12.

Als ein dröhnender Knall die Luft erfüllte, bäumte Trudis Stute sich auf und wollte ausbrechen, und auch die Reiterin sah sich erschrocken um.

»Das war ein Belagerungsgeschütz! Und ein zweites!«, rief Quirin und zuckte zusammen, als eine weitere Detonation über das Land hallte. »Es sind drei Kanonen! Ziemlich schwere Kaliber, muss ich sagen. Denen kann keine Mauer der Welt lange standhalten.«

Als er sah, dass er Trudi damit erschreckte, versuchte er, sie zu beruhigen. »Immerhin wissen wir jetzt, dass Eure Leute sich noch verteidigen. Und jetzt kommen wir, um mit den Feinden aufzuräumen!« Es klang so selbstgefällig, als wären er und die anderen Reiter Eichenlohs in der Lage, jeden Gegner zu werfen. Im Gegensatz zu ihm wirkte Peter mit einem Mal besorgt. »In wenigen Stunden sind wir vor Kibitzstein. Mir wäre es lieb, Jungfer Trudi, wenn wir Euch vorher bei einem Eurer Nachbarn in Sicherheit bringen könnten.«

»Die meisten Nachbarn stehen nach dem, was wir in Prichsenstadt gehört haben, zusammen mit dem Heer des Bischofs vor unserer Burg, und die, die nicht dabei sind, würden mich dem Bischof ausliefern, um bei ihm gut Wetter zu machen. Da fühle ich mich bei Euch und Euren Männern weitaus sicherer.«

»Meine Mutter würde dich gewiss nicht ausliefern«, wandte Hardwin ein. Dann aber schüttelte er bedauernd den Kopf. Er hatte seine Heimat bereits vor etlichen Monaten verlassen und wusste nicht, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hatte.

Vielleicht hatte seine Mutter sich bereits Herrn Gottfried unterwerfen müssen.

»Ich weiß noch etwas Besseres«, sagte er. »Du hast doch Bekannte in Schweinfurt, die dich aufnehmen können!«

Trudi zog den Kopf ein, als er sie an Mariele erinnerte. Wie sie die älteste Tochter ihrer Patentante kannte, würde diese ihr zuerst gründlich den Kopf waschen und sie anschließend so lange in den Keller sperren, bis ihre Mutter oder ihr Bruder sie holen kamen. Außerdem wollte sie nicht fern der Geschehnisse sein, während ihre Familie in Gefahr war.

»Ich komme mit! Sollten die Leute des Bischofs versuchen, Hand an mich zu legen, fliehe ich in die Burg. Wirbelwind trägt ihren Namen zu Recht!« Sie tätschelte die Stute und nannte sie ihre Gute. Das Tier hatte sich wieder beruhigt und schlug von selbst den Weg in die Heimat ein.

Peter streckte die Hand aus, um Trudi aufzuhalten, doch Quirin schüttelte lachend den Kopf. »Lass es! Das schaffst selbst du nicht. Außerdem müssen die Mannen des Bischofs sich erst mit uns herumschlagen, bevor sie an die Jungfer kommen. Wir lassen doch keine Dame gefangen nehmen, die so weit mit uns geritten ist!«

»Da hast du recht!« Eichenloh klopfte seinem Unteranführer vom Sattel aus auf die Schulter und trieb dann seinen Hengst an, um zu Trudi aufzuschließen. Inzwischen meldete ihnen ein etwas leiserer, aber scharfer Ton, dass weiter geschossen wurde. Trudi gab ihrer Stute den Sporn zu fühlen, so dass sie in Galopp fiel, und der gesamte Trupp folgte ihr.

»Wenn wir so weiterreiten, hängen unseren Gäulen die Zungen bis auf den Boden, noch bevor wir Kibitzstein erreicht haben«, schrie Peter hinter Trudi her.

Sie wollte ihm schon sagen, dass sein Hengst und ihre Stute das Tempo mit Sicherheit durchhalten würden. Dann aber dachte sie an die anderen Pferde, die weniger ausdauernd waren, und zügelte Wirbelwind.

