Die deutsche Sexualproportion
Frauen stellen in Deutschland die Mehrheit, in manchen Touristenbussen, die auf Kaffeefahrten durch Deutschland düsen, sogar eine satte hundertprozentige Mehrheit. Dabei werden Männer und Frauen in gleicher Anzahl geboren. Die Statistik der Sexualproportion ist wie keine andere vom Alter abhängig. In jungen Jahren, gleich nach Erreichen der Volljährigkeit, legen die Männer los und dominieren statistisch gesehen in so ziemlich allen Regionen des Landes, besonders aber in den neuen Bundesländern, in denen es auf hundert junge Frauen immer mindestens zwanzig junge Männer zu viel gibt. Doch wenn sie fünfundzwanzig werden, verändert sich die Sexualproportion rasant. Der Anteil der männlichen Bevölkerung reduziert sich dann drastisch bis zum fünfzigsten Lebensjahr. Ab neunundfünfzig im Westen und zweiundfünfzig im Osten wird Deutschland weitgehend von Frauen dominiert, mit Ausnahme von fünf Landkreisen, in denen die Männer auch dann noch in der Überzahl bleiben: Cloppenburg und Plön im Norden, Freising, Erding und Landsberg am Lech im Süden – das sind die deutschen Männer-WGs, die aber wenig Trost bieten.
In den neuen Bundesländern, die so potent anfingen, verschwinden Männer schneller als Mücken im Winter. Allein mit der Auswanderung in den Westen, einer niedrigeren Lebenserwartung, Autounfällen und Geschlechtsumwandlungen lässt sich dieses Phänomen nicht erklären. Mein Freund, ein Sozialwissenschaftler, behauptete neulich, schuld daran sei die allgemeine Feminisierung der Gesellschaft, die zurzeit in allen industriell entwickelten Ländern grassiere. Die Männer in diesen Ländern wollen den Frauen alles nachmachen und verlieren dadurch ihre Männlichkeit. Frauen setzen in einer vom Konsum bestimmten Gesellschaft die Trends, weil sie einfach mehr Wünsche als Männer haben. Frauen wollen abnehmen, sie wollen Wellness, Yoga, Antistress-Massagen und Entspannungstherapien, und die Männer tun es ihnen nach. Doch was den einen gesund hält, ist des anderen Tod. Das wussten schon die alten Griechen. Männer sind keine Kaninchen, sie können sich nicht nur von Rucola ernähren und gleichzeitig Mann bleiben. Ein Mann braucht Stress, er braucht Herausforderungen, dann blüht er auf. Wenn er aber anfängt, linksgedrehte Joghurts zu essen, auf seine Figur zu achten und Termine beim Frisör langfristig zu vereinbaren, fällt er automatisch aus der Männerstatistik.
Frauen trinken zum Beispiel auch gerne Wasser. Dafür gibt es eine wissenschaftliche Erklärung aus den USA. Gemäß dieser postdarwinistischen Theorie haben sich die Menschen einst in zwei Gruppen geteilt, nachdem sie mangels Bäumen aufgehört hatten, Voll-Affen zu sein: Die Männchen hingen weiterhin im Wald herum und jagten Großwild, die Weibchen aber gingen ins sichere Wasser, wo sie Muscheln und Kleinkrebse sammelten. Genau weiß man es noch immer nicht, was sie im Wasser trieben und wie lange sie darin lebten, doch als sie wieder ans Ufer kamen, sahen sie anders aus als die Männer: Ihre Körper hatten einen besonderen Schwung, ihre Haut war zart, glatt und blass geworden, die Formen wie vom Wasser geschliffen, und wenn man heute die wenigen Frauenhaare am Körper nässt, so sagt die Wissenschaft, kann man an ihnen noch immer die Wasserströmung von damals erkennen.
Deswegen verbreiten Frauen in der heutigen Welt den Kult des Wassers, und das mit großem Erfolg. Ständig sieht man junge und alte Frauen mit Wasserflaschen in der Hand durch unsere urbanen Landschaften laufen. Daraus hat sich in den letzen Jahren ein allgemeiner Trend entwickelt. Wasser ist in, Wasser ist sexy, und immer mehr Männer tun es den Frauen nach. Sogar bei uns in der Russendisko zieht der Türsteher jedem zweiten Pärchen am Eingang eine Wasserflasche aus der Tasche. Zuerst riecht er ungläubig daran, vermutet getarnten Alkohol oder noch schlimmer: gesetzwidrige Substanzen. Aber nein, in den Flaschen verbirgt sich nichts Verbotenes, immer nur Wasser, hundertprozentiges klares Wasser; die Droge der neuen femininen Generation. Damit heilt man heute jede Krankheit, damit kann man beinahe alle Nahrungsmittel ersetzen. Wasserhersteller werben mit schönen Frauen und Sprüchen wie »Volle Pulle Leben« oder »Finde dein mentales Gleichgewicht« und bringen immer mehr Männer dazu, Wasser zu trinken.
Deren Großväter hatten noch viel mit der Welt vor: Sie tranken Hochprozentiges, gerne schon am Vormittag, hatten dabei »volle Pulle Leben«, und kein Stress der Welt konnte ihnen irgendetwas anhaben, sie waren selbst der Stress! Gut, viele ihrer Vorhaben liefen schief oder verliefen sich im Sand. Ihre Pläne waren nicht richtig durchdacht oder scheiterten trotzdem. Daher war die nachfolgende Generation der Väter bereits vorsichtiger. Sie bevorzugte es, die Welt durchs Bierglas anzuschauen, ihr Lebensdurst war schon etwas dünner, ihre Taten nachvollziehbarer, sie lebten länger und bekamen Bäuche. Und heute ist die Zeit anscheinend noch dünner geworden : Alle trinken stilles Wasser und beschweren sich über die Hektik und den Stress des Alltags. Eine Flasche guter Whisky als Quelle für neue Energie und Lebensfreude kommt nicht mehr in Frage.
Das Streben, gesund und lange zu leben, ist niemals falsch. Und ich möchte den Frauen nicht vorwerfen, sie würden Männer mit ihrem Wasser auf eine schiefe Bahn bringen. Nein, sie meinen es gut mit uns, sie wollen, dass wir ruhiger werden. Doch Männer lösen sich in diesem stillen Wasser einfach auf! Deswegen bitte ich sie: Hört auf mit dem Quatsch. Trinkt kein Wasser! Das Zeug macht nicht mobil! Werdet lieber Piraten! Trinkt Rum oder Schnaps, bringt mehr Hektik in euer Leben! Stress gibt Farbe! Alles muss wieder hochprozentig werden! Und wenn man doch mal Wasser trinken will, dann nur zu feierlichen Anlässen und in ganz kleinen Gläsern.