Kapitel 47

 

Violet stand mit verschränkten Armen am Haupteingang im Foyer.

Eine kleine Gruppe von durcheinander rufenden Menschen bedrängte sie, während sie durch den Rauch nicht mehr klar sehen konnten. Rhonda hatte ihren Kaugummi ausgespuckt, und Jonathan Holmes, das korpulente, glatzköpfige Mitglied des SSI-Teams, versuchte, an ihr vorbei zu kommen. Das einzige Licht kam von einer Fackel, die einer der Gäste in die Höhe hielt. Sie suchte unter den von den Flammen beleuchteten Gesichtern nach Philippe, konnte ihn aber nicht sehen.

Vielleicht hatten sich ihre Freunde im Keller um ihn gekümmert. Sie hatte jetzt neues Wartungspersonal, das rund um die Uhr im Einsatz war, für immer.

»Bleiben Sie ruhig«, schrie Violet.

»Lassen Sie uns hier raus, zum Teufel«, sagte Jonathan.

»Die Tür klemmt«, antwortete Violet.

»Der erste Stock kommt runter und die Treppe ist zerstört«, sagte Cody, der junge, gutaussehende SSI-ler. Er trug eine jammernde alte Frau in seinen Armen.

Janey? Ihr Herz wurde zusammengepresst. Nein. Hier regiere jetzt ich.

Die alte Frau drehte ihr Gesicht von Codys Brust weg und Violet war erleichtert. Außerdem war Janey sowieso zu stolz, um Hilfe zu akzeptieren.

Das Hotel wurde von einem mächtigen Zittern erschüttert, bevor sich sein Gerippe wieder beruhigte. Draußen lösten sich Dachziegel und prasselten wie Regen an den Fenstern vorbei hinunter. Der Boden unter ihnen war warm, der Teppich dampfte. Einige der Gäste waren benommen und hatten trübe Augen von dem Kohlenmonoxid.

Schlaft gut, meine lieben Gäste. Genießt euren Aufenthalt.

Jonathan Holmes warf sich mit der Schulter gegen die massive Tür. Er prallte mit einem dumpfen Geräusch ab und fluchte. Ein paar andere Gäste halfen Jonathan und versuchten, mit ihrem Gewicht die Tür aufzustemmen.

»Die Fenster«, schrie jemand.

Im Foyer gab es große Erkerfenster mit altmodischem Riffelglas. Wie die meisten Fenster im Hotel waren die Scheiben durch unzählige Farbschichten fest in ihre Rahmen geklebt. Der Rauch hing nun wie ein dichtes, wogendes Meer unter der Decke, und ein trüber roter Schimmer kam vom anderen Ende des Korridors. Das Hotel war wie ein großes, sinkendes Schiff, und Violet stellte sich all denen entgegen, die es aufgeben wollten.

»Zerbrechen Sie nichts«, rief sie, wohl wissend, dass man sie ignorieren würde. Nur wenige verstanden die Seele dieses alten Ortes. Für die anderen war es nur Holz, Teppich und Glasscheiben.

Ein Mann hob eine Sitzbank und schleuderte sie gegen ein Fenster. Sie prallte ab, aber die Scheibe bekam Sprünge. Ein paar Gäste hatten sich auf ihre Hände und Knie begeben, um dem Rauch zu entgehen. Nicht einmal die Fackel konnte noch viel gegen die Dunkelheit ausrichten.

»Die Couch!« Jonathan winkte ein paar Gäste zu sich. Zwei Männer halfen ihm, und zu dritt drehten sie die Couch und hoben sie auf Hüfthöhe.

»Sie werden für die Schäden aufkommen müssen«, sagte Violet, aber niemand schenkte ihr Beachtung.

Wenn Janey hier wäre, würden sie es nicht wagen.

Sie konnte sie fühlen – sie wusste nicht genau, was sie waren, nur, dass sie schon immer hier gewesen waren und etwas mit Janeys Verschwinden zu tun hatten –, wie sie im Verborgenen schwebten und sich ihr Gelächter mit dem entfernten Prasseln der Flammen und der Kakophonie der Zerstörung vermischte.

»Hau–«, befahl Jonathan, als die Männer mit der Couch ausholten. Bei »–ruck« schleuderten sie sie in das Fenster. Das Glas explodierte. Kalte Nachtluft drang durch die zackige Öffnung, und die verzweifelten Menschen drängten sich zur Flucht.

»Frauen zuerst«, schrie Cody, der seine verletzte Patientin zum Fenster trug.

Rhonda machte eine Bewegung in Richtung des Fensters, aber Violet packte sie an der Rückseite ihrer Bluse.

»Lass mich«, sagte Rhonda.

»Du hast dich noch nicht ausgestempelt.«

»Du bist verrückt.«

»Wo ist die Kassenschublade? An der Rezeption?«

»Woher soll ich das wissen?«

Cody hob die verletzte Frau durch das Fenster. Sie zögerte, ihn loszulassen, und hielt sich mit ihren knochigen Fingern an seinem Hals fest. Schließlich übergab er sie an Jonathan, der draußen in der Hecke stand. Ein Mann mit einer Mütze half Frauen über den Fenstersims, aber nicht jeder war so galant. Violet grinste, als sich ein pummeliger junger Mann in T-Shirt und Jeans durch die Menge drängte, durchs Fenster kletterte und dabei die fleischigen Rundungen seines Hinterteils entblößte.

»Kendra?«, rief Cody und blickte auf die schnell kleiner werdende Gruppe. Er war genau wie all die anderen und rief den Namen einer Frau so, als sei sie sein Besitz.

Nun, mich wird niemand besitzen.

Nun, da die Vorhänge weit zu Seite geschoben waren, war das Foyer mit Mondlicht erfüllt. Rauch wand sich um das Klavier, als ob es sich auf der Bühne eines Nachtclubs befand und gleich ein Studienabbrecher der Musikakademie »Heart and Soul« klimpern würde.

Aber das Publikum war dabei zu verschwinden. Violet verzog das Gesicht beim Gedanken daran, dass die Gäste das Hotel verließen, bevor sie ausgecheckt hatten. Hatten die keinen Anstand?

Janey würde das niemals dulden.

Aber Janey hält nicht länger die Fäden in der Hand. Nun haben sie mich zum Verwalter gemacht. Und was soll ich dagegen tun?

Gute Frage.

Aber etwas wusste sie auf jeden Fall: es machte keinen Sinn, gutes Geld den Flammen zu überantworten. Sie bahnte sich ihren Weg durch das Chaos in Richtung Büro.

Dunkle Zeiten: Die ultimative Thriller-Collection
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