Vom nächsten Hügel aus konnten sie bereits bis nach Kibitzstein hinüberblicken. Trudi kannte ihre Heimat nur aus friedlichen Zeiten, und es drückte ihr das Herz ab, als sie die Zelte der Belagerer und die drei schweren Kanonen sah, die eben wieder geladen wurden. In Habichten, dem zu Kibitzstein gehörenden Meierdorf, hielten sich ebenfalls feindliche Soldaten auf, die in den Häusern und Hütten der Bauern aus und ein gingen, als wäre es ihr Eigentum. Die Burg selbst war so weiträumig umschlossen, dass die verteidigenden Geschütze, wie Peter vermutete, die Belagerer nicht mehr erreichen konnten. Zerstörtes Kriegsgerät und zerfetzte Schanzkörbe, die außerhalb des Belagerungsrings lagen, verrieten jedoch, dass die Kibitzsteiner selbst auf die größtmögliche Entfernung zielsicher trafen. Das nötigte dem kriegserfahrenen Söldnerhauptmann große Achtung ab. Aber in dieser Situation halfen der Mut und die Geschicklichkeit der Verteidiger nicht gegen die schiere Masse der Angreifer und die mauerbrechenden Kanonen.

Äußerlich weitaus ruhiger, als er sich fühlte, lenkte er seinen Hengst an die Spitze und befahl Trudi, sich ans Ende des Trupps zurückfallen zu lassen, damit sie nicht sofort gesehen würde. Auf seinen Wink hin entrollte Quirin zum ersten Mal seit langem wieder das Banner. Als es über ihnen flatterte, hielt Eichenloh kurz die Luft an, denn das Fahnentuch trug nicht mehr nur die drei goldenen Eicheln und Eichenblätter, sondern auch den einköpfigen schwarzen Reichsadler auf goldenem Schild, der sonst nur Reichsstädten und freien Reichsherrschaften verliehen wurde. Auf seinen fragenden Blick hin zuckte Quirin mit den Achseln.

»Einer der Kammerherren des Königs bot sich an, unser doch schon arg zerfetztes Banner flicken zu lassen, und brachte es erst am Tag unserer Abreise zurück. Daher konnte ich es mir nicht mehr ansehen.«

»Dann lassen wir halt den Adler fliegen. Er beweist immerhin, dass wir im Auftrag des Königs kommen.« Peter hatte wenig Lust, über die überraschende Wandlung seines Wappens nachzudenken. Mit einem Handzeichen befahl er seinen Männern, ihm in Zweierreihen zu folgen, und eine weitere Geste wies sie an, ihre Waffen bereitzuhalten.

Zu ihrem Ärger musste Trudi neben Uta reiten, die es inzwischen gelernt hatte, sich auf einem Pferd zu halten. Die Magd griff nach hinten, nestelte ihren Umhang los, den sie hinter dem Sattel festgebunden hatte, und reichte ihn Trudi.

»Hier, Herrin, zieht das über! Ihr wollt doch nicht, dass man Euch sofort erkennt.«

»Danke!« Trudi nickte ihrer Magd kurz zu und sagte sich, dass Uta sich während dieser Reise gut herausgemacht hatte. Sie redete zwar immer noch viel, konnte aber inzwischen das, was wichtig war, für sich behalten. Außerdem jammerte sie nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit, sondern griff beherzt zu. Auch Lampert hatte Statur gewonnen. Man hatte ihn in Graz in eine einfache Rüstung gesteckt und ihm einen Helm aufgesetzt, damit er kriegerischer wirkte. Das schien ihm zu gefallen, und Trudi hoffte, dass er nicht auf den Gedanken kam, sich ganz den Söldnern anzuschließen. Ein treuer Knecht wie er war nicht mit Gold aufzuwiegen.

Als sie sich dem feindlichen Lager näherten und sie das Banner des Bischofs von Würzburg über dem größten Zelt wehen sahen, spürten Peter und Trudi, wie ihre Mägen sich zusammenzogen.

Die Würzburger Soldaten blickten den Ankömmlingen interessiert entgegen. Da die Schar viel zu klein wirkte, um Gefahr für ihr Heer zu bedeuten, stellte sich ihr niemand in den Weg. Erst kurz vor dem bischöflichen Zelt kam ihnen ein Edelmann entgegen.

»He da! Wer seid ihr und was wollt ihr hier?«

Es handelte sich um Markus von Mertelsbach, der das Wappen seines Geschlechts stolz auf der Brust trug. Sein Anblick erregte Hardwins Zorn. Bis jetzt war er mit Quirin zusammen hinter Peter geritten, nun aber lenkte er sein Pferd nach vorne und blickte von oben auf Junker Markus herab.

