Kapitel 28
In Aschaffenburg bekamen sie Boote; so ließ sich der Main durch seinen Treidelpfad und mit Zugpferden für den Rest des Weges nutzen.
Markwart, der mit den Pferden und den Knechten dem Treidelpfad folgte, hatte das zweifelhafte Vergnügen zu hören, wie gut es ihnen allen ergehen würde, wenn ihr Herr erst vom Heiligen Stuhl als Bischof von Würzburg bestätigt war. »Der alte Kaiser Rotbart«, tat sich einer der Männer wichtig, »hat die Bischöfe von Würzburg zu Fürstbischöfen und Herzögen in Franken gemacht. Unser Herr führt den Titel nur deswegen noch nicht, weil der Heilige Vater zuerst ja sagen muss, aber dabei kann es sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln, jetzt, wo wir auch welfische Fürsprecher haben.«
»Ich bin ja nur der arme Knappe eines fahrenden Sängers«, sagte Markwart, »aber ich dachte, nur der Kaiser hätte das Recht, jemanden mit Herzogtümern zu belehnen, und einen Kaiser haben wir derzeit nicht, nur zwei Könige.«
Die Knechte schauten betreten zu dem vormaligen Sprecher. Der räusperte sich. »Herzöge können ihr Herzogtum auch von Königen bekommen, aber egal wie, das ist in jedem Fall nur eine Frage der Zeit. Wenn der einzig wahre König überall anerkannt ist, dann wird ihn der Papst zum Kaiser krönen, und unser Herr wird auch als Herzog in Franken bestätigt werden.«
»Wenn du es sagst«, meinte Markwart und versuchte, Hildegunde davon abzuhalten, das Pferd neben sich zu beißen.
»Sag mal«, warf der Knecht ein, der sich ebenfalls um die Pferde kümmerte, »hast du es auch schon mit der Ärztin getrieben? Ist ein Jammer, dass sie jetzt unter dem Daumen des Bischofs steht, aber was will man machen! Wo die da oben ihre Vorrechte haben, da haben sie halt ihre Vorrechte.«
»Was?«, fragte Markwart entgeistert. Der Knecht betrachtete ihn mitleidig.
»Schau, wir haben uns gleich gedacht, dass es bei euch lustig zugeht, auch wenn Botho uns gesagt hat, wir sollen die Finger von der Frau lassen. Ich muss zugeben, eine Zeitlang, da war ich mir nicht sicher. Ihr habt mich hinters Licht geführt mit all dem Gerede von Salerno und gelehrter Frau. Aber es ist doch ganz klar, dass der Bischof sie als Konkubine genommen hat. Magenschmerzen!« Er wieherte wie eins der Pferde. »Irgendwo da unten hat sie ihm was kuriert, das ist schon richtig …«
Markwart hatte seine eigene Meinung zu der Frau aus Köln. Es war ihm unheimlich, wie frank und frei sie über den menschlichen Körper redete. Was sie und den Aquitanier zusammenhielt, verstand er auch nicht, und außerdem glaubte er, dass sie sich Walther gegenüber dankbarer verhalten könnte. Auch fand er es abwechselnd erzürnend und lustig, wie sie die Macht hatte, seinen sonst so selbstsicheren Freund in einen kleinen Jungen zu verwandeln, und plante bereits, Walther in der nächsten Stadt in ein Haus zu führen, wo man Frauen haben konnte, die einem weniger Kopfschmerzen bereiteten.
Trotz seiner großen Statur war Markwart ein friedliebender Mensch und zog es vor, Streitereien aus dem Weg zu gehen. Nichts hielt ihn nun jedoch ab, dem Knecht einen Faustschlag zu versetzen, der den Mann vom Pferd warf. Erst danach kam es Markwart in den Sinn, dass es am Ende nicht so gut war, einen Kampf inmitten von Männern zu beginnen, die alle auf der anderen Seite standen, vor allem, da Walther und Gilles auf dem Schiff waren. Deswegen wäre Markwart nie alleine durch die Welt gezogen: An solche Dinge dachte er immer erst hinterher.
Er ballte erneut die Fäuste und bereitete sich darauf vor, sich schlagen zu müssen, doch der Vormann der Bischofsleute schaute den Knecht, der sich ungläubig ans Kinn langte, strafend an und sagte: »So solltest du nie von unserm Herrn Bischof reden, sonst verdienst du einen Eisenstachel durch die Zunge.« Dann klopfte er Markwart wohlwollend auf die Schulter. »Das war recht getan, mein Freund.«
Markwart musste sich zusammennehmen, um nicht aufzuatmen.
»Botho hat neulich nicht anders über den Bischof geredet«, murrte der Knecht. Der Vormann schaute unbehaglich drein.
»Botho steht über uns«, sagte er. »Er ist der Neffe des Reichshofmarschalls. Das macht es nicht rechtens, lose Reden über den Bischof zu führen, nicht für dich, nicht für mich und nicht für sonst jemanden, der nicht Heinz von Kalden hat, um ihn zu beschützen, lass dir das gesagt sein!«
Früher hatte Markwart sich vorgestellt, dass es im Haushalt eines Bischofs friedlicher zugehen müsste. Er verstand auch nicht, warum dieser Botho überhaupt beim Bischof von Würzburg diente, wenn er keine gute Meinung über ihn hatte.
Als er Walther wiedersah, nachdem dieser mit wankenden Beinen in Würzburg wieder an Land gegangen war, erzählte er ihm von dem Vorfall und stellte diese Frage.
»Vermutlich bespitzelt er den Kanzler für seinen Onkel«, sagte Walther abwesend.
»Aber sind Kanzler und Reichshofmarschall nicht alle Verbündete und Diener von König Philipp?«
»Ich bin nun bald zehn Jahre an verschiedenen Höfen. Wenn sie etwas gemeinsam haben, dann dass jeder sich selbst als höher und wichtiger sieht als den Nächsten, Markwart.«
»Darum hast du dich auch überschlagen, den Gatten deines Mädchens zu retten, wie?«, fragte Markwart. Walther hörte auf, zu der Magistra hinüberzuschauen, und entgegnete wütend: »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass sie nicht mein Mädchen ist!«
»Schön. Dann lass uns ein paar Frauen suchen, wegen der du dich nicht hinterher aufführst wie ein Hengst, den der Hafer sticht«, sagte Markwart unbeeindruckt. »Bestimmt ist Würzburg groß genug dafür! Schließlich haben mir die Knechte die ganze Zeit über damit in den Ohren gelegen, dass sie fast die Hauptstadt eines Herzogtums sei.«
»Das ist«, begann Walther und wurde abgelenkt, weil dem Bischof gerade ein Bote entgegenlief. Er kniff die Augen zusammen. »Den kenne ich. Der gehört zum Haushalt des Markgrafen von Meißen. Was macht der hier?«
Er zog Markwart am Arm und näherte sich dem Bischof, der mit seinem Schreiber und zwei Klerikern dabei war, in eine Sänfte überzuwechseln, die man zu seinem Empfang geschickt hatte, und nun den Boten anhörte.
»Darum bittet Euch meine Herrin«, schloss der Bote.
