13.

Ludolf von Fuchsheim hatte bereits einigen seiner Bauern das Vieh aus den Ställen holen und schlachten lassen müssen, um seine Gäste bewirten zu können. Während er zusehen konnte, wie er unaufhaltsam an den Bettelstab geriet, verfluchte er die Leute, die ihm die Kosten einer fürstlichen Hochzeit aufhalsten, ohne ihn im Geringsten zu unterstützen. An diesem Tag hätte er sich dem Fürstbischof von Würzburg, Herrn Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach und sogar dem Sultan der Osmanen als Vasall angedient, wenn er dafür mit einem dicken Beutel Gold belohnt worden wäre.

Seine Tochter machte sich ganz andere Sorgen. Da Trudi von dem Ansbacher als Tischdame eingefordert worden war, fand Bona vor der Trauung keine Gelegenheit mehr, mit ihrer Freundin zu reden. Erst als ihr geistlicher Verwandter den Trausegen über sie und ihren Ehemann gesprochen hatte und man sie in die große Halle führte, gelang es ihr, Trudi am Ärmel zu zupfen.

»Vergiss bitte nicht, was du mir versprochen hast!«

Trudi lächelte ihr aufmunternd zu. »Sei unbesorgt!«

Aber sie war nicht so zuversichtlich, wie sie sich gab. Sie würde den fraglichen Gegenstand aus seinem Versteck im alten Turm holen und ihn unbemerkt in Bonas Brautgemach schmuggeln müssen. Dazu spürte sie noch immer die Nachwehen des schlimmen Rausches, den sie sich am Vorabend angetrunken hatte. Doch weder das eine noch das andere durfte sie daran hindern, Bona zu helfen.

Marie ging es nicht viel besser als ihrer Tochter, auch wenn sie dem Wein nur mäßig zugesprochen hatte. Eigentlich hatte sie bei den Gästen sitzen und Gespräche mit möglichen Verbündeten anknüpfen wollen. Stattdessen musste sie sogar während des Mahles in der Küche oder im Keller nach dem Rechten sehen und die Pflichten einer Gastgeberin erfüllen, denn die Schwester des Fuchsheimers hockte bereits in der Frühe betrunken in einem Winkel der Küche und gab sinnlose und widersprüchliche Anweisungen. Da Trudi vom Ansbacher in Beschlag genommen worden war, hatte Marie Lisa und Hildegard gebeten, ihr zu helfen. Die beiden Mädchen beaufsichtigten die Mägde und Knechte, die das Mahl auftrugen, und sortierten die Speisen nach Aussehen und Geschmack für die verschiedenen Tische. Sorgfältig achteten sie darauf, dass Herr Albrecht von Brandenburg-Ansbach, der römische Prälat, das Brautpaar, der Brautvater und einige herausragende Gäste nur das beste Essen erhielten. Niedriger im Rang stehenden Herrschaften konnte es durchaus geschehen, dass sie mit einem halbverkohlten Stück Braten oder einer Suppe vorliebnehmen mussten, bei der mit Salz und Gewürzen gespart worden war.

Zu diesen Pechvögeln zählte auch Junker Peter, der mit Abscheu auf das Stück Fleisch auf seinem Teller starrte, das er gerade anschneiden wollte. »Das da stammt wohl noch vom ersten Reittier Methusalems!«, schimpfte er aufgebracht, als seine Klinge nicht durch die zähe Masse drang. Ungeniert nahm er seinem Nachbarn das Messer ab und begann, sein eigenes damit zu wetzen.

Das schabende Geräusch drang bis zum Tisch mit den Ehrengästen. Trudi hob den Kopf und erkannte den Mann wieder, mit dem sie in Dettelbach aneinandergeraten war. Sie spitzte den Mund zu einer boshaften Bemerkung. »Findet Ihr nicht auch, Euer Hoheit, dass das Benehmen mancher Leute arg zu wünschen übriglässt?«

Der Söldnerführer blickte auf und zwang ein spöttisches Lächeln auf seine Lippen. »Ah, die Jungfer auf Kibitzstein. Wenn Ihr so gut sein wollt, mir Eure Zunge zu reichen, wäre ich Euch dankbar. Die dürfte als Einziges in der Burg scharf genug sein, selbst dieses Fleisch zu schneiden.«

Seine Schlagfertigkeit verblüffte Trudi zunächst, doch dann flammten ihre Augen zornig auf. »Wenn Euch Euer Fleisch zu zäh ist, dann nehmt dies hier!« Bevor jemand sie daran hindern konnte, griff sie auf das Brett mit den Bratenstücken, packte einen Schweinskopf und schleuderte ihn auf Eichenloh.

Junker Peter sah dem Geschoss lässig entgegen und wollte es auffangen. Doch in dem Augenblick stieß ihn ein Knecht an, der ein Brett voller gebackener Flussfische durch den Saal trug, und Eichenloh griff daneben. Der Schweinskopf klatschte ihm zuerst ins Gesicht und fiel dann in eine große Schüssel mit Soße. Deren Inhalt spritzte hoch und besudelte die Kleidung des Söldnerführers und der Leute, die um ihn herumsaßen.

