wenn man Beine wie Baumstämme hatte, war das natürlich anders.

»Du siehst aber deutlich besser aus als beim letzten Mal«, stellte der Kid fest. Damals war Rex’ blutverschmierter Leichnam im großen Deckenventilator des Nightjar Karussell gefahren.

»Ich hab einen Pakt mit dem Mann in Rot geschlossen«, sagte Rex und trank noch einen Schluck Bier. »Ich hab meinen Job ja sehr geliebt. Untote für Kopfgeld zur Strecke zu bringen, war einfach genau mein Ding. Und als er mir angeboten hat, von nun an für ihn zu arbeiten, konnte ich natürlich nicht ablehnen.«

»Und? Genug zu tun?«

»Kann mich nicht beklagen. Gibt ja viele von diesen Höllenverweigerern. Die vermehren sich wie die Karnickel. Wie ich höre, planen die gerade einen Umsturz in Santa Mondega.«

»Ach echt?«

»Mein Boss hat mich hergeschickt, damit ich dir den Weg zeige.« Rex trank noch einen Schluck Bier, dann hielt er die Flasche hoch und wollte mit dem Kid anstoßen. »Tod den Vampiren!«

Der Kid nahm sein Glas und stieß mit Rex an. »Auf alles!« Damit kippte er sich den Inhalt des Glases die Kehle hinunter und knallte es danach zurück auf den Tresen.

Während Berkley dem Kid nachschenkte, drehte sich Rex auf seinem Hocker um, schaute zum Eingang und pfiff auf den Fingern seiner normalen Hand. Kurz darauf erschien ein großer Mann mit zerzaustem schwarzen Haar. Er stieß die Saloontüren auf und ging hindurch. Ihn kannte der Kid ebenfalls. Sie waren sich früher schon ein paar Mal begegnet, wenn auch eher flüchtig. Es war Santa Mondegas bekanntester Berufskiller.

Der King. Elvis.

Er trug einen weißen, am Saum mit Gold abgesetzten Anzug und die dazu passende Sonnenbrille mit Goldfassung. In der rechten Hand hatte er einen großen Gitarrenkasten. Mit wiegenden Hüften kam er zur Bar geschlendert, als befände er sich vor zahllosen weiblichen Fans auf der Bühne. Neben dem Kid und Rex angekommen, legte er seinen Gitarrenkasten auf den Tresen.

»Tag auch, Kollegen«, sagte er und klappte den Kasten auf, aus dem er ein weißes Blatt holte und es vor dem Kid auf die Bar legte. »Hier wäre dann dein Vertrag«, erklärte er. »Lies ihn durch und unterschreib dann.«

Der Bourbon Kid nahm das Blatt. Darauf waren die Einzelheiten seines Pakts mit dem Teufel festgehalten. Oben wurden die Ansprüche des Kid aufgelistet, darunter seine Verpflichtungen. Rodeo Rex reichte ihm einen Kugelschreiber. Der Kid nahm ihn und setzte seine Unterschrift auf die gestrichelte Linie.

»Ich habe einen guten Deal für dich ausgehandelt«, sagte Rex, nahm den Vertrag, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche seiner Jeansweste.

»Und wo sind meine Sachen?«, fragte der Kid.

Elvis klopfte ihm auf die Schulter. »Du kannst dir hiervon was aussuchen.«

Damit drehte er den Gitarrenkasten so, dass der Kid hineinsehen konnte. Darin stapelten sich Waffen und Munition. »Hier bleibt kein Wunsch offen.«

Rex zeigte auf eine kleine silberne Armbrust im Hals des Kastens. »Du solltest ruhig mal eine leisere Waffe ausprobieren«, schlug er vor. »Die sind für deine Zwecke am effektivsten.«

Der Kid warf ihm einen Blick zu. »Danke, von dir brauche ich keine Tipps.«

»Da irrst du dich aber. Du magst ja ein cooler Killer sein, aber wenn du meinst, dass du mit den Vampiren und Werwölfen in Santa Mondega auf deine übliche Tour fertigwirst, kriegst du diesmal den Arsch voll.«

»Das bezweifle ich.«

»Wenn die das Buch des Todes in die Finger kriegen, hast du eh keine Chance mehr. Die kennen jetzt deinen richtigen Namen. Falls Gaius also das Buch wieder in seinen Besitz bringt, ist das Spiel für dich aus, mein Junge.«

»Das Buch des Todes? Und wo steckt das jetzt? Oder weißt du das nicht?«

»Nach meiner letzten Information steht es in der Bibliothek in der Referenzabteilung. Das heißt aber nicht, dass es lange dort bleibt. Du musst es unbedingt finden und zerstören, hörst du? Das hat oberste Priorität.«

