5.

Nach seiner Unterredung mit Hans von Dettelbach hatte Michel ebenfalls auf dem Markt eingekauft und suchte nun den Gasthof zum Bach auf. Die vier Bewaffneten, die ihn zur Burg begleitet hatten, hielten sich dicht hinter ihm und ließen ihre Blicke schweifen, um ihre Wachsamkeit zu unterstreichen. Die Einkäufe ihres Herrn trugen zwei einheimische Knechte, die davon lebten, die Bündel und Körbe der Marktbesucher zu schleppen. Im Vorraum des Gasthofs luden sie ihre Last ab und verbeugten sich erwartungsvoll lächelnd vor Michel. Sie kannten den Herrn auf Kibitzstein und wussten, dass er nicht knauserig war. Michel drückte ihnen die erhofften Münzen in die Hand und lud sie überdies zu einem Becher Wein und einem Stück Braten ein.

Der Söldnerhauptmann bemerkte sofort, dass der Wind sich zu drehen begann, denn einige der Neuankömmlinge trugen das Kibitzsteiner Wappen auf ihren Gewändern. Also gehörten sie zu der scharfzüngigen Jungfer, und der Edelmann, den sie begleiteten, musste Reichsritter Michel Adler sein, jener Mann, der sich mit seiner Tapferkeit im Böhmischen Krieg Kaiser Sigismunds besondere Huld erworben hatte.

Peter von Eichenloh warf Trudis Vater einen forschenden Blick zu. Der Ritter war kein junger Mann mehr, wirkte aber immer noch kräftig und kampferprobt, und der zärtliche Blick, mit dem Michel Adler seine Tochter bedachte, ließ ihn bedauern, mit der Jungfer Streit angefangen zu haben. Sollte das scharfzüngige Weibsstück seinen Vater gegen ihn aufhetzen, würde Blut fließen.

»Gebt endlich Ruhe, Männer!«, befahl er seinen Begleitern.

Quirin musterte die Männer, die die fremde Jungfer nun umgaben, und machte ein grimmiges Gesicht. »Auch neun von dieser Sorte flößen mir keine Furcht ein.«

»Fürchten tue ich mich auch nicht. Aber es würde nicht bei diesen Gegnern bleiben. Denkt daran, heute ist Markttag. Da achten die Männer des hiesigen Vogts streng darauf, dass der Marktfriede gehalten wird.«

Ein anderer Söldner warf einen schiefen Blick auf zwei Büttel, die im Stehen ihren Wein tranken, ihre Blicke durch die Gaststube wandern ließen und auch immer wieder durch das Fenster nach draußen schauten. »Junker Peter hat recht! Wenn wir den Edelmann dort verletzen oder gar umbringen, hängt man uns kurzerhand auf!«

Die Söldner nickten und versuchten, Quirin zu beruhigen. Keiner der Männer war feige, und sie hatten schon manche Wirtshausschlägerei siegreich bestanden. Aber hier standen ihre Aussichten allzu schlecht.

Während Eichenloh sich scheinbar nur für das Fleisch vor sich und die Gespräche an seinem Tisch interessierte, beobachtete er, wie Michel liebevoll seine Tochter begrüßte und sich zu ihr und der Frau, die seine Beschließerin sein mochte, an den Tisch setzte. Sofort eilte die Schankmaid mit einem vollen Weinkrug herein und füllte ihm den Becher. Kaum weniger lang dauerte es, dann stand ein großes Stück Schweinebraten vor dem Ritter. Wie es aussah, war Adler hier regelmäßig zu Gast und wohlgelitten.

Sogar die Büttel des Vogts hatten ihn beim Eintreten höflich gegrüßt, und Eichenloh empfand auf einmal Neid auf das Ansehen, das der Mann genoss.

Gleichzeitig ärgerte er sich, weil es jetzt so aussah, als müssten er und seine Leute mit eingezogenem Schwanz abziehen. Das schadete seinem Ansehen in der Truppe, und er sah sich schon gezwungen, einigen seiner Männer die Achtung vor ihm mit der Faust einzubleuen.

