8.

Endlich würde sie vor den König treten. Trudi presste beide Hände auf ihr heftig pochendes Herz, denn sie sah sich zweifach in der Pflicht. Sie musste Herrn Friedrich nicht nur dazu bewegen, ihrer Familie beizustehen, sondern wollte sich auch für Georg von Gressingen verwenden, den nur dieser Neidhammel Eichenloh als Feind des Königs hinstellte. Am liebsten hätte sie dem Söldnerführer ins Gesicht geschrien, was sie von ihm hielt, beherrschte sich aber, um in der Residenz des Königs nicht als keifendes Weib dazustehen. Sie legte sich die Worte zurecht, mit denen sie Friedrich gnädig stimmen wollte, damit er Georg von Gressingen nicht nur aus der Haft entließ, sondern nach Möglichkeit auch in seine Dienste nahm. Wenn Junker Georg Friedrichs Gefolgsmann wurde und ein Lehen erhielt, war er nicht auf ihre Mitgift angewiesen, und das würde seinem Stolz guttun.

Eichenloh schritt neben Trudi her und wirkte so grimmig, als hätte er eine schwere Niederlage erlitten. Als sie sich dem Portal des Audienzsaals näherten, räusperte er sich, um Trudi aus ihrem Sinnieren zu wecken.

Einer von Friedrichs Kammerherren empfing sie mit einem in selbstverliebter Würde erstarrten Gesichtsausdruck. Von Eichenloh wusste er nur, dass dieser ein Söldnerführer dubioser adliger Herkunft war, und Trudi war ihm völlig unbekannt. Daher neigte er nur kaum merklich seinen Kopf und verharrte in Schweigen.

»Dies ist Jungfer Trudi Adler auf Kibitzstein. Ihr allein haben wir es zu verdanken, dass wir Burg Teiflach ohne Verluste einnehmen konnten.« Eichenloh hatte Trudis Verdienste erst vor dem König herausstreichen wollen, doch nun bereitete es ihm eine diebische Freude, dies auch vor Gressingens und Graf Ottos Ohren zu tun, die von vier Söldnern flankiert hinter ihnen schritten. Trudi wurde rot und musste den Impuls unterdrücken, sich zu ihrem Geliebten herumzudrehen und sich für ihre Tat zu entschuldigen.

»Ich begrüße Euch im Namen Seiner Majestät, König Friedrichs III.« Die Verbeugung, die der Kammerherr nun vor Trudi machte, fiel um einiges tiefer aus als die vor Eichenloh. Dann sah er den Söldnerführer fragend an und wies mit dem Kinn auf Henneberg und Gressingen.

»Graf Otto von Henneberg, mainfränkische Linie«, stellte Eichenloh seinen einstigen Weggefährten vor und wies dann auf seinen zweiten Gefangenen. »Junker Georg von Gressingen, der von Herzog Albrecht eingesetzte Kastellan von Teiflach.«

Sofort traten zwei Wachen auf Gressingen und Graf Otto zu.

»Eure Schwerter, meine Herren!«

Mit einem verkniffenen Lachen öffnete Gressingen seinen Schwertgurt und reichte den Männern die Waffe. »Gebt sorgsam darauf acht. Es ist ein gutes Schwert und hat mir in so mancher Schlacht gute Dienste erwiesen.«

»Ich wusste gar nicht, dass Ihr bereits so viele Kämpfe ausgefochten habt!«

Eichenlohs Spott reizte Trudi, und sie fragte sich, warum er sich ihrem Geliebten gegenüber so benahm, als sei dieser sein Todfeind. Am liebsten wäre sie ihm über den Mund gefahren, doch da öffnete ein Diener das Portal, und der Kammerherr machte eine einladende Handbewegung. Eichenloh ist es nicht wert, dass ich einen Gedanken an ihn verschwende, sagte Trudi sich und schritt als Erste durch die Tür.

