11.

Trudi tat in diesen Tagen alles, um ihre Mutter nicht zu erzürnen, und erfüllte die ihr aufgetragenen Pflichten beinahe vorbildlich. Dennoch gingen ihre Gedanken eigene Wege und beschäftigten sich mehr mit Georg von Gressingen als mit der Arbeit. Seit jenem Nachmittag im Fuchsheimer Wald waren nun schon mehrere Wochen vergangen, ohne dass sie ihren Liebsten wiedergesehen hatte, und ihr schien es, als wäre sie auf Kibitzstein von aller Welt abgeschnitten. Da ihre Ungeduld wuchs, überlegte sie schließlich, ob sie ihren Vater nicht dazu überreden sollte, mit ihr nach Schweinfurt zu reiten.

Ihre Freundin Mariele, das Patenkind ihrer Mutter, hatte als Ehefrau eines Kaufherrn, der auch mit den Rittern im weiten Umkreis Handel trieb, gewiss Möglichkeiten, herauszufinden, wo Junker Georg sich jetzt aufhielt und wie es ihm erging. Vielleicht konnte sie ihm sogar ein Briefchen zukommen lassen. Auf diese Weise würde er endlich erfahren, dass er trotz seines Unglücks auf Kibitzstein willkommen war.

Die Mägde, die Trudi beaufsichtigen sollte, bemerkten ihre geistige Abwesenheit, stießen einander mit den Ellbogen an und lächelten verständnisvoll. In ihren Augen war Georg von Gressingen ein vortrefflicher junger Mann, den sie ihrer jungen Herrin von Herzen gönnten. Die Tatsache, dass der Würzburger Fürstbischof ihm übel mitgespielt hatte, erregte zudem noch ihr Mitleid, und sie wünschten ihm und Trudi das Allerbeste.

Eine der Mägde warf einen Blick durch das Turmfenster und winkte den anderen aufgeregt zu. »Da kommt ein Reiter! Ob das Junker Georg ist?«

Trudi fuhr herum und scheuchte die Mägde vom Fenster, um selbst hinaussehen zu können. Doch als sie den Reiter erkennen konnte, verblasste die Röte, die ihre Wangen überzogen hatte.

»Es ist bloß der Dieboldsheimer. Weiß der Teufel, was den nach Kibitzstein treibt!«

Ingobert von Dieboldsheim war nicht gerade der Besucher, dem sie begegnen wollte, denn sie nahm ihm immer noch übel, wie er sich letztens ihr gegenüber benommen hatte. Bevor jemand sie in die große Halle rufen konnte, damit sie dem Gast den Willkommenskuss gab, musste sie Kibitzstein verlassen haben. Sie überlegte schon, durch die Rückpforte der Burg zu verschwinden und ins Dorf hinunterzulaufen. Da fiel ihr Blick auf die Mägde, die auf Hilgertshausener Grund Wein lasen.

Kurzentschlossen winkte sie Uta zu sich. »Komm mit! Wir helfen ein wenig bei der Weinlese.«

»Muss das sein?« Uta zog ein säuerliches Gesicht. Für sie war die Arbeit im Weinberg etwas für Bauern, und als Burgmagd wollte sie sich damit nicht die Hände schmutzig machen. Andererseits durfte sie ihre junge Herrin nicht verärgern. Sie tröstete sich damit, dass Trudi die Mägde überwachen würde und sie selbst nur ein paar Weintrauben für Trudis und ihren eigenen Verzehr pflücken musste.

Während die übrigen Burgmägde wieder an die befohlene Arbeit zurückkehrten, liefen Trudi und Uta hastig die Treppe hinab und verließen die Burg im gleichen Augenblick durch die hintere Pforte, in dem Ingobert von Dieboldsheim das stattliche Burgtor passierte. Trudi mäßigte ihren Schritt nicht, sondern rannte noch schneller und winkte Uta, sich zu beeilen.

Die Magd keuchte schon. »Herrin, es ist sehr heiß, und Ihr wollt doch sicher nicht in Schweiß geraten wie ein abgetriebener Gaul.« Trudis Lachen hallte von einigen hoch aufragenden Felsen zurück. »Ein wenig ins Schwitzen zu kommen, schadet weder dir noch mir!«

Uta wischte sich theatralisch über die Stirn, aber Trudi beachtete sie nicht weiter, und so musste auch die Magd rennen, bis sie Hilgertshausener Grund erreicht hatten.

»Ich dachte, ich schaue mal, was ihr so treibt«, rief Trudi den Frauen zu, die fröhlich sangen und dabei fleißig die Hände regten. Sie sah nicht lange zu, sondern nahm einen Korb und gliederte sich in die Reihe ein. Uta tat es ihr seufzend gleich, dachte aber zunächst nicht daran, die Trauben in den Korb zu legen, sondern stopfte sie sich erst einmal in den Mund.