Zu dem Problem, die Disziplin unter seinen Soldknechten aufrechtzuerhalten, gesellten sich weitere Sorgen. Zwar roch es in dieser Gegend nach mehr als einer noch unausgesprochenen Fehde, doch wenn er die Situation gewinnbringend ausnutzen wollte, musste er sich in dem Beziehungsgeflecht der landbesitzenden Standesherren auskennen. Bei seinem Besuch auf Graf Magnus’ Burg hatte er erfahren, dass der Kibitzsteiner sein Land gegen die Begehrlichkeiten des neuen Bischofs verteidigen musste. Daher juckte es ihn in den Fingern, nun doch in Würzburger Dienste zu treten, um der Spottdrossel von einer Jungfer zu zeigen, dass sie jemanden wie ihn nicht ungestraft beleidigen durfte. Dafür aber würde er sein Knie vor Gottfried Schenk zu Limpurg beugen müssen, und der war ihm alles andere als freundlich gesinnt.

Michels Anwesenheit brachte Eichenlohs Männer dazu, sich manierlicher zu benehmen und nicht mehr wie eine Horde Schweine zu schmatzen. Jedem von ihnen war bewusst, dass sie nur dann als Söldner von Wert waren, wenn ihre Knochen heil blieben, und so enthielten sie sich jeder weiteren Provokation. Quirins Zorn war ebenfalls verraucht, aber er blickte immer wieder zu der Jungfer hinüber, die ebenso hübsch wie scharfzüngig war. Gerade erzählte das Mädchen ihrem Vater mit sichtlichem Stolz von ihren Einkäufen und dem Geschick, das die Bedienstete neben ihr beim Feilschen bewiesen hatte.

»Ein hübsches Ding, aber mit einer Zunge, die man ihr abschneiden müsste«, raunte Quirin seinem Anführer zu.

»Der gehört kräftig der Hintern versohlt!«, sagte Junker Peter in einem Ton, als würde er diese Aufgabe auf der Stelle übernehmen. Dann winkte er ab, befahl der Schankmaid, noch einen Krug Wein zu bringen, und wischte sich mit dem Rest des Brotes das Fett von den Fingern.

»Kommt, Leute, trinken wir noch einen Becher. Dann geht’s in die Sättel. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Trudi, die seine Worte deutlich vernommen hatte, sah dem Söldner ins Gesicht, machte das Grunzen eines Schweins nach und lachte schallend auf.

Michel sah sie verwundert an. »Was sollte das denn?«

»Es war nur ein Abschiedsgruß für den edlen Ritter da drüben. Für den wäre ein Schwein das richtige Wappentier.«

Eichenloh stand zähneknirschend auf und verbeugte sich übertrieben schwungvoll vor Michel. »Edler Herr, ich bewunderte den Liebreiz Eurer Tochter und vor allem die süße Rede aus ihrem Mund. Sie scheint mir auch sehr viel von Schweinen zu wissen. Gewiss habt Ihr sie in den ersten Jahren in einem Koben aufgezogen.«

Michels Hand fiel hart auf die Tischplatte. »Von einem wie dir lasse ich meine Tochter nicht beleidigen!«

»Von Euch, wenn’s beliebt. Im Gegensatz zu anderen vermag ich auf sechs Generationen adliger Vorfahren zurückzublicken!« Eichenloh sah, wie Michels Gesicht sich verfärbte, und begriff, dass es höchste Zeit war, den Rückzug anzutreten.

»Kommt mit!«, ranzte er seine Männer an und stiefelte auf den Ausgang zu. Unterwegs warf er der Schankmaid eine Münze zu. »Der Rest ist Trinkgeld!«

Die Magd mochte noch sehr jung sein, aber sie kannte sich aus. »He! Das ist zu wenig«, rief sie, trat Eichenloh fordernd und sichtlich mutiger als vorher in den Weg und hielt ihm die Münze vor die Augen.