Der Saal wirkte viel zu groß für das einzige Möbelstück darin, den Sessel, auf dem der König Platz genommen hatte. Ein weiter Brokatmantel mit Hermelinbesatz umfing seine Gestalt, und auf seinem Kopf saß eine Krone mit rotem Stoffbesatz. Die linke Hand lag auf dem Knauf eines juwelengeschmückten Schwerts, das Friedrich III. vor sich auf den Boden gestellt hatte, während die Rechte ein Zepter hielt, das länger war als sein Arm. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, und seiner Miene nach schien er nicht einmal zu bemerken, dass der Kammerherr Gäste hereingeführt hatte.

Auf Trudi wirkte Friedrich III. so edel und entrückt, dass sie kaum zu atmen wagte und sich schämte, weil ihr Kleid raschelte, als sie in einen tiefen Knicks sank. Die Männer in ihrer Begleitung beugten die Rücken so tief, als wollten sie den Boden küssen.

Auf ein Zeichen des Kammerherrn schlug der Herold des Königs mit seinem Stab dreimal auf den Fußboden. »Seine Erlaucht, Graf Otto von Henneberg, Jungfer Hiltrud Adler zu Kibitzstein, Junker Georg von Gressingen, Herr Hardwin von Steinsfeld, Herr Peter von Eichenloh«, kündete der Kammerherr die Gäste dem Rang nach an, den er ihnen zumaß.

Der König hob den Kopf und betrachtete die vier Männer und das Mädchen. »Ihr nennt den Besten zuletzt. Doch seid mir alle willkommen. Nun, Eichenloh, ist es Euch gelungen, diese Burg einzunehmen?«

Der Gefragte verbeugte sich erneut. »Es ist mir eine Freude, Euer Majestät berichten zu können, dass Euer Banner wieder über Teiflach weht.«

»Sehr schön. Ich wusste, Ihr würdet es schaffen.«

Trudis Augen blitzten zornig auf. Immerhin war es nur ihr zu verdanken, dass alles so glimpflich verlaufen war. Sie wollte einen weiteren Schritt auf den König zugehen und ihm dies erklären, doch da griff Eichenloh zu und krallte seine Finger in den Stoff ihres Kleides, und zwar so heftig, dass sich seine Fingerspitzen in ihre Pobacken bohrten.

Es war die einzige Möglichkeit für ihn, sie aufzuhalten, ohne dass der König es merkte. Er kannte Friedrich III. und wusste, wie sehr dieser auf die Wahrung der Etikette bedacht war. Ein Mädchen, das ihn ungefragt ansprach, würde auf der Stelle seine Sympathie verlieren. Während Trudi schwankte, ob sie Eichenloh vor dem König ohrfeigen oder nur mit Worten zurechtweisen sollte, zog dieser sie ein Stück zurück und verbeugte sich erneut.

Der König sah ihn an und nickte. »Sprecht.«

»Die Burg wurde durch Geschick und Mut gewonnen, Euer Majestät, doch will ich nicht mich rühmen, sondern diese junge Dame, die uns dabei geholfen hat. Es ist ihr gelungen, die Wachen zu überlisten und uns den Weg in die Burg zu öffnen.«

Bevor er ausführlicher werden konnte, hob der König die Hand.

»Ihr werdet heute Abend beim Mahl Gelegenheit finden, mir die näheren Umstände Eures Sieges zu berichten. Jetzt wünsche ich nur zu erfahren, wer diese beiden Herren sind, die ich noch nicht kenne. Die Henneberger sind doch im Norden Frankens begütert.«

»Mein Familienzweig lebt am Main. Dort hatten meine Vorfahren bereits zu Zeiten Kaiser Konrads ihren Sitz!« Graf Otto sprach mit dem Stolz eines Mannes, dessen Sippe der habsburgischen einmal ebenbürtig gewesen war, auch wenn das Schicksal den Letzteren die Krone des Reiches in den Schoß gelegt hatte. »Am Main? Ach ja!« Der Tonfall des Königs verriet, dass ihn diese Gegend im Augenblick nicht sonderlich interessierte. Stattdessen musterte er Gressingen, der wegen seines fehlenden Schwerts ebenfalls als Gefangener zu erkennen war.

