Kapitel 37
Bischof Bruno von Köln hielt auf dem Schiff Hof, das ihn in sein Bistum zurückbrachte, und sprach freudig darüber, wie er ein paar Monate seiner Gefangenschaft in Trifels verbracht hatte, der gleichen Burg, wo einst König Richard festgehalten worden war. Doch für ihn seien, anders als für Richard, keine Unsummen Lösegeldes bezahlt worden. Nein, man hatte ihn aufgrund seines festen Charakters sowie der Treue seiner Stadt und der Unterstützung des Heiligen Vaters freigegeben.
»Und wegen ein paar Versprechungen an Philipp«, sagte Paul zu seinem Vater, wobei er sich dachte, dass ihm der neue Bischof nicht besser gefiel als der alte. Er wusste nicht, warum sein Vater so rundum zufrieden wirkte. Gut, sie hatten den Bischof wieder, aber dafür musste Köln sich verpflichten, Otto nur noch die Hälfte der Steuern zu bezahlen, und die andere Hälfte an Philipp. Ganz bestimmt waren auch noch weitere Abmachungen getroffen worden, von denen Paul keine Ahnung hatte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass diese einen Vorteil für Köln und für König Otto bedeuteten.
»Wir haben noch nicht einmal Jutta überzeugen können, mit uns zurückzukehren«, sagte er unzufrieden.
»Das war auch nicht meine Absicht. Sie hat sich von uns getrennt, und wir von ihr, mein Sohn. Wenn sie erneut um Obdach bitten sollte, dann würde ich es ihr vielleicht gewähren, aber nur dann. Ansonsten bleiben wir geschiedene Leute.«
»Aber«, stammelte Paul, »wenn es nicht darum ging, Jutta zurückzuholen, weswegen haben wir ihr dann Gilles gebracht?«
»Du hast mich auf dem Weg nach Speyer gefragt, warum Philipp immer noch nicht besiegt und im Gegenteil derzeit im Vorteil ist, trotz allem, was dagegen spricht, und ich habe dir erklärt, was die Fürsten dazu beitragen. Aber das ist nicht der einzige Grund. Ein anderer Grund ist, dass Philipp einen Sänger auf seiner Seite hat, der ihn seit Jahren preist und Stimmung gegen den Papst macht, der auf unserer Seite steht. Seine Lieder werden in jeder Schenke gehört. Aber nicht länger. O nein. Von nun an«, schloss Pauls Vater zufrieden, »wird Herr Walther von der Vogelweide ein anderes Lied singen.«
Paul dachte daran, wie am Boden zerstört seine Base gewirkt hatte, als er ihr die Wahrheit über Gilles und Walther enthüllte. Er sagte sich, dass es zu ihrem eigenen Besten war, nicht länger in Sünde mit einem Lügner zu leben, auch wenn das nun nicht der Grund war, der seinen Vater zum Handeln getrieben hatte. Aber er konnte nicht verhehlen, dass ihn immer noch das schlechte Gewissen wegen der Angelegenheit in Würzburg plagte, und es wäre eine gute Sache gewesen, wenn Jutta mit ihnen nach Köln zurückgekehrt wäre und sie sich alle gegenseitig vergeben hätten. Nichts davon äußerte er seinem Vater gegenüber, denn er wollte nicht schon wieder als törichter Junge dastehen. Dafür wurde er mittlerweile wirklich zu alt.
»Dann hältst du Philipp immer noch für besiegbar?«, fragte Paul. Er hielt Walthers Lieder als neue Geheimwaffe für Otto nicht für überzeugend, selbst wenn er sie gelegentlich nachsummte, ohne darauf zu achten.
»Es gibt Mittel und Wege, mein Sohn. Es gibt immer Mittel und Wege.«
* * *
Die Wartburg in Thüringen kam Walther seltsam klein vor nach mancher italienischen Feste, die er gesehen hatte, aber sie ragte immer noch wuchtig genug von ihrem Bergfried, um jeden zu beeindrucken, der kam. Sowohl der gehisste Wimpel des Landgrafen als auch die mit Gemüse, Korn und Wein beladenen Karren, die sich den Weg den Berg hinauf bahnten, verrieten, dass Hermann und sein Haushalt gegenwärtig sein mussten. Walther drehte sich zu dem Knappen um, den er auf dem Weg hierher angeworben hatte. »Der Landgraf von Thüringen hat immer eher zu viele als zu wenige Ritter um sich, und jeder von ihnen ist gut Freund mit seinen Ellbogen und lärmt laut genug, um Taube zum Leben zu erwecken. Ich will dich daher mit meinen Instrumenten immer in meiner Nähe sehen, also pass auf, dass du nirgendwo zurückgedrängt wirst.«
Der Junge, der aus einem rheinischen Dorf stammte, nickte hastig. Sein größter Vorzug war, dass er widerspruchslos tat, was ihm gesagt wurde, und vor allem keine Ahnung hatte, dass eine Frau namens Judith auf der Welt war. Wenn er es erstaunlich fand, dass Walther überall, wo sie einkehrten, mit einer Frau im Bett endete oder sich gegen eine Häuserwand gelehnt verwöhnen ließ, dann sprach er nicht davon. Er hinterfragte nicht, warum Walther eines seiner beliebtesten Lieder nicht mehr sang, Unter den Linden, auch wenn es verlangt wurde. Und wenn es ihm Angst machte, hinter Walther zu stehen, wenn dieser selbst in Schwaben Lieder sang, in denen Philipp als Geizhals bespöttelt wurde, dann beschwerte er sich nicht darüber, noch rannte er fort. Außerdem konnte er gut mit einem Knüppel und dem Messer umgehen, weswegen Walther ihn auch eingestellt hatte.
Walther machte nie den Fehler, sich mit dem Jungen über dessen eigenes Leben zu unterhalten oder zu versuchen, sich mit ihm anzufreunden. Freunde brauchte er von nun an genauso wenig, wie er Judith brauchte. Nie jemanden näher an sich heranzulassen als bis zu seinem Geldbeutel, das war die Art, wie er nun leben würde. Das Gleiche galt für Gönner. Jahrelang hatte er sich für Philipp von Schwaben eingesetzt, und das war dem Staufer gewiss so wenig wert gewesen wie Judith ihr Leben mit ihm. Wenn er Speyer nicht von sich aus verlassen hätte, dann wäre er verbannt worden, daran gab es keinen Zweifel. Nun, er würde den Teufel tun und jetzt noch königstreue Lieder singen. Was er über Judith zu sagen hatte, wäre den Menschen gleichgültig gewesen, aber sich über Philipp lustig zu machen, brachte Zuhörer – und neue Gönner.
