12
Er brauchte dringend Schlaf.
Letzte Nacht hatte er gerade mal eine Stunde Ruhe gefunden. Selbst wenn er nur kurz einnickte, erwachte er laut schreiend. Die Träume wurden wieder schlimmer. Eigentlich war er froh über solche Momente – wenn er aufwachte und feststellte, dass das Erlebte nicht wirklich geschehen war.
Aber in der Öffentlichkeit konnte er sich so etwas nicht leisten.
Er setzte sich gerade hin und schaute sich blinzelnd um. Alle Bewegungen wirkten wie mit schlechtem Filmmaterial aufgenommen, ruckartig und unscharf. Er rieb sich die Augen, obwohl er wusste, dass sie nicht daran schuld waren. Er war völlig erschöpft. Die Zeiträume, in denen er an einem Stück normal funktionierte, wurden immer kürzer. Seine Gedankengänge kamen ihm von Mal zu Mal fremdartiger vor.
Er durfte nicht noch mehr Tabletten nehmen, um wach zu bleiben.
Ein Hitzeschwall erfasste ihn jäh, als ob sein Körper diesen Gedanken bestätigen wollte. Er schloss die Augen, denn er wusste nur allzu gut, was nun folgte.
Sein Körper erbebte, er biss die Zähne aufeinander. Es fühlte sich an, als würde ein eisernes Band um seinen Kopf immer enger geschnürt. Ein Dröhnen rollte heran, breitete sich aus, steigerte sich rasch zu einem regelrechten Tosen. Er beugte sich nach vorn und drückte die Hände gegen die Schläfen. Sein Körper erstarrte, und der Schmerz setzte ein.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hob sich der schwarze Schleier hinter seinen Augenlidern, und er spürte, wie sein Herzschlag sich verlangsamte. Verzweifelt schnappte er nach Luft.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und stand auf. Seine Wadenmuskeln schmerzten an der Stelle, wo er sie gegen die Stuhlbeine gedrückt hatte. Er bückte sich, um sie zu massieren.
Plötzlich hielt er inne und starrte in die Richtung, aus der der Lärm kam.
Jemand klopfte an die Tür.
Er wartete ab, horchte alarmiert. Hatten sie ihn gefunden? Und wenn ja, sollte er weglaufen oder bleiben oder sich irgendwelche Lügen zurechtlegen?
Wieder klopfte es.
Er fluchte leise vor sich hin. Der Taser lag in seiner Reisetasche, fünf Meter entfernt im vorderen Zimmer.
Er schob sich so weit in den Flur, dass er bis zur Wohnungstür sehen konnte. Das Tageslicht fiel durch die Milchglasscheiben, teilweise abgeblockt von dem dunklen Schatten der Person, die dort draußen stand.
Kein Gesicht erschien vor dem Fenster, niemand rief. Wahrscheinlich war es ein Hausierer oder so was in der Art. Der würde schon wieder verschwinden …
Dann wurde die Klinke heruntergedrückt.
In wenigen Sekunden war er bei seiner Reisetasche und umfasste den Griff der Elektroschockpistole, während er hörte, wie das Türschloss betätigt wurde.
Die Tür ging auf. Er machte sich bereit. Der Eindringling kam herein.
Er konnte gerade noch rechtzeitig innehalten, bevor er die Waffe herauszog.
»Um Himmels willen!« Seine Vermieterin stolperte zurück, stieß gegen die Wand und ließ den Schlüsselbund fallen.
»Miss Peterson.« Er ging auf sie zu, angenehm überrascht, wie schnell sein Alter Ego wieder zum Vorschein kam. »Alles in Ordnung?«
Die alte Dame sackte in sich zusammen, ihr Kleid schabte über das raue Muster der Tapete. »Oh … ja, danke. Sie haben mich erschreckt … Was, um Himmels willen, ist das denn?«
»Das hier?« Er wedelte lässig mit dem Taser in der Luft herum. »Das, äh, ist eine neue Fernsteuerung … fürs Fernsehen. Sie kennen doch Star Trek?
»Na, so was!« Sie schnappte nach Luft. »Ach herrje, es tut mir leid, dass ich einfach so hereingekommen bin, aber als niemand aufgemacht hat, dachte ich, Sie sind weggegangen.«
»Genau das sollten Sie ja denken. Ich meinte nämlich, es ist wieder so ein lästiger Vertreter.«
»Oh, das tut mir leid. Ich bin ja nur hergekommen, weil ich noch keine Zeit hatte, einen Briefkasten an der Tür anzubringen. Ich wollte Ihnen nur das hier geben.« Sie hielt ihm einen Briefumschlag hin. »Sie haben mir für diese Woche zu viel Miete bezahlt.«
»Wie dumm von mir.« Er lächelte. »Setzen Sie sich doch. Sie müssen erst mal wieder zu Atem kommen. Ich kann uns ja einen Tee machen.«
Sie schlurfte zum Sofa, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, als könnte sie sich kaum aufrecht halten.
Er schob den Taser in die Tasche und schloss die Tür.