»Seit wann hätte ich Prioritäten?«

Elvis schaltete sich ein. »Hör besser auf Rex, Mann. Er will dir nur helfen, deine Freundin zu retten.«

»Was weißt du von ihr?«

»Ich weiß, dass sie noch lebt.«

»Ganz sicher?«

»Ja, Mann. Im Moment jedenfalls noch. Aber falls du mit deinen ganzen Knarren durch den Haupteingang in die Casa De Ville willst, indem du dir den Weg freischießt, werden sie sie vor deinen Augen erledigen.«

Der Kid dachte über das nach, was Elvis eben gesagt hatte. »Du wärst erstaunt, wozu ich fähig bin, wenn ich richtig in Fahrt komme.«

Rex stand vom Barhocker auf. »Schön, ist natürlich deine Sache, wie du es anstellen willst. Aber ob du es nun mit einer List oder einem Frontalangriff machst – dir bleibt nur Zeit bis Mitternacht. Dann ist der Moment der Abrechnung gekommen, und du musst den Mann in Rot auszahlen.«

Berkley schenkte dem Kid nochmal nach, dann verschloss er die Flasche und räumte sie weg. Der Kid nahm seinen Drink und musterte sein Spiegelbild einen Moment, bevor er ihn auf ex hinunterstürzte. Dann griff er in den Gitarrenkasten, um sich eine Waffe auszusuchen.

»Hey, Barmann!«, rief er. »Hast du eine Lieblingsfarbe?«

Berkley fuhr herum. »Scheiße«, murmelte er.

Der Kid nahm sich eine Waffe aus dem Gitarrenkasten – eine goldene Desert Eagle mit Laserzielerfassung. Die Eagle lag gut in der Hand, hatte das perfekte Gewicht. Der Kid legte auf den glücklosen Barmann an. Ein roter Laserpunkt erschien mitten auf Berkleys Stirn.

BÄÄÄM!

Berkleys Kopf explodierte, seine Gehirnmasse trat durch den Hinterkopf aus und klatschte gegen die Wand. Dann sackte sein lebloser Körper zusammen und fiel zu Boden.

Elvis musterte über den Tresen hinweg die Leiche. »Warum hat er Scheiße gesagt?«, fragte er verwirrt. »Das ist doch keine Farbe im engeren Sinne, oder?«

Der Kid ignorierte ihn. »Schallgedämpft«, sagte er und bewunderte die Waffe. »Rück mal Munition für das Baby raus.«

»Braun hätte er sagen sollen«, fuhr Elvis fort und schüttelte den Kopf. »Braun ist eine Farbe. Scheiße nicht. Scheiße ist ein Gegenstand. Oder eine Zustandsbeschreibung.«

Rex stellte eine kleine Packung Munition neben das leere Glas des Kid auf den Tresen. »Okay, dann regel das auf dein Art«, sagte er. »Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

Elvis ging hinter den Tresen, während der Kid die Waffensammlung im Gitarrenkasten durchging und alles rausholte, was ihm gefiel. Rex überreichte ihm die jeweilige Munition dazu. Der Kerl musste wirklich tiefe Taschen haben, in denen er offenbar alles Mögliche untergebracht hatte. Nach fünf Minuten hatte der Kid ein ganzes Waffenarsenal inklusive Munition auf den Tresen gelegt. Nur wie sollte er das alles tragen? Seine Lederjacke hatte ein paar Taschen, und er hatte sich aus dem Gitarrenkasten auch mit ein paar Holstern versorgt, aber die Waffen auf die Art zu verstecken, würde nicht ganz einfach werden.

Elvis erschien wieder und hatte die Lösung des Problems dabei. Er warf einen langen schwarzen Umhang mit Kapuze um die Schultern des Kid. Der war perfekt dafür geeignet, um Waffen und Munition darunter zu verbergen. Das Ding passte wie angegossen. Der Kid schnallte sich Holster, Waffen und Munition um, wobei er alle versteckten Taschen des Umhangs ausnutzte.

Als er fertig war, drehte er sich zu Rex um. »Und jetzt?«

Rex zeigte zum Eingang des Saloons. »Einfach dort raus, und du kommst wieder genau an deinem Ausgangspunkt an. Viel Glück.«

Der Kid nickte Rex und Elvis zu. »Ich brauche kein Glück.«

Damit ging er zu den Schwingtüren, drückte sie auf, ging hindurch und zog sich dabei die Kapuze über den Kopf.