2. Unter Himmelshoch

Ich musste eine ganze Weile geschlafen haben, denn als ich aufwachte, war ich kräftig durchgefroren in meinem Trägershirt. Ein Blick auf den Wecker verriet, dass es 21:23 Uhr war.

Papa war also bereits zu Hause.

Ich kam schlagartig auf die Beine, obwohl mir jeder Muskel in meinem Körper wehtat. Die Flucht vor dem Kraken hatte mir offenbar mehr abverlangt als gedacht. Während ich in ein Paar ausgetretener Vans schlüpfte, konnte ich mein Stöhnen nur notdürftig unterdrücken, dann öffnete ich im Dunkeln die Zimmertür und lauschte ins Treppenhaus. Aus dem Esszimmer war nur leises Klappern zu hören, als würde jemand den Tisch für ein spätes Abendessen eindecken. Demnach blieb mir noch Zeit für einen Abstecher ins Badezimmer, bevor ich mich in die Schlacht stürzte.

Im Spiegel sah mir ein Mädchen entgegen, das in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeit mit einer gewissen Anouk Parson aufwies, wie etwa die dunkelblonden Spirallocken, von denen Mutter Natur bei meiner Herstellung offenbar eine Extraportion übrig gehabt hatte, und die braunen Augen, dem einzigen an meinem Äußeren, für das mein Vater verantwortlich zeichnete, ansonsten schlug ich ganz nach meiner Mutter. So weit alles klar, nur dieser komische Mund … Vor allem die pralle Oberlippe war mir fremd. Das war nicht Anouk, die ich dort sah, das war Daisy Duck, und zwar schmollend. Der Ekel-Herpes hatte zugeschlagen.

»Oh nein«, entfuhr es mir, wobei ein unangenehmes Ziehen durch meine Lippe ging.

Hastig durchsuchte ich den Filzkorb, in dem ich meine Kosmetik aufbewahrte. Irgendwo muss zwischen dem ganzen Kram doch … Schließlich fand ich die Wundsalbe und verteilte sie großzügig auf meiner Oberlippe mit dem Ergebnis, dass sie richtig schön glänzte. Während ich mich entsetzt betrachtete, konnte ich Sanders dumme Sprüche bereits im Geiste hören: »Hey, das sieht so aus, als habe das Silikon nur für die obere Etage gereicht. Schick.« Die Chance, mich durch den Kakao zu ziehen, würde er unter keinen Umständen ungenutzt verstreichen lassen.

Normalerweise hätte ich mich mit meiner aufgeplusterten Lippe so lange unsichtbar gemacht, bis sie wieder halbwegs normal aussah. Aber heute war das unmöglich, denn ich musste mich in eigener Sache vertreten, ansonsten würden die beiden Herren mein Schicksal in meiner Abwesenheit besiegeln. Mir blieb also nichts anderes übrig, als noch eine Schicht Wundsalbe aufzutragen, meinen Lockenwust mit einem Haargummi zu bändigen und mir auf dem Weg nach unten einen Pulli überzuziehen, obwohl Papa zweifelsohne bereits über meine verletzte Schulter Bescheid wusste.

Der Clou in unserem Esszimmer war keineswegs der mächtige Eichentisch, der für locker ein Dutzend Gäste Platz bot. Auch nicht der Kristalllüster, der das Herz von so manchem Antiquitätenliebhaber zum Klopfen gebracht hätte – während die Stehlampe mit dem Fliegenpilzschirm, die meine Mutter auf irgendeinem Flohmarkt ersteigert hatte, wohl nur mich begeisterte. Nein, den absoluten Höhepunkt stellte das Panoramafenster dar, hinter dem keineswegs der zu erwartende Garten mit Hecken, Sträucher und Rabatten zu sehen war. Bei Tag ragte dort vielmehr die tibetische Hochebene auf mit dem Pamir, der auch das Dach der Welt genannt wurde, was ich für einen ausgesprochen passenden Namen für dieses imposante Hochgebirge hielt. Ich spreche übrigens von einem Blick auf das echte Gebirge und nicht etwa von einer besonders raffinierten Wandtapete, wie es sie auch mit Wasserfall-Motiven oder Einhörnern im Mondlicht gibt. Denn die Einhörner auf Wandtapeten bewegen sich nicht, während an unserem Pamir immer etwas los war – und seien es nur die vorbeiziehenden Wolken.

Das Gebirge im Panoramafenster war zu hundert Prozent real.

Das Geheimnis dieser fantastischen Aussicht lag im Scheibenglas, das wie ein Guckrohr nach Zentralasien funktionierte, nachdem es die Bekanntschaft mit einem monströsen Besucher gemacht hatte. Wo diese Ungeheuer nämlich entlangkamen, veränderte sich gelegentlich die Realität. In diesem Fall hatte Sander einen riesigen geleeartigen Klumpen im Esszimmer gestellt, der in seinem Bauch unzählige Eier getragen hatte. Über diesen Vorfall schwieg Sander sich nach Möglichkeit aus, weil es dem Monsterblob gelungen war, sich über ihn zu stülpen, ehe er ihn … den Weg aller Besucher von jenseits des Tors schickte. Ich hingegen diskutierte leidenschaftlich gern über diesen speziellen Besucher und vertrat dabei die Theorie, dass der Geleeberg Sander keineswegs zu ersticken beabsichtigte, sondern auf diese Weise lediglich seine Eier hatte befruchten wollen. Nur dass sich Sanders Kopf dafür leider als ungeeignet erwies.

