3.

Das Fehlen einer Königin und des dazugehörigen Hofstaats machte es Trudi schwer, sich in Graz einzuleben. Friedrich zählte zwar fast dreißig Jahre, war aber immer noch unvermählt, und daher trafen nur selten weibliche Gäste ein. Bei den wenigen handelte es sich um die Ehefrauen von Würdenträgern, die das Mädchen aus Franken zwar neugierig musterten, aber die Burg zu schnell wieder verließen, als dass Trudi eine engere Bekanntschaft mit ihnen hätte schließen können. Daher fehlten ihr ein geneigtes Ohr, dem sie ihr Anliegen hätte mitteilen können, und ein Mund, der ihre Bitten an den König weitertragen konnte. Sie selbst bekam Friedrich nur noch selten zu Gesicht, und ihn anzusprechen, wurde ihr von den Höflingen und dem steifen Zeremoniell verwehrt. An manchen Tagen kämpfte sie mit dem Gefühl, der König habe sie längst vergessen oder ihr Begehr als lästig abgetan. Dann wieder klammerte sie sich an die Hoffnung, er würde ihre Sache noch immer überdenken und könne jeden Tag zu einer Entscheidung kommen, die ihr und ihrer Familie nützlich sei.

Ähnlich wie Eichenloh hatte sie zu viel Zeit zum Grübeln, aber sie suchte ihr Heil nicht im Wein, sondern in ihrer Liebe zu Gressingen. Ihm zu Gefallen sammelte sie alles Wissen über die Burg, die Menschen darin und den König selbst. Dabei wurde ihr klar, dass sie Gressingens Flucht nicht ohne die Hilfe ihrer Magd und ihres Knechts bewerkstelligen konnte. Allerdings musste sie zumindest bei Uta sehr geschickt vorgehen, denn diese würde sie wohl bei dem geringsten Verdacht verraten. Mit Lampert war das anders. Der Knecht hing mit all seiner Treue an ihr und nahm es ihr auch nicht übel, dass der Haushofmeister des Königs ihn nicht im Palas hatte dulden wollen, sondern zu den Stallknechten gesteckt hatte.

Gerade diese Anordnung konnte sich nun als Vorteil erweisen, dachte Trudi, als sie sich wieder einmal auf den Weg zu Gressingens Kammer machte.

Uta klebte wie ein Schatten an ihr, als sie den Raum betrat. Da sie nicht für den Junker nähen wollte, hatte sie sich etliche Laken geben lassen, die einer flinken Nadel und einer sicheren Hand bedurften.

Trotz ihrer Achtsamkeit bekam die Magd nicht mit, was der Junker und ihre Herrin ständig zu flüstern hatten. Kam sie näher, verstummten beide oder sprachen über unverfängliche Dinge. Trudi, die Uta im Auge behielt, sah, wie die Magd einen hässlichen Riss entdeckte, die Zungenspitze zwischen die Lippen schob und ihre Nadel so zu führen versuchte, dass möglichst wenig von der Naht zu sehen sein würde. Schnell zupfte sie ihren Geliebten am Ärmel und legte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich glaube, jetzt ist es mir möglich, Euch zur Flucht zu verhelfen.« Gressingen spannte sich wie ein Bogen. »Je eher es geschieht, desto besser ist es!«

Nun erwartete er, Forderungen von ihr zu hören, und war bereit, Trudi für ihre Unterstützung alle Eide zu leisten, die sie von ihm verlangte. Wenn er seinen Auftrag erfolgreich ausgeführt hatte, würde der Prälat Pratzendorfer ihn von allen Banden befreien, die die Umstände ihm aufzwingen mochten.

»Lampert muss als Rossknecht im Stall arbeiten. Daher ist es ihm möglich, ein Pferd für Euch und meine Stute für mich zu satteln.«

»Ihr wollt mitkommen?« Gressingen schluckte, diese Entwicklung hatte er nicht vorausgesehen. Wenn Trudi ihn zu Herzog Albrecht begleitete und verkündete, sie habe ihn befreit, würde Friedrichs Bruder sie allein aus Dankbarkeit mit ihm verheiraten.

Er wollte Trudi sagen, dass er sie nicht mitnehmen könne, doch ihr Gesichtsausdruck warnte ihn. Sie war impulsiv und starrköpfig, und er durfte nicht riskieren, dass sie ihm wegen eines falschen Worts jede Hilfe versagte. Außerdem, sagte er sich, würde er verhindern können, dass es eine gemeinsame Flucht gab.

