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Die Atmosphäre im U-Bahn-Waggon war aufgeladen.

Leben in Angst.

Um ihn herum jede Menge Leute, brave Bürger, die sich für die Weihnachtsfeiern in der Hauptstadt fein gemacht hatten. Die regelmäßigen Pendler unter ihnen verhielten sich anders als sonst. Irgendwas an den Fahrgästen, die normalerweise schweigend ihre Reise ertrugen, war ungewöhnlich.

Die Inderin einige Sitze von ihm entfernt hielt ihren kleinen Sohn fest umschlungen, seit sie eingestiegen war, und drückte ihn an sich, wenn er sich losmachen wollte. Sie hielt ihn in einer eisernen Umklammerung, die wohl wie eine fürsorgliche Umarmung aussehen sollte.

Er unterdrückte ein Lächeln: Wer beschützt hier wen?

Eine andere, jüngere Frau vom europäischen Festland saß ihm gegenüber. Sie war hübsch gekleidet, als hätte sie an einer Weihnachtsfeier teilgenommen oder ihren freien Tag geopfert, um ihre Karriere voranzutreiben. Einem normalen Betrachter wäre sie entspannt vorgekommen. Eine junge Frau, die auf dem Weg nach Hause ein Buch las. Aber sie war unkonzentriert.

Seit zehn Minuten hatte sie nicht weitergeblättert.

Angesichts der Atmosphäre des Schreckens, die er mit Hilfe der Medien erzeugt hatte, war die Panik unvermeidlich. Er hatte die Titelseiten sämtlicher Zeitungen erobert, jeden Tag aufs Neue, seit seine erste Nachricht aufgetaucht war.

Eine Ausgabe der Metro lag zerknittert auf dem Sitz neben ihm. Darauf waren Fotos seiner Opfer abgedruckt, darüber die Überschrift »WER STIRBT ALS NÄCHSTES?« mit einer geschwärzten Gestalt hinter dem Fragezeichen.

Er hatte schon mehrmals einen Blick auf die Zeitung geworfen. Jedes Mal hatte er erwartet, dass die Erinnerungen ihn überwältigten. Aber heute Abend schienen seine Gefühle abgestumpft zu sein. Die Erregung wegen seiner neuen Jagd übertönte alles andere.

Er fühlte sich hellwach.

Konzentriert.

Die Medien waren seine Verbündeten. Niemand wollte das nächste Opfer sein. Niemand wollte, dass Nemesis an seine Tür klopfte. Der angenehme Nebeneffekt war, dass die Leute einander nicht mehr anschauten. Und ihn auch nicht.

Der Zug verlangsamte seine Fahrt, und die Schwärze des Tunnels verschwand. Schmutzige Kacheln und gedämpftes Licht waren zu sehen. Vor den Fenstern zogen Gesichter vorbei, niemand musterte die Insassen, wie sie es an einem normalen Abend getan hätten.

Sekunden später ruckten die Türen auf, aber niemand stieg ein. Schließlich ertönte das bekannte Signal, und die Türen schlossen sich wieder. Er hatte sich schon mehrmals über dieses Signal gefreut, es erinnerte ihn an bestimmte Kinofilme, an die letzte Minute, bevor die Bombe explodierte oder die Rakete ihr Ziel traf. Nur dass der Countdown diesmal für ihn lief.

Der Zug fuhr an, nahm Geschwindigkeit auf und verschwand im dunklen Tunnel. Brachte ihn seinem Ziel näher. Er wurde hin und her geworfen, als der Waggon wackelte. Manchmal flackerten die Lichter oder erloschen für wenige Sekunden, was seine Wahrnehmung nur noch schärfte.

Er hörte das metallische Flüstern, das aus einem Paar Kopfhörern drang, und das Kreischen der Räder auf den Schienen, während der Zug eine Kurve nahm. Völlige Dunkelheit um sie herum. Er musste lächeln.

Genau darin tappte auch dieser Mike Maguire.

Der Moment, wenn diesem dämlichen Amerikaner endlich ein Licht aufging, würde bestimmt spaßig werden.

Die Polizisten waren jetzt bestimmt in ganz London ausgeschwärmt und sprangen wie die Kugeln in einem Flipperautomaten zwischen den aufgeregten Bürgern hin und her, versuchten verzweifelt, ihn ausfindig zu machen. Das war das Großartige an seiner Methode. Die Anrufe würden von den Vorsichtigen kommen – von den Leuten, die als Ziele gar nicht infrage kamen. Seine Opfer ignorierten die Strafen, die jene heimsuchten, die sich nicht um andere kümmerten. Sie verdienten zu sterben, weil sie alle Warnsignale ignorierten, die tagtäglich um sie herum aufblinkten. Was, poetisch betrachtet, bedeutete, dass sie gar nicht bemerkten, wie das Schicksal sie ereilte.

Seine gestrige Fahrt nach Brighton war bedeutsamer gewesen, als er erwartet hatte. Wäre er nicht nur wenige Meter von Summer Easton entfernt gewesen, als sie den Wanderzirkus verließ, hätte er ihr nicht in die kleine Wohnung folgen können, die sie hier in London bewohnte.

Zunächst hatte er erwartet, dass Easton Weihnachten mit ihren Kollegen verbrachte. Es heißt ja, dass solche Gemeinschaften von Schaustellern auch privat ein enges Verhältnis haben. Er hatte sich fälschlicherweise vorgestellt, dass Menschen, die ein Nomadenleben führten, keine Lust auf ein Leben in den eigenen vier Wänden hatten. Aber das alles war jetzt völlig unwichtig, denn er wusste ja, wo er sie finden würde, und hatte das Grundstück heute bereits mehrmals betreten, um sich zu vergewissern, dass sie zu Hause war.

Es gab keine Garantie dafür, dass sie in der Zwischenzeit nicht weggegangen war, aber dieses Risiko nahm er in Kauf. Soweit er das beurteilen konnte, würde sie heute Abend dort sein. Und angesichts der kleinen Wohnung war auch nicht zu erwarten, dass sie Besuch bekam. Sie blieb bestimmt allein.

Natürlich würden seine bevorstehenden Aktivitäten in London schwieriger werden als in Brighton, denn überall in der Hauptstadt regierte die Angst. Aber die Desorganisation innerhalb der Polizei, für die er gesorgt hatte, dürfte sicherstellen, dass er bei der Ausführung seiner Tat nicht gestört wurde.

Die Lichter gingen erneut aus und flackerten nacheinander über die ganze Länge des Waggons wieder auf, als der Zug in der Station Baker Street ankam. Er blieb sitzen und warf einen letzten Blick auf die Menschen um ihn herum.

Die Inderin zerrte ihren Sohn bereits zur Tür und drängte sich um einen Mann in zerrissenen Jeans herum, der seinen iPod aus der Tasche zog. Als der Mann die Hand hob, um die Lautstärke in seinen Ohrhörern einzustellen, rutschte sein Ärmel hoch, und das große Zifferblatt seiner Armbanduhr war zu sehen.

Er war genau im Zeitplan.

Der Adventkiller
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