♦ NEUNUNDFÜNFZIG
Für Elijah Simmonds war es ein rundum toller Tag gewesen. Nachdem er den örtlichen Captain umgebracht hatte, verwandte er die nächsten zwanzig Minuten darauf, sämtliches Bargeld aus Cromwells Safe in zwei Koffer zu packen. Während er zufrieden an Cromwells altem Schreibtisch in seinem neuen Büro saß und ein großes Glas Brandy trank, dachte er über seine Möglichkeiten nach. Er konnte bleiben und als Manager des Museums arbeiten, was er sich schon immer gewünscht hatte, oder einfach mit allem Bargeld aus der Stadt abhauen. Das Leben war gut.
Er hatte schon zwei große Gläser Brandy intus, während er darauf wartete, dass der Wachmann James anrief und ihm mitteilte, Rameses Gaius wäre damit fertig geworden, Dante und Kacy unten im Saal zu mumifizieren. Es war fast Mitternacht, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Er ließ es dreimal läuten, ehe er abhob.
»Hallo.«
»Hallo Boss, hier ist James.«
»Ist alles erledigt?«
»Nein. Hier unten ist alles schiefgegangen.«
Simmonds seufzte tief. »Oh Scheiße! Was ist passiert?«
»Gaius und seine Vampirkumpel sind Toast. Der Bourbon Kid hat sie alle erledigt. Und die Hütte brennt.«
Simmonds setzte sich in seinem schwarzen Ledersitz scharf auf. »Was?«
»Sie sind tot. Ich habe alles auf den Monitoren hier vor mir gesehen. Ich schlage vor, dass wir schnellstens abhauen, Boss. Das Feuer breitet sich aus. Und ich sehe den Bourbon Kid nicht mehr.«
»Scheiße. Ruf die Feuerwehr! Und dann beweg deinen Arsch hier herauf!«
»Machen Sie Witze? Ich sehe zu, dass ich von hier verschwinde! Bis später. Und viel Glück.«
James klang, als wäre er in Panik. Im Grunde kaum überraschend. Der Bourbon Kid hatte ihm die Nase gebrochen, als sie sich einmal begegnet waren. James wollte vermutlich so viel Distanz zum Kid haben wie möglich.
»James, leg nicht auf!«, brüllte Simmonds. »Ich hab hier oben hundert Riesen cash für dich. Komm einfach rauf. Hau nicht ohne mich ab. Wir können zusammen gehen. Das ist sicherer. James? Jimmy? Bist du noch da? Jim?«
Die Leitung war tot. Er hoffte, dass James ihn gehört hatte. Sicherlich boten hundert Riesen doch ausreichend Motivation, herauf ins Büro zu kommen?
Simmonds blickte auf die Leiche von Captain Dan Harker, die vor einer Regalwand zu seiner Linken am Boden lag. Er hatte genug Mumm gezeigt, um Harker das Hirn rauszupusten. Die Beweise dafür klebten noch immer an der ganzen Wand. Konnte er aufs Neue töten, wenn es nötig wurde? Er öffnete die oberste Schreibtischschublade und griff hinein. Die Pistole, mit der er Harker umgebracht hatte, lag noch darin. Er holte sie hervor und prüfte die Kammer. Sie enthielt nach wie vor vier Kugeln.
Er steckte die Waffe am Rücken in den Hosenbund und hob die beiden Koffer voller Geld neben dem Schreibtisch vom Boden auf. Beide waren schwer. Er stellte sie vor sich auf den Tisch. Das war ein echtes Dilemma. Wenn er beide Koffer trug, hatte er keine Hand für die Waffe frei. Seine Gedanken überschlugen sich, während er auf eine Idee zu kommen versuchte, was jetzt am besten zu tun war. Klug wäre es gewesen, einen Koffer zurückzulassen und mit schussbereiter Waffe loszugehen.
Während er darüber nachdachte, was zu tun war, hörte er jemanden anklopfen. Er zog die Schusswaffe und zielte mit bebender Hand auf die Tür.
»James?«, rief er. »Bist du das?«
Von der anderen Seite der Tür hörte er James’ Stimme. »Ja doch. Haben Sie ernsthaft hundert Riesen für mich?«
»Ja, verdammt nochmal, ja! Komm rein!«
Simmonds hielt die Waffe auf die Tür gerichtet und sah, wie sich der Griff drehte. Die Tür öffnete sich mit einem lauten Klicken und schwenkte langsam herein. Unter dem Türrahmen stand James. Er wirkte nervös.
»Hier«, sagte Simmonds und deutete auf einen der Koffer, die er auf dem Tisch abgestellt hatte. »Nimm dir einen davon.«
James blickte die Koffer an. Er schien kurz davor, in Tränen auszubrechen. Entweder die Nerven oder das Gewissen hatten ihn eindeutig überwältigt. Simmonds legte die Waffe auf den Tisch und packte einen Koffer. Er warf ihn James zu. Das Ding landete zu Füßen des Wachmanns.
»Komm schon, Jim. Wir haben nicht viel Zeit!«
James schluckte schwer und starrte den Koffer zu seinen Füßen an. Dann beugte er sich langsam vor. Zunächst schien es, als bückte er sich, um den Koffer aufzuheben. Bald wurde erkennbar, dass er nicht die geringste Absicht dazu hatte.
Er konnte es gar nicht!
Er sank auf die Knie und landete mit leisem, dumpfem Schlag auf dem Koffer voller Geld. Blut rann ihm aus dem Mund, und er starrte einen Augenblick lang zu Simmonds hinauf. Dann kippte er nach vorn und krachte mit dem Gesicht auf den Fußboden. Mitten aus dem Rücken ragte ein großes Messer mit Knochengriff. Simmonds starrte es kurz an, vom Schock gelähmt.
Langsam hob er den Blick wieder. Unter der Tür ragte direkt hinter der Stelle, wo James gestanden hatte, die dunkle schattige Gestalt des Bourbon Kid auf. Simmonds sperrte den Mund auf.
»He, es war nicht persönlich gemeint!«, sagte er nervös.
Der Kid sagte nichts. Er betrat das Zimmer und bückte sich, um James das Messer aus dem Rücken zu ziehen. Er schien die Schusswaffe auf Simmonds’ Schreibtisch nicht gesehen zu haben.
Der Museumsdirektor benötigte diesen Hinweis kein zweites Mal. Während der Eindringling noch dabei war, das Messer aus James’ Rücken zu ziehen, griff er nach der Pistole.