1. KAPITEL
Jacob Wells roch den Rauch siebzehn Sekunden, bevor das Tor zur Hölle aufflog.
Die Nacht in den Appalachen war so kühl, dass er noch einen Überwurf über die Bettdecke gelegt hatte. Renees Körper hatte ihn zusätzlich gewärmt. Seine Frau hatte ein Bein um ihn geschlungen, ihr großer Zehennagel grub sich in seinen Knöchel. Ihr Kopf ruhte wie immer in seiner Achselhöhle, ihr Haar ergoss sich über seine Schulter. Schlaftrunken versuchte er sich zu erinnern, wo er war. Dann fiel sein Blick auf die grellrot leuchtenden Zahlen. 1:14 Uhr.
Der Wecker war auf um sechs gestellt, eine hässliche Zeit, sie kam immer zu früh. Jacob schlief selten vor Mitternacht ein. Nacht für Nacht fand er weniger Schlaf, seine Träume wälzten sich in immer engere und düsterere Klüfte, seine Gedanken kreiselten wie schmutziges Wasser in der Gosse. Er hatte versagt – ein Wissen mit dunklen Zähnen, das ihn von innen heraus auffraß.
Heute Nacht hatte er von einem Spiegel geträumt, in den er auf seltsame Weise hineingefallen war, wie in ein silbriges Meer, das im Sonnenlicht glänzt. Er hatte versucht, wieder herauszukommen, weil er keine Luft bekam. Doch als er aus dem Spiegel hinauslangte, sah er sein Spiegelbild auf der anderen Seite, das ihn wieder zurückstieß. Voller Verzweiflung packte er es, zog es zu sich in den Spiegel, und dann kämpften sie beide in diesem bodenlosen, geräuschlosen Nichts, verschmolzen zu einer sich windenden Masse, die immer tiefer und tiefer im Dunkel versank.
Seine Augen sprangen auf und blickten gegen das Schwarz der Decke. Das Kissen war feucht unter seinem Nacken. Von irgendwoher wehte ein Windhauch, vielleicht durch einen Spalt in der Tür oder im Fenster, er trug den Märzgeruch von Narzissen und Matsch. Renee wurde unruhig neben ihm und stieß ihn im Schlaf mit ihrem Ellbogen. Sie schnarchte ganz leise und weiblich.
Ihr Duft erfüllte seine Nase, sie roch nach Wiesenshampoo und Sex. Sie war schon immer sehr reinlich, chronisch sauberkeitsfanatisch, fast bis zur Besessenheit. Sie mochte kein Parfüm, fühlte sich wohl mit ihrem natürlichen Geruch. Jacob fand das toll. Er sog ihren Duft noch einmal ein, als ob er die Erinnerung daran mit in seine Träume nehmen könnte, damit sie ihm Trost spendete.
Doch anstelle eines Wohlgefühls stieg der Geruch von Gefahr in seine Nase. Irgendetwas stimmte nicht mit dieser dicken Luft. Jacob riss sich aus dem Dämmerzustand. Er hatte Recht.
Es roch nach Rauch.
Sie hatten Kerzen auf dem Nachttisch stehen, ein Ritual, das noch aus der Zeit der ersten schüchternen Berührungen im College stammte. Das sanfte Licht vertuschte kleine Makel und machte die Pupillen groß und begehrlich. Doch die Kerzen waren schon lange erloschen, außerdem rochen sie anders, eher nach Wachs.
Es stank stechend nach Chemie, vermischt mit dem Geruch von brennendem Holz. Jacob erwachte nun vollständig aus dem Halbschlaf und stieß Renees Bein von sich. Vielleicht verbrannte einer der Nachbarn Gestrüpp. Es war die Zeit der ersten Gartenarbeiten, Blätter und vom Eis beschädigte Äste wurden im ersten Eifer des Frühjahrsputzes von emsigen Hausbesitzern auf große Haufen geschichtet. Doch wer verbrannte sein Laub eine Stunde nach Mitternacht?
