Taspo Awards
Jeder Schriftsteller wird ab und zu mit den Figuren aus seinen Büchern verwechselt. Er kann sich noch so lange dagegen wehren oder darüber schimpfen, er bleibt trotzdem für alles, was in seinen Büchern geschieht, verantwortlich. Selbst wenn er von solch unrealistischen Gestalten wie Drachen, Zauberern oder Außerirdischen berichtet, denkt der Leser sofort, der Autor muss doch, wenn auch vielleicht nicht selbst außerirdisch, dann mindestens mit einem Außerirdischen verwandt sein.
So wurde ich zum Beispiel Gartenexperte. Ich habe ein Buch über das Leben und Arbeiten im Schrebergarten geschrieben, obwohl ich selbst dort selten anwesend war und bin. Meine Frau hat in diesem Garten gearbeitet und Wunder vollbracht, ich habe es bloß beschrieben. Trotzdem hat mich die Öffentlichkeit plötzlich zum Gartenspezialisten auserkoren. Fortan wurde ich zu Gartenfernsehsendungen, Gartenmessen und Gartenzwergkongressen eingeladen, verteilte Gartenpreise und gab wertvolle Ratschläge zum Gärtnern, obwohl ich keine Ahnung davon habe. In unserem Schrebergarten konnte ich nicht einmal den Todesstreifen vor unserem Gartenzaun richtig anlegen, fünfundfünfzig Zentimeter breit und fünf Meter lang, so wie es die Gartengesetzgebung in unserer Schrebergartenkolonie vorschreibt.
Die Idee, einen Garten zu pachten, kam ebenfalls von meiner Frau. Sie braucht ständig neue Kümmer-Objekte, um die sie sich sorgen kann. Eigentlich wollte sie einen Hund. Einen kleinen chinesischen Hund mit dem fast unaussprechlichen Namen Chihuahua. Oder eben einen Garten. Vor die Wahl gestellt favorisierte ich den Garten. Ich dachte in erster Linie an meine Ruhe. Ein Garten bellt nicht, man muss mit ihm nicht zweimal am Tag raus, und auch finanziell ist er bestimmt weniger aufwendig als ein Hund, dachte ich. Ich war zu dem Zeitpunkt, wie gesagt, eine völlige Gartenlusche. Ich hatte keine Ahnung.
Nach einem Jahr Gartenbesitz habe ich ein Buch verfasst. Eine ziemlich oberflächliche Beschreibung eines Gartenjahres. Ich ahnte nicht, welchen Stein ich damit ins Rollen bringen würde. Eine Auflage jagte die nächste, Gartenvereine luden mich zu Vorträgen ein, irgendwelche Fonds, die in Großstädten Kleingartenkolonien aufkaufen, um sie in natureingebettete Wohnflächen für Großfamilien umzuwandeln, riefen an und boten mir noch einen weiteren Garten zu Forschungs- und Werbezwecken an. Ich verzichtete, wir hatten mit unserem eigenen bereits genug zu tun. Dafür nahm ich eine Einladung auf das Schloss Ippenburg bei Bad Essen an, wo eine große Gartenschau stattfinden sollte. In jenem Jahr zeigte die Schlossherrin Viktoria Freifrau von dem Bussche mithilfe von dreißig Russlanddeutschen in ihrem großen Park eine Art Kunstausstellung, bestehend aus verschiedenen Schrebergartentypen. Es gab einen typisch deutschen mit Fahnenmast und Nationalfahne, einen chinesischen aus Bambus, einen philosophischen mit einer runden Laube und eine russische Datscha mit Samowar auf dem Tisch und großen Konfitüredosen auf dem Fußboden.
Der Höhepunkt meiner bisherigen Gärtnerkarriere aber war eine Einladung zur feierlichen Verleihung der TASPO AWARDS, der Garten-Oscars. Die Preisverleihung fand im Hotel Hyatt am Potsdamer Platz statt. Der Konferenzsaal des Hotels wurde zu diesem Anlass von den besten Floristen des Landes dekoriert, und die ganze Gartenbranche versammelte sich in Smoking und Abendkleidern an den Tischen. Die Nominierung für die Garten-Oscars erfolgte in zweiundzwanzig Kategorien, angefangen mit dem Preis für die am längsten blühende Rose des Jahres bis hin zum Preis für kreative Topfpflanzenzüchtung und der einfallsreichsten Friedhofsgärtnerei. Für alle Fälle nahm ich meine Frau mit. Von uns beiden war sie diejenige, die notfalls ein einigermaßen fachkundiges Gartengespräch mit den Koryphäen der Branche bestreiten konnte.