»Es wird mir ein Vergnügen sein, die Markgräfin Jutta zu empfangen«, entgegnete der Bischof huldvoll. »Als Sohn Magdeburgs und ehemaliger Domherr dort fühle ich mich der alten Heimat immer noch sehr verbunden.«
Mit Walther ging eine erstaunliche Verwandlung vor: Statt abwechselnd unzufrieden, brütend und versonnen dreinzuschauen, wirkte er jetzt ausgesprochen hinterhältig.
»Weißt du, Markwart«, sagte er, »manchmal hast du genau die richtigen Einfälle.«
»Dann gehen wir heute Abend auf Frauensuche, wenn du dem Bischof noch einmal vorgesungen hast?«, fragte Markwart erleichtert.
»O nein. Ich weiß schon genau, wo ich eine Frau finde.«
* * *
Ein Übermaß an schwarzem Gallensaft, hatte es in Salerno geheißen, sorgt für Trauer, Neid, Begier, aber auch für Reizbarkeit und Erregbarkeit.Invidus et tristis, cupidus. Von den vier Temperamenten ist das des Cholerikers, der an zu viel schwarzem Gallensaft leidet, das verdrießlichste. Bisher hatte Judith gedacht, eine Mischung aus Sanguinikerin und Melancholikerin zu sein, aber was sie zwischen Walther und der Markgräfin beobachtete, ließ sie an ihrer Diagnose zweifeln.
Wie sich herausgestellt hatte, befand sich Philipp bereits in Bamberg, aber dort hatte man nicht alle edlen Herren unterbringen können, die mit ihm reisten. Dass sich die Markgräfin von Meißen in Würzburg befand, lag daran, dass sie bei Philipps Reise nach Franken für ihren Vater bitten wollte, den Landgrafen Hermann; das jedenfalls war der Grund, den der Bischof seinem Hofstaat nannte. Auf Judith machte es eher den Eindruck, die Markgräfin sei hier, um sich von fahrenden Sängern anbeten zu lassen. Gut, es entsprach der Sitte, dass Walther beim Willkommensmahl des Bischofs seine Lieder an die höchstrangigste Frau richtete, und das war nun einmal die Markgräfin, die auf geradezu lächerliche Art allen Schönheitsidealen entsprach. Nicht nur konnte man ihren Augenbrauen ansehen, dass ihr Haar hellblond war, nein, sie hatte auch blaue Augen, einen üppigen roten Mund, und sie war mutig genug, um nicht nur enganliegende Ärmel, sondern auch ein solches Oberkleid zu tragen, was offenbarte, dass sie vollkommene Brüste besaß. Selbst ihre Haut hatte die Reise überstanden, ohne zu bräunen, und wirkte wie eine Mischung von Milch und Rahm, die selbst Katzen verführt hätte.
Nichts davon sollte Judith kümmern, wenn die Markgräfin nicht so vertraut mit Walther getan hätte. Wenn sie nicht ständig mit einem kehligen Lachen auf seine Scherze geantwortet hätte. Wenn er nicht so genussvoll und übertrieben laut von der Gastfreundschaft gesprochen hätte, welche die Markgräfin ihm in Thüringen erwiesen hatte. Und dann hieß sie auch noch Jutta!
»Warum ist denn der Markgraf nicht hier?«, fragte Judith aufgebracht. Sie saß am untersten Tischende der zweiten Tafel, wo sich die niedrigeren Ränge, aber auch zwei Frauen befanden, welche die Markgräfin begleiteten.
»Eine Fehde mit einem Anhänger Ottos, die ausgefochten sein will. Die Markgräfin spricht für ihn, genau wie für ihren Vater. Wenn sie nicht hier wäre, dann könnte der König es missverstehen, dass der Markgraf und der Landgraf nicht zu ihm geeilt sind, nach den betrüblichen Neuigkeiten aus Rom.«
Unter anderen Umständen hätte Judith jetzt Mitgefühl für die Markgräfin empfunden. Was sie gerade gehört hatte, lief darauf hinaus, dass Jutta eine Art Geisel war. Es erinnerte sie daran, wie Gilles von ihrem Onkel benutzt wurde, nachdem Judith sich Stefans unsinnigem Esther-Einfall verweigert hatte. Außerdem bezweifelte sie, dass sich der Markgraf oder der Landgraf auch nur im mindesten von Sorge um Jutta zurückhalten ließen, etwas zu tun, was ihnen Gewinn brachte. Man hatte schon gehört, dass erzürnte Mächtige Geiseln hinrichten ließen, doch nie, wenn es sich um Frauen handelte. Wahrscheinlich rechneten sie damit, dass Philipp nichts gegen die Markgräfin unternahm, wenn er sie denn überhaupt als Geisel sah.
Aber dann hörte Judith Walther die Markgräfin ansingen. »Was schadet’s, dass man Euch begehrt?/Gedanken sind ja doch wohl frei.« Die Versuchung, Jutta zu bedauern, schwand wieder.
»Übrigens, stimmt es, dass Ihr eine Frau aus Salerno seid?«, fragte ihre Tischnachbarin.
»Ja«, sagte Judith dünnlippig.
»Dann wünscht meine Herrin Euch nach dem Mahl zu sehen. Ihr seid ohnehin im Vorzimmer ihres Gemachs untergebracht, mit uns zusammen, aber sie sucht auch Euren Rat.«
Ärztliche Pflicht war ärztliche Pflicht, also biss Judith die Zähne zusammen und nickte. Sie mahnte sich daran, Vernunft anzunehmen. Vielleicht täuschte sie sich ja auch in der Markgräfin? Walther mochte ihr den Hof machen, nicht nur, weil es der Sitte entsprach, sondern auch, um Judith vorzuführen, was sie zurückgewiesen hatte. All das Getue hieß noch lange nicht, dass die Markgräfin mehr im Sinn hatte, als einfach nur auf die Freundlichkeiten eines Sängers einzugehen. Schließlich stand Walther im Rang tief unter ihr, und diese adligen Damen waren immer sehr stolz auf ihre Abstammung. Gewiss würde es ihr nie einfallen, mehr als Worte mit ihm zu tauschen. Ja, so musste es sein. Die Markgräfin spielte nur ein Spiel; Walther war der Tor, wenn er das ernst nahm.
Mit dieser Schlussfolgerung gestärkt, fand Judith sich nach dem Gastmahl in den Gemächern ein, die man der Markgräfin zugewiesen hatte. Jemand war sogar so umsichtig gewesen, ihre Tasche mit Kräutern und Instrumenten hierherzubringen; Gilles vermutlich, der mit Markwart und Walther zusammen bei dem Schreiber und dem Hofkaplan des Bischofs untergebracht worden war.
Die Markgräfin hatte sich bereits auf das große Bett gesetzt, jedoch noch keine Anstalten gemacht, sich von ihren Damen entkleiden zu lassen. Sie begrüßte Judith huldvoll und plauderte ein wenig über Kleinigkeiten wie das Wetter, die Beschwernisse des Reisens gerade für Frauen, die sich nicht wie die Männer vor aller Augen erleichtern konnten, und fragte dann, wie lange eine Ausbildung zur Ärztin in Salerno dauert.