»Haben sich deine Augen in den letzten Monaten so getrübt, dass du niemanden mehr erkennst?«

Der Mertelsbacher stieß ein verächtliches Lachen aus. »Das Muttersöhnchen von Steinsfeld! Hast du doch wieder den Weg nach Hause gefunden?«

Bei diesen höhnischen Worten fuhr Hardwins Rechte zum Schwertgriff. »Gib acht auf das, was du sagst, sonst muss dir meine Klinge etwas mehr Höflichkeit beibringen!«

Bevor Markus von Mertelsbach etwas entgegnen konnte, mischte sich Peter von Eichenloh ein. »Gebt Seiner hochwürdigen Exzellenz, dem Fürstbischof von Würzburg, Bescheid, dass wir Briefe für ihn überbringen. Ach ja, und ruft die Grafen von Henneberg hierher. Auch für sie habe ich wichtige Nachrichten.«

Junker Markus behagte es wenig, als Bote dienen zu müssen. Aber ein Blick auf Eichenlohs Gesicht brachte ihn dazu, sich auf dem Absatz herumzudrehen und die Anweisung zu befolgen. Da er als Einziger der hier anwesenden Burgherren nicht an der Fuchsheimer Hochzeit teilgenommen hatte, kannte er Junker Peter nicht, und dies trug ihm eine Rüge des Bischofs ein. Herr Gottfried wollte zuerst wissen, wer der Neuankömmling sei. Daraufhin schalt Magnus von Henneberg den jungen Mertelsbacher einen Narren, weil er nicht nach dem Namen des Anführers der plötzlich aufgetauchten Schar gefragt hatte.

Sein Bruder fiel ihm ins Wort. »Es ist gänzlich unnötig, sich Gedanken über den Fremden zu machen. Es handelt sich um Eichenloh und seine Reiter!«

Für einen Augenblick hoffte Graf Otto, der Zorn, den der Fürstbischof auf seinen Freund hegte, habe sich gelegt und Peter sei von Herrn Gottfried zur Unterstützung herbeigerufen worden.

Er selbst hätte sich mit Freuden dem Kommando seines Freundes und früheren Lehrmeisters untergeordnet. Aber ein Blick auf die Formation, die Eichenlohs Männer eingenommen hatten, verriet, dass sie nicht als Freunde kamen. Die Männer sahen eher so aus, als wollten sie jeden Augenblick die Schwerter ziehen und zum Angriff übergehen.

Graf Otto brauchte auch nicht wie die anderen zu rätseln, um wen es sich bei den beiden Frauen handelte, die nun von Eichenlohs Leuten in die Mitte genommen worden waren. Trudi war schon damals bei der Eroberung von Teiflach mit Eichenloh geritten und nun, wie es aussah, von diesem nach Hause begleitet worden. Er fand es tollkühn von seinem Freund, mitten ins Lager zu reiten. Es war ein Streich, den wirklich nur Eichenloh zu wagen vermochte. Da Peter nicht abgestiegen war, blieb dem Bischof nichts anderes übrig, als sein Zelt zu verlassen und nachzusehen. Im Gegensatz zu dem jüngeren Henneberger benötigte er einige Augenblicke, um den Söldnerführer zu erkennen. Dann aber verengten sich seine Augen, und er wollte schon den Befehl geben, den frechen Kerl vom Pferd zu holen und in Ketten zu schlagen.

Doch bevor er dazu kam, deutete Peter eine Verbeugung an und streckte ihm das königliche Schreiben entgegen. »Mit den besten Empfehlungen Seiner Majestät, König Friedrichs III.!«

Der Bischof gab Markus von Mertelsbach, der wie ein Lakai hinter ihm stand, einen Wink, das Schreiben entgegenzunehmen und es ihm zu reichen. Erst nachdem er sich von der Echtheit des Siegels überzeugt hatte, erbrach er es und entfaltete den Brief. Als er zu lesen begann, bildeten sich scharfe Falten auf seiner Stirn, und er wurde zuerst kreidebleich und dann tiefrot im Gesicht.

»Seine Majestät schreibt, dass sie Euch, Freiherr von Eichenloh, zu seinem Gesandten und Vermittler in dem Konflikt um die Reichsherrschaft Kibitzstein ernannt hätte.«

Peter versuchte, eine gleichmütige Miene beizubehalten, und fragte sich gleichzeitig, was Friedrich III. sich dabei gedacht haben mochte. Da der Fürstbischof einen persönlichen Hass gegen ihn empfand, wäre jeder andere Edelmann für diese Aufgabe besser geeignet gewesen.

