5.
Während Michel die Freitreppe zum Burghof hinunterschritt, betrat ein Mann im wallenden Ornat eines päpstlichen Prälaten die Kammer des Dettelbachers. Mit seiner stattlichen Größe und den breiten Schultern hätte er als Ritter in Rüstung einen furchterregenden Anblick geboten. Sein Lächeln war mild und verständnisvoll, sein Blick aber wirkte durchdringend, beinahe schon drohend.
Mahnend hob er die Hand. »Ich hoffe, du hast keine Torheit begangen, mein Sohn! Bedenke, es geht um das Heil deiner unsterblichen Seele.«
Der Dettelbacher stand, am ganzen Körper zitternd, auf und kniete vor dem Kirchenmann nieder. Als er nach der Hand des Prälaten griff, um sie an seine Lippen zu führen, zog der Kirchenmann rasch den Arm zurück, so dass der Kranke nur einen Zipfel des Ärmels zu küssen vermochte.
»Ich habe dich etwas gefragt!« Cyprian Pratzendorfer schien der schlechte Zustand des Kranken kaltzulassen.
Hans von Dettelbach hob den Kopf und blickte ängstlich zu dem gestreng über ihm stehenden Herrn hoch. »Ich habe alles getan, was Ihr mir geraten habt, hochwürdigster Vater, und den Kibitzsteiner erst einmal vertröstet. Er ist ein guter Nachbar, und ich halte ihn nur ungern hin, aber …«
»Wenn es um dein Seelenheil geht, darfst du dich nicht von den Gefühlen der Freundschaft leiten lassen, sondern allein von den Vertretern der heiligen Kirche!«, donnerte der Prälat.
»Herr Michel hätte gewiss viele Seelenmessen für mich lesen lassen«, wandte der Dettelbacher in bettelndem Ton ein.
»Wenn du zu deinem Wort stehst und deinen Besitz der heiligen Kirche vermachst, wird der hochwürdige Herr Bischof von Würzburg selbst die Messe für dich lesen, und die findet im Himmel weitaus mehr Gehör als die eines einfachen Priesters. Ich selbst werde Seine Heiligkeit in Rom bitten, dich dem Heiland und den Engeln des Himmels als wahren Christen und des ewigen Heils würdig zu empfehlen.
Zeigst du dich jedoch bockig und überlässt deinen Besitz einem Mann wie Michel Adler, der als Feind des Bischofs auch ein Feind unserer heiligen Kirche ist, so wirst du unweigerlich zur Hölle fahren. Dort werden tausend Dämonen Luzifers dich Tag für Tag mit glühenden Haken quälen, und wenn dereinst von unserem Heiland der Ruf zum Jüngsten Gericht erschallt, wird Luzifer dich mit glühenden Ketten in den tiefsten und stinkendsten Klüften der Hölle fesseln, und dort wirst du leiden, wie noch kein Mensch gelitten hat.«
»Ich tue alles, was Ihr von mir fordert, hochwürdigster Vater«, beteuerte der Kranke, der auf dem kalten Boden fror und sich nach Ruhe sehnte.
Pratzendorfer aber zwang Hans von Dettelbach mit dem Ausmalen weiterer Schreckensbilder, sich an den Tisch zu setzen, die Feder zu ergreifen und seinen Namen auf die Urkunde zu setzen, mit der der Ritter seinen gesamten Besitz dem Hochstift Würzburg übereignete. Ihm selbst blieb nur noch das Nutzungsrecht bis zu seinem Tod.
Der Prälat träufelte eigenhändig das Siegelwachs auf das Dokument und half dem Ritter, sein Siegel hineinzudrücken.
»Damit hast du dir das Himmelreich erworben, mein Sohn. Wenn wir uns einst im anderen Leben wiedersehen, wirst du mir dafür dankbar sein.«
… und der Bischof mir, setzte Pratzendorfer insgeheim hinzu. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn der Markt Dettelbach in die Hand eines Gegners des Bistums geraten wäre. Wohl war der Kibitzsteiner zu unbedeutend, um selbst gefährlich zu werden, doch er hätte den Ort an Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach weiterverpfänden oder verkaufen können. Diese Gefahr war nun gebannt.
Der Prälat betrachtete den Kranken, der vor Erschöpfung von seinem Hocker geglitten war, mit wachsbleichem Gesicht vor ihm kniete und dabei versuchte, sich unauffällig an einem Bettpfosten festzuhalten. »Du hast deine Pflicht getan. Lege dich nun wieder hin!«
Keuchend vor Schwäche zog Hans von Dettelbach sich am Rand seiner Bettstatt hoch und kroch zwischen die Laken, ohne dass Pratzendorfer eine Hand ausstreckte, um ihm zu helfen. Er wartete regungslos, bis der Kranke ihm das Gesicht zuwandte, zeichnete das Kreuz in die Luft und verließ den Raum mit einem frommen Gruß.
Hans von Dettelbach starrte noch eine Weile auf die Tür, die sich hinter dem Prälaten geschlossen hatte, und fragte sich, ob er richtig gehandelt hatte. Nicht lange, dann versank er in einen ruhigen Schlummer und sah in seinen Träumen den Würzburger Bischof vor dem Altar stehen und die Totenmesse für ihn lesen. Als sie endete, stiegen der heilige Kilian und die heilige Barbara vom Himmel herab, nahmen seine Seele in Empfang und wiesen ihr den Weg ins Paradies.
Unterdessen saß Michel in der halbfertigen Sakristei von St. Augustinus dem Beichtvater des Ritters gegenüber und handelte den Pfandvertrag für das Dorf Erlbach aus, ohne zu ahnen, dass diese Abmachung nicht einmal mehr das Papier wert war, auf das sie geschrieben wurde.
Cyprian Pratzendorfer verließ Dettelbach noch am selben Tag, um nach Würzburg zurückzukehren. In seinem Gepäck befand sich der Kontrakt, der Gottfried Schenk zu Limpurg zum neuen Herrn von Dettelbach machen würde. Zufrieden lächelnd stellte er fest, dass er etwas erreicht hatte, an dem die Emissäre des Fürstbischofs bisher gescheitert waren. Hans von Dettelbach hatte sich ihnen gegenüber hartleibig gezeigt, doch der Autorität des Papstes, in dessen Namen er auftrat, hatte der Mann sich gebeugt.
Der Erbvertrag, der Dettelbach dem Fürstbistum zuschlug, war nicht der erste Dienst, den Pratzendorfer Gottfried Schenk zu Limpurg geleistet hatte, wohl aber der bedeutendste, und diese Tat würde dafür sorgen, dass er beim Fürstbischof in Zukunft stets ein geneigtes Ohr finden würde. Damit war der Weg bereitet, auf dem er seine eigenen Pläne verfolgen konnte, und die waren nicht im fernen Rom geschmiedet worden, sondern auf einer kleinen Burg in Österreich.