»Bis zu fünf Jahren«, sagte Judith, »aber da mich mein Vater bereits vieles lehrte und ich ihm lange Zeit zur Hand gegangen bin, brauchte ich nur zwei Jahre bis zu meiner Prüfung. Es ging die Rede, dass eine bestimmte Ausbildungszeit Vorschrift werden soll, aber als ich Salerno verließ, war es noch nicht so.«
»Manchmal«, erwiderte die Markgräfin versonnen, »habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre, ein Leben der Gelehrsamkeit zu führen. Doch das schien mir nur als Nonne möglich, und dazu«, sie lachte herzlich, »fühlte ich mich wahrlich nie berufen.«
Judith schluckte den Frosch in ihrer Kehle hinunter. Es war nur ein Zufall, konnte nur ein Zufall sein, dass die Markgräfin sich ausgerechnet heute und ihr gegenüber so ausdrückte.
»Keine der anderen Frauen, die gleich mir in Salerno lernten und lehrten, war geistlichen Standes«, sagte sie und hoffte, dass die höfische Rede ihren Kampf um Selbstbeherrschung verbarg.
Jutta klatschte in die Hände und teilte ihren Damen mit, sie wünsche, mit der Magistra alleine zu sein. Erst, als auch die letzte Frau verschwunden war, winkte die Markgräfin Judith näher und fragte mit gesenkter Stimme: »Stimmt es, dass es Mittel gibt, um die Empfängnis zu verhüten?«
Das war das Letzte, was Judith erwartet hatte. Sie versuchte, auf Zeit zu spielen, während sie ihre Gedanken ordnete. »Ihr meint, außer dem offensichtlichen?«
»Ja«, sagte die Markgräfin ungeduldig, »außer dem. Ich weiß nicht, ob ich mich immer genügend zurückhalten kann … gerade heute nicht.« Sie packte Judiths Hand. »Was auch immer ich Euch sage, ist wie zu einem Beichtvater gesprochen, so ist es doch bei einem Medicus, nicht wahr?«
»Wir schwören alle einen Eid«, bestätigte Judith.
»Es werden Monate vergehen, bis ich meinen Gemahl wiedersehe«, sagte die Markgräfin. »Da kann ich es mir nicht leisten, schwanger zu werden. Er ist nicht der klügste Kopf, doch bis neun kann er zählen.«
Einen Moment lang hoffte Judith, dass die Markgräfin ihr eröffnen würde, sie sei unter Philipps Gefolge dem Ritter ihrer Träume begegnet, ganz gleich welchem, solange es nicht Walther war. Doch selbst dann war sie nicht sicher, ob sie ihr Marias Rat bezüglich des sicheren Eingangs geben konnte.
»Nun?«, hakte Jutta herausfordernd nach.
Alles in Judith trieb sie an, sich hinter der christlichen Überzeugung zu verschanzen, nur Gott alleine dürfe über Empfängnis bestimmen, auch wenn sie das nicht glaubte. Oder sie könnte tadelnde Worte über Ehebruch sprechen, auch wenn ihr das nicht zustand. Wenn die Markgräfin sie davonjagen würde, was tat das? Sie war nicht auf deren Gunst angewiesen.
Aber wenn sie Jutta nicht half, und sie wurde schwanger, dann konnte das kein gutes Ende nehmen. Entweder ihr Gatte fand heraus, dass er gehörnt worden war, und rächte sich an ihr, oder die Markgräfin ging zu einer Engelmacherin, was meist mit dem Tod endete.
»Ihr habt wohl keine Zitrone zur Hand, oder?«, fragte Judith, und ihre Stimme krächzte, als wäre sie erkältet. Die Augen der Markgräfin verengten sich; sie schien sich zu fragen, ob sie verhöhnt wurde. Dann klärte sich ihr Blick wieder.
»Hilft denn Zitronensaft? Ich habe von der Frucht gehört, doch im Leben noch nie eine gesehen.«
»In Italien gibt es sie häufig«, sagte Judith. »Aus ihrer ausgepressten Schale lässt sich ein Werkzeug machen, das Ihr Euch einführen könntet. Doch ich glaube nicht, dass der Bischof und seine Küche mit Zitronen gesegnet sind.« Sie seufzte. »Avicenna empfiehlt, sich sofort danach aufzustellen, zu niesen und neunmal rückwärtszuhüpfen, damit der Samen abfließen kann, das und das Trinken von drei Unzen Basilikum vorher.«
»Und das hilft?«, fragte die Markgräfin begierig.
Mittlerweile brannte Galle in Judiths Kehle. Basilikum war auch gut, um die Lust zu fördern, aber sie weigerte sich, es der Markgräfin zu erzählen; bei ihr schien ohnehin keine Art von Lustförderung nötig zu sein. »Ich weiß es nicht aus eigener Erfahrung, Euer Gnaden, und würde vorsichtshalber noch Kohlblätter empfehlen. Kohl hat man uns gerade serviert, also sollte es in der Küche welchen geben.«
»Aber wenn ich den Kohl doch schon gegessen habe …«
»Ihr brauchtet die Blätter zum Einführen, Euer Gnaden.«
»Ah, ich verstehe. Nun gut, dann besorgt mir das Basilikum und den Kohl, Magistra. Es soll Euer Schaden nicht sein.« Sie lachte, ihr gurrendes, hungriges Lachen. »Und meiner auch nicht, wie ich hoffe.«
»Wie wäre es auch noch mit Kampfer?«, fragte Judith bissig, als ihre so sorgsam geübte Zurückhaltung schließlich nachgab.
»Kampfer?«
»Der Geruch des Kampfers gilt als sichere Möglichkeit, um das männliche Glied zu schwächen«, sagte Judith spitz. »Kaum hat er Kampferduft in seinen Leib gesogen, ist jeder Mann um seine Kraft betrogen. Verzeiht, aber ich fühle mich gerade einfach dichterisch inspiriert.«
Der Mund der Markgräfin öffnete sich zu einem überraschten kleinen O, doch ehe sie mehr sagen konnte, verbeugte sich Judith rasch und verschwand.
Bis sie die Küche erreichte, kochte sie vor Wut, ganz gleich, wie sehr sie sich sagte, dass es dazu überhaupt keinen Grund gab. Schließlich war sie nicht mit Walther verheiratet. Es gab überhaupt keine Schwüre zwischen ihnen. Wenn er mit sämtlichen Markgräfinnen des Reiches tändeln wollte, hatte er das Recht dazu. Was ging sie das an? Überhaupt nichts. Was kümmerte sie es? Nicht das Geringste.
Aus irgendwelchen Gründen benahmen sich die Küchenjungen so, als hätten sie Angst vor ihr, und wichen hastig in alle Ecken zurück. »Wie viel Unzen Basilikum, sagtet Ihr?«, fragte der Koch mit leicht bebender Stimme. Vielleicht hätte Judith nicht eine der Pfannen auf den Herd schlagen sollen, um bei dem umgebenden Lärm Aufmerksamkeit für sich zu bekommen?
Sie holte tief Luft. »Sechs Unzen«, sagte sie. »Und Wein, um sie hinunterzuspülen.«
Einer der Küchenjungen drückte ihr einen Weinbeutel in die Hand, nachdem der Koch das Basilikum gewogen und geschnitten hatte. Judith verlangte nach einem Becher.
»Ihr habt doch gesagt, es sei für die Markgräfin?«
»Die Markgräfin bekommt nichts, das ich nicht vorher auch gekostet habe«, sagte Judith. Dann spülte sie drei Unzen Basilikum hinunter.