Jedenfalls war das Panoramafenster nach dem Spektakel zuerst beschlagen gewesen, und seitdem sich der Nebel gelichtet hatte, lag dort die tibetische Hochebene.

Einen solchen Anblick steckte niemand locker weg, der nicht von klein auf mit veränderter Einrichtung aufgewachsen war. So wie ich. Ich war quasi die inoffizielle Chronistin für meeresartige Besucher mit Hang zu Mord und Totschlag plus der ihnen anhängigen Veränderungen – wobei ich Letzteres deutlich bevorzugte. Sander stand mehr aufs Entsorgen, während ich in meinem Hinterkopf Auftreten, Verhalten und Entsorgungsform notierte. Diese Dinge aufzuschreiben war leider verboten, obwohl es wirklich eine Schande war, vor allem da sich die Besucher in den letzten Wochen regelrecht die Klinke in die Hand gedrückt hatten. Meine mentale Sammlung umfasste bereits blutrünstige Meerfrauen, bei denen nicht einmal der Fischschwanz attraktiv ausgesehen hatte, mutierte Seeigel und eine hochgiftige Algensorte, die halb Himmelshoch überwuchert hatte, bis wir endlich herausfanden, dass sie kein Süßwasser vertrug. In einigen Räumen arbeiteten seitdem immer noch Heizlüfter gegen die Feuchtigkeit an.

Unsere Besucher waren nicht die einzigen, die regelmäßig aus anderen Welten vorbeikamen, um Unheil anzurichten. Soweit ich wusste, waren unsere jedoch die einzigen mit einem deutlichen Meeresbezug, während Besucher von anderen Toren beispielsweise zweidimensionale Reptilien waren oder Dämpfen ähnelten, die jedes Lebewesen, das sie einatmete, in den Wahnsinn trieben.
Woher die Tore stammen? Gute Frage.

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts, war etwas schiefgegangen – und zwar so richtig mächtig. Dass kurz darauf die Pest wütete und unzählige Menschenleben ausrottete, war gewiss kein Zufall – zumindest lenkte es von den verheerenden Folgen ab. Was da genau schiefgegangen war, wusste ich nicht, denn man musste dem Innersten Wächterzirkel angehören, um in das Mysterium, das die Katastrophe ausgelöst hat, eingeweiht zu werden. Nichtsdestotrotz hatte ich mir so viel zusammengereimt, dass der einflussreiche und außerdem geheimnisvolle Verband, aus dem sich später der Wächterzirkel rekrutierte, eine Dummheit – etwa ein Experiment oder Ritual – angestellt hatte, das nicht nach Plan verlief. Zumindest ist wohl kaum davon auszugehen, dass sie es darauf angesetzt hatten, der Realität Risse beizubringen.

Aber genau das geschah: Unsere Realität erlitt Risse wie eine gesprungene Glaskugel, deren Zentrum nahe Messina in Sizilien lag. Von dort fraßen sich immer feiner werdende Verästelungen fort, bis sie am Rand schließlich unregelmäßig ausliefen.

Unser Tor, wie der Wächterzirkel diese Risse nannte, lag am Rand dieses Musters und wurde somit erst entsprechend spät entdeckt. Im Jahr 1881 fanden es einige unglückliche Arbeiter beim Ausbau des Kellergewölbes des Herrenhauses Himmelshoch. Die Männer, die vor Angst nicht geflüchtet waren, brachte der Wächterzirkel zum Schweigen, denn die Geheimhaltung der Tore war ein essenzieller Bestandteil der Wacht. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Zirkel solch einen großen Einfluss, dass sogar der damalige Besitzer von Himmelshoch, der größte Gutsherr von Marienfall, sich ihrem Willen beugte und ihnen sein Haus überließ. Die Wacht für Himmelshoch übernahm damals ein Zirkelmitglied namens Jori Parson, und für seine Zusage, dass er selbst, seine Söhne und deren Söhne das Tor zu ihrem Lebensmittelpunkt machen würden, bekam er das Herrenhaus als Lohn. Das bedeutete für die Familie Parson einerseits einen großartigen Familienwohnsitz, der andererseits trotz der harschen Geheimhaltungsmethoden des Zirkels wertlos geworden war. Der Teufel persönlich hause hinter den breiten Steinmauern, hieß es bis heute in Marienfall. Dabei schlief das dunkle Geheimnis unter seinen Grundfesten noch viele Jahrzehnte nach seiner Entdeckung.