Nicht nur war Landgraf Hermann anwesend, er zeigte sich auch gesonnen, Walther zu empfangen, als er bei seinem Haushofmeister vorsprach. Man brachte ihn sofort in den Palas.
»Das nenne ich eine Überraschung«, sagte Hermann und zeigte lachend und voller Stolz alle seine Zähne. Dass er sie noch besaß, war selten bei Männern von fünfzig, und so alt musste der Landgraf von Thüringen mindestens sein. Doch er hatte stets nicht nur reich, sondern auch gut gelebt und das Kunststück fertiggebracht, sehr vielen Menschen Schaden zuzufügen, ohne ihn selbst zu nehmen. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass er immer noch kräftig zubeißen konnte.
»Euer Gnaden.«
»Herr Walther von der Vogelweide hat uns in der Vergangenheit gelegentlich die Ehre gegeben und sogar an unserem Sängerwettstreit teilgenommen«, bemerkte Hermann an den Mann gewandt, der neben ihm saß und in den reichbestickten dunklen Roben eines Geistlichen von Stand und Pfründen gekleidet war. »Sein letzter Besuch ist allerdings schon ein Weilchen her. Umso besser, dass er jetzt hier ist. Schließlich haben wir Hochzeiten zu planen! Was braucht man da mehr als gute Sänger?«
Der Geistliche räusperte sich. »Eine Einigung über die Mitgift«, sagte er bedeutungsvoll. Hermann lachte.
»Herr Walther, dies ist Graf Berthold von Andechs. Ich habe für meinen kleinen Ludwig um seine Nichte angehalten, die Tochter des Königs von Ungarn, und was soll ich Euch sagen, ich glaube, mir wird bald eine neue Schwiegertochter zuteil.«
Eine, die noch ein Säugling ist, wie Walther sich dunkel erinnerte. Ehen zwischen Fürstenkindern wurden oft früh geschlossen, aber Hermann schien es besonders eilig zu haben. Vielleicht hatte das auch mit seinem höchst erwachsenen Schwiegersohn zu tun, denn Walther konnte sich nicht vorstellen, dass Dietrich von Meißen glücklich darüber war, nunmehr als Erbe von Thüringen durch Hermanns männliche Nachkömmlinge aus dem Feld geschlagen worden zu sein. Einen Moment lang fragte er sich, ob Dietrich den Grimm darüber an seiner Gemahlin ausließ, dann verdrängte er den Gedanken. Sich um niemanden zu kümmern, das war sein neuer Wappenspruch. Schon gar nicht um Frauen namens Jutta.
»Soll ich dann Kinderlieder bei der Hochzeit singen, Euer Gnaden?«, fragte er höflich.
»Wenn Ihr es nicht lassen könnt. Aber Ihr wisst ja, Hochzeiten sind vor allem der Gäste wegen ein Vergnügen, und das gilt nicht nur für die Feier zwischen meinem Herzbuben und Elisabeth von Ungarn. Das Haus Andechs-Meranien wird nächstes Jahr gar nicht mehr aus den Hochzeitsfeiern herauskommen, nicht wahr, Herr Berthold?«, fügte Hermann mit einem Rippenstoß hinzu.
Der Geistliche nickte mit einem etwas gequält wirkenden Lächeln. »Wir sind eben eine große Familie.«
So konnte man es auch ausdrücken. Ein Brief fiel Walther wieder ein, aus der Schreibtruhe von Bischof Wolfger. Eckbert, einer von Herrn Bertholds Brüdern, war nun der Bischof von Bamberg, seine Schwester Gertrud die Königin von Ungarn, und dann gab es noch eine Schwester, die den König von Frankreich geheiratet hatte. Man konnte sich fragen, wer in der Familie noch zum Heiraten zur Verfügung stand. Da er auf der Suche nach neuen Gönnern war, gab Walther sich einen Ruck und fragte, wen man denn noch beglückwünschen dürfe.
»Ja, wisst Ihr das denn nicht?«, fragte Hermann mit einer Überraschung, die zu dick aufgetragen war, um nicht gespielt zu sein. »Und ich dachte, Ihr kommt geradewegs vom Hof des guten Philipp zu uns. Herrn Bertholds ältester Bruder wird im nächsten Sommer mit einer Stauferin vermählt werden, eine von Philipps Nichten. Oder handelt es sich um seine Tochter?«
»Nein, eine Tochter ist es nicht«, entgegnete Berthold mit einem gezwungen wirkenden Lächeln, was bedeutete, dass seine Familie wohl auf eine von ihnen gehofft hatte. Nichten gab es sowohl durch Philipps tote Brüder als auch wegen einer nach Burgund verheirateten Schwester, aber das spielte keine Rolle für Walther. Wenn die Andechs-Meranier in die Familie der Hohenstaufer einheirateten, legten sie gewiss keinen Wert auf einen Sänger, der gerade so gut wie von Philipps Hof verbannt worden war. Dass Walther nicht mehr zu seinen Anhängern zählte, musste sich schon herumgesprochen haben, wie Hermanns Worte zeigten. Der Landgraf selbst hatte nie auf einer anderen Seite gestanden als derjenigen, die ihm gerade mehr Einkünfte zuschanzte, und glühte nur für sich, nicht für Welfen oder Staufer. Das war auch der Grund, warum Walther nach Thüringen gegangen war; deswegen wunderte ihn Hermanns leicht höhnischer Ton. Es fragte sich nur, wem der Spott gerade galt: ihm oder dem geistlichen Grafen? Er beschloss, ein wenig vorzupreschen, wenn es sich lohnte. Was hatte er schon zu verlieren?