Renee murmelte etwas in die Kissen, in die sie ihr Gesicht vergraben hatte. Jacob schwang seine Beine seitlich aus dem Bett, die Federn quietschten. Er schaltete die Nachttischlampe an. Auf dem Nachtschränkchen, bedeckt von einer dünnen Staubschicht, stand ein gerahmtes Foto von Mattie. Bis auf die schiefen Milchzähne in ihrem lachenden Mund sah sie aus wie ein kleines Ebenbild von Renee – meergrüne Augen, rotblondes Haar, ein kaum zu erahnender Anflug von Sommersprossen auf den Wangen. Jacob schaute in das treuherzige Gesicht.
Dahinter stand noch ein anderes Bild, verloren im Schatten.
Er schnupperte noch einmal. Rauch, ganz sicher.
Er stand auf, hellwach, die Luft war jetzt noch dicker und kribbelte in seiner Nase. Er schnappte sich seinen Bademantel aus Polarfleece, der noch nass war vom Duschen, und eilte zur Tür.
»Jakie?«, murmelte Renee, orientierungslos zwischen den aufgetürmten Decken, und blinzelte gegen das eindringende Licht. »Was ist los?«
»Keine Ahnung«, sagte er. Die Tür war verschlossen, das machten sie immer so, seitdem Mattie sie vor zwei Jahren mal beim Sex erwischt hatte. Sie mussten eine Viertelstunde lang Improvisationstheater spielen und ihr erklären, warum Erwachsene so verrückt sind, im Bett Sport zu treiben. Doch heute hielt das Türschloss Jacob im Schlafzimmer gefangen, anstatt den Rest der Welt auszuschließen.
Während Jacob sich am Schloss zu schaffen machte, huschte ein warmer Lufthauch über seine Zehen.
»Wonach riecht es hier?«, fragte Renee. Auch sie war jetzt voll wach.
Jacob stieß die Tür auf, und die Hölle brach los. Sie stieß auf ihn zu mit rotgelbem Zischen, Flammen wie bohrende Finger und lechzende Zungen. Satan hatte sein Tor erwartungsvoll aufgestoßen.
Die Hitze versengte seine Brauen, der Rauch traf ihn wie eine schallende Ohrfeige. Er riss die Arme in die Luft, um sich der Hitzewand entgegenzuwerfen.
»Jake!«, schrie Renee aus dem Bett.
»Ruf die Feuerwehr!«
»Oh Gott! Mattie!«
»Ich hol sie. Du siehst zu, dass du rauskommst.«
Er schlug die Tür hinter sich zu, in der Hoffnung, dass Renee dadurch noch eine Minute Zeit gewann. Er duckte sich und kroch auf allen Vieren vorwärts, den Kopf am Boden, wo die Luft sauerstoffreicher war. Die Flammen knisterten wie zusammengeknüllte Folie, und er roch den Dampf, der aus seinem Bademantel wallte.
Von Matties Zimmer trennten ihn drei Türen, drei ganz einfache Türen. Er musste durch die Wäschekammer, durch das leere Kinderzimmer und dann um die Ecke, wo sich Mattie den größten Raum im oberen Stockwerk mit einem Dutzend Stofftieren, zweihundert Büchern und einer großen Holzlokomotive zum Draufsetzen teilte.
Jacob kroch vorwärts, der Teppich rieb schmerzhaft an seinen bloßen Knien. Der Boden war warm, und er fragte sich, wie weit das Feuer bereits vorgedrungen war. Hatte es sich schon die Treppe, die nach unten führte, in sein gieriges Herz einverleibt? Der Alarm war nicht losgegangen. Der Rauchmelder hing wie ein stummer Zeuge der Katastrophe an der Decke.
»Mattie!« Er leckte sich die Lippen, seine Kehle war trocken wie eine Crackpfeife. Wieder rief er ihren Namen, die Worte klangen wie das verzweifelte Blöken eines sterbenden Schafes.
Er kroch vorbei an der Wäschekammer, die Türen standen sperrangelweit offen, und doch drangen kaum Flammen ein. Vor dem Schlafengehen hatte Renee ihre Arbeitskleidung in den Trockner gesteckt, einen dunkelblauen Hosenanzug aus Nylon und eine Bluse, die gut zur Aktentasche passte. Hätte der Trockner das Feuer ausgelöst, wäre der Raum schon komplett ausgebrannt. Also musste es irgendwo anders herkommen.