Das ist allerdings nur eine grobe Zusammenfassung dessen, was ich über die Vergangenheit aufgeschnappt hatte oder mein Vater mir zu erzählen bereit gewesen war. Mir lag die Wacht nämlich nicht im Blut – im Gegensatz zu Sander, der schon ein Wächter war, bevor der Zirkel ihn aufgenommen hatte. Sander war dafür geboren, in der Nähe des Tors zu leben, und noch lieber machte er Jagd auf die Besucher. Einige Jahre nachdem das Tor unter Himmelshoch erwacht war, tauchten diese Wesen zum ersten Mal auf, und seitdem häufte sich ihr Erscheinen – nur um sogleich Sanders Bekanntschaft zu machen. Mich interessierten weder die Besucherabfertigung noch die Mysterien des Tors, die meinen Vater so in ihren Bann gezogen hatten, sodass in seinem Leben nur noch Platz für das Kellergewölbe und seine Arbeit in der Bank war. Aber ich mochte die Veränderungen, die Spuren, welche die Besucher im Herrenhaus hinterließen.

Übrigens war es Sander, der herausgefunden hatte, aus welcher Himmelsrichtung wir von unserem Esszimmer aus auf den Pamir blickten. Eigentlich lag ihm nichts an den Veränderungen, vermutlich weil man sich mit ihnen keinen Kampf um Leben und Tod liefern konnte, aber diese sensationelle Aussicht hatte ihn gepackt. Manchmal erwischte ich ihn, wie er vor dem Fenster stand und beobachtete, wie eine winzige Karawane sich einen Weg durch den kargen Landstrich suchte oder wie das Wetter innerhalb kürzester Zeit umschlug. In einem Moment waren Ebene und Gebirge noch weiß mit Schnee überpudert und im nächsten brach plötzlich die Sonne hervor und alles schimmerte in weichen Erdtönen. Der Pamir bewegte etwas in Sander, zog ihn an, stets aufs Neue. Vielleicht lag es an der atemberaubenden Schönheit des Gebirges, vielleicht aber auch daran, dass er – im Gegensatz zu mir – unter Fernweh litt. Eine Sehnsucht, der er nicht in absehbarer Zeit würde nachgeben können, auch wenn ihm unsere verschlafene Kleinstadt Marienfall noch so sehr zum Hals heraushing. Sander war auf eine Weise an das Tor gebunden, die noch mysteriöser war als das Tor selbst.

An diesem Abend lag tiefe Dunkelheit über dem Pamir, nur einige winzige Lichter verrieten einsame Jeeps, die auf unbefestigten Straßen unterwegs waren. Auch ansonsten herrschte Ruhe im Esszimmer. Über einem der mit dunkelrotem Samt bezogenen Stühle hing Jakobs Mantel, und auf dem Esstisch stand neben einem Stapel Schalen eine randvolle Plastiktüte, die dem Duft nach zu urteilen vom Asia-Imbiss am Bahnhof stammte.

Sander musste Dad abgefangen und direkt in den Keller gelotst haben, wo sie das Tor kontrollierten und dabei ungestört besprachen, wie sie mich am einfachsten loswerden könnten. Wie schön, dass sie endlich ein gemeinsames Thema entdeckten, wo sie ansonsten so wenig miteinander verband – einmal abgesehen von ihrer Furcht, ein überdimensionaler weißer Hai könnte eines Tages durchs Tor geschwappt kommen und uns alle verschlingen, bevor Sander eine Bombe basteln konnte, um ihn artgerecht in tausend Teile zu sprengen. Offenbar hatten die Männer meinen Lutz zu ihrem verschwörerischen Treffen mitgenommen, ansonsten würde der verfressene Köter bereits mitten auf dem Tisch stehen und Bratnudeln aus den zerfetzten Schachteln schlecken.

»Unfair«, murmelte ich.

Mein Stolz verlangte von mir, in den Keller zu stürmen und meine Beteiligung an dieser Entscheidung einzufordern, während mein innerer Hasenfuß ziemlich überzeugend darauf hinwies, dass es in der Nähe zum Tor alles andere als kuschelig-gemütlich war. Das galt besonders, seitdem das Tor zusehends außer Kontrolle geriet.

Ich riss mich zusammen und lief ins hintere Treppenhaus, in dem eine Holztür aus dicken Eichenbohlen in den Keller hinabführte. Wie das Herrenhaus selbst, stammte die Türklinke von anno 1836 und wurde von einem Teufelskopf mit aufgerissenem Maul geziert, dessen langer Hals im Lauf der Zeit von vielen Händen blank gescheuert worden war. Auch dieses Mal rang ich mich nicht dazu durch, die Klinke beziehungsweise den Teufelshals direkt anzufassen, sondern zog meinen Pulliärmel über meine Hand und benutzte ihn wie einen Topflappen. Obwohl die Tür schwer war, verursachten ihre Angeln nicht das leiseste Geräusch. Vermutlich ölte Sander sie regelmäßig, damit niemand hörte, wann er nachts, total dicht, zurück in sein Refugium schlich. Papa kam für solche Dinge nicht infrage, für solche Alltagsangelegenheiten war er schlichtweg zu genial – Essen vom Asia-Imbiss mitzubringen, war das höchste der Gefühle, wenn es darum ging, am Haushalt teilzunehmen.

