1.

Georg von Gressingen bot Trudi ein Bild vollkommener Niedergeschlagenheit. »Das ist allein Eichenlohs Schuld!«, klagte er und warf einen sehnsüchtigen Blick durch das schmale Fenster. »Hätte er mich nicht beim König verleumdet, wäre ich nie in diese Kammer gesperrt worden, die ich nur zur Messe und zu den Mahlzeiten verlassen darf!«

Wie er es beabsichtigt hatte, schürten seine Worte Trudis Pein. Hätte sie nicht geholfen, Teiflach zu erobern, wäre er nicht in diese schier ausweglose Lage geraten. Es war gewiss kein Verbrechen, führte er ihr vor Augen, dass er in die Dienste Herzog Albrechts von Österreich getreten war. Schließlich hatte er es nur getan, um von diesem ein Lehen zu erhalten und ihr somit eine Heimat bieten zu können. Außerdem, betonte er, war der Herzog ein mächtiger Mann im Reich und hätte sich gewiss für ihre Familie verwenden können.

Trudi konnte ihm kaum noch in die Augen sehen, so sehr schämte sie sich. »Wenn ich doch etwas für Euch tun könnte«, flüsterte sie und fasste nach seiner Hand.

»Ihr helft mir schon genug, Jungfer Hiltrud. Ohne Euch ginge es mir wie einem Falken im Käfig. Dank Euch habe ich wenigstens einen Menschen, mit dem ich sprechen kann. Lieber wäre es mir jedoch, wenn wir ungestört blieben.« Gressingen warf Uta, die in einer Ecke des Raumes saß und den aufgerissenen Saum eines Kleides nähte, einen vorwurfsvollen Blick zu.

Die Magd hatte sich körperlich wieder erholt, allerdings kehrten die Ereignisse in der Höhlenburg regelmäßig als Alpträume zurück. Während sie nähte, ließ sie Trudi und den Ritter kaum aus den Augen, teils, weil es ihre Pflicht war, darauf zu achten, dass die beiden die gebotene Sittsamkeit einhielten, teils aber auch, weil sie wissen wollte, was ihre Herrin mit diesem ihr immer unsympathischer werdenden Menschen alles zu bereden hatte.

Trudi versuchte, Junker Georg zu beruhigen. »Uta ist treu wie Gold und würde selbst auf der Folter kein Wort verraten.«

Gressingen ging es jedoch weniger ums Reden als um andere Dinge, die er mit Trudi anstellen könnte, wenn sie allein blieben. Er langweilte sich in dem kleinen Raum, und anders als den Gästen des Königs war es ihm nicht möglich, sich an einer willigen Magd schadlos zu halten. Außerdem reizte Trudi ihn immer noch, wenn auch nur als willige Geliebte, denn er war weniger denn je bereit, sie zur Frau zu nehmen. Sie war nicht einmal mehr eine erstrebenswerte Erbin, da ihre Mutter den Zwist mit dem Würzburger Bischof ebenso verlieren würde wie das nach Krämerart zusammengeraffte Vermögen.

Gressingen erinnerte sich wieder an das Angebot seines Onkels, sich bei der Suche nach einem passenden Weib für ihn zu verwenden. Auf das würde er zurückkommen – wenn er erst frei war und seinen Auftrag erfolgreich ausgeführt hatte. Für beides aber musste er die Verliebtheit dieser dummen kleinen Gans ausnutzen. Aus diesem Grund begann er wieder zu klagen.

»Ich gehe hier bald zugrunde! Wenn ich wenigstens die Aussicht hätte, wieder freizukommen. Doch wie ich Eichenloh kenne, wird er darauf dringen, dass ich über kurz oder lang in einen richtigen Kerker eingesperrt werde.«

Es gelang Gressingen, gleichzeitig verzweifelt und kämpferisch zu wirken. Mit einer leidenschaftlichen Geste legte er Trudi die Arme um die Schultern und zog sie näher an sich heran. »Du hast mir während der letzten Monate so gefehlt! Immer wieder habe ich an dich gedacht und mir geschworen, dich heimzuführen, sobald ich dazu in der Lage wäre. Deshalb bin ich auch in Herzog Albrechts Dienste getreten. Von ihm erhoffte ich mir den Lohn, der deiner würdig ist. Doch solange ich hier eingesperrt bin wie ein Ochse im Stall, bleibt unsere Liebe unerfüllbar.«

Trudi wurde von einem Glücksgefühl durchströmt, wie sie es noch nie erlebt zu haben glaubte, gleichzeitig aber fraß die Sorge um ihren Geliebten sie halb auf.

