2.

Am nächsten Morgen sah Trudi die Waffenknechte aufbrechen und fühlte eine Beklemmung in sich aufsteigen, die ihr Herz schmerzhaft zucken ließ. Nur das Versprechen des Hilfspfarrers, er würde dafür sorgen, dass sie sich einer Gruppe von Wallfahrern anschließen könne, die gleich in der Frühe nach Altötting aufbrechen würden, hatte verhindert, dass sie die beiden Männer anflehte, bei ihr zu bleiben.

Die Pilger versammelten sich bereits auf dem Kirchplatz, und Trudi blieb nichts anderes übrig, als die arg säumige Uta anzutreiben, damit sie rechtzeitig fertig wurden und die Messe besuchen konnten, mit der die Wallfahrt ihren Anfang nahm.

Auf dem Weg zur Kirche und auch im Gotteshaus fand Trudi sich im Mittelpunkt fragender Blicke wieder. Den meisten erschien sie zu jung, um allein auf Reisen zu gehen, andere wiederum wunderten sich über ihr kleines Gefolge. Trudi vernahm etliche Bemerkungen über ihre Person und begriff, dass sie sich eher früher als später zwei Knechte suchen musste, die ihr als Leibwache dienen konnten.

Als sie sich nach der Messe zu der Gruppe gesellte, war sie nicht sicher, ob dies die richtige Entscheidung gewesen war. Die Leute reisten nämlich zu Fuß nach Altötting und würden ihren Worten zufolge mindestens vier Tage für den Weg brauchen. Daher überlegte Trudi, ob sie nicht den Amtmann dieses Bezirks bitten sollte, ihr mit zwei oder drei Soldknechten auszuhelfen. Sie sah zur Burg hoch, die von einem wuchtigen Turm beherrscht wurde, und fragte sich, wie der Herr wohl reagieren würde. Es war nicht auszuschließen, dass er sie gefangen setzte, um von ihrer Mutter Lösegeld zu fordern. Dann hätte sie ihrer Familie nicht geholfen, sondern ihr noch mehr Schwierigkeiten bereitet. Die beiden Tage, die sie auf dem Weg nach Altötting verlor, würde sie eben auf der weiteren Reise wieder aufholen müssen.

Nachdem sie neuen Mut gefasst hatte, ließ sie sich von Lampert auf ihr Pferd helfen. Der Knecht und Uta mussten den Weg stellvertretend für ihre Herrin zu Fuß antreten, so bestimmte es der Anführer der Wallfahrer. Die beiden zogen lange Gesichter und sahen Trudi vorwurfsvoll an. Die Blicke, die sie wechselten, verrieten die Hoffnung, ihre Herrin könne es sich doch noch anders überlegen und den Waffenknechten nach Schweinfurt folgen. Aber Trudi dachte nur an ihr fernes Ziel und trieb ihre Stute mit einem Zungenschnalzen an. Daher blieb Uta und Lampert nichts anderes übrig, als sich in die Schlange der Wallfahrer einzureihen.

Zu allem Unglück begann es schon nach einer kurzen Wegstrecke zu regnen. Die meisten Wallfahrer hatten sich in weiser Voraussicht in dicke Filzmäntel gehüllt, und Trudi konnte einen gewachsten Umhang um sich schlagen und die Kapuze über den Kopf ziehen. Uta aber besaß nur einen einfachen Wollumhang ohne Kapuze, der sich rasch vollsog und ihre Kleidung durchnässte.

Während die Pilger fromme Psalmen sangen, lief die Magd neben der Stute her und schimpfte leise. »Wahrscheinlich werde ich krank werden, und das ist dann Eure Schuld!«

»Das hoffe ich nicht, sonst müsste ich dich unterwegs zurücklassen!« Trudi war Utas ewiges Gejammer leid und fragte sich, wie sie je daran hatte denken können, dieses Mädchen zu ihrer Leibmagd zu machen. Lampert war da ganz anders. Er tat seine Arbeit unterwegs mit der gleichen Freude wie zu Hause und erwies sich als wertvoller Helfer, der mit den Leuten gut zurechtkam und immer wieder etwas in Erfahrung brachte, das ihren Plänen förderlich war.

Eben versetzte er Uta einen Stoß mit dem Ellbogen. »Sei endlich ruhig. Die Wallfahrer sehen dich schon böse an. Willst du, dass sie uns wegen deines Gemeckers aus ihrer Gruppe ausschließen?«

Der Knuff und sein Tadel ließen Uta zusammenzucken. Hatte sie doch noch Trudis Drohung im Ohr, sie notfalls zurückzulassen. »Oh, Herr im Himmel, steh mir bei in meiner unverschuldeten Not! Bitte mach, dass die Jungfer wieder zur Vernunft kommt!«, betete sie laut.

