5.

Der Gasthof war gut, aber auch sehr teuer. Mehr als eine Nacht, schwor Trudi sich, würde sie hier nicht verbringen. Uta aber hoffte, länger bleiben zu können, denn die Herberge erschien ihr wie ein Vorgeschmack auf das Paradies. Die Wirtsmägde nahmen ihr die Arbeit ab, und während ihre Sachen zum Trocknen aufgehängt wurden, durfte sie ihre klammen Glieder an einem Kachelofen wärmen. Da sie nackt hätte dastehen müssen, reichte die Wirtin ihr eigenhändig eine Decke und hielt einen Schwatz mit ihr. Dabei drehte sich das Gespräch hauptsächlich um Utas junge Herrin. Auch wenn beide Frauen Schwierigkeiten hatten, den Dialekt der anderen zu verstehen, so war Uta doch froh um jemanden, der Verständnis für sie zeigte. Daher merkte sie nicht, wie sie ausgehorcht wurde. Die Wirtin erfuhr alles über Kibitzstein und vernahm auch, dass Trudi gegen den Willen der Mutter zu einer langen, beschwerlichen Reise aufgebrochen war.

Während sich die Altöttingerin nicht genug wundern konnte, dass ein junges Ding gleichermaßen kühn und unbedacht sein konnte, achteten weder Uta noch sie auf zwei Männer, die auf der anderen Seite des Kachelofens auf der Bank saßen und ihr Bier tranken. Als diese hörten, dass Trudi Leute suchte, die sie auf dem Weg zum König beschützen konnten, blickten sich die beiden grinsend an. Ihrer Kleidung und Ausrüstung nach gehörten sie dem ritterlichen Stand an, aber ihr Äußeres verriet, dass sie schon bessere Tage gesehen hatten. Ihre Gewänder waren mehrfach von ungeschickten Händen geflickt worden, und ihre dünngewetzten Börsen hingen so schlaff von ihren Gürteln, dass sie sich gerade noch das Bier in diesem Gasthaus leisten konnten. Sie hatten hier auch nicht übernachtet, sondern waren nur gekommen, weil hier jene Gäste einkehrten, die genug Geld besaßen, um notfalls ein paar notleidende Ritter in ihre Dienste nehmen zu können.

Der Größere von beiden, ein lang aufgeschossener Kerl mit langen, grauen Strümpfen, einem fleckigen Leinenhemd und einem hellgrünen, vorne halb offen stehenden Wams, stieß seinen Kameraden mit dem Ellbogen an. »Wäre das nicht genau das, wonach wir Ausschau gehalten haben?«

Der andere, der eiserne Beinschienen und einen verbeulten Brustpanzer über seiner Kleidung trug, begann zu grinsen. »Das Dämchen werden wir uns ansehen.«

»Ganz meine Meinung!« Der Lange trank aus und stellte den Bierkrug leise auf die Bank. Ungesehen von den beiden schwatzenden Weibern verließen sie die Stube und öffneten die Tür des Raumes, in dem für die besseren Gäste aufgetragen wurde. Darin war aber keine unbegleitete junge Dame zu finden.

Die beiden konnten nicht wissen, dass Trudi in ihre Schlafkammer geflüchtet war, weil ihr Magen beim Anblick der köstlichen Speisen zu knurren begonnen hatte. Die Preise, die in diesem Haus verlangt wurden, waren jedoch zu hoch für ihre Börse, und sie bedauerte, so lange in der Kapelle geweilt zu haben. Damit hatte sie die Gelegenheit vertan, sich auf dem Marktplatz ein paar Bratwürste oder Ähnliches schmecken zu lassen. Am liebsten wäre sie zu einem Metzger gegangen, um sich eine Wurst zu kaufen, doch für eine Jungfer ihres Rangs war es undenkbar, unbegleitet durch die Straßen zu schlendern. Sie wollte schon Uta schicken, doch ihre Magd blieb fürs Erste verschwunden.

Nach einer Weile klopfte Lampert an der Tür und bat, eintreten zu dürfen. »Komm herein! Ich bin weder nackt noch tue ich sonst etwas Ungebührliches!« Trudis Ärger über die Situation entlud sich in bitterem Spott, der mehr ihr selbst galt als jemand anderem. Wie sollte sie ihre Mutter und ihre Geschwister retten, wenn es ihr nicht einmal gelang, sich selbst zu helfen?

