15
De Angelo hatte die Augen geschlossen, als Hawkins und Maguire zurück ins Verhörzimmer kamen.
Mike schaffte es, ihn aufzuschrecken, indem er die Tür zuknallen ließ. »Auf, auf, weiter geht’s, Marcus.«
»Fahren wir fort«, sagte Hawkins, während sie Platz nahm.
De Angelo streckte sich. »Bringen Sie mir mal einen Kaffee, dann denk ich drüber nach.«
»Geht gleich los.« Sie drückte auf den roten Knopf des Aufnahmegeräts, bis das Lämpchen aufleuchtete. »Die Befragung wird um neun Uhr achtundvierzig fortgesetzt. Anwesend sind die Beamten Hawkins und Maguire und Mr Marcus De Angelo. Also, Marcus, wenn Sie Jessica Anderton nicht getötet haben, wer könnte es dann gewesen sein?«
»Woher soll ich das wissen?« Er gähnte. »Das herauszufinden ist doch Ihr Job.«
»Das schaffen wir auch«, sagte Mike. »Aber es wird vielleicht nicht ganz so schwierig, wenn wir jetzt alles richtig machen.«
»Ja? Wie das denn?«
»Sehen Sie es doch mal von der Seite: Sie erzählen uns, wen Sie im Verdacht haben, dann gehen wir los und forschen nach, verhaften den Kerl, und Sie können nach Hause gehen.«
»Und was ist, wenn ich Ihnen überhaupt nichts erzähle?«
»Das Recht dazu haben Sie natürlich. Aber je schneller wir Sie von der Liste der Verdächtigen nehmen können, umso schneller sind Sie hier wieder raus.«
Hawkins bemerkte ein ängstliches Flackern auf De Angelos Gesicht. Mike hatte es offenbar auch bemerkt, denn er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er weitermachte. Jetzt klang seine Stimme freundlicher: »Also, wie sieht’s aus, Marcus? Wollen Sie nicht so schnell wie möglich wieder nach Hause?«
De Angelos Gesicht fand wieder zu seinem ursprünglichen anmaßenden Ausdruck zurück.
»Und wie kam es überhaupt«, schlug Hawkins in die gleiche Kerbe, »dass Sie bei Ihrer Festnahme so in Panik gerieten, dass Sie einen Polizeibeamten tätlich angegriffen haben?«
»Hab ich doch schon gesagt.« De Angelo hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Ich würde gern wieder nach Hause. Ich wäre da ja auch gestern gewesen, wenn ich nicht befürchtet hätte, dass ich eingelocht werde. Macht ja keinen Sinn, irgendwo rumzuhocken, wo die Bullen einen finden können. Mein Plan war, so lange abzuwarten, bis ihr den Mörder gefunden habt, kapiert? Sonst ist doch nichts weiter passiert.«
»Außer dass einer unserer Beamten verletzt wurde.« Hawkins schaute ihn ernst an. »Sie wissen doch, dass so was nicht als Kleinigkeit behandelt wird. Für den Angriff auf einen Polizeibeamten kann man bis zu einem Jahr Gefängnis kriegen.«
»So lange können Sie mich doch nicht einsperren! Bloß weil ich diesem Wichtigtuer eine verpasst habe!«
»Vielleicht nicht«, fuhr sie fort, »aber Widerstand gegen die Staatsgewalt sowie der gewaltsame Angriff auf einen weiteren Beamten und das Zurückhalten von Beweismitteln ohne triftigen Grund – das ist insgesamt schon recht schwerwiegend. Und so gut aussehende Männer wie Sie sind in den Waschräumen im Knast ja besonders beliebt.«
De Angelo setzte sich gerade hin. »Was meinen Sie mit ›ohne triftigen Grund‹?«
»Nun«, sagte sie ruhig. »Zum Beispiel, wenn Sie geglaubt hätten, dass Sie in Gefahr geraten, wenn Sie uns die Wahrheit erzählen. Wenn Sie sich deshalb nicht gemeldet hätten oder aus diesem Grund davongerannt sind. In einen derartigen Fall könnte man darüber hinwegsehen, dass Sie Beweismittel unterschlagen haben.«
De Angelo sah aus, als würde er in weite Ferne blicken, bevor er die Augen schloss und den Kopf sinken ließ.
