Kapitel 14

Angefangen, das musste Dietrich von Meißen zugeben, hatten die Hoftage von Frankfurt vielversprechend. Für die Hochzeit waren Turniere organisiert worden, bei denen er glänzen konnte; so etwas tat einem Mann selbst dann gut, wenn am Ende nicht das Lehen winkte, auf das er ein Recht hatte. Außerdem wurde ordentlich getafelt, und da vor der Hochzeit auch noch Philipps Schwertleite stattfand, bei welcher der zwanzigjährige Herzog von Schwaben in die Ritterschaft aufgenommen wurde, gab es so manches Preislied auf die ritterlichen Tugenden zu hören. Dietrich beschloss, darauf zu vertrauen, dass sein zukünftiger Schwiegervater Hermann derweilen mit den Verhandlungen anfing und durchblicken ließ, was er als Landgraf von Thüringen für seinen Eid auf ein Kleinkind erwartet, und entschloss sich einfach, das Leben zu genießen, bis er Näheres hörte. Da Hermann sehr beschäftigt wirkte, bot sich für Dietrich sogar die Gelegenheit, mit der einen oder anderen Magd zu tändeln, was sonst in Anbetracht seiner baldigen Hochzeit nicht machbar gewesen wäre.

Das erste Anzeichen dafür, dass Dietrich möglicherweise schon wieder übel vom Schicksal mitgespielt wurde, kam, als Hermann mit gerunzelter Stirn beim abendlichen Schmaus saß, statt sich gebührend über Dietrichs Sieg im Waffengang gegen einen Elsässer zu freuen. »Der kleine Philipp hat mehr Rückgrat, als ich erwartet hatte«, murmelte er, während dampfender Braten vom Reh aufgetischt wurde.

»Habt Ihr ihm schon gesagt, dass ich meine Markgrafschaft haben will, ehe wir seinem deutschen König den Lehnseid schwören?«, fragte Dietrich sofort beunruhigt.

»Gemach, gemach. Ich habe Andeutungen über freundliches Entgelt und alte Wunden gemacht, aber er war nicht gerade eindeutig in seiner Erwiderung. Aber mach dir keine Sorgen. Ist dir schon aufgefallen, wer noch nicht hier in Frankfurt ist, wessen Banner von keinem einzigen Gehöft weht?«

»Der elende Heinz von Kalden«, sagte Dietrich sofort. »Ja, ich hatte auch gehofft, dass er hier ist. Der Kerl ist ein jämmerlicher Emporkömmling und bildet sich ein, als Ritter durchzugehen, weil er für den Kaiser einigen Leuten Daumenschrauben angelegt hat, dabei ist er nur ein Ministerialer. Ich hatte mir vorgenommen, ihn in den Staub zu schmettern, wenn er es wagt, an dem Turnier teilzunehmen, aber …«

Hermann schaute während Dietrichs Ausbruch immer gereizter drein, bis er ihn schließlich rüde unterbrach. »Der Erzbischof von Köln, Himmelherrgott noch mal! Er ist einer der sechs Kurfürsten, welche die Wahl formell bestätigen, wenn wir uns auf einen König geeinigt haben.«

Das stimmte zwar, doch da Dietrich die Pfaffen gleich waren, wenn sie ihm nicht dabei halfen, an sein Erbe zu kommen, hatte ihn dieser Umstand bisher nicht weiter gekümmert. »Steht denn der Erzbischof von Köln auf unserer Seite?«

Hermann machte eine ungeduldige Handbewegung. »Er steht auf der Seite von Schwierigkeiten für die Staufer. Aber noch wichtiger ist, dass seine Abwesenheit Philipp von vorneherein schwächer dastehen lässt. Das weiß der Junge auch, das muss er wissen. Deswegen wundert es mich ja auch, dass er so tat, als habe er die Nachfolge für seinen Neffen bereits in der Tasche, nur weil er uns mit losen Versprechungen ködert, alle bestehenden Reichslehen erblich machen zu wollen. Nun, er hat wohl bei den Pfaffen im Kloster gelernt, wie man ein glattes Gesicht macht, seine Gedanken verbirgt und Versprechungen gibt, die erst im Himmel eingelöst werden, aber spätestens morgen wird er trotzdem zu schwitzen anfangen.«