Meine Frau gab sich tatsächlich Mühe. Sie erzählte unseren Tischnachbarn – alles Gartenfunktionäre von höchstem Rang – ihre Erfahrungen mit dem alten elektrischen Rasenmäher aus der DDR und mit dem neuen Benzinrasenmäher, den wir uns vor Kurzem anschaffen mussten, nachdem der sozialistische Rasenmäher-Bruder auf unserem Rasen Selbstmord beging, indem er über sein eigenes Stromkabel fuhr und dadurch einen letalen Kurzschuss verursachte. Das Gespräch über die Rasenmäher zündete nicht richtig in der Runde an unserem Tisch. Nur der Baumarktbeauftragte fragte meine Frau interessiert, ob unser neuer Rasenmäher bereits an die aktuellen Abgasbestimmungen für Rasenmäher angepasst sei. Die anderen Tischnachbarn drückten sich und meinten, sie hätten mit Rasenmähern nichts zu tun, sie wären nur für die Erde zuständig.
»Ich bin zum Beispiel überhaupt nur für Containerpflanzen zuständig«, erklärte die nette Dame rechts von uns.
»Ich für das Baumarktsortiment«, sagte ein anderer Tischnachbar.
»Blumenstraußkonfigurationen«, stellte sich ein Dritter vor.
»Und wer von Ihnen ist für Gurken zuständig?«, erkundigte sich meine Frau völlig unvermittelt. Schweigen kam auf.
»Was für Gurken?«, fragten die Experten um uns herum.
»Irgendwer muss doch für Gurken zuständig sein«, meinte meine Frau. »Deutschland hat nämlich ein großes Gurkenproblem. Haben Sie hier schon mal Gurken gekauft ?«, fragte sie.
Unsere Tischnachbarn taten verlegen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben eine deutsche Gurke gesehen, ganz zu schweigen davon, eine oder mehrere gekauft zu haben. Niemand an unserem Tisch schien für Gurken zuständig zu sein.
»Was stimmt denn mit den Gurken nicht?«, fragte ein Gartenmanager interessiert. Im Konferenzsaal herrschte eine heitere Stimmung. Gerade wurde auf der Bühne der Oscar für das beste Friedhofswaldkonzept des Jahres verliehen. Der Gewinner, ein hagerer älterer Mann, küsste die blonde Moderatorin auf die Wange, hob die Statuette hoch und schrie: »Yahoo!«
»Was mit den Gurken nicht in Ordnung ist? Sie schmecken einfach scheiße«, erklärte meine Frau. »Es gibt nur eine einzige Gurkensorte in Deutschland: Gurken, die wie Handgranaten aussehen, ohne Geruch, ohne Geschmack, als wären sie nicht in Erde, sondern in der chemischen Lösung eines Gurkenlabors gewachsen. Die Fragen der Zuständigkeiten in der Gartenbranche müssen noch einmal überdacht werden«, forderte meine Frau.
»Im Kaukasus«, so erzählte sie dann, »ist zum Beispiel jeder Gartenmensch für alles zuständig, seien es Blumen, technische Geräte oder Gemüse. Gurken wachsen dort im Mist, sie werden im Mai gepflanzt und manchmal noch einmal im Juli. Gurken-Handgranaten will im Kaukasus niemand haben. Es sind normale Gurken mit feiner Gänsehaut, klein in der Länge und groß im Geschmack. Die Menschen pflanzen sie nicht aus Not, sondern aus Spaß. Eigentlich bräuchten sie im Kaukasus keine Gurken zu pflanzen. Es gibt von den Bauernhöfen der Umgebung genug davon auf dem Markt, sie werden dort zu Spottpreisen verkauft, eine eigene Gurkenernte lohnt sich daher eigentlich nicht. Die meisten Gurken werden ohnehin für den Winter eingelegt, und wie viele eingelegte Gurken braucht ein Mensch schon? Sieben Dreilitergläser pro Jahr. Die Leute dort machen es trotzdem. Jedes Jahr pflanzen alle ihre eigenen Gurken, weil sie sich zuständig fühlen für ihre Erde, ihre Blumen, für alles, was aus dieser Erde wächst. Für sie ist ein Garten wie eine Familie – eine Überlebensstrategie, die Solidarität und Verantwortung erfordert, dafür aber den Menschen das Gefühl gibt, nicht bloß als Untermieter auf die Welt gekommen zu sein.«
Die Tischrunde nickte, aber irgendwie ein bisschen desinteressiert, wie mir schien – sie waren ja auch nicht für Gurken zuständig. Vielleicht dachten sie aber auch insgeheim : Diese Russen, ein richtiges Gurkenvolk.