Die Treppe war erstaunlich breit angelegt, obwohl sie lediglich in den Keller hinabführte. Wobei Keller eine Untertreibung war. Unter dem Herrenhaus gab es eine ganze Flut an Kammern, einige von ihnen sahen so aus, wie man sich einen ordentlichen Keller vorstellt, mit niedriger Decke und spartanischer Beleuchtung. Räume, in denen man Weinvorräte lagerte, den Rasenmäher unterbrachte oder Kisten vom Umzug verstaute, die niemals ausgepackt werden würden. In einer solchen Kammer hauste Sander – freiwillig, wie ich betonen möchte. Von allen zur Verfügung stehenden Zimmern hatte er sich für ein elendes Erdloch entschieden. Allein das war schon Grund genug, um den Keller verdächtig zu finden.

Ganz unvermittelt endete der offizielle Teil des Flurs mit seinem gefliesten Boden. Ab hier begann jener Teil, den ich in diesen Tagen noch mehr mied als ohnehin schon. Es handelte sich um einen roh aus dem Erdreich herausgehobenen Schacht, der von uralten Balken gestützt wurde. Hier hatte 1881 eigentlich das Kellergeschoss ausgeweitet werden sollen, doch so weit war es niemals gekommen.

Im Schacht klafften in unregelmäßigen Abständen Löcher in den Wänden und sogar im Boden, die aussahen wie zum stummen Schrei aufgerissene Schlünde. Hinter ihnen verbargen sich Höhlen, die an Luftblasen im Erdreich erinnerten. Sie zeigten, dass sich an diesem Ort Risse in der Realität aufgetan hatten, jedoch ohne ein Tor zu öffnen. Trotzdem ging von diesen Blasen ein seltsamer Geruch aus, nicht etwa erdig, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern es roch nach See. Dabei war das Meer knapp fünfzig Kilometer von Marienfall entfernt, hier gab es nur flaches Land und gelegentlich mal eine verirrte Möwe – mehr nicht. Allerdings türmten sich in diesen Höhlen Berge von Salz, das sich dort im Laufe der letzten Monate angesammelt hatte und davon kündete, dass etwas Unheimliches beim Tor vor sich ging. Nicht einmal mein Vater hatte eine Ahnung, um was genau es sich handelte. Sander und mein Vater schafften die Salzfuhren Tag für Tag in die Höhlen, während sie sich im Stillen fragten, wann sie den Mengen nicht länger Herr werden würden.

Der Höhepunkt des Kellergewölbes verbarg sich am Ende des Schachts und war von der Kellertreppe her nicht einsehbar. Ab dieser Stelle legte man besser sein elektronisches Spielzeug wie Handy und MP3-Player ab, sofern man daran hing. Ansonsten lief man nämlich Gefahr, nur noch einen nutzlosen Haufen Schrott in der Hand zu halten.

Denn dort, hinter einer Eisentür, lag das Tor.

Das, Gott sei Dank, verschlossene Tor. Nur an seinen Rändern schien es im Laufe der Zeit ein winziges bisschen undicht geworden zu sein. Durch diese Bruchstellen rieselte das Salz und gelegentlich zwängte sich ein Besucher mit mörderischen Absichten hindurch.

Mit pochendem Herzen ging ich auf die Eisentür zu, die eher eine Sicherheitsschleuse war, die man im Notfall wasserdicht verschließen konnte.

Über ihr blinkte, aus Leuchtröhren zusammengesetzt, ein Name: Tiamat. Sander hatte dieses seltsame Kunstwerk, das er mithilfe eines Technikkastens gebaut hatte, vor einigen Jahren dort angebracht. Einer von seinen schrägen Witzen, nur lachte niemand über ihn, auch Sander nicht.

Tiamat.

Diesen Namen hatte ich in einem der Geschichtsbücher gefunden, die meine Mutter so geliebt hatte und die ich vor meinem Vater in Sicherheit gebracht hatte, bevor er sie ins Altpapier geben konnte. Tiamat war eine babylonische Göttin gewesen, die das Salzwasser und somit das Meer verkörperte. Außerdem hetzte sie gern Seeungeheuer auf ihre Feinde – der Krakenmann vom Dachboden wäre gewiss ihr Favorit gewesen. Obwohl mein Vater den Namen als Unsinn abtat, hatte er sich sogar unter den Wächtern eingebürgert. Denn es war bedeutend leichter, mit Schrecklichem und Geheimnisvollem fertig zu werden, wenn es einen Namen trug.

Heute jedoch half mir dieser Trick wenig. Ich stand noch immer vor der Eisentür, die vom unsteten Licht der Leuchtröhren angestrahlt wurde. Durch den Rost, mit dem sie überzogen war, sah sie uralt aus, oder als habe sie lange Zeit im Salzwasser gelegen. Dabei hatten Papa und Sander sie erst vor vier Monaten erneuert. Die Lackschicht war größtenteils abgeblättert, das Eisen darunter rissig und von Furchen übersät, als versuchte etwas von der anderen Seite sich langsam durch das Metall zu fressen. Der Rostgeruch kratzte in meiner Nase.