»Seine Majestät schreibt weiter, dass Ihr Briefe für meine Dienstleute, die Grafen Magnus und Otto von Henneberg, bei Euch tragen würdet!«

Peter nickte, holte die beiden versiegelten Schreiben hervor und überreichte sie Junker Markus, der hastig danach griff und sie weitaus zögerlicher an die beiden Henneberger weitergab. Während Graf Magnus den an ihn gerichteten Brief sofort aufriss, wartete sein Bruder ab, was Magnus zu sagen hatte.

Das Gesicht des älteren Hennebergs wurde mit jeder Zeile, die er entzifferte, länger. Schließlich warf er den Brief mit einem unflätigen Ausdruck auf den Boden.

Pratzendorfer, der sich auf seine leisetreterische Art zu der Gruppe gesellt hatte, wies Junker Markus flüsternd an, den Brief aufzuheben und ihm zu reichen. Bevor der Prälat das Schreiben lesen konnte, nahm der Bischof es ihm ab und überflog es. Dann las er den Brief mit grimmig klingender Stimme vor.

»Wir, Friedrich, erwählter König der Deutschen, Herzog von Österreich, der Steiermark, von Karantanien und der Krain … et cetera, geben kund und zu wissen, dass Magnus, Graf von Henneberg, für die Freilassung seines Bruders, des Grafen Otto von Henneberg, der in feindlicher Absicht eine Unserer Burgen besetzt hielt, einen heiligen Eid auf die Reliquien der heiligen Ursula und des heiligen Kilian geleistet hat, niemals das Schwert gegen Uns und das Reich zu erheben.

Diesen Eid hat er gebrochen, als er ein Heer in die freie Reichsherrschaft Kibitzstein geführt und deren Burg belagert hat. Als König des Reiches und Beschirmer der freien, nur Uns untertanen Herrschaft Kibitzstein verhängen Wir die Reichsacht über Magnus von Henneberg und erklären ihn aller Titel und Würden ledig!«

Es handelte sich nur um ein paar Worte, die mit gezierter Schrift zu Papier gebracht worden waren. Die Wirkung auf die Umstehenden war jedoch so, als wäre gerade ein weiterer Pulverwagen explodiert. Magnus von Henneberg sah aus, als würde er den Brief am liebsten packen und in tausend Stücke zerreißen. Sein Bruder blickte derweil auf seinen Brief und zuckte mit den Schultern.

»Ich glaube nicht, dass ich das noch lesen muss.« Er steckte das Schreiben unter seinen Waffenrock und trat auf den Bischof zu. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme weniger bedrückt als erleichtert.

»Ich bedauere, Euer Exzellenz nicht länger als Feldhauptmann dieses Heeres dienen zu können. Der Spruch des Königs macht mir dies unmöglich.«

»Das ist doch Unsinn!«, rief Pratzendorfer aus. »Der Wisch hat überhaupt nichts zu besagen. Dieser König vermag nicht einmal den Bauern in seinem eigenen Land etwas zu befehlen, geschweige denn so einem hohen Herrn wie Euch!«

»Seid still!«, schnauzte der Bischof ihn an und versank dann in dumpfes Brüten.

Die Androhung der Reichsacht richtete sich zwar gegen die beiden Henneberger, doch Gottfried Schenk zu Limpurg begriff, wer der eigentliche Adressat der königlichen Warnung war. Sollte er weiterhin auf der Unterwerfung Kibitzsteins bestehen, würde Friedrich III. nicht zögern, die Reichsacht auch über ihn zu verhängen. Der König hatte zwar nicht die Macht, selbst gegen ihn vorzugehen, doch er konnte die Reichsexekutionen an jemand anderen übergeben. Etliche Würzburger Nachbarn, allen voran der ehrgeizige Markgraf von Brandenburg-Ansbach, würden nicht zögern, im Namen des Reiches Krieg gegen ihn zu führen. Auch einige der fränkischen Reichsstädte wie Hall, das sich aus Trutz gegen die Würzburger Zugriffe dem Schwäbischen Städtebund angeschlossen hatte, würden sich mit Begeisterung zu seinen Feinden gesellen. Seine Sippe war bei Hall begütert, und das würden die Bürger dieser Stadt mit Sicherheit ausnützen, um ihren Machtbereich zu vergrößern.

