Der deutsche Mann
Ich habe viele deutsche Männer beobachtet, obwohl mich grundsätzlich die Frauen mehr interessieren. Ich sehe diese Männer oft bei der Tanzveranstaltung »Russendisko«, wo ich seit über zehn Jahren jede zweite Woche den DJ mache. In der letzten Zeit ist Berlin ein Mekka für junge Touristen geworden, eine Art Paris für Arme. Neben unserer Disko sind mehrere Hotels aus dem Boden gestampft worden, viele Engländer, Amerikaner, Italiener kommen zum Tanzen und Feiern. Dadurch wird der deutsche Mann noch deutlicher sichtbar. Man erkennt ihn daran, dass er neben dem Tresen oder in einer Ecke nahe dem Eingang bei der Kassiererin steht und das hereinströmende Publikum beobachtet. Zuerst dachten wir, er wäre vom Finanzamt geschickt worden, um zu kontrollieren, ob der Geldverkehr ordnungsgemäß abgewickelt wurde. Aber nein, er wollte eigentlich nur Frauen kontrollieren. Oft konzentriert sich der Mann dabei auf eine ganz bestimmte, als wolle er sie hypnotisieren. Aber er geht nicht auf sie zu, um sie kennenzulernen. Er bewegt sich überhaupt sehr vorsichtig. In manchen amerikanischen Actionfilmen schlucken Drogendealer Kondome mit Heroin, um die Droge über die Grenze oder in den Knast zu schmuggeln. Sie dürfen dann nicht herumspringen, denn die Ladung in ihrem Körper würde sie sofort umbringen, wenn sie platzen würde. So bewegen sich die Deutschen in der Disko: Als würden sie in sich einen zerbrechlichen Schatz bergen. Von Protzen oder sportlichem Anbaggern, wie es den Russen eigen ist, kann keine Rede sein.
Die Courage, die meine Landsleute aufbringen, wenn es ums Saufen, Ausgehen oder Sichverlieben geht, ist dem deutschen Mann fremd. Eigentlich weiß er selbst nicht, was er von der Frau will, die er stundenlang beobachtet. Heiraten hat er nicht vor, das würde eine zu große Einschränkung seiner Freiheit bedeuten und seine Tagesordnung durcheinanderbringen. Eine Frau in ihn verliebt zu machen, dafür fehlt ihm der Ehrgeiz. Für ein kurzfristiges Abenteuer ist er nicht sportlich genug, und außerdem hat er Angst um seinen Geldbeutel. Und wenn er dann doch nach zwei Jahren gucken beschließt, eine bestimmte Person kennenzulernen, dann wird er sie auch nicht gleich anspringen, sondern sich zuerst beraten – mit seinen Kumpeln, seinem Anwalt, vielleicht noch seinem Arzt und seinem Steuerberater, möglicherweise seiner Mutti. Er hat Dutzende Beratungsstellen, die einen zu Tode beraten können.
Der Gerechtigkeit halber muss an dieser Stelle gesagt werden, dass diese Beschreibung nur auf den heterosexuellen Mann passt. Die Homosexuellen in Deutschland kennen diese Zurückhaltung nicht, sie zeigen oft Großzügigkeit und Courage. Wenn sie verliebt sind und das Objekt ihrer Begierde umschwärmen, gibt es kein Halten mehr. Der heterosexuelle Mann hat es dagegen schwerer. In gewisser Weise sind Frauen daran schuld, dass dieser unsichere Typus sich dermaßen stark entwickelte. Sie haben hierzulande dem Mann besonders kräftig mit dem Hammer des Feminismus auf die Eier geschlagen. Ich möchte über den Feminismus nicht schimpfen. Der Kampf der Frauen für ihre Rechte war richtig und notwendig. Es gibt aber kaum Kämpfe ohne zivile Opfer. Leider ist der deutsche Mann in diesem Kampf zu einem Kollateralschaden geworden.
Es hat etwas Anrührendes, wenn sich Kollateralschäden verlieben. Sie wirken ohnmächtig, so als wären sie von ihrer eigenen Verliebtheit hypnotisiert. Sie können jahrelang um eine Frau herumkreisen wie versengte Motten um eine Glühbirne und diese Frau mit gesellschaftlich relevanten Themen vollsummen, anstatt gleich zur Sache zu kommen, d. h. ihr die eigenen Gefühle direkt zu offenbaren. Dafür bleiben die Deutschen eben länger verliebt. Manchmal gehen sie mit dem Objekt ihrer Begierde zwanzigmal essen und dreißigmal wandern, trinken fünfzig Liter Latte macchiato zusammen und essen kiloweise Kuchen dazu, bevor sie einander finden.