»Georg von Gressingen war der Anführer der Männer, die Herzog Albrecht in Teiflach zurückgelassen hatte«, berichtete Eichenloh mit einer gewissen Gehässigkeit.

»Ein Gefolgsmann meines Bruders also.« Die Lippen des Königs wurden schmal, und sein Blick verdüsterte sich.

Gressingen hätte Eichenloh erwürgen können. So, wie dieser ungewaschene Söldling ihn bei Friedrich einführte, würde es ihm niemals gelingen, den König zu übertölpeln und von seinen Leibwachen zu trennen. Auch jetzt standen zwei kräftige Kerle mit gezogenen Schwertern hinter dem Thron und gaben auf jede Bewegung in der Umgebung des Königs acht, um bei der geringsten Gefahr eingreifen zu können. Dennoch hielt Gressingen sein Vorhaben nicht für undurchführbar.

Sein Blick streifte Trudi, die zwischen Ehrfurcht für den König und Ärger über dessen Missachtung schwankte. Da sie nicht wusste, wann sie wieder vor Friedrich geführt werden würde, wollte sie näher auf ihn zutreten. Erneut hielt Eichenloh sie auf.

»Wartet, bis Ihr mit dem König privat sprechen könnt!«

Er flüsterte, doch Friedrich hörte ihn trotzdem. »Wie es aussieht, hat die junge Dame ein Anliegen an mich. Ich werde es mir heute Abend anhören.«

Sein Tonfall und seine Geste zeigten, dass er die Audienz für beendet hielt. Sofort eilte der Kammerherr herbei und wies auf die Tür, die gerade von zwei Dienern geöffnet wurde.

Im Zwiespalt ihrer Gefühle verfangen, vergaß Trudi beinahe, noch einmal vor dem König zu knicksen. Doch da beugte Eichenloh Haupt und Rücken und zog sie mit der Rechten ebenfalls nieder. Es gelang ihr gerade noch, die Bewegung mit einem halbwegs ehrerbietigen Knicks abzuschließen, dann fasste Eichenloh ihren Arm und zog sie mit sich.

Kaum waren die Türen des Saales hinter ihnen geschlossen worden, fuhr sie mit zornrotem Kopf zu ihm herum. »Du hirnloser Narr! Glaubst du, ich lasse mich von dir vor dem König lächerlich machen. Ich werde dir …«

Eichenloh hielt ihre zum Schlag gehobene Hand fest und funkelte sie grimmig an. »Ich habe nur getan, was getan werden musste! Wollt Ihr, dass der König Euch ungesäumt nach Hause zurückschickt? Herr Friedrich hätte Euch eine Störung des vorgeschriebenen Ablaufs seiner Audienz niemals verziehen. Seid mir lieber dankbar, dass ich seine Aufmerksamkeit auf Euch gerichtet habe und er deshalb bei günstigerer Gelegenheit mit Euch sprechen wird. Bis dahin aber solltet Ihr üben, wie Ihr vor ihm zu knicksen habt. Es scheint, als habe man Euch zu Hause keine Manieren beigebracht.« Mit diesen Worten stieß er sie von sich und ging mit langen Schritten davon.

Trudi blickte ihm nach und fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Obwohl sie den Mann mehr denn je verabscheute, begann sie zu ahnen, dass er recht hatte. Immerhin ging es um das Überleben ihrer Familie, und da durfte sie den König nicht verärgern. Andererseits hätte sie sich von Friedrich ein wenig mehr Verständnis und vor allem Einsatz für ihre Belange erhofft. Auch ärgerte es sie, dass er Georg von Gressingen so feindselig behandelt hatte. Ihr blieb nur zu hoffen, dass er sich beim abendlichen Mahl aufgeschlossener zeigen würde. Und was Eichenloh betraf, durfte sie nicht vergessen, dass sie ihm ihr Leben verdankte. Tief in ihr drinnen wusste sie mittlerweile auch, dass er nicht der Mörder ihres Vaters sein konnte. Gewiss, er war ein rauher Kerl, aber ehrlich und geradeheraus, also gewiss nicht der Mann, der einen Meuchelmord beging.