Das hoffte Dietrich. Um sich wieder aufzumuntern, vergegenwärtigte er sich noch einmal, wie er heute über einige der berühmteren Edlen des Reiches triumphiert hatte. Er wünschte sich, sein Bruder wäre darunter gewesen. Wohlig erinnerte er sich an die vielen Gelegenheiten in ihrer Kindheit, bei denen er Albrecht, der von Natur aus zierlich und kleingewachsen war, in den Staub gezwungen hatte. Wenn Albrecht nicht so eine hinterlistige Schlange gewesen wäre und das Urteil ihrer Eltern darüber, wer der bessere Mann war, einfach angenommen hätte, dann säße Dietrich heute in Meißen und würde von eigenen Tafeln speisen, statt über die Pläne von Bischöfen schwatzen zu müssen.

Als ein neuer Sänger auftrat, war Dietrich erleichtert. Er hatte von Hermann eigentlich nur wissen wollen, ob die Dinge für seine Markgrafschaft gut oder schlecht standen; Spitzfindigkeiten kümmerten ihn nicht, und er sprach ungern darüber, weil er sich dabei des Öfteren unbeholfen vorkam, ein Gefühl, das er hasste. Also tat er so, als ob er sehr begierig darauf war, das nächste Lied zu hören. Mit etwas Glück war es ein Preislied auf die heutigen Turniersieger.

»Die Fürsten, die des Kaisers gerne ledig wären«, begann der Sänger. Dietrich fiel das Kinn herunter. Er schaute zu Hermann, um sich zu vergewissern, dass er richtig gehört und nicht etwas falsch verstanden hatte. Der Landgraf hatte gerade bequem auf seiner Bank gelungert, doch jetzt setzte er sich gerade auf und ließ den Bierhumpen sinken, den er in der Hand hielt. Sie starrten beide auf den Sänger, einen dünnen, langnasigen Kerl, der so frohgemut dahinzirpte, als habe er gerade mit einem Loblied auf die Braut begonnen und das Selbstverständlichste von der Welt gesagt.

Die Fürsten, die des Kaisers gerne ledig wären –
Die mögen jetzt gespannt und voll Aufmerksamkeit auf mich hören.
Das Schicksal schickt doch weit ihn weg, wie sie es grad begehren;
Der Held will Christi Reise ziehn; dumm, wer da ihn will stören.
Doch wählt Ihr nicht, so wird er nicht gehen,
Dann wird er kommen, um nach Euren Lehen zu sehn,
Den Eid jedoch, den hat er Gott und Christenheit getan,
Ihr Fürsten, lasst ihn ziehn auf seiner Bahn.
Leicht ist es von dort dann nicht mehr nach Haus, um Euer Tun zu hemmen,
Und bleibt er dort, was Gott nicht geb, werden nur seine Freunde laut flennen!

Bis er geendet hatte, war fast jedes andere Gespräch im Saal verstummt. So etwas hatte Dietrich noch nie gehört. Die Unverschämtheit nahm ihm den Atem; gleichzeitig gluckste und zuckte etwas in ihm und wollte sich auf die Schenkel schlagen. Stimmte es etwa nicht? Eigentlich wollte doch jeder den Kaiser endlich im Heiligen Land wissen, weit, weit weg vom Reich. Hermann hatte selbst gesagt, dass es mit Philipp als Regenten so viel einfacher war zu erreichen, was man haben wollte. Vielleicht waren sie die ganze Angelegenheit falsch angegangen. Solange er noch im Königreich Sizilien weilte, so lange konnte der Kaiser über die Alpen kommen, wenn man ihm nicht seinen Willen tat, vor allem jetzt im Frühling, und selbst für die ihm genehme Wahl sorgen, was eine ganze Menge Leute ihr Lehen kosten konnte. Dietrich gab gerne zu, dass Hermann ein klügerer Mann war als er selbst, doch während er dem Sänger bei den weiteren Strophen lauschte, schien es ihm mehr und mehr, dass der Landgraf einen Fehler machte, wenn er dem Kaiserbalg die Wahl und den Treueid vorenthielt. Beides leisten, den Kaiser endlich übers Meer schicken und dann die angemessenen Forderungen stellen können, so musste man es machen.