Der Bischof schnaufte wie nach einem schweren Marsch. Sollte er dies alles wegen der einen Burg riskieren? Es gab genug Herrschaften in dieser Gegend, die früher dem Hochstift untertan gewesen waren und derer er sich gefahrlos bemächtigen konnte. Ein letzter Blick auf Kibitzstein gab den Ausschlag. Die Burgbesaß weder einen besonderen strategischen Wert, noch war sie in anderer Weise bedeutend. Außerdem hatte er einer Erweiterung der Kibitzsteiner Macht mit dem Erbvertrag für den Markt Dettelbach bereits einen Riegel vorgeschoben.

Mit Ingrimm im Herzen, aber auch dem Wissen, dass er keine andere Wahl hatte, wandte er sich an Peter von Eichenloh. »Ich werde die Belagerung dieser Burg einstweilen einstellen und die Gerichte bemühen, um die Würzburger Pfandrechte auf zwei Dörfer dieser Herrschaft zu beweisen.«

»Da gibt es nichts zu beweisen! Kibitzstein wurde uns ohne jede Verpflichtung übergeben. Der hochwürdige Bischof Johann von Brunn hat dies eigenhändig gesiegelt!« Trudi hielt die Anspannung nicht mehr aus und mischte sich nun in die Unterhaltung ein.

Peter fluchte leise, weil sie überflüssigerweise ihre Herkunft aufgedeckt hatte, denn die Miene des Prälaten verriet dessen Absicht, sich Trudis als Geisel zu bemächtigen.

»Wenn ein solches Dokument existiert«, antwortete der Bischof, »dann hat Johann von Brunn vergessen, es dem bischöflichen Archiv zu übergeben. Wir werden prüfen, ob Eure Behauptung stimmt.«

»Natürlich existiert es!«, fuhr Trudi auf. »Wir selbst besitzen eine Abschrift davon. Eine weitere liegt im königlichen Archiv und …« Über den Verbleib einer dritten Kopie schwieg sie sich aus, damit der Bischof nicht auf den Gedanken kommen konnte, sie sich anzueignen und zu zerstören.

»Wenn das so ist, wurde dieser Kriegszug unter falschen Voraussetzungen begonnen. Frau Marie Adler, Eure Mutter, wie ich denke, hätte Uns längst über die Existenz dieser Urkunde in Kenntnis setzen müssen.«

Trudi verkniff es sich, dem Bischof ins Gesicht zu sagen, dass ihre Mutter die ganze Zeit über auf dieses Dokument gepocht hatte. Erleichtert, weil Gottfried Schenk zu Limpurg endlich Vernunft angenommen hatte, grüßte sie stumm und zog sich etwas zurück, um den weiteren Verlauf der Dinge genau im Auge zu behalten.

Der Bischof sah sich um, als suche er Sündenböcke für diese misslungene Aktion. Da mischte der Prälat sich sichtlich empört ein. »Das ist doch alles Humbug! Ob der Herzog der Steiermark, der sich König nennt, einen Fetzen Papier beschreibt oder nicht, hat hier gar nichts zu bedeuten! Die Burg wird in weniger als drei Tagen fallen. Dann haltet Ihr ein Faustpfand in der Hand, das Euch niemand mehr nehmen kann.«

Pratzendorfer hätte den Bischof am liebsten gepackt und so lange geschüttelt, bis dieser sich seiner Meinung anschloss. Wenn ein Brief Friedrichs III. hier Wirkung entfaltete, stärkte das die Macht des Königs und schwächte die seines Auftraggebers. Also musste er dafür sorgen, dass das, was in diesem Wisch stand, nicht zum Tragen kam. Außerdem war er es den Verbündeten, die er zusammengebracht hatte, schuldig, ihnen zu der versprochenen Beute zu verhelfen. Schon allein deswegen musste er dafür sorgen, dass die Androhung der Reichsacht von Herrn Gottfried und den anderen nicht ernst genommen wurde.

Otto von Henneberg hatte nun doch das Schreiben des Königs geöffnet und überflogen. »Um uns von der Acht zu lösen, müssten wir nach Graz zu König Friedrich reisen, fußfällig um Vergebung bitten und danach den Schwur gemeinsam vor heiligen Reliquien wiederholen.«

Im Gegensatz zu seinem Bruder war er mit der Entwicklung zufrieden. Ihm war während dieser Verhandlungen klargeworden, dass er hier einen ungerechten Kampf ausfocht, und er misstraute Cyprian Pratzendorfer, der ihn nach Österreich geschickt hatte, damit er dort zum Meuchelmörder werden sollte. Für ihn war dieser Mann der eigentliche Anstifter des Kriegszugs, und das war ein weiterer Grund, die Fehde zu beenden.