Scheinbar erfreut nickte er ihr zu. »Das ist eine gute Idee, meine Liebe! Gewiss wird Herzog Albrecht Euch die Unterstützung gewähren, auf die Ihr hier vergebens hofft! Doch jetzt erzählt mir bitte, wie Ihr Euch die Sache vorstellt.«

»Lampert wird dafür sorgen, dass die Pferde zu dem von uns gewünschten Zeitpunkt bereitstehen. Kurz zuvor werde ich Euch ein Schwert beschaffen, denn ich weiß jetzt, wo die Rüstkammer der Burg liegt. Sie wird nicht extra bewacht, und das macht es mir möglich, unauffällig an eine Waffe zu kommen. Dann gilt es nur noch, den Wachtposten vor Eurer Tür zu täuschen und zu überwältigen. Tötet ihn aber nicht, denn er ist ein freundlicher Mann.«

»Ihm wird nichts geschehen!« Gressingen lächelte innerlich über Trudis Naivität. Natürlich konnte er es nicht riskieren, den Wächter am Leben zu lassen. Nun musste er diese kleine Hurentochter dazu bringen, genau den richtigen Zeitpunkt abzupassen. »Ihr solltet zu Beginn jener Stunde zu mir kommen, in der der König sich zum Gebet in die Kapelle zurückzieht. Dann erhalten wir genug Vorsprung, um möglichen Verfolgern eine lange Nase drehen zu können.«

Trudi nickte eifrig. »Das ist eine gute Idee! Übrigens habe ich mir die Wege, die aus Graz hinausführen, bei meinen Ausritten in den letzten Tagen genau angesehen und werde Euch leiten können.«

Diese Aussage brachte Gressingen beinahe dazu, sie tatsächlich mitzunehmen. Da sie es jedoch niemals zulassen würde, dass er den König tötete, musste er seine Flucht allein antreten. Er atmete tief durch und streichelte Trudis Wange.

»Ihr seid ein mutiges Mädchen. Ich werde Euch das nie vergessen, solange ich lebe.«

»Ich liebe Euch«, flüsterte Trudi und wünschte sich, dieser Augenblick würde niemals vergehen.

Doch just zu dem Zeitpunkt war Uta mit ihrem Leintuch fertig und räusperte sich hörbar. »Es ist schon spät geworden, Jungfer. Wenn Ihr nicht noch mehr in Verruf geraten wollt, als es bereits geschehen ist, sollten wir die Kammer verlassen.«

Trudi zog ein langes Gesicht, tadelte Uta aber nicht, weil sie wusste, dass die Magd recht hatte. Hardwin von Steinsfeld hatte ihr bereits gesagt, dass ihre häufigen Besuche bei dem Gefangenen sie in ein schlechtes Licht setzen würden. Da sie so kurz vor der Befreiung kein Aufsehen mehr erregen wollte, erhob sie sich von ihrem Schemel und knickste mit einem schelmischen Gesichtsausdruck vor Gressingen.

»Ihr erlaubt, dass ich morgen und vielleicht auch übermorgen fernbleibe, denn ich habe noch andere Pflichten zu erledigen.«

»Ihr solltet endlich zusehen, dass der König Euch eine Audienz gewährt, sonst ist Eure Mutter verloren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Fürstbischof seine Soldaten ausschickt!« Utas Mahnung war berechtigt, doch Trudi ging mit einer wegwerfenden Geste darüber hinweg. Friedrich III. hatte ihr bereits gezeigt, dass er weder willens noch in der Lage war, ihr beizustehen. Auch aus diesem Grund wollte sie mit Gressingen reiten, denn sie hoffte, bei Herzog Albrecht eher ein geneigtes Ohr zu finden.

»Obwohl ich mich hier wie ein Vogel im Käfig fühle, muss ich Eure Entscheidung akzeptieren.« Gressingen klang missmutig, aber er zwinkerte Trudi zu, um sie zu beruhigen. Sie würde Zeit brauchen, um die Flucht vorzubereiten, und er hoffte, dass sie umsichtig vorging und keinen Verdacht erregte.

»Gebt auf Eichenloh acht! Der Kerl könnte uns gefährlich werden«, flüsterte er Trudi noch zu, dann verbeugte er sich vor ihr und trat zum Fenster. Mit einem zufriedenen Schnauben stieß er die Läden auf und blickte auf die Stadt hinunter, die zu Füßen der Burg lag. Er hatte den Weg in die Freiheit in Gedanken schon oft zurückgelegt. Wenn er die Burg verlassen konnte, bevor Friedrichs Tod bemerkt wurde, brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Er hielt sich für einen ausgezeichneten Reiter und hatte während der Gespräche bei Tisch und in seinen Unterhaltungen mit Trudi genug erfahren, um zu wissen, wie er jeden Verfolger täuschen konnte.

Die Tochter der Wanderhure
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