Neugierig schaute er in die Runde. Ob einfacher Ritter, Graf oder Fürst, sie starrten alle auf den Sänger, und man konnte ihre Schultern zucken sehen. Da wusste Dietrich, dass er nicht der Einzige war, der auf den Tisch schlagen und laut heraus lachen wollte. Zum Teufel auch, sie waren alle Männer, oder nicht? Mussten sie wirklich so tun, als hätte das Sängerlein dort nicht genau das ausgesprochen, was jeder dachte?

Gerade versuchte er mit letzter Anstrengung, sein Grinsen zu unterdrücken, da erlebte er einen gewaltigen Schreck. Ein, zwei, drei knallende Laute donnerten direkt neben seinem Ohr in die Luft, bis er verstand, dass es Hermann war, der in die Hände schlug, viermal, fünfmal, und den Kopf zurückwarf und lachte. Erleichtert stimmte Dietrich mit ein. Danach war im Saal kein Halten mehr. Kein Stall voller Pferde, Schafe und Kühe wieherte, blökte und brüllte mit solcher Hemmungslosigkeit und Vergnügen. Es war so laut, dass Dietrich beinahe überhört hätte, was sein Schwiegervater murmelte, als er sich wieder beruhigte. »Oh, der ist gut. Den muss ich haben.«

* * *

Als Walther dem inzwischen eingetroffenen Friedrich von Österreich seine Aufwartung unter vier Augen machte, war die Hochzeit Philipps von Schwaben mit Irene von Byzanz mit Glanz und Gloria begangen worden. Friedrich war in aufgeräumter Stimmung; wie es schien, hatte der Kaiser ihn wissen lassen, dass er sein Stellvertreter werden sollte, wenn er im Heiligen Land eintraf, eine Ehre, welche die letzten Schatten des Vorkommnisses von Akkon verscheuchen sollte. Walther fragte sich unwillkürlich, ob dem Kaiser bewusst war, dass es sich bei Friedrich um einen Halbbruder handelte, doch er war zu erfüllt von allem, was in den letzten Tagen passiert war, um sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen.

»Der Eid ist nun von allen angereisten Fürsten geleistet worden«, sagte Friedrich. »Meiner Treu, Herr Walther, das waren ein paar starke Worte, die Ihr da in Verse gekleidet habt. Die Hälfte der edlen Herren, denen ich hier in Frankfurt begegnet bin, findet, ich sollte Euch hängen lassen, doch die andere fragt mich, wie lange ich schon Euer Gönner bin und ob ich gedenke, Euch auf den Kreuzzug mitzunehmen, weil Ihr in meiner Abwesenheit auf ihren Höfen besser aufgehoben wärt.«

»Aber auf den Sohn des Kaisers geschworen haben sie«, sagte Walther, und sein Ton machte es zu einer Feststellung, nicht zu einer Frage, obwohl er natürlich nicht bei der vertraulichen Versammlung in Philipps Gemächern dabei gewesen war.

»Bis auf den Erzbischof von Köln. Der kommt, wie man hört, von seinem Stuhl nicht mehr herunter vor lauter Durchfall, aber warum ihn das daran hindert, einen Vertrauten zu schicken, der für ihn seine Stimme abgibt, hat er natürlich nicht erklärt. Wisst Ihr, Bischof Wolfger kam mir gar nicht überrascht vor«, bemerkte Friedrich; auch er machte damit eine Feststellung, obwohl er in Wirklichkeit eine Frage formulierte.

