6.

Der Wartesaal war leer. Die Frau in Weiß saß nicht mehr auf der Bank. Vermutlich war sie auf ihre eigene Wiedergutmachungsmission geschickt worden. Am Ende des Saals gab es eine Tür, aber das Schild über ihr verkündete "Notausgang". Was würden sie schon mit mir tun können, mich mit einer Geldstrafe belegen? Oder gar die Todesstrafe aussprechen?

Ich öffnete die Tür nach außen und ging einen Schritt in Richtung der erwarteten kitschigen goldenen Treppe. Statt auf einer Treppe landete ich in einem roten Lavastrom, in dem ich um mein Gleichgewicht kämpfen durfte. Die Hitze versengte meine Augenbrauen, als ich bis zur Hüfte im brodelnden Morast versank. Obwohl die Luft heiß war, fühlte sich die Lava selbst feuchtkalt auf meiner Haut an, dickflüssig wie Klärschlamm und mindestens ebenso wohlriechend.

Der Strom floss in eine dunkle Höhle, die gähnte wie ein Nachmittagssäufer. War das wirklich die Richtung, die ich nehmen sollte? Oder musste ich nun wegen meines Ausrutschers den harten Weg zurück nach Hause nehmen?

Es stellte sich heraus, dass der Weg noch härter war, als ich befürchtet hatte.

"Schwing deinen Arsch hier rüber", brüllte sie. "Sofort!"

Diana. Ich drehte mich um und begann, mich zum Treppenabsatz und zum Wartesaal zurück zu kämpfen. Aber mittlerweile wissen Sie ja schon, wie das hier läuft: Der Eingang hatte sich verändert und war nun eine Glaswand mit silbernem Regen auf der anderen Seite, der Millionen von spiegelnden Scherben produzierte. In diesen Scherben sah ich mich vervielfältigt, und hinter mir war eine Legion übergroßer Skorpione. In einem billigen Science-Fiction-Film wären sie lächerlich gewesen, aber wenn sie tatsächlich mit ihren in der Luft zitternden Schwänzen auf einen zukriechen, ist es weniger lustig.

Schwänze voller Gift.

Ich drehte mich um, um ihrem Zorn ins Gesicht zu sehen. "Unsere Beziehung ist zu Ende."

Erneutes Gelächter, das Zischen emporsteigender Flammen, das Knistern und Schnalzen einer Peitsche, die sich ausrollt und die Luft testet. "Du bist mir verpflichtet."

"Ich habe gesagt, dass es mir leid tut."

Sie äffte mich mit schriller Stimme nach, wobei der Spott noch beunruhigender war, weil er aus diesen Spinnentierlippen kam. Wenn Skorpione überhaupt Lippen haben. "Leid tut, leid tut, leid tut. Ich wünschte, ich hätte eine Rosenkranzperle für jedes Mal, wo ich mir das anhören durfte. Dann könnte ich vielleicht meinen Hintern hier herausbeten."

Ich hatte das Gefühl, dass sie gar nicht heraus wollte. Einige Leute gieren nach Bestrafung, Masochisten, Kummersüchtige. Immerhin hatte sie mich geheiratet.

"Ich habe nichts, womit ich dich bezahlen kann", sagte ich. Auf der Erde hatte sie, wenn ich eine Verfehlung begangen hatte, Ausgleich auf direktem kommerziellem Weg verlangt. Abends länger wegbleiben war einen Blumenstrauß wert, dreiste Lügen wurden durch Godiva-Schokolade wieder gutgemacht. Für größere Vergehen musste die Bank gesprengt werden, um Glitzerkram zu kaufen. Ich war damals ein relativ geschickter Lügner, weshalb der Süßwarenladen an der Ecke nicht viel Umsatz mit mir machte. Aber als ich meine erste Affäre hatte, war Diana ziemlich zufrieden mit einem Paar Rubin-Ohrringe, vor allem, weil ich drei Monate schwarz als Barkeeper arbeiten musste, um sie abzuzahlen. Wenn die Bestrafung in Relation zum Verbrechen gestanden haben sollte, muss das an mir vorbeigegangen sein.

"Ich will mein Pfund Fleisch", sagte sie.

Die Lava floss um meine Knöchel und stieg dann an meinen Beinen hoch, mich mit der Hitze quälend. Als sie auf Hüfthöhe war, kühlte sie sich plötzlich ab und wurde fest. Ich konnte nicht fliehen. Diana hatte mich da, wo sie mich haben wollte, genau wie immer.

Ich ergriff mein Handgelenk und ließ meinen Daumen und Zeigefinger in der Mitte aufeinander treffen. "Ich habe kein Fleisch anzubieten", sagte ich.

"Es ist mir egal, ob ich gewinne oder verliere", sagte sie. "Hauptsache, du verlierst."

"Hör zu, ich gebe mein Bestes, um die Vergangenheit zu bereinigen. Ich weiß, dass ich Fehler begangen habe, aber alles, was ich jetzt machen kann, ist Wiedergutmachung zu leisten und nach vorn zu blicken."

"Richard."

Ich hob meine Handflächen zum universalen Zeichen des Aufgebens. "Mehr kann ich nicht tun."

"Immer eine Enttäuschung."

"Ja, Liebling."

"Du kapierst es nicht. Es ist mir völlig egal, ob du von diesem karmischen Rad springst und auf deinem Kopf landest. Aber Lee wirst du niemals haben."

Die Wut kam schnell über mich, selbstgerechte Entrüstung, die einzige Art von Rechtschaffenheit, die ich jemals gekannt hatte. "Du hältst dich von ihr fern. Sie hat mit dir nichts zu tun."

Ihre Zunge schnalzte aus der Kluft ihrer Lippen. "Ich habe eine Mission zu erfüllen."

Sie flimmerte und um sie herum funkelte es, als hingen eisige Juwelen von dünnen blauen Fäden herab.

"Leben und leben lassen, okay?" sagte ich. Ein abgedroschenes Friedensangebot.

"Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich niemand haben." Sie grinste erneut, aber ihre Augen waren wie ein arktischer Friedhof, als sie sich in Nebel auflöste.

Ich schloss die Augen und spannte meine Muskeln an, um die fest gewordene Lava aufzubrechen, damit ich zurück in den größeren Käfig meines ewigen Lebens fliehen konnte.

***

Dunkle Zeiten: Die ultimative Thriller-Collection
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