»An Eurer Stelle würde ich die Hochzeit so rasch wie möglich stattfinden lassen, Euer Gnaden«, sagte er zu Berthold. »Herr Philipp ist nicht eben dafür berühmt, dass er Versprechungen hält, schon gar nicht, was Nichten und Neffen betrifft. Fragt dazu den jungen Friedrich auf Sizilien!«
Das kurze Schweigen wurde von dem Gegröle und Geschwätz am anderen Tischende übertönt, wo Hermanns Ritter und Dienstleute saßen. Walther hatte nicht übertrieben, als er seinem neuen Knappen von dem ständigen Lärm auf der Wartburg erzählte.
»Wohl gesprochen«, sagte Hermann schließlich. Er lachte nicht, und der Stimme fehlte auch die übertriebene Verwunderung; stattdessen klang er sehr, sehr zufrieden. »Habe ich Euch nicht das Gleiche gesagt, Herr Berthold?«
Berthold von Andechs rückte unbehaglich an seinem Kragen.
»König Philipp hat sich an die einjährige Waffenruhe des Papstes gehalten. Er hat dem Pfalzgrafen von Braunschweig überlassen, was er diesem versprach. Er hat den neuen Bischof von Köln seinem Bistum zurückgegeben. Und mein Bruder Eckbert ist nun vom Papst als Erzbischof von Bamberg bestätigt, ganz, wie es versprochen wurde. Mir scheint Herr Philipp sehr wohl ein Mann seines Wortes zu sein, und ich sehe keinen Grund, das lose Geschwätz eines undankbaren fahrenden Sängers dagegenzuhalten.«
Hermanns Augen glitzerten, aber er schwieg. Walther hatte inzwischen zu viel Erfahrung mit hohen Herren, um nicht zu wissen, dass er gerade auf seinem Prüfstein stand, nicht auf Bertholds.
»Euer Gnaden, wenn man eine Hochzeit ausrichtet, dann hört man gewiss die schönsten Geschichten von den Verwandten der Braut. Aber wenn man wissen möchte, wie es hinterher um die Bezahlung der Feier aussieht, dann sollte man sich am besten nicht an die Familie wenden, sondern an den Schneider, der dem Brautvater für gewöhnlich die Festroben liefert, ohne die er nackt wäre. Wenigstens ist das bei einfachen Leuten so. Als fahrender Sänger weiß ich natürlich nicht, wie es in dieser Hinsicht bei wahrhaft edlen Familien zugeht.«
Berthold von Andechs entgegnete nichts. Stattdessen starrte er auf einmal mit höchster Konzentration auf das Schachbrett, das zwischen ihm und Hermann stand, obwohl sich noch alle Figuren in ihrer ursprünglichen Position befanden und keiner von beiden Anstalten gemacht hatte, ein Spiel zu beginnen, ehe Walther eintrat. Seine Wangenmuskeln zuckten, als schluckte er mehrmals.
»Es ist gut, Herr Walther«, sagte Hermann und schnurrte beinahe wie eine Katze. »Ihr könnt gehen. Und bleiben, versteht sich. Ich hoffe doch, dass Ihr uns wenigstens bis über die Weihnachtsfeiertage die Ehre gebt? Meine ganze Familie wird bei mir sein, meine lieben Kinder, groß und klein. Da will man als Vater einfach etwas für Unterhaltung sorgen.«
* * *
Es war Beatrix, die Judith als Erste und Einzige fragte, wann denn Herr Walther wiederkäme. Sie war alt genug, um zu verstehen, welcher Art die Beziehung zwischen der Magistra und dem Sänger gewesen war, und sie dachte, wenn jemand Bescheid wisse, dann gewiss die Ärztin. Beatrix liebte Gesang und Geschichten und hatte bereits begonnen, selbst Lieder zu verfassen, obwohl sie bisher über vier oder fünf Zeilen nicht hinauskam und besser darin war, nach anderer Leute Melodien auf Laute und Harfe zu spielen. Also genoss es Beatrix immer sehr, wenn Sänger wie Herr Walther an den Hof ihres Vaters kamen, und sie plante heimlich, allen Mut zusammenzunehmen, um ihm ihre Lieder vorzuspielen, mit denen sie zufrieden war. Aber dann verschwand er von einem Tag auf den anderen. Niemand schien zu wissen, wann er wiederkommen werde. Dafür wurden die Lektionen in Sprachen, höfischem Benehmen und der Kunst, einem großen Haushalt vorzustehen, verdoppelt, was bedeutete, dass es ernsthafte Heiratsverhandlungen für sie gab. Das sollte sie mehr kümmern als die plötzliche Abwesenheit eines Sängers, das wusste Beatrix. Doch es war nun einmal so, dass sie keinen der Männer kannte, von denen man tuschelte, also zog sie es vor, nicht weiter über eine Heirat nachzudenken, die am Ende vielleicht doch nicht zustande kommen würde. Das lag alles in der Zukunft und war noch nicht wirklich.
Stattdessen fragte sie die Magistra, ob man denn mit Herrn Walther zu Weihnachten wieder würde rechnen können.
»Nein«, entgegnete diese knapp. Das Wiederauftauchen ihres Gemahls, des Krüppels, hatte sie zu einer einsilbigeren, manchmal unfreundlicheren Person gemacht, entschied Beatrix. Das gefiel ihr nicht. Sie mochte die Magistra so, wie sie früher gewesen war.
Kunigunde meinte, dass die Magistra Walther ihres Gemahls wegen weggeschickt haben könnte, doch Kunigunde war ein albernes kleines Mädchen, nicht eine bald erwachsene Frau wie Beatrix, die nicht verstand, was es mit den Regeln der Minne und Courtoisie auf sich hatte. »Ein Troubadour oder Sänger«, belehrte Beatrix ihre kleine Schwester, »minnt immer eine Dame, die anderweitig gebunden ist. Das ist die Regel. Sonst hätte er ja nichts, worüber er dichten könnte. Aber er weicht auch nicht von ihrer Seite, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Wenn du erst verheiratet bist, wirst du dann auch einen Sänger haben, der dich minnt?«, fragte Kunigunde.