Eigentlich war es völlig egal, woher das Feuer kam. Wichtig war, dass es endlich aufhörte zu brennen. Jacob zwang sich am Kinderzimmer vorbei und wagte dabei nicht langsamer zu werden, denn dann hätte er über das leere Kinderbett darin nachgedacht, und dazu hatte er jetzt keine Zeit.
Das beste Mittel gegen das Versagen war der Schmerz. Die Hitze rieb seine Haut blank, färbte seine Hände pink, spannte seine Stirn und stach in seinen Lungen. Doch er kroch weiter.
»Mattie!«, schrie er, doch genauso gut hätte er ihren Namen gegen die wirbelnden Zungen eines Taifuns brüllen können.
Er erreichte die Stelle, wo der Flur einen Knick machte. Der Luftstrom wurde stärker, er zog über die Treppe herauf. Die Flammen stürzten sich mit frischem Eifer auf den einströmenden Sauerstoff. Die Angst vorm Ersticken und der Rauch in seinen Lungen machten Jacob benommen, doch er konnte sich nicht einfach auf den Boden fallen lassen. Er durfte nicht noch einmal scheitern.
Er brauchte nur Matties Zimmer zu erreichen, das Fenster einzuschlagen, sie in seine Arme zu nehmen und aus dem ersten Stock in die darunter liegende Rhododendronhecke zu springen.
Er könnte es schaffen, auch wenn die Haare an seinen Armen wie Drähte unter Strom standen und seine Augäpfel sich anfühlten wie gedünstete Trauben.
Die Tür zu Matties Zimmer lag direkt vor ihm, verschlossen vor dem Sturm des Feuers. Das riesige, gelb-rote Monster nagte an der Decke, leckte die Farbe von den Wänden, krallte sich am Treppengeländer fest. Eine Lampenhalterung fiel herunter und zerbarst einen Meter links neben Jacob. Er robbte weiter, ohne auf die Glasscherben zu achten, die sich in seine Hände und Knie bohrten.
Er würde nicht versagen.
Die Tür stand verlockend vor ihm, die rechteckige Form verschwamm im gleißenden Dunst. Jacob zwinkerte, um seine Augen zu befeuchten, und nahm den Türgriff ins Visier. Im Messing spiegelte sich die Feuersbrunst, Sonnenstrahlen im Kaleidoskop, eine saure Zitrone, eine Atommandarine.
Noch drei Meter.
Er schob sich vorwärts, befahl seinen willenlosen Gliedern zu kämpfen, umklammerte seinen Schmerz. Seine Lunge waren zwei Ziegel aus Asche, seine Nase von innen entblößt. Im knisternden Gelächter der lodernden Flammen hörte Jacob ein leises Flüstern: Schlafe, gib auf, leg dich hin und verliere!
Seine Augen bettelten ihn, sich schließen zu dürfen. Der Rauch strudelte und tanzte in dunklen Wirbelstürmen.
Der goldene Sog schwoll mit neuer Leidenschaft an, als er das Holzgerüst des Hauses erreichte. Die Flammen leckten an den Kiefernbalken und fanden Gefallen daran. Das Haus zuckte in einem ersten Todeskrampf. Der Rauchmelder hatte endlich die Signalschwelle erreicht und gab in stechendem Staccato durchdringende Pieptöne von sich.
Der Türknauf wurde für Jacob zum Heiligen Gral. Die Schwerkraft des Scheiterns erdrückte ihn aus allen Richtungen, wuchtig wie geschmolzenes Blei. Er wand sich vorwärts wie ein bemitleidenswertes, primitives Wesen, das aus dampfendem Schleim emporkriecht. Fast war sämtliche Zielstrebigkeit aus ihm gewichen, und seine Muskeln schrien in wilder Aufruhr, als er weiterrobbte.
Die Tür.
Öffne sie.
Denn dahinter lag sein Ein und Alles.
Mattie.
