18.

Kaum war Trudi zu Hause angelangt, da schoss Uta aus dem Palas und kam auf sie zu. »Ich muss mit Euch sprechen, Jungfer. Es ist dringend.«

Da Tratschen zu Utas Lieblingsbeschäftigungen zählte, seufzte Trudi, denn sie hätte sich lieber zurückgezogen, um in Ruhe nachdenken zu können. Aber sie wusste, dass sie diesem Plagegeist nicht entkommen konnte, und so ließ sie sich von einem Stallknecht aus dem Sattel heben, raffte ihr Reitkleid, so dass sie bequem gehen konnte, und winkte Uta, ihr zu folgen.

»Nun, was gibt es?«, fragte sie, als sie ihre Schlafkammer erreichte und noch im Eintreten die Reitpeitsche in eine Ecke und die Handschuhe in eine andere feuerte.

Die Magd bemerkte, wie es in ihrer Herrin brodelte, nahm aber an, es sei wegen des Streits mit Lisa, und während sie ihr die Bänder des Kleides löste, steuerte sie sofort auf ihr Ziel zu. »Ich habe zufällig mitbekommen, wie Hildegard, dieser elende kleine Bastard, Euch bei Eurer Mutter schlechtgemacht hat. Sie hat es so hingestellt, als wäre es Eure Schuld, dass Lisa sich Euch gegenüber so schlecht benimmt. Dabei sollten diese beiden Bälger dankbar sein, dass Frau Marie sich ihrer angenommen hat.«

Es war der Beginn eines längeren Vortrags, der jedoch wie Wasser an Trudi abglitt. Schon längst bereute sie ihre harschen Worte. Als die Ältere war Trudi jedoch zu stolz, ihre Ziehschwester um Verzeihung zu bitten, und hatte gehofft, die hässliche Angelegenheit würde sich auf die eine oder andere Weise in Wohlgefallen auflösen. Nun aber bekam sie es mit der Angst zu tun. Ihre Mutter liebte Lisa wie ein eigenes Kind und würde es niemals zulassen, dass ihre eigene Tochter diese beleidigte oder gar schlug.

Trudi sah einen Streit mit der Mutter und wahrscheinlich auch eine harte Strafe auf sich zukommen. Ihr Herz flatterte, während sie sich vorstellte, wie der Vater ihr helfen und sich gegen die Mutter stellen würde. Ein Zerwürfnis ihrer Eltern war jedoch das Letzte, das sie sich wünschte. Als Uta jetzt auch noch begann, neben Lisa und Hildegard auch noch über Marie herzuziehen, fuhr sie wütend auf.

»Weißt du überhaupt, was du da sagst? Frau Marie ist nicht nur meine Mutter, sondern auch deine Herrin. Wenn du noch ein Wort gegen sie sagst, sorge ich dafür, dass du Rutenschläge erhältst!«

Die Magd hob erschrocken die Hände und entschuldigte sich. Hätte Trudi, die sich gerade das Kleid über den Kopf ziehen ließ, dem Mädchen ins Gesicht sehen können, wäre ihr jedoch aufgefallen, dass Uta keine Spur eines schlechten Gewissens zeigte, sondern beleidigt war, weil sie Dank für ihre Mitteilung erwartet hatte. Schließlich war sie ihrer eigenen Einschätzung nach die Einzige, die voll und ganz zu Maries leiblicher Tochter stand. Alle anderen redeten der Burgherrin nach dem Mund und behandelten die beiden anderen Mädchen, als wären sie Trudi gleichrangig.

Da Uta scheinbar verängstigt schwieg, versuchte Trudi, sie zu beruhigen. »Ich will natürlich nicht, dass du geschlagen wirst. Aber du solltest aufpassen, was du sagst.«

Sie wollte nicht allzu hart mit Uta umspringen, denn sie mochte die geschickte Magd, hätte sich aber gewünscht, dass das Mädchen etwas weniger redselig wäre und zuerst nachdenken würde, bevor es den Mund aufmachte.

»Soll ich die Truhe da drüben ebenfalls aufräumen?«, fragte Uta spitz. Sie fühlte sich schlecht behandelt und wollte, dass ihre Herrin dies auch merkte.

»Ja, danke! Tu das!« Trudi nickte erfreut, bedauerte ihre Zustimmung aber sofort, denn Uta holte als Erstes jenes grüne Gewand heraus, das sie auf Fuchsheim getragen hatte. Sie hatte es bei ihrer Rückkehr ausgezogen und so schmutzig, wie es war, in die Truhe geworfen.

»Das Kleid ist ja voller Dreck! Es hätte zuerst in die Wäsche gehört. Seht, der Rücken ist ganz braun, so als hättet ihr auf der Erde gelegen – und hier innen ist ein dunkler Fleck, der ganz in den Stoff eingezogen ist.« Die Magd hielt ihrer jungen Herrin das Gewand anklagend unter die Nase.

Trudi presste die Lippen zusammen, um nicht aufzuschreien. Der dunkle Fleck stellte nicht mehr und nicht weniger dar als den Rest ihres Jungfernbluts, das sie nicht vollständig hatte auswaschen können. Obwohl sie sich nach Junker Georg sehnte und hoffte, bald seine Frau zu werden, wollte sie sich möglichst nicht mehr an das erinnern, was im Fuchsheimer Wald geschehen war. Sie riss Uta das Kleid aus den Händen und schleuderte es zu Boden.

»Bringe es weg und verbrenne es. Ich will es nicht mehr sehen!«

»Aber es ist doch Euer bestes Kleid«, protestierte die Magd.