»Ich werde eine große Dame sein, eine Herzogin mindestens«, erklärte Beatrix, »und alle Herren an meinem Hof werden mir zu Füßen liegen. Also mindestens drei Sänger.« Was sie Kunigunde nicht verriet, gehörte zu ihren bestgehütetsten Geheimnissen: Sie wusste, dass Herr Walther auch über die erwiderte Liebe sang, und wenn die Magistra ihn nicht mehr wollte, dann würde sie ihn an ihren eigenen Hof bitten. Wenn ihr Gatte eine Enttäuschung sein sollte, dann würde sie Herrn Walther zu ihrem Ritter machen. Dabei wäre es allerdings wirklich hilfreich, ihn erst als Lehrer zu gewinnen und damit zu beeindrucken, wie gut auch sie Lieder dichten konnte. Das war unmöglich, wenn er nicht an den Hof zurückkehrte!
Sie fand erneut einen Grund, die Magistra aufzusuchen. »Man sagt, Ihr wüsstet Mittel, um die Haut heller und die Lippen röter zu machen«, begann Beatrix und dachte bei sich, dass man es der Magistra nicht ansah. Es war spät im Herbst, und trotzdem hatte sie Sommersprossen im Gesicht und Bräune, weil sie viel mehr Zeit als nötig im Freien verbrachte. Dafür waren ihre Lippen sehr bleich.
»Die brauchst du jetzt noch nicht«, gab die Magistra zurück; dabei wirkte sie zum ersten Mal seit geraumer Zeit nicht kurz angebunden, sondern belustigt. »Deine Lippen sind rot genug, und glaub mir, Mittel für deine Haut wirst du noch reichlich von mir bekommen, wenn du erst zu bluten anfängst. Bis dahin kannst du es genießen, noch keine nötig zu haben.«
Eigentlich sollte die Magistra sie nicht mehr wie ein Kind ansprechen, aber Beatrix wollte nicht darauf beharren, Euer Gnaden genannt zu werden, nicht jetzt, wo sie Wichtigeres hatte, über das sie reden wollte. »Ich hatte gedacht, Ihr würdet mir sagen, dass es für mich nicht wichtig sein sollte, schön zu sein, weil es darauf bei meiner Ehe ohnehin nicht ankommt.«
»Es kommt für dich darauf an, zufrieden mit dir zu sein«, entgegnete die Magistra. »Du wirst schon noch herausfinden, ob du glücklicher mit heller oder dunkler Haut bist.«
Beatrix runzelte die Stirn. Sie hatte die olivfarbene Haut ihrer Mutter geerbt, wie sie manche Leute aus dem Süden besaßen. Deswegen ging sie im Sommer nicht mehr so häufig hinaus wie früher, denn sie wurde sehr schnell sehr braun, und sie wusste, dass die Dichter nur helle Haut in ihren Liedern priesen.
»Schönheit ist oft liebeleer«, zitierte sie, denn deswegen war sie eigentlich gekommen; ihre Frage war nur ein Vorwand gewesen. »Liebe freut das Herz viel mehr, der Liebe steht die Schönheit nach. Doch Liebe macht die Frauen schön, aber Schönheit kann niemals die Lieb erhöhn.«
Die Magistra sagte nichts.
»Das hat Herr Walther von der Vogelweide verfasst.« Noch immer sagte die Magistra nichts, also entschloss sich Beatrix, tollkühn zu sein. »Vor ein paar Jahren. Da muss er entweder eine schöne Frau geliebt haben, die ihn nicht zurückliebte, oder eine nicht so schöne Frau, die seine Liebe erwiderte. Was meint Ihr denn, dass es war?«
Jetzt kam Farbe in die Wangen der Magistra, und Beatrix gratulierte sich. Sie hatte gewusst, dass keine Frau so eine Unterstellung unwidersprochen lassen konnte; deswegen hatte sie zwei Interpretationen gewählt, die alle beide falsch waren. Die Magistra musste sich verteidigen und würde erzählen, was zwischen ihr und Walther geschehen war!
»Herr Walther«, sagte die Magistra und klang fast schneidend, »hat immer und einzig nur sich selbst geliebt. Was er in Frauen sah – ob schön, hässlich oder keines von beiden –, war daher nur das, was er sehen wollte. Etwas anderes hat ihn nie gekümmert.«
Das trieb Beatrix die Tränen in die Augen, denn wenn es stimmte, dann war ihr Held kein Held, und wenn es eine grausame Lüge war, dann war die Magistra nie Herrn Walthers Liebe wert gewesen. »So etwas dürft Ihr nicht sagen«, flüsterte sie mit zitternden Lippen. »Warum tut Ihr das? Ich verbiete es!«
Die Magistra seufzte, setzte sich neben Beatrix und antwortete leise: »Wenn man in einer offenen Wunde herumstochert, dann schlägt der Patient nach einem. Deswegen sollte man das lassen, vor allem, wenn man nicht weiß, wie die Wunde zu heilen ist.«
Das tröstete Beatrix ein wenig, denn immerhin bewies es, dass die Magistra um Walther litt. Sie beschloss, großmütig das Thema zu wechseln: »Warum verbringt Ihr so viel Zeit im Freien? Es ist mittlerweile oft kühl da draußen. Wenn es nur um die Kräuter und Wurzeln geht, die könntet Ihr doch auch von Knechten oder Mägden einsammeln lassen.«
Die Magistra betrachtete sie prüfend, wie um festzustellen, ob Beatrix alt genug für die Wahrheit war. »Mein Gemahl verbringt gerne Zeit im Freien. Er wurde jahrelang in engen Verschlägen und Kisten eingesperrt und nur hervorgeholt, um Menschen vorgeführt zu werden. Aufgrund seiner Verfassung kann ich ihn aber nicht alleine lassen.«
Beatrix vermied es, dem Gemahl der Magistra zu begegnen. Sie fand keine Freude daran, Krüppel zu betrachten. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, Bettlern gegenüber milde zu sein, und vor den Kirchgängen gab Beatrix gewissenhaft von dem Geld, was ihr für Wohltätigkeit gegeben wurde, an die Armen, die sich vor den Portalen jedes Doms und Münsters versammelten, wenn ihre Familie kam. Aber es schauderte sie beim Anblick dieser Leute, und sie wunderte sich, dass es der Magistra nicht so ging, bis sie sich erinnerte, dass sie als Ärztin wohl an so etwas gewöhnt war.