»He, Uta! Unsere Arbeit sieht aber anders aus«, spottete eine der älteren Mägde.

Ihre Freundinnen lachten, Uta aber zuckte mit den Achseln. »Einem Gaul gibt man ja auch Hafer, bevor man ihn einspannt. Bei einem Menschen ist das nicht anders.«

»Die Jungfer sieht das anders als du. Ihr Korb ist bald voll, während bei dir noch nicht einmal der Boden bedeckt ist.«

Trudi kicherte vergnügt. »Lasst Uta nur essen. Sie wird bald merken, dass ihre Eingeweide die vielen süßen Trauben nicht vertragen. Dann heißt es rasch in die Büsche schlüpfen, damit kein Unglück geschieht!«

Eine der Mägde zog die Nase kraus. »Wenn Utas Gedärme sich rühren, soll sie sich gefälligst an eine Stelle verziehen, an der wir schon gelesen haben. Ich will nämlich nicht in ihre Hinterlassenschaften treten.« Da die Sprecherin ebenso wie die anderen Mägde barfuß ging, war dies nur allzu verständlich.

Trudi antwortete mit einem Scherz, um keinen Streit aufkommen zu lassen, und Uta legte die abgeschnittenen Trauben nun schneller in ihren Korb. Da man ihr Fleiß nicht absprechen konnte, holte sie bald auf und leerte ihren Korb nur kurz hinter Trudi auf den Wagen. Jetzt machte ihr die Weinlese sogar Spaß, und sie vergaß darüber ganz, dass sie sich eigentlich für etwas Besseres hielt als die biederen Bauernmägde. Sie stimmte sogar ein Lied an, in das Trudi und die anderen fröhlich einfielen.

Die Tochter der Wanderhure
cover.html
title.html
part001.html
part001chapter001.html
part001chapter002.html
part001chapter003.html
part001chapter004.html
part001chapter005.html
part001chapter006.html
part001chapter007.html
part001chapter008.html
part001chapter009.html
part001chapter010.html
part001chapter011.html
part001chapter012.html
part001chapter013.html
part001chapter014.html
part001chapter015.html
part001chapter016.html
part001chapter017.html
part001chapter018.html
part002.html
part002chapter001.html
part002chapter002.html
part002chapter003.html
part002chapter004.html
part002chapter005.html
part002chapter006.html
part002chapter007.html
part002chapter008.html
part002chapter009.html
part002chapter010.html
part002chapter011.html
part002chapter012.html
part002chapter013.html
part002chapter014.html
part002chapter015.html
part003.html
part003chapter001.html
part003chapter002.html
part003chapter003.html
part003chapter004.html
part003chapter005.html
part003chapter006.html
part003chapter007.html
part003chapter008.html
part003chapter009.html
part003chapter010.html
part003chapter011.html
part003chapter012.html
part003chapter013.html
part003chapter014.html
part004.html
part004chapter001.html
part004chapter002.html
part004chapter003.html
part004chapter004.html
part004chapter005.html
part004chapter006.html
part004chapter007.html
part004chapter008.html
part004chapter009.html
part004chapter010.html
part004chapter011.html
part004chapter012.html
part004chapter013.html
part004chapter014.html
part004chapter015.html
part005.html
part005chapter001.html
part005chapter002.html
part005chapter003.html
part005chapter004.html
part005chapter005.html
part005chapter006.html
part005chapter007.html
part005chapter008.html
part005chapter009.html
part005chapter010.html
part005chapter011.html
part005chapter012.html
part005chapter013.html
part006.html
part006chapter001.html
part006chapter002.html
part006chapter003.html
part006chapter004.html
part006chapter005.html
part006chapter006.html
part006chapter007.html
part006chapter008.html
part006chapter009.html
part006chapter010.html
part006chapter011.html
part006chapter012.html
part007.html
part007chapter001.html
part007chapter002.html
part007chapter003.html
part007chapter004.html
part007chapter005.html
part007chapter006.html
part007chapter007.html
part007chapter008.html
part007chapter009.html
part007chapter010.html
part007chapter011.html
part007chapter012.html
part008.html
part008chapter001.html
part008chapter002.html
part008chapter003.html
part008chapter004.html
part008chapter005.html
part008chapter006.html
part008chapter007.html
part008chapter008.html
part008chapter009.html
part008chapter010.html
part008chapter011.html
part008chapter012.html
part008chapter013.html
part008chapter014.html
part008chapter015.html
part008chapter016.html
part008chapter017.html
part008chapter018.html
part008chapter019.html
backmatter001.html
backmatter002.html
backmatter003.html
copyright.html