Bisher war Walther von der Woge seines Erfolges getragen worden, doch nun musste er ein Stück Wissen aus seinem Kopf holen, das den Geschmack von verräterischen Träumen und denen seines eigenen Blutes hatte. »Etwas anderes würde mich wundern«, gab er zurück, »da Seine Gnaden ja von Nürnberg aus einen Boten an den Erzbischof schickte.« Einen Kaufmann, wollte er hinzufügen, einen grauhaarigen Pfeffersack, der offenbar nur mit den goldberingten Fingern zu winken braucht, damit sich ihm junge Ärztinnen an den Hals werfen. Aber er schluckte es hinunter. Es kümmerte ihn nicht mehr. Er hatte einen Saal voll der mächtigsten Männer des Heiligen Römischen Reiches dazu gebracht, zu tun, was er wollte, und er hatte es nicht durch Schmeichelei getan, sondern dadurch, ihnen ihre eigenen Gedanken vorzuhalten, auf eine Art, die sie zum Lachen brachte. Lachen kann eine Waffe sein, Judith, dachte er und ärgerte sich, weil er sich vorgenommen hatte, selbst in Gedanken diesen Namen nicht mehr zu wiederholen.

»Gut, das zu wissen«, sagte Friedrich nachdenklich. »Ich dachte mir schon, dass unser Bischof versucht, zwei Kinder auf einem Knie zu schaukeln. Er will den Kreuzzug und den Kaiser im Heiligen Land, aber er will ihn nicht so sicher im Reich haben, dass er der Kirche jede beliebige Anweisung geben kann. Ich glaube, jedem Bischof sitzt noch im Nacken, wie der alte Kaiser seinen eigenen Papst hat aufstellen lassen. Seitdem versuchen sie, uns Fürsten kleiner zu halten. Nun, mich kümmert es nicht, aber vielleicht gibt er nun endlich wegen des Bistums für Wien nach, wenn ich ihn auf dem Weg ins Heilige Land an den Boten erinnere, und wie nachtragend der Kaiser auch sein kann.«

»Euer Gnaden, ist auch Herr Reinmar mit Euch gekommen? Ich habe ihn bisher auf dem Hoftag nicht singen hören«, wechselte Walther das Thema. Er wusste nicht, ob er ein Ja oder ein Nein lieber hören wollte. Wenn er für sich selbst jenen Abend, als das Haus Salomons gestürmt wurde, aus dem Gedächtnis brannte, dann sollte er eigentlich auch bereit sein, dies für Reinmar gelten zu lassen, aber bisher blieben Verstand und Herz widerspenstig und flüsterten ihm immer noch vor, was Reinmar damals gesagt hatte. Andererseits waren ihm seine eigenen Worte vom gleichen Tag ebenfalls unvergessen, und sie galten noch immer. Reinmar würde verstehen, was Walther auf dem Hoftag geleistet hatte, wie es sonst kaum jemand konnte.

»Tragt Ihr diesen Fehdehandschuh noch immer bei Euch?«, fragte Friedrich belustigt. »Nein, Herr Reinmar blieb in Wien, bei meinem Bruder. Eine Reise ins Heilige Land genügt ihm wohl, das kann ich ihm nicht verdenken. Für die Vorbereitung hatten meine Schreiber mir die Listen der Männer zusammengestellt, die mit meinem Vater bei Akkon waren, damit ich auf ihre Erfahrung zurückgreifen kann, aber es sind nur noch wenige am Leben. Wenn die Sarazenen sie nicht bekommen haben, dann sind sie an irgendwelchen Seuchen gestorben. Ein Jammer.« Ein wenig boshaft fügte er hinzu: »Auch Ihr scheint Euch nicht berufen zu fühlen, an meiner Seite im Heiligen Land zu dienen, Herr Walther?«

»Ein jeder Mann soll tun, worin er am besten ist«, parierte Walther. »Ich wäre ein schlechter Kreuzritter, Euer Gnaden, und würde schon beim ersten Kampf gegen die Sarazenen fallen. Aber ich bin ein guter Sänger.«

Friedrich klopfte ihm wohlwollend auf die Schultern. »Das seid Ihr. Wenn ich mich vermähle, dann werdet Ihr die Zier der Feier sein, nur tut mir dann den Gefallen und besingt die Braut mehr als die zweifelhaften Absichten der Gäste. Ich habe sonst nichts auf dem Hoftag von Euch gehört. Man könnte meinen, Ihr hättet dem Dienst an der holden Weiblichkeit abgeschworen.«

»Keineswegs, Euer Gnaden«, sagte Walther mit einem breiten Lächeln ohne jede Belustigung.

