EINUNDZWANZIG

Als das Blaulicht des Krankenwagens vor dem Remington Tower in Sicht kam, bog Dante in eine Nebenstraße ein. Dort parkte er und stellte den Motor ab.

»Wieso stellst du den Wagen hier ab?«, fragte Kacy.

»Um nicht aufzufallen.«

Kacy stöhnte und nahm seine Hand. »Oh Gott! Du hast ein Bewusstsein entwickelt!«

»Wovon redest du?«

»Du denkst nach! Ich bin ja so stolz auf dich!«

»Gib’s zu – du verarschst mich doch.«

»Nur ein bisschen.«

Dante zog seine Hand weg und verließ den Wagen. Als Kacy ebenfalls ausgestiegen war, stand er bereits am Ende der schmalen Nebenstraße und blickte um die Ecke. Kacy holte ihn ein und spähte über seine Schulter.

Eine Menge Leute hatten sich um den Krankenwagen vor dem Remington Tower versammelt, von den Sanitätern allerdings war weit und breit nichts zu sehen.

»Was meinst du?«, fragte Kacy. »Sollen wir mal einen Blick riskieren?«

Dante antwortete nicht, sondern fixierte etwas auf der anderen Straßenseite. Kacy konnte nichts Ungewöhnliches erkennen.

»Was ist denn?«, fragte sie.

Dante trat aus dem Dunkel der Nebenstraße heraus und zeigte auf ein Auto. »Das ist der Wagen des Bourbon Kid«, sagte er. »Dann kann er auch nicht weit sein.«

»Das würde den Rettungswagen erklären«, sagte Kacy. »Wahrscheinlich hat er jemanden umgebracht.«

»Das hoffe ich. Wenn er wieder ganz der Alte ist und unschuldige Leute abknallt, könnte er für uns zu einem nützlichen Verbündeten werden. Komm, wir schauen uns mal seinen Wagen an. Vielleicht kann ich ihn aufknacken.«

Kacy war sich nicht sicher, ob das die beste Idee war, aber sie wusste, wie gern Dante so was machte. Er ging rüber zu dem schwarzen Wagen und zog am Griff der Fahrertür. Kacy folgte ihm. Es würde nur Sekunden dauern, bis Dante die Tür offen hatte. Und so war es auch. Dante stieg ein und öffnete dann von innen die Beifahrertür. Kacy stieg ebenfalls ein und stellte dann fest, dass Dante bereits dabei war, den Wagen kurzzuschließen.

»Warum willst du denn den Motor starten?«, fragte sie.

»Wenn wir sein Auto verstecken, kann er nicht einfach damit ohne uns abhauen.«

»Würde er das denn tun?«

»Sagen wir einfach, es wäre nicht das erste Mal.«

»Und wenn er nun gleich zurückkommt und dich erwischt?«

»Wär nicht schlimm, glaub ich.«

Kacy schloss die Beifahrertür. Draußen schneite es immer heftiger. Wäre sie kein Vampir gewesen, hätte sie jetzt wahrscheinlich ziemlich gefroren. »Beeil dich, Dante, okay? Ich hab keine Lust erwischt zu werden.«

Neben dem Fenster auf der Fahrerseite tauchte eine Gestalt auf, dann wurde die Tür aufgerissen.

»PASS AUF!«, schrie Kacy.

Bevor Dante noch wirklich reagieren konnte, packte ihn eine große Hand beim Schopf und zerrte ihn aus dem Wagen. Kacy sprang auf den Bürgersteig und rannte um das Auto herum. Dante lag auf dem Boden, zu Füßen seines Gegners.

»Kacy, das ist der Bourbon Kid«, stellte Dante ihn seiner Freundin vor.

Der Kid ignorierte Kacy und packte stattdessen Dantes Hand. »Wieso versuchst du mein Auto zu stehlen, verdammt?«, fragte er und half Dante auf die Füße.

»Wir haben dich gesucht, Mann«, sagte Dante und klopfte sich den Schnee ab.

»Wieso? Was wollt ihr?« Der Kid trat einen Schritt zurück und musterte Dante und Kacy von Kopf bis Fuß. »Und seit wann seid ihr Vampire?«

»Seit gestern Nacht«, antwortete Dante. »Ist passiert, nachdem du mich abgesetzt hast und weggefahren bist.«

»Und wie genau ist es dazu gekommen?«

»Einer dieser beschissenen Vampire hat mich gebissen. Eigentlich solltest du ja mitkommen und mir helfen, Kacy vor dem scheiß Secret Service zu retten, weißt du noch?«

Der Kid zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Mann, ich hatte noch was Dringendes zu erledigen.«

»Tja, na ja, jetzt sind wir jedenfalls beide Vampire. Und das bleiben wir, falls wir diesem Rameses Gaius das Auge des Mondes nicht abnehmen.«