* * *
Walther war bereits auf dem Weg zum Gemach der Markgräfin, als ihm Judith entgegenkam. Sie ging so schnell, als brenne der Boden unter ihr, und in ihren Augen loderte das gleiche Feuer. Er kam nicht dazu, sich selbst zu beglückwünschen, weil sie ihn bereits an den Schultern packte und gegen die Wand stieß.
»Wenn du mit deiner Markgräfin ins Bett gehen willst, nur zu«, stieß sie hervor. »Aber wenn du je in deinem Leben mehr als nur denselben Raum mit mir teilen willst, dann verlässt du jetzt mit mir die Burg.«
Er könnte es länger ausreizen, dachte Walther. Er könnte sie dazu zwingen zuzugeben, dass sie eifersüchtig wie ein Kind war, dessen Spielzeug man gerade einem anderen gegeben hatte. Er könnte es sogar darauf ankommen lassen, von ihr zu fordern, ihm ihre Liebe zu gestehen. Aber er roch den Duft ihrer Haut und tat nichts davon. Nicht zuletzt, weil er ihr zutraute, es ernst zu meinen. Das Leben mochte häufig ein Glücksspiel sein, doch ein guter Spieler wusste, wann seine Stunde kam.
Er ergriff ihre Hand und lief mit ihr in den warmen Herbstabend hinein. Der September ging bald zu Ende; es würde nicht mehr viele solche warmen Nächte geben. Der Boden war noch warm, ein Abglanz der Sonne, die den ganzen Tag geschienen hatte. Die Feste, die der Bischof bereits ausbauen ließ, lag auf einem Hügel, umgeben von Weingärten und hin und wieder einem Baum dazwischen. Unter einer Linde, die so dicht mit Blättern geschmückt war, dass man von der Feste aus im Mondlicht nichts zu ihren Füßen erkennen würde, blieben sie stehen. Judith legte den Umhang ab, den sie trug, und breitete ihn auf dem Boden aus. Es ging ihm durch den Kopf, dass er mittlerweile jedes ihrer wenigen Oberkleider kannte. Auch dieses, das sie für das Festmahl des Bischofs getragen hatte, weil es das beste war, wiewohl es wegen seiner vielen Knitter unter den Frauen am höheren Ende der Tafel für spöttische Bemerkungen gesorgt hatte. Er hingegen fand es ausgesprochen hübsch an ihr. Obwohl er vor ein paar Stunden noch voll und ganz damit beschäftigt gewesen war, seine Rache zu planen und zu genießen, war ihm durch den Kopf geschossen, dass Judith mit ihrem alten Kleid und ohne Schmuck trotzdem jede der anderen Anwesenden überstrahlte. Sollte er ihr das sagen? Vielleicht musste er dann hören, er baue nur vor, um für zukünftige Kosten nicht geradestehen zu müssen, aber sie könne selbst ihre Kleider bezahlen. Oder etwas ganz anderes. Bei ihr war er nie sicher, was ihn als Nächstes erwartete. Er wusste wahrlich nicht, wie sie ihn so verzauberte. Gewiss, die Finger waren lang und schmal, und es waren keine Narben zu erkennen von all den Instrumenten und Säuren, mit denen sie ständig hantierte. Sicher, sie hatte lange Beine, doch sie machte stets zu große Schritte für eine Frau. Ihr Busen war wohlgeformt, durchaus, doch nur von durchschnittlicher Größe. Ihr Mund dagegen war etwas zu groß, ihre braunen Augen wirkten jetzt im Dämmerlicht fast schwarz. Ihre Gesichtshälften waren nicht völlig identisch und ihr Haar mehr als ungewöhnlich. Aber irgendwie ergaben all diese kleinen Unvollkommenheiten ein Ganzes, das ihn mitten ins Herz traf, jedes Mal, wenn er sie anblickte. Er streckte die Hand aus, um sie von ihrer Kopfbinde zu befreien. Als würden ihre roten Haare das wenige Licht zu sich locken, schien nun ein herbstliches Wetterleuchten um sie zu sein.
»Gott helfe mir«, sagte sie. »Ich glaube, ich liebe dich.«
Später, als der aufgegangene Vollmond jede Einzelheit erkennbar machte, las sie Blätter aus ihrem Haar, die er hineinsteckte, da er darauf bestand, dass es Blumen waren, das Lächeln der Erde. »Eine Rose«, wie er sagte, »und noch eine.«
»Böse Zungen würden behaupten, es seien Gräser und Lindenblätter«, flüsterte sie, während er sie in seinen Armen hielt.
»Das ist das Geheimnis von uns Nachtigallen: Was auch immer wir Rose nennen, ist auch eine, wir könnten sonst doch auch nicht die Farbe des Windes beschreiben«, gab er zurück und spürte am ganzen Leib, wie sie lachte. Es wurde allmählich zu kühl, um draußen unter einem Baum zu liegen, aber er wusste, dass der Zauber in dem Augenblick gebrochen sein würde, in dem sie in die Feste und das Alltagsleben zurückkehrten, und gerade jetzt wollte er, dass die Ewigkeit nichts als dieser Moment war. Judith streckte die Hand aus und ließ sie spielerisch durch die Haare auf seiner Brust streifen, ehe sie mit Mund, Händen und ihren Brüsten jeden Fleck seines Körpers besuchte, wie um nachzuholen, was sie sich bisher hatte entgehen lassen. Seine Küsse, zärtlich und fordernd, dankten ihr und erkundeten sie ebenfalls aufs Neue. Schließlich hielt sie inne und flocht ein Blatt in sein Haar.
»Rosmarin und Lorbeer«, sagte sie, »weil mir ein Vogel zugezwitschert hat, dass man bei den heidnischen Griechen und Römern so die Dichter krönte.«
»Nur, wenn sie sehr, sehr gut waren«, murmelte er, legte einen Finger auf ihre Lippen und ließ seine rechte Hand von ihrer Brust zu ihrer Hüfte wandern.
Judith richtete ihren Oberkörper auf, so dass sie nun in sein Gesicht schaute, während sie auf ihm lag. »Du«, sagte sie, nahm eine ihrer lockigen Haarsträhnen und kitzelte ihn damit unter dem Kinn, »bist einfach der eitelste Mann, den ich kenne.«
»Ich meine nur, dass es mehr als eine Art und Weise gibt, mit der du mich auf dem Sterbebett wieder gesund machen kannst«, protestierte er. »Ich habe diese Überzeugung, dass Dichtung wie Liebe ist. Da, wo sie erwidert wird, ist sie am besten.«
»Weißt du, ich glaube, das lässt sich medizinisch rechtfertigen«, sagte sie. Er rollte sie herum, um ihr noch einmal zu beweisen, dass sie beide recht hatten.
Danach war es wirklich zu kalt, um noch weiter draußen zu bleiben. Bis sie beide vollständig bekleidet waren, fiel Walther ein, warum er sich während der Reise hatte zurückhalten müssen. Gewiss, sie würden bald nach Bamberg aufbrechen, und selbst, wenn der Bischof ebenfalls zu Philipp reiste, was er als Kanzler früher oder später tun musste, war nicht anzunehmen, dass er wieder Botho und seine Leute mitnahm; er hatte noch andere Dienstleute und Knechte. Doch es konnte trotzdem nicht schaden, Judith nicht zu offen als seine Geliebte zu behandeln, zumal, wenn ihr das Gerücht, von dem Markwart ihm erzählt hatte, Schutz verlieh.