Der Herzog plauderte noch ein wenig, hauptsächlich über seine Hoffnung, am dritten Turniertag einen würdigen Gegner zu finden, selbst wenn es der prahlerische Dietrich von Meißen sein sollte, der sich für Gottes Geschenk an die Ritterschaft zu halten schien. Danach zog er sich für die Nacht zurück.

In einem, dachte Walther, hat Friedrich recht: Die Braut ist während der Feierlichkeiten völlig in den Hintergrund geraten. Es war wohl nichts anderes zu erwarten gewesen. Walther bereute keineswegs, die Gelegenheit beim Schopf ergriffen zu haben, statt Minnelieder zu singen. Das hatten bereits genügend andere Sänger getan, über deren Werke aber bei weitem nicht so gesprochen wurde. Aber Irene war freundlich zu ihm gewesen auf der Reise, und sie musste sich jetzt fühlen, als sei sie auch für ihn nicht mehr als ein Siegel, das einem Vertrag aufgedrückt worden war. Ihr seine Aufwartung zu machen und ein paar gute Wünsche auszusprechen, konnte nicht schaden.

Die neue Herzogin von Schwaben, so stellte sich heraus, war in Gesellschaft ihres Gemahls, obwohl ihr eigene Gemächer gegeben worden waren, was entweder bedeutete, dass er es eilig hatte, einen Erben in die Welt zu setzen, oder, dass sich die beiden nicht auf den ersten Blick unsympathisch waren, vielleicht sogar Gefallen aneinander gefunden hatten. Sie saßen an einem Holzbrett, auf dem einige Figuren standen; ein Schachspiel, wie sich Walther dunkel erinnerte. Der alte Herzog von Österreich hatte eines besessen. Reinmar hatte einmal erzählt, dass er versucht habe, das Spiel zu lernen, nur, um es als eine tückische Qual aufzugeben, welche die Muslime der Welt auferlegt hatten. Offenbar waren die Brautleute nicht dieser Ansicht, denn Irene hielt gerade eine der Figuren in ihrer rechten Hand und setzte sie vorwärts, als Walther hereingelassen wurde.

»Herr Walther«, sagte Philipp warnend, »wir sind Euch dankbar, doch dies ist nicht die Zeit, um von Geschäften zu reden.«

»Wer könnte das in Gegenwart von solcher Schönheit?«, gab Walther zurück und verbeugte sich vor Irene. »Euer Gnaden, da Ihr nun am Ziel Eurer Reise angekommen seid, wollte ich Euch danken dafür, dass ich Euch auf dem Weg von Wien hierher begleiten durfte, und Euch Glück für die Zukunft wünschen.«

In Schleier und Haube einer verheirateten Frau wirkte Irenes Gesicht jünger und heller, als es noch in Nürnberg der Fall gewesen war, und sie hatte Schatten unter den Augen, doch sie klang gelassen und nicht gedrückt, als sie erwiderte: »Niemand weiß, was die Zukunft bringt, doch auch ich hoffe auf Glück für uns alle.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem kleinen Lächeln. »Ich muss zugeben, dass ich von Euren neuen Liedern weniger verstanden habe als von denen, die Ihr auf der Reise gesungen habt, doch Eure Zuhörer schienen sehr viel zufriedener, als so mancher vorher gewirkt hat. Aber vergesst die Liebe nicht. Ich mochte Eure früheren Verse darüber durchaus.«

Es war gleichzeitig ein Kompliment und eine Stichelei. Walther dachte, dass man die Fürstin aus Byzanz nicht unterschätzen durfte, nur weil sie manchmal wie ein verlorenes kleines Mädchen wirkte. Was sie sagte, brachte die Stunde zurück, in der er Lieder mit dem Leben verwechselt und geglaubt hatte, eine Frau damit zu erreichen, die ihn wegen Dingen verachtete, die er zugelassen, aber nicht selbst getan hatte. Trotz seines Entschlusses, nur mehr vorwärtszublicken, schmeckte er für einen Herzschlag lang Asche im Mund.