Lampert öffnete die Tür, blieb auf der Schwelle stehen und knetete seine Kappe mit den Händen. »Verzeiht, Herrin, aber ich …«

Er schluckte und zögerte, ermannte sich dann aber, sein Anliegen vorzutragen. »Es geht um den Burschen, der bei der Kapelle die Pferde gehalten hat, während wir drinnen waren. Ich weiß, ich hätte selbst draußen bleiben und auf die Tiere aufpassen sollen, aber es hat mich gedrängt, ebenfalls dort zu beten. Jetzt will der Kerl eine Münze zur Belohnung haben, und ich habe doch keine.«

Seine Worte erinnerten Trudi daran, dass sie, seit sie Kibitzstein verlassen hatten, weder ihm noch Uta Lohn gegeben hatte, und sie schämte sich. Rasch zog sie zwei Münzen aus ihrer Börse und steckte sie Lampert zu. »Hier, die eine ist für den freundlichen Jungen, der dir geholfen hat, die andere für dich. Trink einen Becher Wein auf meine Gesundheit.«

»Freundlich würde ich den Kerl nicht nennen. Er hat mich ganz schön angefahren und wollte mir die Pferde nicht zurückgeben, wenn er nicht die Belohnung erhält!« Lampert ärgerte sich, weil er sich dazu hatte hinreißen lassen, die Tiere einem anderen Menschen anzuvertrauen.

»Eine Belohnung habe ich wirklich nicht verdient, denn ich hätte klüger sein müssen«, brummte er, während er Trudi die eine Münze zurückreichte. Er hätte sich zwar gerne einen guten Tropfen schmecken lassen, aber das Bier, das nur einen Bruchteil davon kostete, tat es in seinen Augen auch. Die paar Becher, die er davon trank, konnte er auf die Herrin anschreiben lassen, ohne dass es ins Gewicht fiel.

»Dann nimm das Geld und sieh zu, ob du einen Metzger und einen Bäcker findest, bei denen du etwas Wurst und Brot kaufen kannst. Bringe es aber so zu mir, dass die Herbergsleute es nicht bemerken. Es soll nämlich unser Abendessen sein.«

Damit offenbarte sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, wie schlecht es um ihre Finanzen stand. Für so bedrohlich hatte der Bursche die Lage nicht gehalten. Damit wurde es umso wichtiger, dieses Graz so bald wie möglich zu erreichen. Er schwor sich, alles zu tun, was in seiner Macht stand, und dazu gehörte auch das Besorgen von billigen Lebensmitteln.

Lampert löste die Pferde aus, stellte sie im Stall der Gastwirtschaft unter und kehrte kurz darauf mit einer unterarmlangen Blutwurst und einem Laib Brot zurück, die er unter seinem Umhang versteckt hielt. Auf dem Weg zum Zimmer seiner Herrin suchte er Uta und forderte sie auf, mit ihm zu kommen. Da ihre Kleidung trocken genug war, schlüpfte die Magd in ihre Sachen und beeilte sich sogar, da sie annahm, Trudi benötige ihre Hilfe, um sich für das Abendessen zurechtzumachen.

Als sie jedoch entdeckte, dass ihre Herrin und Lampert sich eine Blutwurst und trockenes Brot teilten und dieses frugale Mahl mit säuerlich schmeckendem Bier hinunterspülten, zog sie eine Schnute.

»Was soll denn das?«

»Sei still! Siehst du nicht, dass wir essen? Komm, setz dich zu uns.« Trudi schnitt ein Stück Blutwurst und etwas Brot ab und hielt es Uta hin. Diese schüttelte nur den Kopf über ihre Herrin. Unten in der Wirtsstube gab es ausgesuchte Köstlichkeiten, wie sie nicht einmal die Köchin auf Kibitzstein auf den Tisch bringen konnte, und da mochte sie sich nicht mit bäuerlicher Blutwurst und Gerstenbrot begnügen.

»Wollen wir nicht lieber hinuntergehen?«, fragte sie.

»Halt den Mund und setz dich!« Lampert wies auf den Schemel, der noch frei war, weil Trudi auf dem Bett Platz genommen hatte. Er selbst saß im Schneidersitz auf dem Boden.

»Wir können uns aber auch Speisen heraufbringen lassen, und ein paar weitere Schemel dazu«, drängte Uta.

