Kapitel 41

Es war Irene gelungen, mit ihren Kindern und ein paar Bediensteten in den Dom zu fliehen, wo dann auch die Leiche ihres Gemahls aufgebahrt wurde, in der Krypta, die bereits einen Papst und einem Kaiserpaar Obdach gab.

»Ihr könnt ihn später nach Speyer überführen lassen«, sagte Bischof Eckbert und wich ihrem Blick aus, »wenn die Zeiten … andere sind.«

Irene weigerte sich aus gutem Grund, den Dom zu verlassen. Sie wusste, dass sie Heinz von Kalden an ihrer Seite brauchte, doch der war mit dem königlichen Heer auf dem Weg nach Thüringen gewesen, wo Landgraf Hermann angeblich gegen unerwartet eingefallene Slawen Hilfe brauchte. Selbst bei einem seiner inzwischen legendären Gewaltritte würde der Reichshofmarschall einige Tage brauchen, bis er wieder in Bamberg war.

Man brachte Kleidung und Essen und starrte dabei betreten auf Irene und ihre Kinder. Zunächst versuchte der Erzbischof noch, sie davon zu überzeugen, dass er und seine Familie nicht das mindeste mit dem Mord an Philipp zu tun hatten. »Der Wittelsbacher ist doch fast ein Verwandter«, sagte er verlegen, »nur deswegen hat mein Bruder ihm bei der Flucht geholfen. Blutspflicht, Ihr versteht.«

»Ich verstehe nur allzu gut.«

Seine Schwester, die Königin von Ungarn, versuchte es mit Beschwörungen von Frau zu Frau und Versprechen, sich wie eine Schwester um Irene in ihrer schweren Stunde zu kümmern, weil sie nicht wissen konnte, dass Judith sie belauscht hatte.

»Ihr müsst auch an das Kleine denken, das in Euch wächst, Euer Gnaden.«

»Das tue ich, Euer Gnaden.«

Dann waren eines Tages alle Andechs-Meranier aus der Stadt verschwunden. Walther brachte die Nachricht, dass Bischof Eckbert und Dompropst Berthold es für angebracht hielten, ihre Schwester auf der weiten, gefährlichen Rückreise nach Ungarn zu begleiten, doch die Bamberger, die Irene tagaus, tagein im Dom beobachten konnten, glaubten kein Wort davon. Genauso wenig wie Heinz von Kalden, der am Abend des gleichen Tages eintraf, doch er brachte noch weitere Nachrichten. Der Bischof von Speyer, Philipps Kanzler, der dabei gewesen war, als der Wittelsbacher Philipp ermordete, hatte nicht nur dem Reichshofmarschall Nachricht gesandt, ehe er sich vorsichtshalber nach Würzburg zurückzog, sondern auch noch einem weiteren Mann.

»Der Kanzler meint, dass wir uns mit dem Welfen zusammentun müssen«, sagte Heinz von Kalden offen zu Irene, »sofort und ohne Umschweife. Er ist der Einzige, der so viel wie wir zu verlieren hat, wenn es die Andechs-Meranier wagen, Hans von Brabant als nächsten König zu wählen. Er hat zwar kampferfahrene Leute, aber jetzt braucht er auch uns. Im nächsten Jahr vielleicht nicht mehr, aber bis dahin landen Eure Töchter und Ihr im Kloster, und ich kann mein Glück als Raubritter versuchen.«

Irene legte eine Hand auf ihren Bauch. Heinz von Kalden folgte ihrer Geste mit den Augen und schüttelte den Kopf.

»Selbst, wenn es ein Junge werden sollte, macht das keinen Unterschied. Ein Kind als König taugt nicht, das war der einzige Grund, warum Euer Gemahl die Krone überhaupt genommen hat. Schaut, es ist hart, aber noch seid Ihr Königin der Deutschen, also müsst Ihr jetzt wie eine Königin denken, nicht wie eine Witwe. Wir haben endlich die Möglichkeit, Frieden zu schließen. Die Anhänger der Staufer und Welfen zusammen, so etwas hat es nicht mehr gegeben, seit unser alter Kaiser Rotbart sich mit Heinrich dem Löwen überworfen hat. Eure Tochter wird nicht nur Königin, sondern Kaiserin werden, denn nun kann der Papst Otto zum Kaiser krönen.«