Dir läuft die Zeit davon, vermutlich haben die beiden Herren längst vereinbart, wer dich morgen früh zum Zug bringt. Du musst dich beeilen!

Trotzdem verharrte ich und inspizierte erst einmal den Boden, der mit Metallplatten bedeckt war. In meiner Angst bildete ich mir ein, dass sich Pfützen in ihren Unebenheiten abzeichneten, was natürlich Unsinn war. Ich kam jedoch nicht gegen meine Furcht an und glaubte lauter Anzeichen dafür zu erkennen, dass sich in der Schleuse gerade eine gewaltige Flut aufbaute, die jeden Moment die Tür sprengen und alles mit sich reißen würde, das sich ihr in den Weg stellte. Die Salzzeichen, die das Tor verschlossen hielten, machten ihren verdammten Job nicht länger auf eine Weise, die mein Vertrauen verdiente. Der Krakenmann, der unbemerkt bis zum Dachboden vorgedrungen war, war nur ein weiterer Beweis in einer langen Kette von Schrecken. Und wenn ich das gestresste Gesicht meines Vaters richtig deutete, dann verschlechterte sich die Lage mit jedem Tag drastisch.

Vibrierten nicht die Nieten des Türrahmens verdächtig?

Sammelte sich nicht Wasser in den Fugen zwischen den Metallplatten?

Hatten die Sohlen meiner ausgetretenen Schuhe nicht soeben ein saugendes Geräusch verursacht?

Natürlich war das Unsinn, hinter der Eisentür befand sich die Schleuse, und erst dahinter erhob sich Tiamat, in deren Umfeld es so trocken war wie nirgendwo sonst auf der Welt. Denn rund um das Tor türmte sich Salz, jede Menge Salz. Salz, das durch die zunehmend zerbröckelnden Salzzeichen quoll.

Okay, Anouk, du schiebst jetzt deine Ängste meilenweit beiseite, feuerte ich mich an. Papa hat das Tor unter Kontrolle, so, wie er alles und jeden unter Kontrolle hat. Der Mann bändigt sogar Sander, was nun wirklich Beweis genug ist.

Trotzdem konnte ich ein »Brrrr« nicht unterdrücken, als ich die Metalltür aufzog und mir ein Schwall kalter Luft ins Gesicht wehte. Dahinter begann die Schleuse, eine Metallröhre, die tief hinab ins Erdreich führte. Im Gegensatz zu den beiden Männern des Hauses ging ich aufrecht hindurch – irgendeinen Vorteil musste es schließlich haben, bestenfalls durchschnittlich groß zu sein. Wobei durchschnittlich sich auf eher kleine Leute bezog.

Am Ende der Schleuse befand sich ein Kraftfeld, das einer Wand aus Nebel ähnelte. Diese harmlos aussehende Grenze unbeschadet zu durchschreiten, war nur der Familie Parson möglich, was witzigerweise auch unsere Bulldogge Lutz einschloss. Jeder andere, der durchging, musste mit einem mächtigen Stromschlag rechnen. Wobei es sich nicht um einen echten Stromschlag handelte, weil der Nebel nachweislich keinen Strom leitete. Das hatten die Wächter als Erstes herausgefunden bei ihren Versuchen, das Kraftfeld außer Betrieb zu setzen, weil es sie von Tiamat fernhielt. An dieser Aufgabe hatten sie sich jedoch trotz ihrer ganzen Technik und ihres Ehrgeizes die Zähne ausgebissen, genau wie sie nicht herausgefunden hatten, woher das Feld eigentlich stammte und woraus es gespeist wurde. Gegen Strom hätten sie sich schützen können, aber gegen diesen seltsamen Nebel kamen sie nicht an. Auch ihre Kameras nicht, die sie Papa auf die andere Seite hatten bringen lassen, um wenigstens ein Bild von dem Tor zu bekommen. Was Papa jedes Mal zurückgebracht hatte, war ein Haufen Elektroschrott gewesen, aber es gab keine einzige Aufnahme. Als ich noch jünger und dem Wächterzirkel gegenüber aufgeschlossener gewesen war, hatte ich meinem Unbehagen zum Trotz eine Zeichnung von Tiamat angefertigt. Anstelle von Dank hatte es eine Abmahnung darüber gesetzt, dass die Geheimhaltung des Tors an erster Stelle stand.

Als wäre ich so dumm gewesen, die Zeichnung an meiner Schule herumzuzeigen!