Dafür versetzte Lampert ihr den nächsten Rippenstoß. »Die Jungfer ist dreimal so vernünftig wie du. An ihrer Stelle hätte ich dich mit Tesslers Soldknechten zurückgeschickt und mir eine brave, arbeitsame Magd aus dieser Gegend besorgt.«

Uta starrte ihn entgeistert an. »Du willst doch nicht behaupten, dass ich faul bin!«

»In Arbeitshausen bist du nicht gerade daheim«, antwortete Lampert ungerührt.

»Das muss ich mir von dir nicht bieten lassen!« Uta holte aus, um Lampert zu ohrfeigen. Der Knecht fing ihre Hand auf, packte Uta bei den Schultern und schüttelte sie durch.

»Du störst die frommen Gebete dieser guten Leute! Daher werden wir beide jetzt ein Stück zurückbleiben, damit ich dir einmal deutlich die Meinung sagen kann.«

Er hielt sie fest, bis sich der Zug der Wallfahrer ein Stück entfernt hatte. Dann packte er ihren Kopf, so dass sie ihm ins Gesicht sehen musste. »Du bist unserer Herrin eine sehr schlechte Magd. Zu Hause hast du dich noch ein wenig zusammengenommen und konntest deine Fehler schönreden, aber auf dieser Reise führst du dich auf wie ein Besen. Anstatt deiner Herrin so zu dienen, wie es sich gehört, kritisierst du jeden ihrer Schritte. Dazu beleidigst du die Knechte und Mägde in den Herbergen. Erinnere dich an den Landshuter Gasthof, in dem wir beinahe abgewiesen worden wären. Beim Heiland, ich wünschte, die Jungfer würde mir erlauben, dir den Hintern mit einer kräftigen Haselrute zu versohlen!«

Zuletzt wurde Lampert selbst so laut, dass sich die Nachhut der Wallfahrer empört umdrehte. Uta vergönnte ihm die tadelnden Blicke und erwog, sich vor diesen Leuten als unschuldiges Opfer ihrer Herrin und des rüpelhaften Knechts darzustellen. Sie glaubte auch jemanden gefunden zu haben, bei dem sie ihre Klagen anbringen konnte. Eine der Frauen schien ebenfalls geschwatzt zu haben, denn sie wurde eben vom Anführer der Wallfahrer zurechtgewiesen und musste hinter dem Zug gehen, so dass es niemanden mehr gab, mit dem sie reden konnte. Uta sah es, machte sich mit einem ärgerlichen Schnauben von Lampert frei und gesellte sich zu dieser Frau.

Zu ihrem Leidwesen war der Wallfahrerin jedoch ein heilsamer Schrecken in die Glieder gefahren, und sie bemühte sich, die Gebete der anderen mitzusprechen. Auch Trudi fiel in die Litanei ein und beachtete ihre Magd nicht mehr. Diese stapfte durch den Regen, der ihr kalt über Gesicht und Nacken lief, und haderte mit Gott und der Welt. Dabei zitterte sie vor Kälte und sehnte sich zurück in die geheizte Kemenate von Kibitzstein. Ihren Dienst bei Trudi hatte sie sich anders vorgestellt, und sie flehte den Himmel an, sie bald aus diesem Elend zu erlösen.

Ungeachtet des schlechten Wetters schritten die Wallfahrer kräftig aus. Aber da sie vor jedem Kreuz am Wegesrand ein Bittgebet anstimmten, kamen sie weitaus langsamer vorwärts, als Trudi gehofft hatte. Auch vergaßen die Leute bei aller Frömmigkeit nicht das leibliche Wohl, denn sie widmeten sich ausgiebig den Mahlzeiten in den Herbergen und ließen sich das von den Herbergswirtinnen gebraute Bier schmecken.

Trudi musste immer wieder daran denken, welchen Schikanen sich ihre Mutter vonseiten des Fürstbischofs und seiner Verbündeten inzwischen ausgesetzt sah. Daher ging es ihr nicht schnell genug, und sie schimpfte stumm über die saumseligen Pilger. Gleich darauf aber bat sie die Jesusmutter um Verzeihung für ihre bösen Worte. Die Menschen um sie herum sorgten sich um ihr Seelenheil, und dafür durfte sie sie nicht schelten. Mit dem festen Vorsatz, alle bösen Gedanken zu vertreiben und auf dem Rest der Wallfahrt für ihre Mutter und ihre Familie zu beten, damit der Himmel gnädig mit ihnen verfuhr, nahm Trudi das Brot entgegen, das ihr ein älterer Mönch aus einem Korb reichte, und trank dazu braunes Bier.

Die Tochter der Wanderhure
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