»Wusstest du, dass ein paar von den Leuten des Bischofs glauben, er hätte dich als Konkubine genommen?«
»Was?«, fragte Judith entgeistert.
»Nicht alle«, beeilte sich Walther hinzuzufügen. »Er hat wohl im Allgemeinen nicht den Ruf, im offenen Konkubinat zu leben.«
»Ich würde mich niemals mit einem eurer christlichen Kleriker einlassen«, sagte Judith empört. »Und ich würde mich nie mit jemandem einlassen, dessen Ärztin ich bin. Für was für eine Frau halten die mich denn?«
»Für eine Frau, die mich heiraten sollte, damit ihr Ruf nicht weiter gefährdet ist«, sagte Walther. Sie legte ihm eine Hand auf den Mund.
»Lass uns heute nicht darüber reden. Bitte. Ich – ich werde darüber nachdenken, aber nicht jetzt.«
Auch er wollte den Zauber der Nacht nicht zerstören, und so fielen sie in das vorsichtige, brüchige Schweigen, das von Anfängen und Enden wusste und nur nicht sagen konnte, wie das Leben dazwischen aussehen würde.
Bei allem, was geschehen und nicht geschehen war, hielt sich Walther für verpflichtet, der Markgräfin Jutta wenigstens eine Erklärung für seine Abwesenheit zu geben, ehe er nach Bamberg weiterzog, denn sie hatte ihn an jenem Abend eindeutig wie nie eingeladen, und er hatte ihr den Eindruck gegeben, dass er dankbar dafür war und kommen würde.
Es war für Walther eine neue Erfahrung. Er hatte sich schon oft entschuldigen müssen, aber noch nie für etwas, was er nicht getan hatte. Außerdem hatte er das unbehagliche Gefühl, dass sein Verhalten gegenüber Jutta unrecht war. Gut, sie war verheiratet, es gab keine Treueschwüre zwischen ihnen, doch er hatte sie benutzt, um Judith eifersüchtig zu machen; das war keine sehr ritterliche Haltung. Du bist kein Ritter, flüsterte es in ihm, du gibst es nur vor. Aber auch das war keine Hilfe.
»Herr Walther«, sagte Jutta kühl, als er seine Verbeugung gemacht hatte, »was für eine Überraschung. Lasst mich raten. Ihr habt Euch in der Nacht plötzlich verkühlt? Nun, dann trifft es sich wahrlich gut, dass wir eine Magistra aus Salerno unter uns haben, nicht wahr?« Irgendjemand musste seit ihrer letzten Begegnung bereits geklatscht haben.
»Es tut mir leid«, sagte Walther, doch da es im Grunde eine Lüge war und er nicht daran gewöhnt, Menschen zu belügen, die er gernehatte und welche Besseres verdienten, sagte er es nicht sehr gut.
»Nein, mir tut es leid«, entgegnete Jutta kalt. »Mir tut es leid, da mein Vater beabsichtigt, einen Wettstreit der besten Sänger im Reich zu veranstalten, und ich ihn beschworen habe, Euch dazu einzuladen. Mir tut es leid, dass ich ihm gesagt habe, er müsse Euch für seinen Hof gewinnen. Und es tut mir mehr als leid, dass ich mich dazu herabgelassen habe, einem unwürdigen Gecken wie Euch auch nur eine Stunde meiner kostbaren Zeit zu widmen!«
Vielleicht war es am besten, noch einmal eine Verbeugung zu machen und zu verschwinden, aber er wollte sie nicht so zurücklassen. »Es waren sehr schöne Stunden«, sagte Walther, »an die ich immer gerne denken werde.«
Sie rümpfte die Nase, doch sie sprach nicht.
»Ich habe mich verliebt«, sagte er einfach.
»So kann man es auch nennen, wenn ein Bock eine neue Ziege wittert«, gab sie bissig zurück.
»Der Magistra bin ich schon vor vielen Jahren begegnet. Es gab … Missverständnisse zwischen uns.«
Kaum war der Satz heraus, da wusste Walther, dass es ein Fehler war. Er hatte Jutta beschwichtigen wollen, indem er klarmachte, dass er nicht einfach der nächstbesten Frau nachstellte, doch was sie hörte, war, dass er bereits Gefühle für Judith gehabt hatte, als er Juttas Geliebter gewesen war. Das Gesicht der Markgräfin verzog sich, ihre Lippen zitterten. Einen schrecklichen Moment lang befürchtete er, sie würde anfangen, zu weinen. Dann wurde ihre Miene wieder hart.
»Ihr scheint Frauen sehr häufig misszuverstehen, Herr Walther. Vielleicht wäre dem weiblichen Geschlecht besser gedient, wenn Ihr das Schicksal Abaelards erleidet.«
Die Kastration des großen Abaelard lag nur ein Menschenleben zurück. Er war einer der berühmtesten Köpfe des Abendlandes gewesen, dessen Werke nicht nur in Frankreich, sondern überall gelesen wurden, und dennoch hatte jemand den Befehl geben können, ihn zu verstümmeln. Es wäre für jemanden wie Jutta von Thüringen, Markgräfin von Meißen, mehr als leicht, einen fahrenden Sänger kastrieren zu lassen. Vielleicht hatte sie ihre Worte nicht so gemeint, sondern einfach nur als Ausdruck ihres Ärgers gesprochen. Doch jemand in ihrer Stellung konnte jemandem in seiner ohne weiteres so drohen und es auch ernst meinen. Blutig ernst.
Ihre Mundwinkel krümmten sich; er wusste, dass sie seine Gedanken und den jähen Anflug von Angst von seiner Miene abgelesen hatte. Es gab wohl nichts mehr zu sagen.
»Euer Gnaden«, sagte er, verbeugte sich und ging.
Judith war dabei, den Haushofmeister des Bischofs auf so freundliche Weise wie möglich um die Bezahlung ihrer Dienste zu bitten, als Walther sie fand und beiseitezog.
»Wir müssen heute noch abreisen«, sagte er zu ihr und erklärte hastig, warum. Judith war gleichzeitig bestürzt und auf unangemessene Weise belustigt, vor allem, weil sie nicht glauben wollte, dass die Markgräfin eine solche Drohung ernst gemeint haben konnte. »Sie hat recht, weißt du? Du verstehst Frauen wirklich nicht besonders gut.«
»Und du verstehst Männer nicht im Geringsten, wenn du meinst, dass ich meine Männlichkeit aufs Spiel setze, im Vertrauen darauf, dass sie scherzt!«
»Ich könnte versuchen, mit ihr zu sprechen …«
»Judith«, sagte Walther nachdrücklich, »du und ich haben überhaupt nichts zu gewinnen und alles zu verlieren, wenn du noch ein Wort mit einer Frau wechselst, die weit über uns steht und dich nur zu beschuldigen braucht, sie vergiften zu wollen, damit man dich aufhängt oder einen Kopf kürzer macht. Wir müssen hier fort!«
»Ich dachte, es geht um deine Hoden, nicht um meinen Hals«, scherzte Judith, doch dann sah sie seine Miene und gab nach. »Gut. Wir reisen noch heute. Ich werde Gilles Bescheid geben.«
Walther konnte noch nicht einmal sagen, dass er unglücklich darüber war, denn zwei Männer wie Gilles und Markwart waren besser als keiner, nur für den Fall, dass Jutta ärgerlich genug war, um ihm ein paar Leute hinterherzuschicken. Flüchtig fragte er sich, welche Erklärung Judith ihrem Gemahl wohl für die Eile gab, und entschied dann, dass er es eigentlich nicht wissen wollte, weil es sich vermutlich um die Wahrheit handelte.