»Hören Sie, Marcus«, sagte Maguire in dem fürsorglichen Ton eines älteren Bruders. »Wir wissen doch, dass Sie Jessica Anderton nicht getötet haben, aber lassen Sie uns die Sache jetzt zu Ende bringen. Dann können wir alle bald zum Mittagessen gehen.«
De Angelo hob nicht den Kopf, sondern antwortete mit undeutlicher Stimme. Sein ruppiger Tonfall war fast verschwunden.
»Anderton wusste davon, kapiert? Das von mir und Jessica. Ich weiß nicht, wieso, aber er wusste es.«
Kein Wunder, dass Charles Anderton bei ihrem kurzen Zusammentreffen am Dienstag so elend ausgesehen hatte. Er hatte gewusst, dass die Nachricht von der Affäre seiner Frau bald ans Tageslicht käme.
Und er hatte ein überzeugendes Motiv für die Ermordung seiner Frau gehabt. Seine dringende Dienstreise kam Hawkins jetzt eher fragwürdig vor.
»Nur weiter«, forderte sie De Angelo auf.
»Einen Tag vorher kam sie zu mir«, fuhr er fort. »Weiß wie ein Laken. Als sie sich endlich beruhigt hatte und reden konnte, sagte sie mir, ihr Mann wüsste Bescheid. Er hätte gesagt, es sei ihm egal, aber wenn es jemals herauskäme, würden wir es bereuen.«
»Genau so hat er sich ausgedrückt?«
»Ja, so in der Art jedenfalls. Er hat uns nicht direkt gedroht.« Er schaute auf. »Aber sie sagte, er hätte diesen Blick gehabt, verstehen Sie?«
»Und warum sind Sie dann zur Zeitung gegangen?«
De Angelo schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon vorher versucht, die Story zu verkaufen, aber da wurde mir nicht genug Geld angeboten. Nach ihrem Tod war das was anderes. Die haben mich angerufen und einen größeren Betrag ins Spiel gebracht. Ich dachte mir, dass Anderton jetzt wahrscheinlich viel zu viel um die Ohren hat, um sich auch noch um mich zu kümmern. Wie auch immer, ich hab für heute Nachmittag einen Flug nach Italien gebucht.«
»Sie dachten also, Sie könnten mal eben zehntausend Pfund verdienen und sich dann aus dem Staub machen?«
»Genau. Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte. Ich hab bei einem Freund gewohnt, während ich die Interviews gab und so. Ich bin nur nach Hause gekommen, um meine Sachen zu packen. Aber als Ihr Typ dann aufgekreuzt ist und ich merkte, der ist kein Journalist, dachte ich, Anderton hätte ihn auf mich angesetzt, um mich fertigzumachen. Als er dann in seine Tasche gegriffen hat, bin ich ausgerastet.«
Eine halbe Stunde später sah Hawkins zu, wie De Angelo nach unten gebracht wurde, wo er eine Verwarnung bekam und dann freigelassen wurde. Sie hatten eine Videoaufnahme mit seiner Aussage und eine eidesstattliche Erklärung, dass er gegen Anderton aussagen würde, wenn es nötig war. Im Gegenzug versprach sie, ein gutes Wort für ihn einzulegen, falls er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt wurde.
Sie reichte Mike den Ausweis von De Angelo. »Kannst du den an dich nehmen?«
»Geht klar.«
»Und kannst du bitte aufhören, so selbstgefällig dreinzublicken?«
»He, das ist doch nicht alles auf meinem Mist gewachsen. Auch du hast deinen Beitrag geleistet.«
»Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass De Angelo kein besonders überzeugender Lügner ist.«
»Bestimmt nicht.« Mike lächelte. »Ian hatte recht, was diesen Typen betrifft. Er ist wirklich ein Einfaltspinsel.«
»Wie meinst du das?«
»Ich hab schon des Öfteren mit solch gezielten Indiskretionen zu tun gehabt. Die Story von ihm und Jessica Anderton war mindestens dreißigtausend wert.«