Schließlich stand man als Bewohnerin von Himmelshoch sowieso unter Generalverdacht, mit den bösen Mächten im Bunde zu stehen. Dass es eigentlich ganz schick ist, ein bisschen evil zu sein, darauf kam die Marienfaller Jugend nämlich erst, nachdem Sander das Partyalter erreicht hatte. Seitdem stand das alte Herrenhaus in dem Ruf, Durchgeknallte von der unterhaltsamen Sorte hervorzubringen. Sein größter Gag bestand darin, mithilfe seines Brillenbügels jedes Paar Handschellen zu knacken. Angeblich hatte er diese Kunst für sich entdeckt, als er nach einer lustigen Nacht an ein Bett gefesselt aufgewacht war. Nur dass das Bett nicht seins war und die Besitzer gerade im Wagen vorfuhren. Für gewöhnlich gab ich nichts auf Tratsch, aber diese Geschichte hatte ich sofort geglaubt. Niemand wusste besser als ich, dass für Sander das Leben erst richtig spannend war, wenn ihm jemand ans Leder wollte – ob das nun ein aus Reißzähnen bestehender Besucher oder ein rasender Familienvater war, der in sein kaputt gefeiertes Heim zurückkehrte und dem Kerl mit der Plüschhandschelle ums Handgelenk die alleinige Schuld für die Verwüstung gab.

Was das geheimnisvolle Kraftfeld anbelangte, an dem sich der Wächterzirkel die Zähne ausbiss, so war es aus unserer Sicht nicht im Geringsten geheimnisvoll. Es handelte sich schlicht um die erste Veränderung, die sich auf Himmelshoch breitgemacht hatte. Sie hatte sich kurz nach Tiamats Erwachen aufgetan, und wie die meisten Veränderungen war sie ein Sander-Fan: Auf eine magische Weise, die er weder Jakob noch mir plausibel erklären konnte, bekam er oftmals mit, wenn ein Besucher – allen Qualen zum Trotz – das Kraftfeld durchquerte. Ein wirklicher Vorteil, denn während mein Vater seine Schichten direkt vor Tiamat verbringen musste, konnte Sander faul in seinem Kellerloch herumlungern und Comics lesen.

Das eigentümliche Gefühl beim Durchschreiten des Nebels war mir zwar vertraut, dennoch überraschte mich meine Reaktion stets aufs Neue. Vermutlich, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass sich irgendetwas hier unten mit Worten wie »wohliger Schauer« und »Verzückung« in Verbindung bringen ließ. Der Nebel fühlte sich an, als bestände er aus unsichtbaren Händen, die einen abtasteten. Gehörte man zur Familie Parson, durfte man hindurch – gehörte man nicht dazu, bekam man einen ordentlichen Schlag verpasst. Leider dauerte der Zauber nicht länger als ein paar Herzschläge, dann war ich auch schon hindurch und musste den Preis zahlen. Den Anblick Tiamats.

Mitten im hohen Kellergewölbe drehte ein Maelstrom mit dem Durchmesser einer überdimensionalen Kinoleinwand bedächtig und doch mit erschreckender Gleichmäßigkeit seine Runden. Die Strömungen, die sein schwarzes Auge umkreisten, variierten in den Farben eines Gewitterhimmels. Als ich noch jünger war, hatte ich mir einzureden versucht, dass es sich tatsächlich um eine Leinwand handelte, die die gesamte unterirdische Halle ausfüllte. Dabei war dieses Gewölbe, tief unter Himmelshoch, so weiträumig, dass darin sogar der hochgewachsene Sander verloren aussah. Und auf dieser Fläche sah man direkt in einen monströsen Meeresstrudel, in dessen Zentrum ein dunkles Herz schlug, auf den Moment wartend, in dem die Barriere brach und er seine Wassermassen durch das Tor treiben konnte, um alles zu überfluten. Es ist nur eine Leinwand, eine Leinwand, auf der ein Horrorfilm läuft … Die Selbsttäuschung funktionierte leider nie, denn das Tor – und mit ihm der Maelstrom – war genauso real wie mein rasender Pulsschlag.

In unregelmäßigen Abständen fuhren bläuliche und goldene Blitze aus der Tiefe des Strudels hervor und warfen einen flackernden Schein gegen die Steinwände. Das war insofern ein Vorteil, da es in dem Gewölbe keine Elektrizität gab und nur einige Kerzen und Öllampen Licht spendeten. Sie beleuchteten den Schreibtisch meines Vaters, auf dem sich Stapel von Notizen neben aufgequollenen Büchern über Tiefseebewohner und Meeresströmungen türmten, eine zusammenklappbare Pritsche, die Sander als Folterinstrument bezeichnete, und eine verbeulte Schubkarre samt Schaufel. Am schönsten sahen die Salzberge im Kerzenlicht aus, obgleich sich darin auch schon ihr Vorteil erschöpfte. Die sanft glitzernden Erhebungen standen für ein ernsthaftes Problem, für das noch keine Lösung in Sicht war. Das Salz rieselte unaufhörlich durch die Barriere, die den Maelstrom zurückhielt: ein Netz aus lauter beweglichen, bläulich schimmernden Linien, an denen feinste Salzkristalle haften blieben. Wir nannten sie die Salzzeichen, weil sie sich zu komplexen Mustern zusammenschlossen, und mein Vater hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sie zu entschlüsseln. Das war auch dringend notwendig, denn immer mehr dieser Zeichen zerbrachen und durch die entstandenen Lücken drangen nicht nur Salzbäche, sondern auch die Besucher.