Markwart bestand allerdings darauf, die Angelegenheit aus einem völlig falschen Blickwinkel zu betrachten: »Du meinst, du hättest als … äh … Sänger eines so leckeren und reichen Weibsstücks wie der Markgräfin für dein Leben aussorgen können und rennst stattdessen einer schwierigen, ständig Kopfschmerz verursachenden Frau wie der Magistra hinterher? Walther, du musst von allen guten Geistern verlassen sein!«
»Die Magistra hat nicht damit gedroht, mich zu kastrieren, und ihr Gemahl hat auch nicht die Macht oder das Gemüt, um mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen zu lassen – das sieht bei Jutta deutlich anders aus. Also scheint mir, dass ich die richtige Wahl getroffen habe«, gab Walther grimmig zurück. Markwart hörte auf zu feixen und half dabei, die Pferde zu satteln und zu bepacken. Als Judith mit Gilles auftauchte, stellte Walther fest, dass sich Markwarts Grinsen auf Gilles’ Miene spiegelte, und fand das ausgesprochen undankbar.
Sie kamen an diesem Tag noch bis zum Kloster in Ebrach. Judith ging sofort zum Bruder Medicus, um zu hören, welche Kräuter sie erwerben konnte. Sie kehrte mit Botho zurück, dem sie im riesigen Komplex dieses Klosters begegnet war.
»Wie ich höre, seid Ihr auf dem Weg nach Bamberg, Herr Walther. Das trifft sich gut, denn auch ich will an den Hof des Königs, um meinem lieben Onkel, Heinz von Kalden, meine Aufwartung zu machen. Da ich allein unterwegs bin, können wir morgen gemeinsam weiterreisen!«
Botho war Walther mittlerweile unangenehm, doch es gab keine vernünftige Art und Weise, sein Angebot abzulehnen. Walther tröstete sich damit, dass Bamberg nicht gar zu weit von Ebrach entfernt lag, nur eine halbe Tagesreise. Für ein paar Stunden ließ sich Botho gewiss aushalten. Was auch immer er über Judith dachte, es stand nicht zu erwarten, dass er ihretwegen einen Streit mit drei Männern begann.
In der Tat benahm sich Botho am nächsten Morgen zunächst ausgesprochen höflich. Er sprach kaum, und als er doch begann, geschah es, um über die Wege zu schimpfen und die Hoffnung auszudrücken, dass die Bischöfe von Bamberg und Würzburg Gelegenheit haben würden, sie besser befestigen zu lassen, wenn der Krieg erst vorbei wäre. »Zu Pferd mag dieser Weg ja angehen, doch mit Wägen ist er die reine Hölle, das kann ich beschwören!«
Gilles steuerte eine Geschichte über die alten Wege der Römer im Königreich Sizilien und die Pässe in den Alpen bei, und wie er dort einmal einen Tross mit Weinfässern eskortieren musste. Bald lachten sie alle, obwohl Gilles schwor, dass es eine bitterernste Angelegenheit gewesen sei: »Jedes Mal, wenn ein Fass wegen all der Schlaglöcher undicht wurde, sahen wir es als unsere Pflicht an, dafür zu sorgen, dass der gute Wein nicht im Boden versickerte!« Dann lachte auch er. »Ach, noch einmal so ein Abenteuer erleben …«
Nahe des Weges, den sie nahmen, lagen Wälder voller Buchen, deren Laub sich bereits ins Rötliche verfärbte. Ein leichter Wind kam auf und wehte Walther ein paar Blätter ins Gesicht. »Ungehaltene Zuhörer, Herr Walther?«, meinte Botho spöttisch.
»Nein, Blumen«, gab Walther zurück. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Judith lächelte. Inzwischen hatte sich die Sorge, Jutta könne ihre Drohung ernst machen, gelegt. Zum Teufel auch, er hatte wirklich Grund, glücklich zu sein: Es war ein wunderschöner Herbsttag, die Landschaft schien sich ein Festkleid aus Grün, Gelb und erstem Rot übergeworfen zu haben, und Judith ritt an seiner Seite. Nun, fast an seiner Seite, doch Walther musste zugeben, dass ihn Gilles eigentlich nicht mehr störte. Jetzt, da er sie in den Armen gehalten hatte, fiel es leicht, die Vorzüge des Mannes einzugestehen. Gilles war ein netter Kerl, der eine üble Erfahrung durchgemacht hatte und trotzdem dem Leben noch ein Lächeln abgewinnen konnte. Außerdem war er Judith ein Freund, ohne den ihr in Chinon oder Köln wahrlich Übles hätte geschehen können, und er hatte nie versucht, Walther von ihr fernzuhalten, eher das Gegenteil. Wenn Walther an den Abend bei Judiths Familie in Köln dachte, dann hatte Gilles sogar den guten Geschmack bewiesen, seine Lieder zu schätzen. Allein das musste man würdigen.
Walther erzählte gerade, wie er in den Bergen aus gerade noch sicherer Entfernung eine Lawine erlebt hatte, als Botho ihn unterbrach und bedeutungsvoll meinte, die Pässe über die Alpen hören sich fürwahr gefährlich an. »Mag sein, dass ich mich irre«, fuhr er fort, »doch es ist immerhin möglich, dass sich Seine Gnaden, unser Herr Bischof, in den Kopf setzt, nach Rom zu reisen, um Seine Heiligkeit vor Ort um sein Bistum zu bitten. Als sein treuer Mann sollte ich ihm davon doch eigentlich abraten, findet Ihr nicht? Wenn der Weg so gefährlich ist.«
Erstauntes Schweigen setzte ein, weil keiner von ihnen wusste, was Botho damit sagen wollte. Keiner, bis auf Judith, die nach einer Weile meinte: »Herr Botho, als des Bischofs engster Vertrauter wisst Ihr bestimmt am besten, welche Unternehmungen gut oder schlecht für Seine Gnaden sind.«
»Ich wünschte, ich wäre sein engster Vertrauter«, sagte Botho mit einem Seufzen. »Schließlich waren mein Onkel und er Waffenbrüder bei dem letzten Kreuzzug. Doch leider kam es dabei zu … zu Missverständnissen. Ich fürchte, der Bischof lässt sich deswegen davon abhalten, mir uneingeschränkt zu vertrauen.«
»Oh, von dem Streit haben wir gehört, als die ersten Kreuzfahrer aus dem Heiligen Land zurückkehrten«, bemerkte Gilles aufgeräumt. »Wollte der Kanzler nicht den Kreuzzug ohne den Kaiser weiterführen, aber Euer Onkel sofort ins Reich zurückkehren?«
»Mitnichten«, gab Botho scharf zurück. »Mein Onkel hatte bereits seinen Stolz für die gute Sache geopfert, indem er seinen Anspruch auf den Oberbefehl an Hans von Brabant weitergab – trotz der unwürdigen Hetze auf dem Weg ins Heilige Land, weil mein Onkel manchem Edlen nicht hoch genug geboren ist. Als der Kaiser dann in Messina starb, da war es beiden klar, meinem Onkel und dem Kanzler, dass ihre oberste Pflicht darin bestand, die Nachfolge zu sichern.«
»Worin bestand dann das Missverständnis?«, kam Walther nicht umhin, zu fragen.
»Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist«, zitierte Botho aus der Heiligen Schrift. »Als Mann der Kirche sah der Kanzler das natürlich genau in dieser Reihenfolge, nicht gleichgewichtig, aber mein Onkel hat bei Markus und Lukas nachgelesen und festgestellt, dass dort zuerst der Kaiser und dann Gott genannt wird. Darüber stritten die beiden. Als Mann weltlichen Standes setzte mein Onkel seine Pflicht dem Reich gegenüber an erste Stelle. Unser Herr Bischof besitzt eben manchmal nicht genügend Sinn für das Weltliche. Deswegen braucht er auch Männer wie mich.«
»Dann ist es ja gut, dass er Euch hat«, sagte Judith begütigend.
Botho ließ sein Pferd etwas langsamer gehen und musterte sie. »Um ein guter Diener meines Herrn zu sein und ihn vor unangemessenen Nebensächlichkeiten zu schützen, sollte ich über alles Bescheid wissen, was ihn betrifft, Magistra.«
Judiths Miene wurde eisig. »Wenn Ihr wissen wollt, ob ich ein unlauteres Verhältnis zu Bischof Konrad unterhalte, so lautet die Antwort nein.«
Markwart schaute anklagend zu Walther, denn er konnte sich denken, wer Judith von dem Gerücht erzählt haben musste. Gilles blickte einfach nur verblüfft. Walther wünschte sich, sie wäre nur einmal in ihrem Leben etwas unehrlicher, denn es wäre durchaus nützlich, wenn Botho zumindest bis Bamberg noch an dieses Märchen glaubte. Botho jedoch stutzte, dann warf er den Kopf zurück und lachte in aufrichtiger Erheiterung.
»Nein«, sagte er und wischte sich die Tränen aus den Augen, »nein, daran habe ich weiß Gott nicht gedacht. Ich habe durchaus meine Gründe, an die Enthaltsamkeit unseres Bischofs zu glauben.«
»Danke«, murmelte Judith, so leise, dass man sie kaum hörte, und wenn sie noch mehr zu sagen hatte, dann schluckte sie es hinunter.
»Woran ich ebenfalls glaube«, sagte Botho, und die Belustigung in seiner Stimme schwand völlig, »ist, dass Ihr manchmal Empfehlungen aussprecht, deren Folgen auf den ersten Blick nicht zu ersehen sind. Also, habt Ihr etwas von dem Bischof gehört, das ich wissen sollte?«
»Sagt Euch denn der Bischof nicht alles, was Ihr wissen wollt?«, entgegnete Judith, die etwas errötet war. Walther trieb sein Pferd näher an Gilles heran, um ihm einen warnenden Rippenstoß zu versetzen.
»Ich habe Euch gerade auseinandergesetzt, dass es Dinge gibt, die ich um seiner selbst willen wissen muss, ehe er dazu kommt, sie mir zu eröffnen«, sagte Botho gepresst.
»Was ich bei der Behandlung im Umgang mit meinen Patienten sehe und höre, das muss ich verschweigen und als Geheimnis bewahren«, sagte Judith. »Das ist ein Teil des Eides, den jeder Arzt schwört, Herr Botho. Er ist mir heilig.«
»Ist er das?«, fragte Botho gefährlich leise. »Was ist Euch sonst noch heilig, Magistra? Mir ist nämlich aufgefallen, dass Ihr niemals an Gottesdiensten teilgenommen habt. Und wenn ich mich recht besinne, dann hat man in Braunschweig davon gesprochen, dass der Kerl, der vor seiner Strafe wegen Männerliebe weggelaufen ist, mit einer Jüdin verheiratet ist. Wisst Ihr, Bischof Konrad verabscheut das Volk der Gottesmörder. Er hat mir einmal erzählt, dass Seine Heiligkeit der Papst in Paris während ihres gemeinsamen Studiums die Ansicht geäußert hat, es sei von Grund auf falsch, Juden herumlaufen zu lassen wie Christenmenschen oder ihnen zu gestatten, unter ihnen zu wohnen. Man müsste sie in ihre eigenen Viertel sperren, wenn man sie denn überhaupt in einem christlichen Land duldet. Jeder von ihnen sollte ein Kleidungsstück tragen, auch um Mischehen von vornherein auszuschließen, welches sie sofort als das offenbart, was sie sind: Gottesleugner. Gottesmörder. Mit dem Blut Christi an ihren Händen. Nur töten, das solle man sie nicht. Sie sollten zu einem Leben, schlimmer als der Tod, bewahrt bleiben, das war damals schon die Meinung unseres Heiligen Vaters!«
Judith starrte ihn an. Ihre Lippen öffneten sich, und Walther war sicher, was auch immer sie sagen wollte, wäre etwas, das sie in noch mehr Gefahr bringen würde, also sprach er schnell das Erste aus, was ihm in den Sinn kam.
»Vielleicht habe ich es falsch gehört in meiner Kirche, aber unser Pfarrer hat uns immer vorgelesen, dass es die Römer waren, die unsern Herrn Jesus haben kreuzigen lassen.«
»Hat Euch jemand um Eure Meinung gebeten, Herr Walther?«, fragte Botho ungehalten. »Ich kenne meine Bibel.«
»Lasst die beiden Herren über die Bibel sprechen und uns vorausreiten«, sagte Gilles zu Judith. »Wenn in Bamberg kein Raum für die Markgräfin von Meißen und ihr Gesinde war, dann haben wir es bestimmt auch schwer, Platz zu finden, aber wenn du dich bei der Königin zurückmeldest, dann wird sie dir gewiss bei ihren eigenen Damen etwas anbieten. Schließlich schätzt sie dich sehr.«
Bei allen Heiligen, dachte Walther. Gilles ist alles andere als dumm. Das war ein ausgesucht kluger Einwand, der Botho klarmachen musste, dass Judith die höchstgestelltesten Gönner hatte. »Recht hast du, mein Freund«, sagte er laut und schlug Gilles auf die Schultern. »Lasst euch von uns nicht zurückhalten. Mein Pferd scheint etwas zu lahmen. Würdet Ihr es Euch ansehen, Herr Botho? Ihr müsst der beste Pferdekenner unter uns sein.« Er stieg ab und hob den linken Vorderhuf seines Pferdes, bevor er weitersprach. »Markwart und mir macht es nichts aus, im Stall zu nächtigen, bis etwas Geeignetes gefunden ist, aber es wäre doch gelacht, wenn die Leibärztin der Königin nicht in ihrem Vorzimmer nächtigen würde.«
Botho zeigte keine Anzeichen, dass er zuhörte. Stattdessen verengten sich seine Augen zu Schlitzen, doch er stieg ebenfalls ab und griff nach dem Huf von Hildegunde. Er verfolgte dabei aber mit seinen Augen Gilles und Judith, bis sie hinter der nächsten Biegung verschwunden waren. Dann sprach er Walther direkt an.