Sie vertrieb den Söldnerführer jedoch rasch wieder aus ihren Gedanken und richtete diese auf ihr nächstes Zusammentreffen mit Gressingen. Auf der Reise nach Graz hatte sie nicht ungestört mit ihm sprechen können. Dabei gab es so viel zu erzählen, und sie wollte unbedingt erfahren, was er in den letzten Monaten gemacht hatte. Dann würde sie hoffentlich verstehen, warum er nicht auf Kibitzstein erschienen war, obwohl er ihr ewige Treue geschworen hatte.

Die Tochter der Wanderhure
cover.html
title.html
part001.html
part001chapter001.html
part001chapter002.html
part001chapter003.html
part001chapter004.html
part001chapter005.html
part001chapter006.html
part001chapter007.html
part001chapter008.html
part001chapter009.html
part001chapter010.html
part001chapter011.html
part001chapter012.html
part001chapter013.html
part001chapter014.html
part001chapter015.html
part001chapter016.html
part001chapter017.html
part001chapter018.html
part002.html
part002chapter001.html
part002chapter002.html
part002chapter003.html
part002chapter004.html
part002chapter005.html
part002chapter006.html
part002chapter007.html
part002chapter008.html
part002chapter009.html
part002chapter010.html
part002chapter011.html
part002chapter012.html
part002chapter013.html
part002chapter014.html
part002chapter015.html
part003.html
part003chapter001.html
part003chapter002.html
part003chapter003.html
part003chapter004.html
part003chapter005.html
part003chapter006.html
part003chapter007.html
part003chapter008.html
part003chapter009.html
part003chapter010.html
part003chapter011.html
part003chapter012.html
part003chapter013.html
part003chapter014.html
part004.html
part004chapter001.html
part004chapter002.html
part004chapter003.html
part004chapter004.html
part004chapter005.html
part004chapter006.html
part004chapter007.html
part004chapter008.html
part004chapter009.html
part004chapter010.html
part004chapter011.html
part004chapter012.html
part004chapter013.html
part004chapter014.html
part004chapter015.html
part005.html
part005chapter001.html
part005chapter002.html
part005chapter003.html
part005chapter004.html
part005chapter005.html
part005chapter006.html
part005chapter007.html
part005chapter008.html
part005chapter009.html
part005chapter010.html
part005chapter011.html
part005chapter012.html
part005chapter013.html
part006.html
part006chapter001.html
part006chapter002.html
part006chapter003.html
part006chapter004.html
part006chapter005.html
part006chapter006.html
part006chapter007.html
part006chapter008.html
part006chapter009.html
part006chapter010.html
part006chapter011.html
part006chapter012.html
part007.html
part007chapter001.html
part007chapter002.html
part007chapter003.html
part007chapter004.html
part007chapter005.html
part007chapter006.html
part007chapter007.html
part007chapter008.html
part007chapter009.html
part007chapter010.html
part007chapter011.html
part007chapter012.html
part008.html
part008chapter001.html
part008chapter002.html
part008chapter003.html
part008chapter004.html
part008chapter005.html
part008chapter006.html
part008chapter007.html
part008chapter008.html
part008chapter009.html
part008chapter010.html
part008chapter011.html
part008chapter012.html
part008chapter013.html
part008chapter014.html
part008chapter015.html
part008chapter016.html
part008chapter017.html
part008chapter018.html
part008chapter019.html
backmatter001.html
backmatter002.html
backmatter003.html
copyright.html