»Wenn du als Leibmagd in meinen Diensten bleiben willst, solltest du lernen, mir zu gehorchen!«

Uta verstand die Launen ihrer Herrin nicht, begriff aber, dass es besser war, ihre Arbeit stumm fortzusetzen. Kurz überlegte sie, ob sie das Kleid verstecken und für einen anderen Zweck verwenden sollte. Doch wenn Trudi es entdeckte, würde sie noch zorniger werden.

»Da Ihr es so haben wollt, werde ich das Kleid in der Küche verbrennen, wenn die Köchin und ihre Mägde in der Gesindekammer beisammensitzen. Wenn sie sähen, was ich tue, würden sie es gewiss Frau Marie berichten.«

»Tu es heimlich und verlier nie mehr ein Wort darüber!« Trudi wandte sich ab, damit die Magd nicht sehen konnte, dass sie den Tränen nahe war. Das Verhalten des Dieboldsheimers hatte sie abgestoßen und verletzt. Sie hatte nicht geahnt, dass Männer so widerwärtig sein konnten. Umso mehr sehnte sie sich nach Junker Georg und hoffte, er käme endlich nach Kibitzstein. Ihr machte es nichts aus, dass er keine Heimat mehr besaß, in die er sie bringen könnte. Schließlich war nicht er, sondern dieser elende Fürstbischof daran schuld, der auch ihrem Vater große Sorgen bereitete. Sie ärgerte sich so über den Mann, dass sie am liebsten nach Würzburg geritten wäre und Herrn Gottfried für seine Bosheiten erwürgt hätte.

Da sie mit einem Mal das Gefühl hatte, die Wände ihrer Kammer schnürten ihr den Atem ab, kehrte sie Uta den Rücken zu und trat auf den Flur. Auf dem Weg in den Burghof kam ihr die Mutter entgegen und hielt sie auf. »Trudi, ich glaube, wir beide müssen miteinander reden!«

»Ja, Mama!« Trudi spürte einen dicken Kloß im Hals und kämpfte gegen den Wunsch, sich an einem Ort zu verkriechen, an dem niemand sie fand, und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Mit verschleierten Augen versuchte sie zu erkennen, ob ihre Mutter sehr wütend war. Doch Frau Marie wirkte ernst und geradezu kalt. Das verunsicherte Trudi mehr als ein heftiger Zornausbruch, und sie bekam es mit der Angst zu tun. Wohl hatte sie sich in den letzten Monaten immer wieder mit ihrer Mutter gestritten, aber in ihrem Kummer war ihr bewusst geworden, wie sehr sie sie liebte. Nun sah es so aus, als hätte sie sich die Zuneigung ihrer Mutter verscherzt.

Marie führte ihre Tochter in ihre eigenen Räume und hieß sie, sich auf einen Stuhl zu setzen. Danach füllte sie etwas Wein in zwei Becher, vermischte ihn mit Wasser und reichte Trudi ein Gefäß. Sie lehnte sich gegen den Tisch, um ihr Knie zu entlasten, und blickte auf ihre Tochter hinab. Ihre Älteste wirkte so hilflos und verletzlich, dass es ihr schier das Herz zerriss.

»Wenn es wirklich dein Wunsch ist, werde ich einer Heirat mit Gressingen zustimmen, sollte er kommen und um dich werben!« Das waren nicht gerade die Worte, die Marie hatte sagen wollen, doch der elende Zustand ihrer Tochter flößte ihr Angst ein. Trudi sah erstaunt zu ihr auf. »Wirklich? Das würdest du tun?«

»Du bist meine Tochter, und ich will, dass du glücklich bist. Wenn du glaubst, Junker Georg sei der Richtige für dich, werde ich dir nicht im Weg stehen.«

Marie erwartete für dieses Zugeständnis freudigen Dank, doch Trudi sah einfach nur verblüfft aus und nicht wie jemand, dem eben ein Herzenswunsch erfüllt worden war.

»Ich dachte, du willst es so«, setzte Marie etwas fragend hinzu.

»Freilich will ich es!« Nun begriff Trudi, dass kein Strafgericht über sie kommen sollte. Entgegen allen Befürchtungen bekam sie ein Zugeständnis, mit dem sie nie gerechnet hatte. Sie sprang auf und schlang ihre Arme um die Mutter. »Danke, Mama! Du bist so lieb zu mir, und dabei habe ich das gar nicht verdient. Aber ich liebe Georg von Gressingen und möchte seine Frau werden. Natürlich ist er nicht mit Vater zu vergleichen, aber das ist wohl kein Mann auf der Welt.«

»Wenn du einmal verheiratet bist, solltest du deinen Gemahl nie mit der Elle deines Vaters messen, mein Kind, sondern an seiner Liebe zu dir.« Marie strich Trudi über das Haar und erwiderte ihre Umarmung. »Ich hab dich doch lieb!«

Dabei dachte sie an die Strafpredigt, die sie auf den Kopf dieses ungebärdigen Mädchens hatte niedergehen lassen wollen, und schalt sich in Gedanken, weil sie weich geworden war.

Trudi klammerte sich weinend an ihre Mutter. »Ich habe deine Güte wirklich nicht verdient, denn ich bin sehr hässlich zu Lisa gewesen und habe sie sogar geschlagen. Das tut mir so leid!«

»Ich werde Lisa sagen, dass du es bereust, und sie wird dir verzeihen! Schließlich seid ihr Schwestern.« Marie neigte sich zu Trudi nieder und küsste sie auf die Stirn. Sie würde mit Lisa reden, und da das Mädchen nicht nachtragend war, würde der Streit bald ein Ende haben. Was Gressingen betraf, so war sie um des lieben Friedens willen bereit, ihn willkommen zu heißen.

Die Tochter der Wanderhure
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