»Ihr müsst auf Euren guten Stern vertrauen«, beschwor sie ihn. Gressingen schüttelte wild den Kopf. »Mein Stern ist längst gesunken! Wenn niemand mir hilft, wird er auch nie mehr aufsteigen.«

»Ich werde Euch helfen!« Trudi blickte ihn dabei so selig an, dass er sich eines spöttischen Lächelns erwehren musste. Was für ein Glück, dass dieses Mädchen so naiv war! Allein die Tatsache, dass sie ihm alles berichtete, was sie in der Burg hörte und sah, verschaffte ihm einen unschätzbaren Vorteil.

»Der König wird mich nach den Lügen, die Eichenloh über mich verbreitet hat, niemals freilassen. Dieser Soldknecht ist eine üble Kreatur, die überall, wo sie hinkommt, nur Unfrieden stiftet«, klagte er.

»Da habt Ihr wohl recht!« Trudi verdrängte, dass Eichenloh ihr das Leben gerettet hatte, und maß ihn nur noch an den spöttischen Bemerkungen, die er in Gegenwart des Königs über sie geäußert hatte. Zudem störte es sie, dass er seit der Ankunft in Graz häufig ihre Gegenwart suchte und sie daran hinderte, so oft zu ihrem Geliebten zu kommen, wie es ihr gefiel. In den Nächten träumte sie bereits von Eichenloh. Meist sah sie ihn mit dem Schwert in der Hand zwischen ihr und Junker Georg stehen, oder er versuchte, sie mit einem alten, klapprigen Mann zu verheiraten, der die Gesichtszüge von Bonas Ehemann Moritz von Mertelsbach trug.

Das Schicksal ihrer Freundin wollte Trudi niemals teilen. Sie schenkte Gressingen einen liebevollen Blick, denn sie fühlte sich ihm nun doppelt verbunden. Genau wie er war sie eine Gefangene, auch wenn sie sich innerhalb der Mauern frei bewegen durfte. Friedrich mied jedoch jeden Kontakt zu ihr. Bei den Mahlzeiten wurde sie zu einem Stuhl geführt, der so weit entfernt stand, dass sie ihn nicht ansprechen konnte, und bei der Messe musste sie vor dem König die Kapelle betreten und durfte sie erst nach ihm wieder verlassen.

Gressingen merkte, dass Trudi in ihren Gedanken versunken war. Mit einem Mal fürchtete er, das Mädchen werde nicht den Mut aufbringen, das zu tun, was er von ihr verlangen musste. Ohne auf Utas mahnendes Räuspern zu achten, schloss er Trudi plötzlich fest in die Arme und küsste sie leidenschaftlich.

»Ich brauchte ein Schwert und ein Pferd! Dann kann ich diesem Gefängnis entfliehen«, flüsterte er ihr so leise ins Ohr, dass Uta seine Worte nicht verstehen konnte. Er mochte die Magd nicht, die in seinen Augen schwatzhaft und zu aufsässig war, als dass man ihr etwas Wichtiges anvertrauen konnte.

Trudi überließ sich für ein paar Augenblicke den erfahrenen Händen ihres Geliebten und hätte ihm weitaus mehr gestattet, wäre Uta nicht wie ein Wachhund auf sie zugekommen.

»Herr Ritter, es schickt sich wirklich nicht, meine Herrin so zu überfallen!«

Gressingens drohender Blick hätte selbst die Medusa beschämt, doch Uta dachte nicht daran, zu Stein zu erstarren, sondern funkelte ihn drohend an. »Wenn Ihr meine Herrin weiterhin zu solchen Dingen verführen wollt, werde ich es melden!«

Im ersten Augenblick befürchtete Gressingen, Uta habe seine Bitte an Trudi doch gehört, begriff dann aber, dass sie seine Umarmung und die Küsse meinte, und lächelte. Mit ihrer übertriebenen Wachsamkeit trieb die Magd ihre Herrin nur noch stärker in seine Arme. Er mimte jedoch den reuigen Sünder und ließ Trudi los. »Verzeiht, aber ich vermochte meine Leidenschaft nicht mehr zu zügeln.«

»Es gibt nichts zu verzeihen!« Trudi strich ihm mit der Hand sanft über die Wange und wünschte Uta ins Pfefferland. Es wäre so schön gewesen, mit ihrem Geliebten allein zu sein und über alles sprechen zu können, was sie beide bewegte. Der Gedanke, er könnte dabei von ihr dasselbe fordern wie damals im Fuchsheimer Wald, ernüchterte sie jedoch ein wenig. Das gehörte zwar dazu, wenn man verheiratet war, aber vorher sollte ein sittsames Mädchen nicht einmal an so etwas denken.