»Nun, ich hoffe, auch meine neuen Lieder werden eines Tages Gefallen bei Euer Gnaden finden«, entgegnete Walther so unbekümmert wie möglich, »denn immer nur auf alten Stoff zurückzugreifen, hat noch nie einem Sänger wohlgetan. Wenn Ihr mir die Gelegenheit gebt, Euch zu überzeugen …«

»Im nächsten Jahr vielleicht«, sagte Philipp freundlich, aber entschieden, und das überraschte Walther. Er musste wissen, dass Herzog Friedrich schon in den nächsten Tagen aufbrechen würde, konnte ahnen, dass Walther den Österreicher nicht auf seiner Kreuzfahrt begleiten wollte, und eigentlich hatte er nach seinem Erfolg damit gerechnet, dass Philipp ihm anbieten würde, eine Weile an seinem Hof zu bleiben. Offenbar gelang es Walther nicht rasch genug, das Gemisch aus Verwunderung und Enttäuschung in seiner Miene zu unterdrücken, denn der Herzog von Schwaben fuhr fort: »Es gibt Vögel, Herr Walther, die immer am gleichen Ort bleiben, doch die Singvögel gehören eigentlich nicht dazu, im Gegenteil: Man sieht sie immer am Himmel ziehen im Frühling und im Herbst, und dann kehren sie wieder mit all den neuen Liedern, die sie gelernt haben, während sie andere Menschen ihre eigenen lehrten. Einen solchen Vogel an einem einzigen Ort einzusperren, wäre geradezu eine Sünde wider Gott, findet Ihr nicht?«

Mit anderen Worten: Der Bruder des Kaisers wollte, dass Walther das Seine für die Sache der Staufer an anderen Höfen tat, dort verköstigt wurde und vielleicht sogar mit Beobachtungen über die edlen Herren und ihre Zuverlässigkeit wiederkehrte, ohne seinerseits bisher mehr für Walther getan zu haben, als dessen Liedern Beifall zu klatschen. Bei Gott, was man in Österreich über den Geiz der Schwaben erzählt, stimmt voll und ganz, dachte Walther empört, doch ein Teil seiner selbst war auch belustigt. Schließlich war es nicht so, dass ihm Philipp bisher irgendwelche Versprechungen gemacht hätte, und wenn man mit Fürsten einen Handel einging, dann musste man wohl Geiseln nehmen, um Geld zu sehen, statt nur auf Ehre und Großzügigkeit zu vertrauen.

Im gewissen Sinn waren Philipps Worte eine Herausforderung. Einmal einen Haufen halbtrunkener edler Herren von etwas überzeugt zu haben, das ihnen selbst nützte, das war nichts. Es galt, zu zeigen, dass diese Leistung kein Zufall gewesen war und dass Walther dies auch für Gönner tun konnte, die sich schneller großzügig zeigten als Philipp von Schwaben. Jeder Bauer, der sein Gemüse auf dem Markt verkauft, weiß, dass man bessere Preise herausschlägt, wenn es mehr als einen Käufer gibt, doch er hatte mal wieder versucht, schlauer zu sein als diese mit den Erfahrungen von Generationen.

»Ganz recht, Euer Gnaden«, sagte Walther. »Das Glück eines Vogels ist es, überall sein Nest finden zu können. Wo es ihm denn am heimeligsten wird, das weiß Gott allein, aber«, und er wiederholte den Satz, den Philipp ihm selbst gesagt hatte, als er ihn zum ersten Mal empfing, »einen Versuch ist es wert.«

Das Spiel der Nachtigall
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