Was die Magistra nun über ihren Gatten erzählte, stimmte Beatrix traurig, nicht zuletzt, weil es ihn mit einem Mal zu einem wirklichen Menschen machte, der Wünsche hegte. Wahrscheinlich war sie dem Gemahl der Magistra als kleines Kind begegnet, ehe er seine Beine verlor und wunderlich wurde, aber sie konnte sich nicht daran erinnern. Beatrix stellte sich vor, dergleichen würde ihrem Vater geschehen – gewiss würde die Mutter ihn dann auch nicht im Stich lassen, sondern mit ihm in der Sonne sitzen, solange es möglich war.
Bisher hatte sie die Magistra für töricht gehalten, falls sie Herrn Walther tatsächlich ihres Gatten wegen fortgeschickt hatte, wie Kunigunde vermutete. Doch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, machte es aus der Magistra die Heldin eines Liedes, die treue Dame, die ihrem Ritter auch beistand, wenn er entstellt war. Oder die Bauerstochter im Lied vom armen Heinrich, die ihren Ritter nach Salerno brachte, damit er dort geheilt würde.
»Wisst Ihr, wen ich heiraten soll?«, fragte Beatrix plötzlich.
»Wenn deine Mutter es mir erzählt hätte, dann wäre das vertraulich geschehen, und ich dürfte es dir nicht weitergeben. Genau, wie ich ihr nicht erzählen werde, was du mir anvertraust.«
»Dann steht bereits ein Mann fest?«, platzte Beatrix heraus. »Nicht der Wittelsbacher! Bitte sagt, dass es nicht der Wittelsbacher ist. Den habe ich letztes Jahr auf einem Hoffest gesehen. Er kann nicht tanzen und hat eine wiehernde Stimme.«
»Was habe ich gerade über Vertraulichkeit gesagt?«
»Meine Mutter hat einen edlen jungen Fürsten geheiratet, einen König. Ich wünschte, das könnte ich auch tun«, sagte Beatrix.
»Dein Vater war ein Herzog, als deine Eltern heirateten, und noch weit vom Thron entfernt.«
»Aber er war edel und jung«, beharrte Beatrix. »Eine Zeitlang dachte ich, es würde vielleicht der Älteste der Andechs-Meranier als möglicher Herzog für Bayern«, fuhr sie fort, »weil gar so viele Gesandte mit dem Wappen derer von Andechs eintrafen, aber letzte Woche habe ich gehört, dass meine Base mit ihm verheiratet wird. Der älteste Sohn des Landgrafen von Thüringen, der wäre fast in meinem Alter, aber mein Vater sagt, der Mann habe einen Rachen, der nicht satt werden will und den man nicht mehr stopfen dürfe, sonst würde er das ganze Reich verschlingen. Das klingt nicht so, als ob er mich mit seinem Sohn verheiraten will. Im Übrigen habe ich gehört, dass der eine ungarische Königstochter bekommt, obwohl sie noch ein Säugling ist.«
»Nun, an deiner Stelle wäre ich froh, denn sonst müsstest du nach Thüringen gehen. Wie es heißt, besteht Landgraf Hermann darauf, dass die kleine Ungarin sofort zu ihm gebracht wird. Das würde er bei dir auch verlangen.«
»Ich bin nicht dumm«, sagte Beatrix. »Ich weiß, dass ich nicht mehr lange bei meinen Eltern bleiben werde. Das gehört sich so. Aber Ihr könntet wenigstes mit mir üben, wie ich mir die Lippen röten und die Wangen bleichen kann, bis das geschieht. Außerdem hätte ich gerne blonde Haare statt schwarzer, aber ich glaube, das ist hoffnungslos. Ihr schaut doch mehr wie eine Stauferin aus als ich, mit Eurem roten Haar.«
»Über das Lippenrot lässt sich reden«, gab die Magistra nach. »Aber deine Haut ist gut so, wie sie ist.«
Das war ein unerwarteter Triumph, und Beatrix entschloss sich, die Gunst der Stunde und die offenbar nun weichere Stimmung der Magistra zu nutzen. »Wir werden nach Bamberg gehen nächstes Jahr, um die Hochzeit meiner Base dort zu feiern«, sagte sie. »Bis dahin werden sie wohl auch für mich die Heiratsverhandlungen vorangetrieben haben. Könnt Ihr meine Mutter bitten, dass sie mir meinen Bräutigam dort vorstellt, damit ich ihn nicht erst bei meiner eigenen Hochzeit sehe?«
»Bitten kann ich, aber ob die Bitte erhört wird, steht in den Sternen.«
Beatrix konnte es nicht lassen. »Frau Glück verteilet rings um mich, doch mir kehret sie den Rücken zu, doch will sie nicht erbarmen sich; was muss ich tun dazu?«
Das war aus einem ganz neuen Lied Herrn Walthers, das ihr neulich erst ein Spielmann gesungen hatte, und wenn die Magistra es erkannte, bewies es, dass sie insgeheim doch noch auf eine Versöhnung hoffte. Wenn ihr die Verse dagegen unbekannt waren, schien Hopfen und Malz verloren.
»An deiner Stelle würde ich mich nicht als unglücklich bezeichnen«, entgegnete die Magistra und wählte eine dritte Möglichkeit, an die Beatrix nicht gedacht hatte, nämlich die, das Zitat wörtlich und als ihre eigene Aussage zu nehmen. »Sonst endest du noch in einer Ehe mit einem neunzigjährigen Greis.«
»Der Vater will mich doch nicht mit dem Zähringer verheiraten?«, rief Beatrix bestürzt. Die Magistra lachte.