Graf Magnus sah hingegen so aus, als schöpfe er Hoffnung. »Damein Bruder das Kommando niederlegt, werde ich es wieder übernehmen.«

Markus von Mertelsbach lachte höhnisch auf. »Damit die Kibitzsteiner uns wieder die Geschütze zerstören, wie sie es schon zweimal getan haben? Nein, sage ich! Wir brauchen einen anderen Feldhauptmann, nämlich …!« Er schluckte im letzten Augenblick das »mich«, welches ihm bereits auf der Zunge lag, denn die Augen des Bischofs schienen mit einem Mal Feuer zu sprühen.

»Es wird kein Geschütz mehr zerstört werden! Ich lasse die Rohre bereits morgen nach Würzburg zurückschaffen. Ebenso werden alle Würzburger Waffenknechte und die meiner Lehnsleute von hier abziehen!« Damit, so sagte Gottfried Schenk zu Limpurg sich, hatte er den Willen des Königs erfüllt und konnte sich in Zukunft jenen Burgherren widmen, die keinen so hochrangigen Beschützer besaßen.

Mertelsbach und die anderen Edelleute sahen sich betreten an, denn sie begriffen, dass sie allein außerstande waren, Kibitzstein in die Knie zu zwingen. Das war auch dem Prälaten klar, der sich erregt an den Bischof wandte. »Wenn Ihr Euch jetzt zurückzieht, werden alle sagen, Ihr hättet vor Friedrich gekniffen, und über Euch lachen. Ernennt einen neuen Hauptmann und lasst ihn die Burg erobern!«

»Ich tue das, was für das Hochstift am besten ist«, beschied Herr Gottfried ihm mit kühler Stimme. Er erinnerte sich nur allzu gut, dass diese Fehde hinter seinem Rücken begonnen hatte und erst durch Pratzendorfers Intrigen ausgeufert war. Zudem hatte der Prälat mit Magnus von Henneberg einen unfähigen Anführer bestimmt. Wahrscheinlich hatten erst Hennebergs unsinnige Drohungen die Witwe auf Kibitzstein dazu gebracht, sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Er selbst wäre damit zufrieden gewesen, wenn Marie Adlerin ihm in ihrem Namen und dem ihres Sohnes den Treueid geschworen hätte. Danach hätte er sich als gnädig erweisen und ihr den größeren Teil ihres Besitzes überlassen können.

Ganz im Gegensatz zu seinen Plänen und ohne seine Zustimmung hatte Pratzendorfer Kibitzstein und die dazugehörigen Pfänder all jenen Burgherren, die sich unter Graf Magnus’ Kommando zusammengefunden hatten, als Beute versprochen. Damit hatte der Prälat jeden Kompromiss bereits im Ansatz verhindert, und wenn er, Gottfried Schenk zu Limpurg, hier das Gesicht verlor, dann war es allein Pratzendorfers Schuld.

Ohne den Mann noch einmal anzusehen, drehte der Bischof sich um und trat auf Trudi zu. »Jungfer Hiltrud Adler zu Kibitzstein, wenn ich mich nicht irre.«

Trudi, die die Worte des Bischofs verblüfft, aber auch sehr erleichtert aufgenommen hatte, neigte das Haupt. »Die bin ich, hochwürdigste Exzellenz.«

»Seid so gut und reitet zur Burg! Übermittelt Eurer Mutter, dass Wir zu verhandeln wünschen.«

»Gerne!« Trudi zog Wirbelwind herum und ritt durch die Gasse, die ihr die Soldaten öffneten. Die Männer sahen alles andere als zufrieden aus, denn sie hatten genau wie ihre Herren auf Beute gehofft. Aber die lange Belagerungszeit hatte sie gelehrt, dass es kein Spaziergang werden würde, die Burg im Sturm zu nehmen, und so tröstete sich so mancher mit der Aussicht auf den nächsten Feldzug. Lange konnte der Bischof diesen nicht hinauszögern, wollte er nicht vor aller Welt als zahnloser Wolf dastehen.

Die Tochter der Wanderhure
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