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Das Innere der Scheune war dämmerig, obwohl das Tor offen stand und Lichtschimmer durch die Lücken in den verbogenen Brettern der Seitenwand drangen. Die Stützbalken und Bretter waren vom Alter ergraut und der Heuboden hing in der Mitte durch. Es roch nach modrigem Heu, nach Staub von trockenem Mist und nach Tierfellen, obwohl die Ställe schon seit Jahren leer standen.
Als Julia die Scheune betrat, krochen die dunklen Ecken auf sie zu und schleppten Säcke gefüllt mit Erinnerungen mit sich. Das Schleifen ihrer Füße auf dem Erdboden klang wie das Schlittern von Schlangen. Sie fröstelte, obwohl die Luft feucht und still war. Julia verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte Angst weiterzugehen, konnte jedoch nicht anhalten.
Sie war schon einmal hier gewesen.
Die Narben auf ihrem Magen begannen zu pochen.
Sie kniete nieder, es wurde ihr schwindlig und sie glaubte, erbrechen zu müssen. Sie hörte ein schrilles, wimmerndes Geräusch in den Ohren und ihr Herz begann zu rasen.
Panik.
Das war die Panik, die sie so hart bekämpft hatte, die Panik, die sie vor Mitchell und ihren Arbeitskollegen und sogar vor ihren Adoptiveltern verborgen gehalten hatte. Die Panik, die nachts hervorbrach und sie übermannte, wenn die Vergangenheit ihr zu nahe trat und die schrecklichen Finger sich nach ihr ausstreckten und sie zu ergreifen suchten.
Die Panik, von der Dr. Forrest behauptete, Julia könne sie überwinden.
Aber Dr. Forrest war in Elkwood, achthundert Meilen entfernt, und Julia war hier allein, auf den Knien im trockenen Heu. Sie schloss die Augen und presste die Stirn auf den Boden.
Der Mantel der Panik senkte sich auf sie herab und drohte sie zu ersticken.
Tief atmen, sagte sie sich. Dieser Gedanke war jedoch nur einer von vielen. Er wurde vom Tod und dem heißen Messer verdrängt und von dem Mann mit dem Schädelring und von dem kalten Stein und den bösen Menschen um sie herum; von den bösen Menschen, die sie berührten, die lachten und sangen; die bösen Menschen, die beobachteten, wie das Messer ihren Magen berührte, wie der Stahl in ihr Fleisch drang und rote Tropfen hervorquellten; und von der Hand mit dem Schädelring und dem Mann mit der Kapuze und dem Gesicht unter der Kapuze und –
Sie kroch vorwärts; ihre Hände fanden eine Trennwand. Sie spürte einen Splitter in ihrer Handfläche, doch sie hielt sich fest und richtete sich mühsam auf. Von Tränen aufgeweichter Staub klebte auf dem Gesicht. Sie atmete die schmutzige Luft ein und versuchte, ihren Herzschlag zu ignorieren.
Panik existiert nur im Kopf, erklang die mentale Bandaufnahme von Dr. Forrest.
Julia schaute wild um sich. Das Licht, das durch die viereckige Tür der Scheune einfiel, war wie ein Tor in das Gelobte Land. Sie dachte daran, Mitchell zu rufen, wusste jedoch nicht, ob sie genug Kraft dazu hatte. Zudem würde er sie vom Auto aus sowieso nicht hören. Sie drückte mit dem Rücken gegen die Wand, hob die Arme und stützte sich auf halber Höhe auf. Sie stand breitbeinig da wie eine Märtyrerin, die auf das Einschlagen der Nägel in ihren Körper wartete.
Panik existiert nur im Kopf, wiederholte Dr. Forrest.
Julia öffnete ihre verkrampften Finger. Sie stellte sich vor, ihre Hände wären warme Luftballons, Ballons in allen möglichen Farben, die sich in der Sonne bewegten. Die Vorstellung gelang ihr. Sie lag in einem Park auf dem weichen Gras, sie konnte atmen. Die Luft schmeckte nach Himmel und Leben und Wolken, aber dann reizte sie der Staub und sie musste husten. Sie befand sich in der Scheune, der Scheune. DIE SCHEUNE.
Sie schloss erneut die Augen.
Die bösen Menschen umkreisten sie, die Kerzen flackerten, der dicke Rauch aus dem Schmelztiegel kroch empor wie graue Drachen im Mondlicht und ihr Körper war so kalt und klamm wie der Stein unter ihr. Der Mann mit dem Schädelring, der Hohe Priester, hob das Messer und wandte sich an den verwesten Ziegenkopf, der vom umgekehrten Kreuz herunterhing.
„Macht der Dunkelheit, Satan, Meister der Welt, nehme dieses Opfer deiner demütigen und treuen Sklaven an, damit du uns weiterhin deinen Segen gibst.“ Die dunkle Stimme ertönte und füllte den Hohlraum der Scheune. „So möge es sein.“
Das Messer senkte sich, Julia schrie, der Atem strömte aus ihren Lungen und ihr Körper erschlaffte.