»Der ist keine neunzig, sondern höchstens fünfzig, und ich glaube nicht, dass er um dich angehalten hat.«
Beatrix verabschiedete sich und stöberte den obersten Schreiber auf, von dem sie verlangte, ihr alle neunzigjährigen Edelleute zu nennen. Zwar glaubte sie nicht, dass die Magistra anders als im Scherz gesprochen hatte, doch man konnte nie wissen. Erst, als der Mann ihr die beruhigende Auskunft erteilte, dass ihm keine noch lebenden neunzigjährigen deutschen Edelleute bekannt seien, wurde Beatrix bewusst, dass sie die Magistra wieder verlassen hatte, ohne die Bitte loszuwerden, sie möge doch nach Herrn Walther senden, damit er zu Weihnachten oder doch wenigstens im nächsten Jahr nach Bamberg käme. Und nun wusste sie nicht, ob sie den Mut dazu aufbrachte, sie erneut auszusprechen, denn was die Magistra über Walther und die Liebe gesagt hatte, machte ihr zu schaffen. Also war es besser, nicht darüber nachzudenken, beschloss Beatrix.
* * *
Es ist gut, dass genügend Holz und Kohlen in die Burg gebracht worden sind, dachte Dietrich von Meißen. Er wurde nicht jünger; allmählich spürte er die Kälte des Winters in seinen Knochen. In diesem Jahr war er versucht gewesen, die Weihnachtsfeiertage in einer seiner eigenen Residenzen zu verbringen. Was gab es auch schon groß zu feiern? Er fand es geradezu widerwärtig, wie sein Schwiegervater sich mit der ungarischen Ehe für den kleinen Ludwig großtat.
»Wenn eines der beiden Bälger stirbt, ehe sie erwachsen sind, wird er sich schön dumm vorkommen«, hatte er seiner Gemahlin gegenüber geknurrt. »Ich möchte nicht wissen, wie viel er den Andechs-Meraniern dafür gezahlt hat, dass sie diese Heirat vermittelt haben. Schließlich müssen die noch Schulden begleichen – der Bamberger Bischofssitz war garantiert sehr teuer.«
»Deine Sorge um das Leben meines kleinen Bruders ist rührend«, hatte Jutta in ihrer erzürnenden Art gesagt, die er nur nicht Hohn nennen konnte, weil an dem Wortlaut nichts auszusetzen war. »Und um die Geldmittel meines Vaters. Es wird ihm bestimmt das Herz wärmen, wenn du beides zu Weihnachten auf der Wartburg zum Ausdruck bringst.«
Als ob sie nicht auch enttäuscht war, dass sie und er nun nicht als Landgräfin und Landgraf von Thüringen enden würden! Gewiss, es war noch nicht aller Tage Abend. Kinder starben. Von seinen eigenen waren zwei tot, aber Jutta hatte ihre Pflicht getan, und vier weitere waren am Leben. Es war durchaus möglich, dass der kleine Ludwig mit seiner noch kleineren ungarischen Königstochter nicht sehr alt werden würde, aber unglücklicherweise hatte er bereits zwei Brüder und ein paar Schwestern dazu. Hermanns zweite Frau war geradezu widerwärtig fruchtbar und hatte erst in diesem Jahr einen vierten Sohn zur Welt gebracht. Es war, als ob sich alles wieder einmal gegen ihn verschworen hätte, um Dietrich das zu nehmen, was ihm zustand. Treue und Ehre lohnten sich erkennbar nicht mehr.
Dietrich hatte es nicht gehalten wie sein Schwiegervater: Er war stets bei Philipp geblieben, nachdem er einmal seinen Eid auf die staufische Seite geschworen hatte. Bei Hermann dagegen war es ein ständiger Scherz, dass seine Sänger immer darauf achtgeben mussten, als wessen treuen Vasallen sie ihn dieses Jahr zu preisen hatten, weil es so leicht war, dabei den Ereignissen hinterherzuhinken. Aber wessen Ländereien waren in all den Kriegsjahren immer größer geworden? Die Hermanns! Die Ländereien, die Dietrich nun nicht erben würde.
»Wenn dein Vater heute zur Hölle fahren würde, sollte es mir nur recht sein. Verrate mir nur einen Grund, warum ich die Weihnachtsfeiertage nicht in meinen eigenen Räumen verbringen sollte!«
Seine Gemahlin hatte ihn mit einer Miene gemustert, von der er glaubte, dass es Verachtung war. Das stand ihr nicht zu. Sie war für ihn genauso eine Enttäuschung gewesen wie ihr Vater. Gewiss, sie hatte ihm Kinder geschenkt, aber sie war nun nicht mehr das schöne Mädchen, das er geheiratet hatte. Jutta war kräftiger geworden, und ihr blondes Haar, das einmal die Farbe von reifem Weizen gehabt hatte, schimmerte bereits an manchen Stellen grau. Nicht, dass er es oft zu sehen bekam; er verbrachte nicht viel Zeit in ihrem Bett. Es gab genügend willigere, jüngere und hübschere Frauen für den Markgrafen von Meißen, und Kinder schenken konnten die ihm auch. Er hatte bereits vier uneheliche Söhne; die Töchter zählte er nicht.
Eines jedoch besaß Jutta, das musste er zugeben: einen scharfen Verstand. Deswegen war er nach all den Jahren auch widerwillig bereit, hin und wieder auf sie zu hören.
»Er hat dich eingeladen.«
»Das tut er jedes Jahr.«
»Nein«, hatte Jutta erklärt, »er bittet mich jedes Jahr, die Weihnachtsfeiertage mit ihm zu verbringen. Dich erwähnt er nie. Du gehst einfach nur davon aus, dass die Einladungen auch für dich gelten. Bis auf dieses Jahr. Da hat er ausdrücklich dich eingeladen, und das heißt, dass er dich für irgendetwas ganz Bestimmtes braucht. Es muss wichtig sein, denn sonst hätte er sich die Mühe nicht gemacht, dazu geheim, sonst hätte er dich offen auf die Wartburg gebeten oder wäre zu dir gekommen. Doch offensichtlich braucht er einen Anlass, bei dem sich keiner wundert, warum du auftauchst, denn zur Verlobungsfeier für meinen kleinen Bruder bist du nicht erschienen.«
Das war es letztendlich, was Dietrich nun auf die Wartburg getrieben hatte, obwohl er sich erst noch eine Weile zierte und sich in dem Gefühl sonnte, Hermann brauche ihn. Aber er wusste auch, dass er sich nicht zu lange darin sonnen durfte. Sein Schwiegervater war durchaus imstande, ihn ganz und gar fallenzulassen, und auch, wenn Dietrich sich sagte, dass er ihn längst nicht mehr brauchte, wollte er ihn dennoch nicht zum Feind haben. Dazu war Thüringen zu groß, die Grafschaft Meißen noch zu klein. Außerdem war da noch die unleugbare Tatsache: Hermanns Unternehmungen hatten meist ein gewinnträchtiges Ergebnis. Wenn er wirklich Dietrich dabei brauchte, dann wäre es immerhin möglich, dass diesmal auch er einen fetten Gewinn einstrich.