Trudi seufzte und nickte ihrer Magd zu. »Es ist schon gut, Uta. Du kannst weiternähen.«

»Wenn Ihr noch oft hierherkommen wollt, werde ich mir neue Sachen besorgen müssen, die ich ausbessern kann. Mit Euren Kleidern bin ich fertig.«

»Herr von Gressingen würde sich gewiss freuen, wenn du deine Nadelfertigkeit seinen Gewändern zukommen lassen würdest.« Trudis Vorschlag entlockte Uta nur ein verächtliches Schnauben. Bevor sie auch nur einen Stich für diesen Ritter tat, würde sie die Wirtschafterin der Burg um einen Stapel Wäsche bitten, der dringend geflickt werden musste. Sie mochte Junker Georg nicht, obwohl ihre Herrin ganz vernarrt in ihn war. Dabei hatte sie vor etlichen Monaten noch davon geträumt, ihrer Herrin zu Gressingens Burg zu folgen und dort Wirtschafterin werden zu dürfen. Doch diese Zeit lag inzwischen so fern wie der Mond am Himmel.

Hier in Graz hatte sie den Mann beobachten können und spürte etwas Falsches an ihm. Sie hatte versucht, Trudi darauf anzusprechen, aber ihre Herrin war so in diesen windigen Ritter vernarrt, dass ihr wohl auch der letzte Funken Verstand abhandengekommen war. Gerade deswegen nahm sie sich vor, die Augen offen zu halten und zu verhindern, dass Jungfer Trudi Dummheiten machte, die sie später einmal bereuen würde.

Uta setzte sich wieder in ihre Ecke und nahm das Kleid zur Hand, um den Rest des widerspenstigen Saums zu bändigen. Dabei ließ sie Trudi und Gressingen nicht aus den Augen.

Der Junker hatte inzwischen begriffen, dass er sich vor der Magd in Acht nehmen musste, und näherte seinen Mund erneut Trudis Ohr. »Du musst mir eine Waffe und ein schnelles Pferd besorgen. Sonst werde ich mich noch in zehn Jahren in Friedrichs Gewahrsam befinden.«

»Wenn ich nur wüsste, wie!« Trudi war bereit, Gressingen zu helfen, sah aber keine Möglichkeit, an ein Schwert und ein Streitross zu kommen.

»Es muss dir gelingen, meine Liebste! Oder willst du, dass ich in diesen Mauern sterbe?« Gressingen ergriff erneut Trudis Hände, wagte aber angesichts der misstrauischen Aufpasserin nicht mehr, das Mädchen zu umarmen.

»Ich flehe dich an: Besorge mir, worum ich dich bitte, und alles wird gut werden! Außerdem muss ich mit dem Tagesablauf des Königs vertraut werden, damit ich ihm und dem Schwarm, der um ihn herumschwirrt, aus dem Weg gehen kann. Stell dir vor, ich müsste mich auf der Flucht irgendwo verstecken und würde aus Versehen in die Kapelle treten, wenn Friedrich gerade dort betet – oder gar in sein Schlafgemach geraten!« Gressingen begleitete seine Worte mit einem schmelzenden Lächeln, das ein aufmerksamerer Beobachter als Trudi als unecht erkannt hätte.

Trudi aber nahm nur seinen Blick wahr, der von großer Liebe sprach, und erklärte ihm leise, was sie bereits über den König und seine Gewohnheiten in Erfahrung gebracht hatte. Gressingen hörte ihr aufmerksam zu. Wahrscheinlich, dachte er, ist es das Beste, sich in der Nacht, in der das dumme Luder mir zur Freiheit verhilft, in Friedrichs Schlafkammer zu schleichen und ihn dort zu ermorden.

Gerade in diesem Augenblick berichtete Trudi ihm, dass stets mehrere Bewaffnete und zwei Diener vor Friedrichs Tür standen, wenn er sich in seinem Schlafgemach aufhielt, und so ließ er diesen Gedanken fallen.

Er würde einen anderen Weg finden müssen, den König zu töten, wenn er in Ehren zu Herzog Albrecht von Österreich zurückkehren wollte. Nun betete Gressingen, dass die kleine Metze, die seine Hände umklammerte, als sei er der Rettungsanker in ihrem Leben, gewitzt genug war, ihm weitere Informationen zu beschaffen, und gleichzeitig so einfältig und blind, dass sie nicht merkte, was er plante.

Die Tochter der Wanderhure
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