Quirin wollte das Mädchen einfach beiseitedrängen, doch sein Anführer begriff, dass er sich geirrt hatte, und wühlte in seinem Geldbeutel, bis er das passende Geldstück gefunden hatte.

»Auf Nimmerwiedersehen, Ritter mit den sechs Ahnen, aber zu wenig Geld«, rief Trudi ihm kichernd nach.

Eichenloh blieb fluchend stehen. »Beim Blute Christi, ich könnte diesem Balg den Hals umdrehen!«

Bevor er seine Drohung in die Tat umsetzen konnte, schob Quirin ihn kurzerhand ins Freie. »Das würde schlecht ausgehen, denn der Vater des Weibsstücks sieht ganz so aus, als würde er sich mit nichts weniger als deinem Leben zufriedengeben.«

»Und daran bist du schuld, weil du den Streit mit diesem Mädchen vom Zaun gebrochen hast.« Peter schenkte seinem Stellvertreter einen wütenden Blick und schalt sich gleichzeitig einen Narren, weil er dem kindischen Spiel nicht früh genug ein Ende bereitet hatte.

Quirin blickte schuldbewusst drein. »Ich habe mich nur geärgert, weil man dieses aufgeblasene Ding vor uns bedient hat. Wäre mir klar gewesen, wie es endet, hätte ich mich beherrscht.«

»Auf jeden Fall hast du uns damit eine Feindschaft eingebracht, die wohl lange schwelen wird, und wir müssen in Zukunft einen weiten Bogen um die Ländereien des Kibitzsteiners machen. Wenn der uns abfangen kann, wird er uns für diese Stunde zahlen lassen.«

»Das fürchte ich auch.« Quirin kratzte sich am Hals. »Verdammt! Aber wer konnte wissen, dass dieses keifende Fräulein seine Tochter ist! Der Kibitzsteiner ist eine harte Nuss und wird sich die sechs Generationen adliger Vorfahren, die du ihm unter die Nase gerieben hast, gewiss gut merken. Das ist Pech, denn als der Abgesandte des Schöbacher Abtes in den höchsten Tönen von diesem Mann sprach, hatte ich schon gehofft, wir könnten uns Michel Adler zum Freund machen. Schließlich soll er der engste Verbündete dieses Klosters sein.«

»Wenn Abt Pankratius erfährt, dass wir uns mit dem Kibitzsteiner angelegt haben, wird er uns wohl nicht mehr länger beherbergen. Dabei hatte ich gehofft, wir könnten einige Wochen mit der gesamten Mannschaft bei den Mönchen zu Gast bleiben und uns durchfüttern lassen.« Eichenloh spie aus und ballte die Faust.

»Vielleicht sollten wir uns in Zukunft nicht mehr als Söldner verdingen, sondern dem Pfeffersackgesindel auflauern und sie neben ihren Waren auch um ihr Leben erleichtern!«, entfuhr es ihm.

Quirin blickte seinen Anführer zweifelnd an. »Ohne einen festen Stützpunkt oder ein gutes Versteck würden wir bald baumeln. Die Pfeffersäcke sind sehr empfindlich, was ihre Waren betrifft, und sie werben oft genug Söldner an, um die Burgen von Raubrittern stürmen zu lassen.«

»Seit wann fürchtest du dich vor dem Tod?«, fragte sein Anführer spöttisch.

Während dieses Gesprächs auf dem Weg zum Stall des Gasthofs hatten sie nicht darauf geachtet, dass einige Knechte in der Nähe waren. Diese trugen den Wortwechsel aufgeregt weiter. Eichenloh und seine Männer hatten die Tore Dettelbachs noch nicht passiert, da machte bereits die Nachricht die Runde, der Söldnerführer wolle sich in Zukunft als Räuber betätigen. Da sein Auftreten und der abgerissene Zustand seiner Leute diese Worte glaubhaft unterstrichen, gelangte das Gerücht mit den ersten Reisenden, die Dettelbach verließen, auf vielerlei Wegen ins Land.