»Wisst Ihr, was man mit vorlauten Vögeln tut, da, wo ich herkomme? Man dreht ihnen die Hälse um.«
Heute war eindeutig nicht Walthers Tag. Abwesend fragte er sich, welches seiner Körperteile als Nächstes bedroht werden würde. »Dann hättet Ihr zwar einen toten Vogel, aber immer noch niemanden, der Euch von den geheimen Absichten des Bischofs erzählt.«
Langsam sog der Neffe des Reichshofmarschalls Luft zwischen seinen Zähnen ein. »Dann erzählt«, sagte er hart.
»Mein guter Mann, ein Vogel will erst gefüttert werden. Vor allem, wenn er gerade höchst unfreundlich bedroht wurde. So etwas ermutigt nicht zum Singen.«
Hinter Botho machte Markwart ein unglückliches Gesicht, doch er legte seine Hand auf die Keule, die am Sattel hing und mit der er gelernt hatte umzugehen.
»Hmm. Wenn das kleine Miststück die Ehe mit Euch bricht, dann wird sie wohl auch diesen angeblich heiligen Ärzteschwur brechen, das ist wohl klar«, sinnierte Botho laut. »Nun, ich bin durchaus bereit, Euch zu glauben, dass Ihr in Erfahrung bringen könnt, was ich wissen will, aber warum zum Teufel soll ich Euch dafür das Maul mit Gold statt mit meiner Faust öffnen, Herr Walther? Um ganz offen zu sein, wenn Ihr nicht reden und nicht singen könnt, dann seid Ihr für mich gar nichts. Das macht Euch doch Angst, oder? Stumm zu sein? Und jetzt stellt Euch vor, jemand schneidet Euch die ach so gewandte Zunge heraus.«
Nein, es war ganz und gar nicht sein Tag. Aber mit einem Mal schien Walther die Vorstellung, dass Grobheit und Gewalt über Verstand und Witz siegen sollten, noch unerträglicher, als es schon gewöhnlich der Fall war. »Wir sind beide Ritter und Anhänger König Philipps, wir sollten einander nicht bedrohen. Ja, Ihr habt recht: Ich würde es nicht ertragen, meine Stimme zu verlieren und stumm zu sein. Es würde mich dem Wahnsinn ausliefern. Aber wer weiß, was ich dann tun könnte? Am Ende fiele auch mir etwas ein dazu, und ich würde mit der Liste in der Hand zum König gehen, so irrsinnig wäre ich dann bestimmt.«
Botho krauste die Stirn. »Welche Liste?«
»Da gibt es doch böse Zungen«, sagte Walther freundlich, »die behaupten, dass die Welfen bereit wären, für Spitzel an Philipps Hof ein erkleckliches Sümmchen zu zahlen. Mehr noch, das üble Gerücht behauptet, sie hätten das schon getan, und eine Liste mit den Namen all derer, die damit ihre Einkünfte aufbessern wollten, die gäbe es schwarz auf weiß. Ich weiß nicht, wie Ihr das seht, Herr Botho, doch eine Reise nach Braunschweig, dem Nest, aus dem die Welfen alle stammen, das sieht mir doch beinahe wie ein Geständnis aus, wenn man es mit der Möglichkeit verbindet, dass Euer Name auf einer solchen Liste schon zu finden wäre.«
»Der Bischof hat mich nach Braunschweig geschickt«, sagte Botho, mit einer Mischung, die nach Ärger und Besorgnis klang. »Jeder weiß das.«
»Aber wer hat den Bischof auf den Gedanken gebracht, dass eine solche Reise notwendig wäre? Wer als sein oberster Dienstmann?«
»Das warst doch du, du Hundsfott«, rief Botho. »Du hast es mir angeraten!« Er trat wütend zu Walther, aber Hildegunde keilte aus. Walther konnte sie nur mit Mühe am Zügel festhalten. Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, sah er, dass sich Markwart zwischen ihn und Botho gestellt hatte, was ihn um seinen Freund fürchten ließ. Markwart war gut im Streit mit seinesgleichen, doch Botho gehörte zu den Rittern, die bereits von Kindheit an gelernt hatten, mit Waffen umzugehen.
»Herr Botho, nehmt Vernunft an«, sagte Walther begütigend. »Es gibt keinen Grund zum Streit. Wenn Ihr uns auf der Straße erschlagen könntet, gleich hier und jetzt, dann hättet Ihr zwar Euer Mütchen gekühlt, aber ich kann Euch versichern, dass es Euch trotzdem Eure Stelle kosten wird. Die Liste, von der ich gesprochen habe, die gibt es, ich habe sie aber nicht bei mir.«
»Hat das Weib sie?«, stieß Botho hervor.
»Nein. Vielleicht hat sie die Markgräfin von Meißen, vielleicht der Abt von St. Josef, vielleicht jemand, den Ihr nicht kennt«, sagte Walther kurzentschlossen, denn Jutta von Thüringen und der Abt hatten bestimmt nichts von einem Botho zu befürchten. »Wenn der Besitzer von mir in einem gewissen Zeitraum keine Botschaften mehr erhält, wird diese Liste an König Philipp gehen. So ist es vereinbart.«
Botho dachte darüber nach. Seine Hände krampften sich zusammen und lockerten sich wieder. »Nun, dann wollen wir Eure dreckige Zunge in Eurem Schnabel belassen, zumindest heute«, erklärte er großmütig. »Wann kann ich mit der Auskunft über die Pläne des Bischofs rechnen?«
»Ich glaube, Ihr habt da etwas missverstanden«, gab Walther in seinem sanftmütigsten Tonfall zurück. »Mein Gott, der Tag steckt doch voller Missverständnisse. Wenn Ihr, Herr Botho, Euch als großmütiger Neffe Eures Herrn Onkel erweist – und darunter verstehe ich die Milde, die dafür sorgt, dass meinem treuen Markwart und mir in Bamberg etwas Besseres als ein Stall zur Verfügung gestellt wird –, und dass ein paar liebliche Münzen den Weg in meine Börse finden, dann, werter Herr, werde ich vielleicht bereit sein, zu übersehen, dass Ihr heute mehrfach eine Frau beleidigt habt, die von der Königin hochgeschätzt wird. Ja, ich könnte mich sogar bereit finden, die unfreundlichen Worte gegen mich überhört zu haben, statt die traurige Geschichte vom Verrat in Braunschweig dem König zu erzählen, wenn er mich zu sich bestellt. Aber um von mir auch nur Auskunft über das Wetter zu erhalten, Gevatter, da müsstet Ihr schon wenigstens … ein Buch als Geschenk anbieten.«
»Ein Buch?«, wiederholte Botho ungläubig.
»Die Schrift über das Asthma von einem gewissen Maimonides«, sagte Walther, da ihm im letzten Augenblick der graecisierte Name des Arztes und Philosophen und seines Buches eingefallen war, um dessen Verlust Judith so geklagt hatte. »Wir sehen uns, werter Herr«, schloss er, stieg auf und schnalzte mit der Zunge. Hildegunde gehorchte ihm zur eigenen Überraschung widerspruchslos. Der Galopp, in den sie ausbrach, brachte ihn zweimal vom Weg ab, doch seine Stimmung hob sich mit jedem Schritt.
Als ihn Markwart allein eingeholt hatte, keuchend und mit schweißüberströmtem Gesicht, ächzte sein alter Freund: »Dir braucht man nicht die Zunge abzuschneiden, du bist jetzt schon verrückt, vielleicht sogar schon tot.«
»Ich weiß«, sagte Walther und hätte die ganze Welt umarmen können. »Aber war es die Sache nicht wert?«