»Rameses Gaius?«

»Ja, der ist eine Mumie oder so was in der Art. Jedenfalls spielt er hier jetzt den großen Anführer. Er plant, die ganze Stadt zu übernehmen, und versammelt eine Armee von Untoten um sich.«

»Woher weißt du das alles?«

»Wir sind heute Morgen in die Casa de Ville beordert worden. Von dort aus zieht er alle Fäden.«

»Aus der Casa de Ville?«

»Ja.«

»Scheiße. Und er hat da eine ganze Armee von Vampiren?«

»Ja, und die Werwölfe wollen sie auch noch anheuern.«

Der Kid sah geschockt aus. »Aber ich habe doch gestern alle verdammten Vampire umgelegt!«

»Offensichtlich nicht. Du hast die meisten Shades, Pigs und Dreads erwischt, aber es gibt immer noch ohne Ende Pandas und Black Plagues.«

»Ich hasse diese verdammten Pandas.«

Nun mischte sich Kacy ein, weil sie sich Unterstützung in Sachen Auge des Mondes erhoffte. »Kannst du uns denn helfen, Gaius das Auge abzunehmen?«

Der Kid runzelte die Stirn. »Woher zum Teufel hat die Mumie das Auge des Mondes?«

»Das haben sie Peto abgenommen«, sagte Dante.

»Dem Mönch?«

»Ja.«

»Und wo steckt der jetzt?«

»Den haben sie geköpft.«

»Gut«, stellte der Kid fest. »Der war sowieso ein Arsch.«

Kacy bohrte nach. »Kannst du uns denn nun helfen oder nicht?«

»Ich habe gerade eigene Probleme. Meine Freundin ist entweder schon tot oder wird es bald sein. Falls sie noch lebt, ist sie in der Casa de Ville.« Der Kid ging zur Fahrertür seines Wagens. »Und nach allem, was ihr mir erzählt habt, muss das eine beschissene Festung sein.«

Dante machte Platz, damit der Kid einsteigen konnte. »Ist schlimm, wenn jemand deine Freundin entführt hat, was?«

»Ja, sieht so aus.« Der Kid setze sich hinters Steuer und wollte die Tür schließen. Dante packte sie und hielt sie fest.

»Wart mal eine Sekunde«, sagte er. »Brauchst du vielleicht jemanden, der dir hilft, deine Freundin zu retten?«

»Nein.«

Kacy lehnte sich gegen das Auto. »Wir könnten dir wegen der Entführung helfen und du uns dabei, der Mumie das Auge abzunehmen.«

Der Kid musterte die beiden und dachte offenbar über den Vorschlag nach. »An das Auge kommt ihr nicht ran. Dieser Gaius wird euch nicht in seine Nähe lassen.«

»Dann müssen wir ihn wohl umbringen, was?«, fragte Dante.

»Viel Glück«, sagte der Kid und zog an der Fahrertür. Dante ließ jedoch nicht los, was dem Kid offensichtlich langsam auf die Nerven ging.

»Zieh!«, sagte Dante.

Der Kid zog an der Tür, aber sie bewegte sich nicht. Dante war jetzt stärker als er und schien nicht mal besonders viel Kraft aufwenden zu müssen.

»Siehst du«, sagte Dante. »Du brauchst uns genauso wie wir dich. Schon vergessen, wie du dank des Auges gestern Nacht wieder zu einem normalen Menschen geworden bist?«

»Lass die Tür los.«

»Ich bin jetzt stärker als du. Und Kacy wahrscheinlich auch. Wenn du deine Freundin befreien willst, wirst du Unterstützung benötigen. Und um Gaius zu erledigen, brauchen wir deine.«

Der Kid schien nicht gerade begeistert darüber zu sein, dass er auf einmal nicht mehr der harte Typ war, der allein mit allem fertigwurde. Aber er sah ein, dass es sinnlos war, und ließ die Tür los. »Steigt ein.«

Kacy ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern rannte um das Auto herum zur Beifahrerseite. »Ich sitz vorn!«

Der Kid sah Dante an. »Deine Freundin ist ziemlich klug, was?«

Kacy wartete geduldig und hielt Dante die Beifahrertür auf, damit er hinten einstieg. Schneeflocken setzten sich auf ihr Haar. Dante kam zu ihr herüber, kletterte in den Wagen, dann stieg auch Kacy ein und schloss die Tür.

Der Kid fuhr in die Mitte der vereisten Straße und gab Gas. Schnee und Hagel klatschten auf die Windschutzscheibe, was die Sicht stark einschränkte, und Kacy schnallte sich vorsichtshalber an.

Nach ein paar Minuten Fahrt erkundigte sie sich betont höflich: »Liegt die Casa de Ville nicht in der anderen Richtung?«

»Ja, aber wir müssen erst noch in eine Bar.«

»Warum?«

»Ich brauche einen Drink.«