Als ich das Gewölbe betrat, knirschte Salz unter meinen Sohlen. Dieses leise Geräusch reichte aus, um Lutz, der stolz und aufrecht vor dem furchterregenden Maelstrom patrouillierte, auf meine Spur zu bringen. Eins seiner Schlappohren zuckte, dann machte er kehrt und stürzte auf mich zu. Der Aufprall einer rennenden Bulldogge ist nicht zu unterschätzen, also ging ich rasch in die Hocke und musste im nächsten Moment auch schon einen schlabberigen Hundekuss einstecken.

»Anouk, was machst du hier unten?«, begrüßte mich die strenge Stimme meines Vaters.

Ich presste mein Gesicht noch einmal fest in Lutz’ vertraut riechendes Fell, dann stand ich auf und erwiderte Jakobs eindringlichen Blick. Er trug noch den eleganten Anzug von der Arbeit und sein Haar lag nass in der Stirn. Offenbar hatte ihn auf dem Heimweg ein kräftiger Frühlingsregen überrascht, und Sander hatte ihm nicht die Zeit gelassen, sich das Haar trocken zu reiben, weil er es so verflucht eilig hatte mit seinem Verrat. Sah ganz danach aus, als ob er mich gar nicht schnell genug aus dem Haus bekommen konnte.

Aufgebracht stierte ich Sander an, der neben Jakob stand, und er besaß tatsächlich die Frechheit, meinen Blick zu erwidern.

»Anouk?« Mehr musste mein Vater nicht sagen, um unser Blickduell zu unterbrechen. Manchmal war mir seine Autorität unheimlich.

»Nun, ich bin in den Keller gekommen, weil … Im Esszimmer stand nur eine unangerührte Tüte mit Essen und deshalb bin ich …« Das war ein schlechter Einstieg, also richtete ich mich bewusst auf und setzte erneut an. »Es ist mein Leben, und über mein Leben entscheide ich, zumindest sollte ich mit sechzehn Jahren das Recht dazu haben.«

Die Augenbrauen meines Vaters fuhren in die Höhe und lösten seinen ansonsten stets eine Spur zu harten Ausdruck auf. »Es liegt mir fern, dir das Tiamat-Gewölbe zu verbieten. Du bist eine Parson, damit hast du jedes Recht, hier zu sein. Ich bin nur verblüfft, weil du es in der letzten Zeit, noch mehr als sonst, vermieden hast herzukommen.«

Das war nicht ganz die erwartete Reaktion.

Verwirrt sah ich nun doch zu Sander hinüber, der den Kopf schüttelte. Mit einer Geste deutete er an, wie er seinen Mund verschloss und den Schlüssel wegschmiss. Das sollte dann wohl bedeuten, dass er Papa nichts von meiner Begegnung der zudringlichen Art erzählt hatte. Klasse. Einmal davon abgesehen, dass ich nun wie ein Trottel dastand.

Prompt bekam ich die Rechnung für meinen wirren Auftritt serviert.

»Töchter in diesem Alter sind wahrlich kein Geschenk«, brummte Jakob, während er sich wieder einem faustgroßen Loch in den Salzzeichen zuwendete, um die sich ein verästeltes Muster aus weißen Kristallen gebildet hatte. Es sah aus, als wären die Zeichen mit Gewalt auseinandergedrängt worden. Bevor Jakob sich erneut in seine Arbeit vertiefte, gab er Sander ein Zeichen. »Bitte begleite Anouk nach oben. Es ist schon spät, fangt also ruhig schon mit dem Essen an. Ich muss mich erst einmal um die Auswertung kümmern und komme dann nach.«

Sander zögerte. »Das mit dem Essen bekommt Anouk bestimmt allein hin, ich würde lieber …«

Jakob hob die Hand. »Alexander, ich sagte bitte

Es war Sander anzusehen, was er von dieser ›Bitte‹, in Kombination mit seinem Vornamen, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte, hielt. ›Alexander‹ war ein griechischer Name und bedeutete so viel wie ›Beschützer‹, was für seinen Geschmack dann doch zu viel Programm war. Er benutzte die Abkürzung Sander schon so lange, dass ich mich gar nicht daran erinnerte, gehört zu haben, wie ihn jemand außer meinem Vater mit seinem offiziellen Namen ansprach.

Darüber hinaus machte Sander ein langes Gesicht, weil er sich mit mir abgeben musste, während Jakob das Geheimnis der beschädigten Salzzeichen erforschte. Die Lippen zu einer schmalen Linie aufeinandergepresst, bedeutete er mir, durch das Kraftfeld zu treten, aber ich konnte mich nicht losreißen. Schwer zu sagen, ob es die Anziehungskraft des Maelstroms oder Papas konzentrierte Ausstrahlung war, die mich gebannt hielt.