Nach ihrer Ankunft auf der Wartburg mussten sie erst die verwandtschaftliche Schöntuerei hinter sich bringen, die zu allem Überfluss auch noch darin bestand, nachträglich dem kleinen Bräutigam Ludwig zu gratulieren. Immerhin war das ungarische Balg noch nicht da; seine Mutter hatte darauf gepocht, ein Säugling wäre einfach noch zu jung, um fortgegeben zu werden. Nachdem Ludwig und seine kleinen, vor Gesundheit strotzenden Brüder mit Dietrichs eigenen Sprösslingen fortgeschickt wurden, gab es immer noch keine Möglichkeit, endlich zur Sache zu kommen, weil Hermann ein Festmahl gab, was wieder eine widerwärtige Protzerei war. Andere Fürsten mochten auf die Festmähler während der Feiertage hin sparen müssen, aber nicht Hermann, o nein, Hermann verköstigte nicht nur all seine Dienstleute und den Adel der Umgebung, sondern hatte auch ein halbes Dutzend Spielleute und Sänger zu Gast, einschließlich derer, die so taten, als wären sie von Ritterstand, wie Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. Letzterer hatte zwar den Vorzug, nie langweilig zu sein, aber Dietrich wollte endlich erfahren, warum ihn sein Schwiegervater sprechen wollte. Bei dem Loblied auf Hermann, das es irgendwie fertigbrachte, den Sänger gleichzeitig mit seinem Schwiegervater zu loben – »Ich zähl mich zu des milden Landgrafen Hofgesinde, es ist mein Brauch, dass man mich immer bei den Besten finde« –, trommelte er deshalb ungeduldig mit seinen Fingern auf den Tisch und unterhielt sich laut mit einem von Hermanns Dienstmännern, damit die Darbietung rasch ein Ende fand. Außerdem brüllte er nach mehr Wein.
Dann allerdings wurde auch seine Aufmerksamkeit durch Walthers Vortrag geweckt, weil mehr und mehr Leute an den Tafeln zu ihm, Dietrich, hinschauten, dann wieder zu Walther, dann wieder zu ihm, und leises Glucksen durch den Saal glitt, zusammen mit dem üblichen Schmatzen und Schlürfen. Dietrich lauschte dem, was Walther vortrug, um den Grund der allgemeinen Belustigung zu entdecken.
Wer Schwäch’ im Ohr als böse Krankheit hat,
Der bleib’ Thüringens Hof fern, so ist mein Rat:
Denn käm’ er dahin, er würde ganz betöret.
Auch ich drängt’ mich hin, weil ich nicht vermag:
Verzichten was der Tisch trägt, bei Nacht und am Tag.
Doch ein Wunder ist’s, dass von uns noch einer höret.
Der Landgraf ist so hochgemut,
Dass er mit stolzen Helden sein Hab vertut,
Damit jeder sein tapferer Kämpe wär’.
Mir ist sein hoher Sinn wohl kund:
Und kost’ guter Wein selbst tausend Pfund,
Da ständ’ doch keines Ritters Becher leer.
Je weiter der Sänger kam, umso mehr fühlte sich Dietrich nach Frankfurt zurückversetzt, zu jenem Hoftag, als Walther sie alle mit seinen frechen Versen über die Fürsten belustigt hatte, die den Kaiser doch zu eigenem Nutzen ins Heilige Land fahren lassen sollten. Jetzt war er noch nicht sicher, ob es Zorn oder Gelächter war, das in ihm aufwallte. Wenn er sich nicht täuschte, dann hatte der Sänger gerade die Stirn gehabt, die Tischgesellschaft, von deren Gastfreundschaft er lebte, als lärmende Säuferrunde zu bezeichnen. Eigentlich sollte ihn wirklich jemand durchprügeln. Aber andererseits war das allemal besser, als noch mehr Lobhudeleien darüber zu hören, wie wundervoll Hermann war. Außerdem, völlig unrecht hatte der Mann nicht. Es war wirklich sehr laut hier, und anders als Dietrich, der von sich behaupten konnte, wahrlich ein in Schlachten erprobter Held zu sein, waren gewiss sehr viele Angeber hier, die nur an Hermanns Reichtum teilhaben wollten. Überdies, wenn man es recht bedachte, stellte das Lied auch Hermann selbst nicht ins beste Licht: Statt den edlen, milden Fürsten aus dem ersten Lied schilderte es nun den Gastgeber einer Prasserbande. Ein Grinsen stahl sich auf Dietrichs Gesicht. Dann hieb er mit der Hand auf den Tisch und begann zu lachen, so laut, dass bald alle um ihn herum mit einfielen. Dabei lächelte Hermann sein eingeübtes Landgrafenlächeln und bedeutete Dietrich, er möge später zu seiner Kammer kommen. Dort warteten, so stellte sich heraus, nicht nur mehrere Bettpfannen auf ihn, die Hermanns Schlafstätte erwärmten, sondern auch seine Frau, die ihn seit Jahren mit einem Erben nach dem anderen versorgte. Dietrich runzelte die Stirn.
»Ich dachte, Ihr wolltet ein wichtiges Gespräch mit mir führen.«
»Mann und Weib ein Leib«, entgegnete Hermann. »Ich will nicht hoffen, dass du es bei meiner Tochter anders hältst, mein Sohn.«
Es gab Dinge, von denen Dietrich wünschte, Hermann hätte sie an Jutta vererbt, aber die hinterlistige Art und Weise, zu spotten, ohne dass man die Gelegenheit hatte, sich offen beleidigt zu zeigen, die gehörte nicht dazu.