»Davon will ich nichts mehr hören. Iss jetzt!« Trudis Stimme klang scharf genug, um die Magd zusammenzucken zu lassen. Seufzend sagte Uta all den leckeren Dingen ade, auf die sie sich so gefreut hatte, und nahm das Stück bröckelige Blutwurst entgegen, das Trudi ihr hinhielt. Während sie hineinbiss, fragte sie sich, was sie verbrochen hatte, um all das mitmachen zu müssen. Unten in der Gaststube warteten unterdessen zwei abgerissene Ritter vergeblich auf Trudis Erscheinen. Dabei beobachteten sie, wie ein Knecht und zwei Mägde einen köstlich gebratenen Kapaun, eine Schweinshaxe und einen großen Krug Wein hinaustrugen, die ein Gast auf sein Zimmer bestellt hatte, und stießen sich grinsend an.

»Das ist sicher für die Jungfer aus Franken. Arm scheint sie nicht zu sein«, erklärte der Lange und fuhr sich mit der Zunge begehrlich über die Lippen.

»Das kann uns nur recht sein, mein Guter!« Sein um einen Kopf kleinerer, aber wuchtiger wirkender Freund rieb sich zufrieden die Hände.

»Sollen wir uns gleich der Jungfer vorstellen? Dann wird sie uns gewiss zum Essen einladen.« Der Lange wollte schon aufstehen und zur Tür gehen, doch sein Freund fasste ihn am Ärmel und zog ihn zurück.

»Soll sie uns für aufdringlich halten? Wir werden sie morgen früh mit gezierten Worten begrüßen und ihr erklären, dieser Mönch, von dem die Magd gesprochen hat, habe uns zu ihr geschickt.«

»Aber was ist, wenn der Kuttenträger wirklich jemanden findet, der die Jungfer nach Graz bringen will?«, wandte der Lange ein. Sein Kamerad lachte. »Um die Jahreszeit? In den Bergen liegt bereits Schnee, und da schaut jeder zu, dass er zu Hause bleibt. Außerdem gibt es in diesem elenden Nest außer uns keinen Ritter, der in der Lage wäre, so eine beschwerliche Reise anzutreten und dabei ein Jüngferlein zu beschützen. Die Einzigen, die es hätten tun können, waren die Söldner, denen wir uns hatten anschließen wollen. Aber so, wie der aufgeblasene Anführer uns abgefertigt hat, wären wir bei denen wohl kaum auf unsere Kosten gekommen. Dabei sah dieser Eichenloh nicht so aus, als habe er mehr als einen Heller im Beutel.«

»Wenn ich dem Kerl noch mal begegne, stecke ich ihm für seine Beleidigungen sechs Zoll Stahl zwischen die Rippen! Aber nun bin ich froh, dass er uns nicht mitgenommen hat. Der Dienst bei der Jungfer wird uns gewiss mehr einbringen, als wenn wir uns für irgendeinen großkotzigen Fürsten die Knochen kaputt schlagen lassen würden.« Der Lange nickte, als müsse er seine eigenen Worte bestätigen, und musterte seinen Freund.

»Ich glaube, es ist wirklich besser, die Jungfer bekommt uns erst morgen zu Gesicht. So, wie wir jetzt aussehen, könnte sie einen schlechten Eindruck von uns gewinnen. Wir müssen in voller Wehr vor sie treten. Außerdem sollten wir bis morgen früh einen Weg finden, an so viel Geld zu kommen, dass wir unsere Pferde auslösen können. Dieses Schwein von einem Wirt dürfte sie nicht freiwillig herausrücken, solange wir die Zeche nicht bezahlt haben.«

»Dabei hat es in der Spelunke nur Bauernpampe gegeben, und schlafen mussten wir in einem elenden Loch. Dem gierigen Hund würde ich am liebsten den roten Hahn auf das Dach setzen«, giftete der Kleinere der beiden. Doch er wusste selbst, dass er nicht so weit gehen durfte, denn nach einer solchen Tat würden er und sein Freund von allen Vögten im größeren Umkreis gejagt werden. Es gab sicherere Möglichkeiten, sich an dem unverschämten Wirt zu rächen. Bei dem Gedanken streichelte er mit einer zärtlichen Geste seinen Dolch.

Die Tochter der Wanderhure
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