Dann packte Sander mich an meiner heilen Schulter und führte mich ab, während mein Vater hinterm Schreibtisch inmitten der Salzhügel Platz nahm. In die rechte Hand nahm er einen Stift, während er mit der anderen umständlich ein Stück Papier zurechtrückte. An Jakobs linker Hand waren von seinen Fingern nur noch die ersten Glieder vorhanden, der Rest war mit einem sauberen Schnitt von den Salzzeichen amputiert worden, als er versucht hatte, durch sie hindurchzugreifen. Seitdem wussten wir, dass die Barriere aus dem filigranen Muster nicht nur den Maelstrom zurückhielt, sondern auch uns Menschen. Sämtliche Experimente, die mein Vater seitdem unternommen hatte, um sie zu überwinden, waren gescheitert. Außer für die Besucher stellten die Salzzeichen eine unüberwindbare Grenze dar.

Während ich mehr oder weniger freiwillig zur Schleuse ging, blickte Lutz unschlüssig drein, dann folgte er uns. Vermutlich war er zu der Überzeugung gelangt, dass sich heute Nacht kein fischiger Nachtisch mehr beim Tor blicken ließ, während wir höchstwahrscheinlich einen Abstecher in die Küche unternahmen.

»Das sind übrigens meine alten Vans, die du da anhast«, knurrte mich Sander von der Seite an.

Schuldbewusst schielte ich auf die Schuhe mit dem Schachbrettmuster, bei denen schon die Nähte aufgingen und deren Sohlen vom Skateboardfahren abgenutzt waren. Vor Jahren hatten sie tatsächlich Sander gehört, niemand sonst hätte ein Paar Schuhe dermaßen ramponiert bekommen. »Die lagen einsam und verlassen auf dem Dachboden herum … Außerdem passen sie dir doch schon lange nicht mehr«, antwortete ich ausweichend.

»Stimmt. Ich find es nur witzig, dass du dir gern mal ein Teil von mir schnappst, obwohl du keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt, mich darauf hinzuweisen, wie obergeschmacklos meine Sachen sind.«

»Überobergeschmacklos«, stimmte ich zu. »Aber Vans sind nun einmal Vans.«

Jakob ließ ein gereiztes Räuspern vernehmen, er wollte sein Reich endlich für sich allein haben.

Folgsam setzten wir uns in Bewegung. Als ich durch das Nebelfeld trat, hinter dem die Sicherheitsschleuse begann, durchfuhr mich der Schauer so intensiv, dass ich aufkeuchte. Sander warf mir einen verständnislosen Blick aus den Augenwinkeln zu.

»Spürst du es denn nicht?«

»Was spüren?«

Ich verkniff mir eine Antwort, denn ausgerechnet Sander gegenüber einzugestehen, dass die Berührung des Kraftfelds eine solch verwirrende Reaktion bei mir hervorrief, war nicht gerade verführerisch. Bestimmt würde er mich bis ans Ende meiner Tage damit aufziehen, dass ein bisschen Nebel ausreichte, um meine Gefühle in Wallung zu bringen. »Gefühlswirrungen«, hörte ich meinen Vater im Geist verächtlich sagen, womit aus seiner Sicht die seltsamen Neigungen seiner Tochter umfassend erklärt waren. Jakob war der geborene Rationalist und liebte alles, was mit Logik und Zahlen zu tun hatte. Bevor er die Wacht von seinem Vater übernommen hatte, war er mit meiner Mutter und mir als Mathegenie von einem tollen Job zum nächsten gejettet. Dabei hatte er sich nie fürs Geschäft interessiert, sondern stets für die Zahlenwelt dahinter. Jetzt saß er in Marienfall fest und musste sich damit abfinden, in einem zweitklassigen Geldinstitut zu arbeiten, was er nichtsdestotrotz mit Hingabe tat.

»Diesen Gang in die Katakomben hätte ich mir übrigens sparen können, wenn du vorher in der Küche nicht gesagt hättest, du müsstest Papa unbedingt von dem kleinen Zusammenstoß erzählen.«

Sander zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Und riskieren, dass du in einen Blutrausch verfällst, weil Jakob dich ohne Diskussion auffordert, die Koffer zu packen? Nein, danke.«

»Und was ist aus deiner Sorge geworden, dass Papa nicht herausfindet, wie der Besucher so weit kommen konnte, wenn er nur die halbe Geschichte kennt?«

»Der Besucher hat unser Sicherheitsnetz ausgetrickst, darauf kommt es an. Wer den Kraken durch Zufall ertappt hat, spielt dabei keine Rolle, und deshalb muss Jakob es nicht wissen. Außerdem war er so guter Laune, als er nach Hause kam, da wollte ich ihm den Abend nicht vollständig versauen.«

»Seit wann nimmst du Rücksicht auf Papa? Oh, ich begreife! Der Besucher hat tatsächlich etwas verändert, und zwar dein verkümmertes Spatzenhirn. Falls du mir gleich auch noch einen gesegneten Appetit wünschst und nebenbei die Schönheit meiner Augen erwähnst, wissen wir Bescheid.«

Zu meiner Enttäuschung machte Sander sich nicht die Mühe, gereizt aufzustöhnen. Stattdessen schob er mich durch die Schleuse. Aus diesem Kerl sollte jemand schlau werden.

TIAMAT – Liebe zwischen den Welten
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