Ausländer in Deutschland
Glaubt man dem Nationalatlas der Bundesrepublik, wird die Differenz zwischen dem Staatsvolk und einem großen Teil der Wohnbevölkerung, im Volksmund »Ausländer« genannt, immer größer. Zur Zeit beträgt der Anteil beinahe acht Millionen und vergrößert sich quasi stündlich. Ausländer stellen in Deutschland ein ernstes Problem dar. Sie kommen freiwillig hierher, und viele bleiben ihr ganzes Leben lang. Da kann etwas nicht stimmen, die Einheimischen wittern schlechte Absichten. Denn die Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, niemand kommt einfach nach Deutschland, um ein paar Bilder von alten Kirchen und Schlössern zu knipsen – außer japanischen Touristen. Deswegen geht es in fast jeder politischen Debatte um die Ausländerproblematik. Gleichzeitig werden unzählige Forschungsarbeiten in Auftrag gegeben, um festzustellen, was diese Ausländer für Menschen sind und warum sie sich ausgerechnet für Deutschland entschieden haben, obwohl es so viele andere Länder drum herum gibt.
Deutschland ist noch nie durch überschäumende Gastfreundlichkeit aufgefallen, im Gegenteil zeigte es sich oft sehr kämpferisch, wenn es galt, die ungebetenen Gäste wieder loszuwerden. Obwohl relativ mächtig und industriell hochentwickelt, hat Deutschland nie mit seinen europäischen Nachbarn an einem Tisch in der Schulkantine gesessen, es ging seinen eigenen Weg. Dafür wurde das Land ständig von den Nachbarn gehänselt und gemobbt. Während die Franzosen und die Engländer sich gern als die Wiege der Weltkultur inszenierten, hat Deutschland noch heute das Selbstverständnis einer Tiefgarage: Es glaubt, jeder Fremde, der hierherkommt, will sich entweder ein neues Auto klauen oder an die sauberen Wände pissen. Nie war Deutschland ein Einwanderungsland, fremde Kulturkreise goutierte man am liebsten nur im Fernsehen. Für drei Euro ein Kind in Afrika retten – bitte schön. Für einen Euro einen Tiger im Regenwald schützen – sehr gern. Sollte sich der Tiger aber einmal hierherschleichen, würde er sofort zurück nach Asien abgeschoben.
Dafür war Deutschland lange Zeit ein Auswanderungsland. Zwischen 1820 und 1920, während die Nachbarländer ihre Kolonialpolitik betrieben, wanderten sechs Millionen Deutsche aus. Sie fuhren nach Amerika, Kanada oder Argentinien, um dort die desolate wirtschaftliche Lage ihrer Heimat auszusitzen. Später mussten die europäischen Nachbarländer für ihre Kolonialpolitik büßen und halb Indien bzw. halb Afrika bei sich aufnehmen. Deutschland blieb deutsch und freute sich darüber.
Bis in die Fünfzigerjahre hinein gelang es dem Land, sich in dieser jungfräulichen Form zu halten. Die ersten Pannen kamen mit der Vollbeschäftigung, die das Land kalt erwischte. Deutschland fing aus pragmatischen Gründen an, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben. Es sollten junge gesunde Männer sein, die bereit wären, für niedrigste Löhne schwerste Arbeit zu verrichten. Die ersten waren Italiener, Jugoslawen, Türken, Koreaner und Portugiesen, die sorgfältig ausgewählt wurden. Man stellte jeden Einzelnen von ihnen auf die Waage und schaute jedem in den Mund, damit er nicht, statt zu arbeiten, gleich zum Zahnarzt musste. Die DDR warb die Arbeitskräfte im sozialistischen Lager an: Vietnamesen, Angolaner und Kubaner kamen, um ihre internationale Pflicht auf den Baustellen des Sozialismus zu erfüllen. Sie blieben, auch als der Sozialismus verschwand.
Seitdem fühlt sich ganz Deutschland von seinen Ausländern bedroht und beschimpft sie, wo es nur geht. Oder streitet darüber, wie man sie am besten integriert. Die ewige Integrationsdebatte erinnert an die alte Schildkröte, die vor fünfzig Jahren begonnen hat, aus dem Zoo auszubrechen, aber niemand hat es bisher bemerkt, weil sie noch immer nicht ihr Gehege verlassen hat. Eigentlich hatten die Deutschen niemals vor, jemanden bei sich zu integrieren. Damals, als die Ärmsten der Armen angeworben wurden, um in Deutschlands Zechen zu schuften, hat man besonders gerne Analphabeten genommen, damit sie nicht auf den Gedanken kämen, ihre Arbeitsverträge genau zu lesen, bevor sie ihr Kreuz daruntersetzen. Auf die Idee, dass diese robusten Männer ihre Familien mitnehmen, sich in Deutschland fortpflanzen und dort alt werden könnten, statt zurück nach Hause zu fahren, auf diese Idee kam damals niemand. Keiner dachte daran, dass es ihnen in Deutschland gefallen könnte. Dass sie auch dann noch bleiben würden, wenn die Kohle alle war – samt ihren Kopftuch tragenden Frauen, ihren Unverständliches predigenden Imamen und ihren rappenden Kindern. Ihre neue Leistung ist es, die schwarzen Schafe Deutschlands zu sein.