Sie hatte am 3. Februar Geburtstag. Vor sechs Wochen. Er hatte ihr eine 35mm-Kamera und ein Vogelbuch geschenkt, von Renee hatte sie ein Fahrrad bekommen. Es gab Schokoladenkuchen, die neun Kerzen darauf formten ein M. Die Kinder aus der Nachbarschaft hockten kreischend um den Tisch herum, und Mattie saß lächelnd inmitten eines Meers aus bunten Bändern und Geschenkpapier. Prinzessin für einen Tag.
In Jacobs Herzen war sie jeden Tag Prinzessin.
Er durfte nicht aufgeben.
Mit der Stimme seines Vaters schienen die Flammen zu wispern: Ein Wells versagt nie.
Er erhob sich, sein Körper bebte im Fieber, die Flammen jaulten und schrien. Teile des Hauses polterten die Treppe herunter, große Holzbalken, Regale und Möbel. Das Chaos im Erdgeschoss konnte er nur erahnen, flüssige Hitze, und er fragte sich, ob die Decke so lange halten würde, bis er an Matties Tür angekommen war. Rauch stieg aus dem Teppich, dessen Fäden vor sich hin schrumpelten.
»Mami …«
Im ersten Moment dachte Jacob, dass dieser Ruf von Mattie kam, doch die Stimme war dumpf und metallisch.
Da war die Stimme wieder: »Wünsch mir.«
Jacob hatte Mattie zu Weihnachten eine Rockstar-Barbie geschenkt, mit der man kurze Tonfolgen aufnehmen konnte. Die Klangqualität glich der einer Sprechpuppe, doch dank der modernen Technik konnte man damit auch Songstückchen aufnehmen und wieder abspielen. Mattie und Jacob hatten sich ihren Spaß daraus gemacht, sinnlose Aufnahmen immer wieder abzuspielen. Doch was wusste Mattie von »Wünsch mir«? Die Aufnahme löste sich in Kichern auf, eine abartige Fröhlichkeit, die in der chaotisch knisternden Symphonie des Flammenmeers aufging.
Kaputtes Spielzeug. Nichts als kaputtes Spielzeug.
Er griff nach dem Türknauf, berührte ihn mit seinen Fingern. Er wusste, dass die zusätzliche Sauerstoffzufuhr eine Rauchgasexplosion auslösen konnte, wenn er die Tür aufmachte. Er war sich nicht sicher, ob die Durchzündung nach innen oder außen losgehen würde, und wie sehr er Mattie damit in Gefahr brachte.
»Mattie!«, rief er wieder, seine Stimme verlor sich in den Flammen, sie wurde selbst zum Feuer, alles war jetzt eins, ein wütender, alles verzehrender, himmelstürmender Schrei. Der Rauchmelder war wie ein elektrischer Falke, der über seinem Kopf kreischte.
»Papa?«
Das war kein Playback. Sie war da. Sie lebte.
Er legte seine Hände trichterförmig um den Mund und rief: »Geh weg von der Tür, Schatz!«
»Papa?« Ein Schluchzen verschluckte das Wort, begleitet von Tränen, die verdampften, noch ehe sie auf den Boden fielen.
»Geh zurück.« Eine Socke lag neben der Tür, Renee hatte sie wohl bei ihrer letzten Säuberungsaktion übersehen. Er zog sich die Socke über die Finger und griff nach dem Knauf. Es fühlte sich an, als ob er seine Hand auf eine Gabel spießte oder als ob seine Finger mit einer eiskalten Waffe verschmolzen.
Das Feuer wallte hinter ihm auf, als ob es ihm zuschauen wollte. Es schwoll und hielt erwartungsvoll den Atem an.
Jacob drehte den Knauf und zog an der Tür. Durch den Spalt sah man zuerst nur Dunkel, dann sprangen Gelb und Rot und Blau und Weiß durch die Öffnung wie heulend verzerrtes, flüssiges Blech.
Die Flammen stürzten sich auf Jacob, rasten über seinen Körper, versengten die Haare an seinen Armen, auf seiner Brust, an den Lenden. Der Feuersturm riss ihn nach hinten, und die Flammen stießen die Tür sperrangelweit auf. Der Sauerstoffstrom des Feuers drückte in beide Richtungen und drängte trichterförmig zum Flur, wo weiteres Futter wartete. Jacob drehte sich um, sein Herz schwer wie Blei, und robbte weiter auf Matties Zimmer zu.