»Und mein Gemahl?«, fragte Irene leise. »Wer schafft ihm Recht?«

Heinz von Kalden ergriff ihre Hand. »Ich bin immer noch der Kämpe des Königs«, sagte er rauh. »Ich schwöre Euch, dass ich dem Wittelsbacher mit meinen Händen den Garaus machen werde.«

Und Gilles?, dachte Judith, die mit Lucia bei den Kindern saß und dem Gespräch zuhörte. Aber Gilles hatte sich selbst Recht verschafft. Walther, dem niemand misstraute, war noch am Tag von Philipps Ermordung zur Altenburg zurückgekehrt, wo die Rede von drei Toten war, dem Ritter Georg, dem Knecht Hubert und dem Krüppel, der zum Gefolge der Byzantinerin gehörte. Da Letzterer aus heiterem Himmel wahnsinnig geworden war und sich auf den armen Georg gestürzt hatte, war seine Leiche »wie die eines tollen Hundes« – so drückte ein Dienstmann sich aus – mit den Küchenabfällen in den Burggraben geworfen worden. Walther fand sie nach einigem Suchen und stellte fest, dass er den Mann, den er einst in Köln an Judiths Seite zum ersten Mal erblickt hatte und der damals ein offenes, freies Lächeln auf den Lippen trug, kaum wiedererkannt hätte. Und doch, im Tode kräuselten sich seine Lippen um ein Winziges nach oben, als sei er mit Freude in sein Ende gegangen.

Es war wohl Blasphemie, doch auch ein Ausdruck der Schuld, die Walther nun nicht mehr begleichen konnte. In der Nacht, ehe Philipps Sarg geschlossen wurde, bettete er heimlich die kleine, beinlose Leiche hinein, so dass Gilles aus Aquitanien, Knappe, Söldner, Spielzeugmacher für Prinzessinnen, Ehemann von Judith und doch nie ihr Mann, nun zwischen Heiligen und Päpsten ruhte. Als Walther es Judith erzählte, musterte sie ihn einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.

»Auf so etwas kommst auch nur du«, murmelte sie.

»Und nur du bringst es fertig, noch aus allem einen Vorwurf zu machen.«

»Das war keiner«, sagte Judith kühl. »Ich wollte dir danken. Es – es war ein guter Gedanke, und es ist eine gute Ruhestätte für Gilles.«

Sie brachten es noch lange nicht fertig, miteinander zu sprechen, ohne einander zu verletzen. Da war es leichter, zu versuchen, die Kinder abzulenken, die verängstigt, erschöpft und von der Überzeugung gepackt waren, ihrem Vater nachzufolgen, sobald sie den Dom verließen. Sie waren das schwierigste Publikum, welches Walther je gehabt hatte, und er gab alles, um sie abzulenken.

* * *

Heinz von Kalden riet Irene, sich mit ihren Töchtern auf die Burg Hohenstaufen in Schwaben zurückzuziehen, dem alten Stammsitz der Staufer, um dort ihre Niederkunft abzuwarten, während er und der Bischof von Speyer die Verhandlungen mit Otto führten. Er stellte ihr genügend Männer zur Verfügung, um ihr sicheres Geleit zu verschaffen, während er seine Jagd auf den Wittelsbacher begann.

»Und die Andechs-Meranier?«, fragte Beatrix. Ihre Stimme war nicht länger die des unbekümmerten Mädchens, das Walther um Geld für Bratwürste gebeten hatte; Tränen und Rachsucht lagen darin.

»Nur ein Reichstag kann über ihre Schuld oder Unschuld befinden und sie für rechtlos erklären«, erklärte Heinz von Kalden. Es wurde Walther bewusst, dass er die Frage des Kindes beantwortete wie die einer Erwachsenen – wie die einer baldigen Königin. »Es wird ohnehin einer einberufen werden müssen, um Otto noch einmal wählen und als Herrn Philipps Nachfolger bestätigen zu lassen. Bei der Gelegenheit wird wohl auch Eure Ehe geschlossen werden.«

»Ich verstehe«, sagte Beatrix und reckte das Kinn in die Höhe, sehr bemüht, tapfer zu sein. »Wenn Herr Otto sein Wort hält, für Frieden im Reich sorgt und für Gerechtigkeit, dann werde ich gerne seine Frau.«

Walther schaute über Beatrix’ Schulter hinweg zu Judith. Obwohl er sich geschworen hatte, ihr gegenüber endlich gleichgültig zu werden, schnitt ihm der Kummer und die Sorge, mit der sie Beatrix betrachtete, zutiefst ins Herz.

Das Spiel der Nachtigall
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