Als demokratisches Land, das die Menschenrechte achtet und sich gegen jegliche Form von Diskriminierung wehrt, darf Deutschland seine Ausländer nicht alle auf einmal abschieben, nur ein paar im Jahr. Die Hoffnung, dass sie von alleine verschwinden, wird aber immer geringer. Für jeden Abgeschobenen werden hier zehn neue geboren. Denn nach wie vor sind die meisten Ausländer männlich, robust und vermehrungsfreudig, abgesehen von den Thailändern, bei denen auf 500 Frauen weniger als hundert Männer kommen. Diese Gruppe wurde aber auch nicht für die Großindustrie, sondern für das kleine Vergnügen ins Land geholt und nicht rechtzeitig zurücktransportiert. Inzwischen muss sich Deutschland nach allen Seiten hin der Ausländer erwehren. Vom Westen aus sickern »Islamisten«, »Hassprediger« und »Schläfer« ein, von Osten drängen »Huren«, »Kriminelle« und »Schleuserbanden« zu Tausenden ins Land. Die Polen werden als »Autodiebe« eingeschätzt, die Vietnamesen als »Zigarettenmafia«, und die Afrikaner versorgen die »Drogenszene«.
Die statistischen Untersuchungen machen deutlich, wie die Ausländer Deutschland untereinander aufgeteilt haben. Jede Gruppe hat laut Nationalatlas ein eigenes spezifisches Ansiedlungsmuster entwickelt. Die Briten und Franzosen bevorzugen als Siedlungsräume ihre ehemaligen Besatzungsgebiete, dort fühlen sie sich noch immer wohl. Die Niederländer lassen sich in der Nähe der holländischen Grenze nieder. Der Inder mag Frankfurt am Main, den Russen zieht es nach Frankfurt an der Oder. Die Italiener sonnen sich hauptsächlich im Süden der BRD, während die Türken und die Griechen sich bevorzugt an Rhein und Ruhr ansiedeln. Die Vietnamesen und Kubaner stellen den größten Ausländeranteil in den neuen Bundesländern.
Inzwischen schottet sich Deutschland, so weit es nur geht, ab. In den weißrussischen Konsulaten wird als Grund für die Visumabsage »Bekämpfung der Prostitution« angegeben, in der Ukraine »Bekämpfung der Kriminalität«. In Vietnam sagen sie wahrscheinlich »Wir sind ein Nichtraucherland«, wenn jemand ein Besuchsvisum nach Deutschland beantragt. Diese pragmatische Haltung ist jedoch wenig erfolgreich. Die Ausländer kommen nun aus Trotz. Nur einmal hat man Fremde nicht aus pragmatischen Gründen ins Land gelassen: 1990 gab die untergehende DDR-Regierung einigen Tausend Juden aus der Sowjetunion eine Aufenthaltserlaubnis als symbolische Geste der Wiedergutmachung. Sie wurden nicht zum Arbeitseinsatz geholt, viele von ihnen bekamen sogar Sozialhilfe. Nach der Auflösung der DDR musste die BRD auch noch diese Zuwanderung ohne jeglichen Nutzen zähneknirschend weiter tolerieren – ein typisches Erbe einer Diktatur.
In einer richtigen Demokratie gibt es eigentlich keinen Platz für symbolisches Handeln. Was hat die Welt gelacht, als Nordkorea am 31. August 1998 seinen ersten Sputnik ins All schoss. Dieser Sputnik hatte keinerlei praktische Bedeutung, seine einzige Aufgabe war es, rund um die Uhr Grußbotschaften an den koreanischen Generalsekretär zu senden. Da haben sich die Pragmatiker auf die Schenkel geklopft. So ein aufwendiges und teures Projekt – für nichts und wieder nichts. Dabei hätte man mit einem solchen Satelliten so viel Geld verdienen können! Zum Beispiel verschlüsselte Softpornos ausstrahlen oder Grenzen kontrollieren. Die Koreaner fühlten sich von der Welt missverstanden und bauten daraufhin ihren Sputnik ganz pragmatisch zu einer Atombombe um.