Als Graf Magnus von Henneberg davon hörte, schlug er das Kreuz und dankte dem Herrgott im Himmel, dass er seinen Bruder noch rechtzeitig aus Eichenlohs Trupp herausgeholt hatte. In Würzburg krausten die Berater des Fürstbischofs die Stirn, denn wenn Eichenloh zum Räuber wurde, plante er gewiss, sich wegen des alten Streits mit Gottfried Schenk zu Limpurg an diesem zu rächen und dessen Städten Schaden zuzufügen. Auch ein alter Mann, der eine gewisse Hoffnung gehegt hatte, sein Neffe könne zur Vernunft kommen, hörte davon und beschloss, nun doch das Wagnis einzugehen und sich ein junges Weib zu suchen, um einen würdigen Erben zu bekommen.

Die Tochter der Wanderhure
cover.html
title.html
part001.html
part001chapter001.html
part001chapter002.html
part001chapter003.html
part001chapter004.html
part001chapter005.html
part001chapter006.html
part001chapter007.html
part001chapter008.html
part001chapter009.html
part001chapter010.html
part001chapter011.html
part001chapter012.html
part001chapter013.html
part001chapter014.html
part001chapter015.html
part001chapter016.html
part001chapter017.html
part001chapter018.html
part002.html
part002chapter001.html
part002chapter002.html
part002chapter003.html
part002chapter004.html
part002chapter005.html
part002chapter006.html
part002chapter007.html
part002chapter008.html
part002chapter009.html
part002chapter010.html
part002chapter011.html
part002chapter012.html
part002chapter013.html
part002chapter014.html
part002chapter015.html
part003.html
part003chapter001.html
part003chapter002.html
part003chapter003.html
part003chapter004.html
part003chapter005.html
part003chapter006.html
part003chapter007.html
part003chapter008.html
part003chapter009.html
part003chapter010.html
part003chapter011.html
part003chapter012.html
part003chapter013.html
part003chapter014.html
part004.html
part004chapter001.html
part004chapter002.html
part004chapter003.html
part004chapter004.html
part004chapter005.html
part004chapter006.html
part004chapter007.html
part004chapter008.html
part004chapter009.html
part004chapter010.html
part004chapter011.html
part004chapter012.html
part004chapter013.html
part004chapter014.html
part004chapter015.html
part005.html
part005chapter001.html
part005chapter002.html
part005chapter003.html
part005chapter004.html
part005chapter005.html
part005chapter006.html
part005chapter007.html
part005chapter008.html
part005chapter009.html
part005chapter010.html
part005chapter011.html
part005chapter012.html
part005chapter013.html
part006.html
part006chapter001.html
part006chapter002.html
part006chapter003.html
part006chapter004.html
part006chapter005.html
part006chapter006.html
part006chapter007.html
part006chapter008.html
part006chapter009.html
part006chapter010.html
part006chapter011.html
part006chapter012.html
part007.html
part007chapter001.html
part007chapter002.html
part007chapter003.html
part007chapter004.html
part007chapter005.html
part007chapter006.html
part007chapter007.html
part007chapter008.html
part007chapter009.html
part007chapter010.html
part007chapter011.html
part007chapter012.html
part008.html
part008chapter001.html
part008chapter002.html
part008chapter003.html
part008chapter004.html
part008chapter005.html
part008chapter006.html
part008chapter007.html
part008chapter008.html
part008chapter009.html
part008chapter010.html
part008chapter011.html
part008chapter012.html
part008chapter013.html
part008chapter014.html
part008chapter015.html
part008chapter016.html
part008chapter017.html
part008chapter018.html
part008chapter019.html
backmatter001.html
backmatter002.html
backmatter003.html
copyright.html