»Außerdem«, fuhr Hermann fort, »war es mein Täubchen Sophia, das mich auf einen Gedanken gebracht hat, der bei dem von Bedeutung ist, was ich dir zu sagen habe, Dietrich.«
Soweit Dietrich das unter den Bettdecken ausmachen konnte, war Sophia, die im gleichen Alter wie Jutta war, durch die Geburten nicht weniger in die Breite gegangen, doch Hermann schien das nicht zu stören. Er biss spielerisch in ihre üppige Schulter, die aus den Kissen herausragte, ehe er sich wieder Dietrich zuwandte. »Sie ist eine Wittelsbacherin, meine kleine Sophia.«
Ja, wir wissen alle, dass du reich geheiratet hast, dachte Dietrich. Für ihn waren die Wittelsbacher gewöhnliche Aufsteiger, die es nie bis zum Herzogstand gebracht hätten, wenn nicht der alte Barbarossa das Herzogtum Heinrichs des Löwen zerschlagen hätte. Dabei war den Wittelsbachern Bayern zugefallen. Zugegeben, sie hatten es bisher fertiggebracht, sich Bayern zu erhalten, aber vergleichbar mit wahrhaft alten und reichen Geschlechtern waren sie wirklich nicht.
»Einem ihrer Vettern erging es nicht so gut wie mir dieses Jahr«, fuhr Hermann vergnügt fort. »Er trug sich mit Freiersgedanken, aber was soll man sagen, unser guter Philipp hat ihn einfach abblitzen lassen.«
»Euch etwa nicht?«, fragte Dietrich, der sich nicht länger zusammennehmen konnte und endlich auch einen Hieb austeilen wollte. »Es sollte mich wundern, wenn Ihr Euch nicht auch um eine von Philipps Töchtern bemüht hättet. Immerhin habt Ihr mehr als einen Sohn zu vermählen.«
Enttäuschenderweise zeigte sich Hermann nicht verärgert ob dieser Anspielung. »Das habe ich in der Tat«, entgegnete er. »Aber leider scheint Philipp der Ansicht zu sein, die Vermählung einer seiner Töchter mit einem meiner Söhne würde nicht in meiner unzerbrüchlichen Treue für ihn enden, und meine Mitgiftforderungen seien zu hoch. Im Nachhinein scheint mir das ein Glück zu sein, denn ich liebe meine Familie. Niemand weiß das besser als du, nicht wahr?«
Dietrich ließ sich auf den einzigen Stuhl fallen, der im Raum stand, und gab einen zustimmenden Grunzlaut von sich. Zu mehr fühlte er sich nicht imstande.
»Man sollte niemals seine Kinder mit Mitgliedern einer zum Unglück verdammten Familie verheiraten«, sagte Hermann.
Mit einem Mal war Dietrich hellwach. »Die meisten Leute würden dieser Tage behaupten, dass König Philipp zu einem Glückskind geworden ist«, gab er vorsichtig zurück.
»Würden sie das? Sag mir, Dietrich, wann warst du das letzte Mal in einer Schenke?«
»Ich bin der Markgraf von Meißen«, entgegnete Dietrich würdevoll. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass er den Wein, die Gaukler und die Weiber zu sich kommen ließ, statt zu ihnen zu gehen.
»Hast du heute eines der Lieder angehört, die vor dem kleinen Hymnus auf meinen Hof kamen?«
»Nein«, gab Dietrich zu.
»Eines, das noch nicht einmal von Herrn Walther stammt, handelte davon, wie man an Philipps Hof selbst als Kanzler und Bischof seinen Kopf verlieren kann, wenn man dem Reichshofmarschall nicht gefällt. Es erregte keine besondere Aufmerksamkeit. Weißt du, was das bedeutet?«
»Es war nicht so gut wie die Weisen von Walther?«
»Niemand findet etwas dabei, schlecht über Philipp zu reden«, sagte Hermann ungeduldig, »oder glaubt, etwas Unrechtes zu hören, wenn es ein Sänger tut.«
»Dass man Philipp für einen Weichling hält, ist nichts Neues, und trotzdem hat er es geschafft, nach all den Jahren derzeit besser dazustehen als Otto. Er ist zweimal gekrönt worden und hat immer noch mehr Fürsten auf seiner Seite als der Welfe.«
»Und so wird es weitergehen, und weiter, und weiter. Meinst du nicht, dass unser armes Reich Besseres verdient hat?«, fragte Hermann.
Dietrich war enttäuscht. All die Geheimnistuerei nur um einen weiteren Seitenwechsel seines Schwiegervaters? »Ihr wollt also wieder zu Otto überlaufen«, stellte er fest. »Was bietet er denn diesmal?«
»Mein Sohn, du denkst einfach zu kurz. Man muss wissen, wann das Spiel überreizt ist. Ich will nicht leugnen, dass ich in den letzten zehn Jahren viel Gewinn aus dem Krieg gezogen habe, aber Philipps Weigerung, eine seiner Töchter für einen meiner Söhne in Betracht zu ziehen, beweist mir, dass es damit nun zu Ende ist. Selbst, wenn ich wieder zu Otto übergehe, wird er mir nicht mehr Ländereien oder Privilegien bieten, um mich zurückzugewinnen. Und wenn ich mich nicht zu Otto bekenne, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Philipp anfängt, ein paar seiner früheren Zugeständnisse wieder einzufordern, wenn er erst sicher auf seinem Thron sitzt.«
Erst stellte Hermann es so dar, als ob die Dinge schlecht für Philipp stünden, dann, dass sie gut für den König seien und schlecht für ihn selbst. Da sollte einer verstehen, worauf sein Schwiegervater hinauswollte! Dietrich beschloss, dem Herumgerede ein Ende zu machen. »Was wollt Ihr von mir, Schwiegervater?«
»Die Frage ist, was du vom Leben willst, Dietrich. Willst du weiter nur auf Meißen beschränkt sein, da gewisse Hoffnungen sich nicht erfüllen werden, oder willst du zu Rechten eines Königs stehen, der dir alles verdankt?«
»Aber Ihr habt doch gerade gesagt, dass Philipp nicht mehr mitspielt, Ihr aber auch nicht erneut zu Otto übergehen wollt.«
»Sag mir, dass all die gemeinsamen Jahre nicht umsonst waren und dass du von alleine darauf kommst, was dann noch übrig bleibt.«