Während Eichenloh und den anderen Betroffenen fürs Erste die Sprache wegblieb, erfüllte das dröhnende Gelächter der übrigen Gäste die Halle. Trudi stand auf und verbeugte sich in alle vier Himmelsrichtungen, um sich für den Beifall zu bedanken, legte sich dann ein Stück Fleisch auf den Teller und begann mit Genuss zu essen.

»Wie Ihr seht, schneidet mein Messer besser als Eures«, sagte sie mit vollem Mund.

»Nehmt lieber Eure Zunge! Mit der schneidet Ihr sogar festen Stahl!« Wütend fasste Eichenloh nach dem soßentriefenden Schweinskopf und wollte ihn zur Absenderin zurückwerfen.

Ein alter Ritter, der von oben bis unten mit Soße bekleckert war, hielt ihn zurück. »Macht Euch nicht unglücklich, Mann! Wenn Ihr den Brandenburger trefft oder gar den römischen Pfaffen, könnt Ihr nicht schnell genug reiten, um deren Rache zu entgehen.«

Zu seinem Leidwesen musste Junker Peter dem Alten recht geben. Bereits die Tatsache, dass der Würzburger Bischof ihn mit seinem kleinlichen Hass verfolgte, verminderte seine Chancen auf einen zahlungskräftigen Auftraggeber. Da konnte er sich keine weiteren Feinde leisten. Dennoch war er es sich schuldig, diesem kleinen Miststück eine Antwort zu geben.

Er wischte sich die Bratensoße aus dem Gesicht und blickte zu Trudi hinüber. »Jungfer Hiltrud zu Kibitzstein, ich schwöre Euch bei meiner Ehre, dass Ihr diesen Wurf ebenso bereuen werdet wie Eure boshaften Worte.«

Das war Michel nun doch zu viel. Er sprang auf und schlug auf den Tisch. »Wage es, meiner Tochter zu drohen!«

»Haltet Ihr Euch heraus, Herr Ritter vom Bierkrug!« Eichenloh war wütend genug, um vor allen Leuten auf Michels Herkunft anzuspielen. Obwohl unterdrücktes Lachen aufklang und etliche adelsstolze Herrschaften, die längst auf den Wohlstand und das Ansehen der Kibitzsteiner neidisch waren, sogar applaudierten, bereute Junker Peter seine Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Immerhin war Michel Adler ein Mann, der sich aus eigener Leistung hochgearbeitet hatte, und solchen Menschen zollte er im Allgemeinen Respekt.

»Ihr habt ein seltenes Talent, Euch Feinde zu schaffen, Eichenloh. Michel Adler wird Euch weder die Beleidigung seiner Lieblingstochter noch die seiner Person so schnell vergessen.« Der alte Ritter begleitete seine Worte mit einem Kichern, denn der Spaß, den er eben erlebt hatte, war die Soßenflecken auf seinem Feiertagsgewand wert.

Michel überlegte einige Augenblicke lang, ob er zu dem Söldnerführer hinübergehen und diesen zur Rechenschaft ziehen sollte. Aber er wollte keinen Missklang in die frohe Runde bringen. Seiner Ehre war er es jedoch schuldig, Eichenloh wenigstens für die Zukunft Vergeltung anzudrohen.

Er wartete, bis sich der Lärm in der Halle halbwegs gelegt hatte, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte den Söldnerführer grimmig an. »Ich werde mir deine frechen Worte merken, Bürschchen, und dir zu gegebener Zeit die rechte Antwort geben. Doch nun lasst uns weiterfeiern! Herr Moritz ist schon ganz begierig darauf, ins Brautbett zu kommen.«

Der Mertelsbacher warf seiner jungen Frau einen auffordernden Blick zu. »Gelüsten würde es mich schon, die Festung bereits jetzt zu stürmen.«

»Bevor Ihr zu besoffen seid, um es noch tun zu können!«, rief einer seiner Freunde quer über die Tische herüber.

»Einen Ritter, den es zu seinem Weib drängt, sollte man ebenso wenig aufhalten wie einen, der mit dem Feind die Lanze brechen will. Es soll ja morgen ein Turnier abgehalten werden. Dabei findet Ihr gewiss die Möglichkeit, Herrn von Eichenloh zu beweisen, dass Ihr noch nicht eingerostet seid.« Der Brandenburger lächelte bei diesen Worten, denn diese Hochzeit versprach noch viel Spaß. Dabei war er eigentlich nur erschienen, um den Würzburgern jegliche Freude zu verderben.

Michel nickte erleichtert. An das Turnier hatte er nicht mehr gedacht. Nun sah er die Gelegenheit kommen, seine Ehre zu verteidigen und Eichenloh noch auf diesem Fest in seine Schranken zu verweisen. Dabei kümmerte es ihn nicht, dass sein Gegner jünger und wohl auch geübter war als er.

Die Tochter der Wanderhure
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