Diese Kommunikationsschwierigkeiten haben damit zu tun, dass Frauen in Deutschland viel gleichberechtigter sind als Männer. Sie haben auch viel länger darum gekämpft. Früher hatte es eine Frau in Deutschland nicht leicht, sagt man jedenfalls. Sie durfte z.B. weder Kaiser noch Führer werden, später auch nicht Bundeskanzler. Viele von ihnen waren fest aufs Zuhausesitzen abonniert, wo sie sich ständig um Essen, Kinder und Haustiere kümmern mussten. Der Kampf der Frauen für ihre Rechte endete mit einem Erfolg. Die deutschen Männer der Gegenwart haben nun großen Respekt vor Frauen. Für sie ist eine Frau ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft – wenn sie sich bei einer Frau einkratzen, dann tun sie es nicht mit sexistischen Witzchen, sondern auf politisch korrekte Art, als wäre die Frau ihr Vorgesetzter. Sie reden über Fußball, Kino und die Mehrwertsteuer.
Die Kunst der übertreibenden reizenden Komplimente hat den Sprung in diese emanzipierte Welt nicht geschafft, da halten sich die deutschen Männer zurück. Die Einzigen hier, die sich solche Umgangsformen bei Frauen erlauben, sind Männer aus sogenannten orientalischen Kulturkreisen. In ihnen ist immer Platz für durchgeknallte Komplimente aller Art, und selbst die jungen Männer beherrschen noch die alte Kunst, eine Frau mit einem Spruch zum Schmelzen zu bringen. Wenn sie verliebt sind, strotzen sie vor Komplimenten, obwohl man bei diesen Männern nie sicher sein kann, ob sie tatsächlich verliebt sind oder nur so tun. Das, was sie den Frauen sagen, ist lächerlich und eine Lüge noch dazu, es klingt, als ob einer versuchen würde, die Geschichten aus 1001 Nacht in einem Satz zusammenzufassen:
»Du hast so süße Augen – hat dein Vater eine Zuckerfabrik ?«
Jeder normale Mensch würde sich schämen, so etwas auch nur anzudeuten. Eine Zuckerfabrik! Was für eine billige, beleidigende Anmache! Das Traurige ist: Sie funktioniert. Die Klugen, die Schönen und die Selbstbewussten schmelzen dahin, wenn sie auf orientalische Art angebaggert werden. Auch wenn sie es nicht gleich zeigen, gefällt es ihnen, einmal als Zuckerfabrikprodukt angesprochen zu werden. Nicht selten habe ich bei uns in der Disko gesehen, wie eine solche emanzipierte und hochgebildete Zuckerfabrik mit einem gegelten BMW-Hirten im Arm die Tanzfläche verließ.
Merkwürdigerweise taugt diese orientalische Anmache nicht zur Nachahmung. Als ein Freund, ein Angehöriger des russischen Kulturkreises, einmal etwas Ähnliches versuchte – »Du hast einen süßen Hintern – hat dein Vater einen Hinternbetrieb?« –, bekam er sofort eine übergebraten, noch bevor er dazu kam, die Qualitäten der väterlichen Produktion besser zu beschreiben. Frauen sind unergründlich. Sie wissen selbst nicht, was sie wollen.
Meine Landsleute drehen gerne durch, wenn sie verliebt sind. Sie geben ihr ganzes Geld für Blumen aus und schmeißen sie der Frau vor die Füße. Oder sie streiten mit ihr, betrinken sich sinnlos, drohen mit Selbstmord und versuchen auch sonst mit allen Mitteln, die Aufmerksamkeit der Frau auf sich zu lenken – aber ohne Komplimente. Ein Freund von mir hat neulich alle exotischen Fischchen aus dem Aquarium seiner Freundin vor ihren Augen roh aufgegessen, um ihr zu zeigen, wie irre ihn ihre Gleichgültigkeit gemacht hat. Sie meinte dazu nur: »Du hast zu viele Filme geguckt.« Dies ist ein Beispiel dafür, welch ungeheure Macht die Frauen in Russland über ihre Macho-Männer besitzen. Sie können sie abfüttern, womit sie wollen, sie drehen und wenden nach Belieben. Warum das so ist, weiß ich nicht.