Sie kauerte in ihrem Winnie-Puuh-Schlafanzug am Fuß ihres Bettes, um sich herum Plüschtiere, die sie beschützen sollten. Flammen krochen aus allen Winkeln der Zimmerdecke. Die Sesamstraßentapete löste sich von der Wand und entblößte die geschwärzten Gesichter von Bibo, Elmo und dem Krümelmonster.
»Bleib da unten, Süße«, schrie Jacob. Sein Atem schlitzte seine Luftröhre wie ein Rudel Rasierklingen.
»Papa«, winselte sie flehend, als wäre sie wie der Rauchmelder auf einen einzigen durchdringenden Ton programmiert.
Er zwang sich, in die Hocke zu gehen und stieg durch das orangefarbene Rechteck der brennenden Tür. Er konnte jetzt ihre Augen sehen, weit aufgerissen, voller Angst, wie die von Renee. Dann packte ihn die Angst um Renee, strömte wie Menthol durch seine Adern, und er fragte sich, warum er seine Frau im Stich gelassen hatte.
Weil du nicht so bist wie er. Weil du nicht versagen kannst.
Er konnte nicht versagen. Nicht er, Jacob Daniel Wells, der Mann, der alles hatte. Nicht der kugelsichere Jake, der sich das Glück kaufen konnte und dessen Leiter immer nur nach oben führte. Nicht der Mann mit dem Midas-Segen, der Mann mit den goldenen Händen. Gold für die Schuld, und jetzt fraß Gold sein Haus, sein Fleisch, seine Familie. Es holte sich alles zurück, was es ihm gegeben hatte.
Nein. Es durfte Mattie nicht holen. Er würde es nicht zulassen.
Er griff nach ihr, blies den Rauch beiseite, hustete und prustete wie der Wolf in Matties Gutenachtgeschichte. Das Feuer zischte ihm entgegen, erzürnt über seinen Widerstand. Seine unnachgiebige Stimme kitzelte sein Trommelfell, das sich anfühlte wie getrocknetes Papier, und erfüllte seinen Kopf: Gib auf.
Nur einer von uns kann alles haben, und das bist nicht du.
»Nein!«, schrie er und griff nach Mattie. Er sah sie vor sich. Sie teilte den Rauch, als ob der Brandmeister noch einen letzten, grausamen Akt der Enthüllung zum Besten geben wollte.
Ihr Schlafanzug war mit ihrer Haut verschmolzen. Ihr Körper zitterte, heiß und kalt, ihre Knochen wie eingeschweißt von ihrem Fleisch. Ihr Plüschkrokodil klebte wie eine glibberige Masse aus Kunststofffasern um ihre Hand. Sie konnte nicht sprechen, sie konnte nicht schreien. Außer mit ihren Augen.
Und ihre Augen schrien so vieles.
»Wünsch mir«, schrien sie.
Er berührte sie, wagte kaum sie anzufassen, denn er wusste nicht, wo sie am wenigsten versehrt war. Das Feuer war ihm jetzt gleichgültig, als wäre es das Rote Meer, das sich geteilt hatte, ein Wunder, das ihm zwar keine Rettung versprach, aber doch seiner Seele einen einzigen Weg in die Ewigkeit verhieß.
Dann hob er sie hoch. Das Fenster gab der Hitze und dem Druck des einstürzenden Holzes nach und flog aus dem Rahmen, der Rauchmelder gab ein letztes, lang anhaltendes, qualvolles Heulen von sich, die Decke stürzte ein, das Feuer entfachte sich selbst, die Glut grub sich ein Bett auf seinem Rücken, die Nacht presste ihren schwarzen Stiefel in ihre Gesichter, und sein letzter Gedanke war, dass er vergessen hatte, Mattie einen Gutenachtkuss zu geben, als er sie ins Bett gebracht hatte.
Doch dafür war es nun zu spät. Sie hatte keine Lippen mehr.