2.

Peter von Eichenloh hatte mit Winterwetter gerechnet, aber nicht mit solchen Widrigkeiten. Es war, als wolle ihm irgendeine himmlische oder höllische Macht den Marsch noch zusätzlich erschweren. Gegen den scharfen Wind, der die Höhen herabfegte, halfen weder Mäntel noch Decken. Die über den verharschten Schnee fegenden Eiskristalle drangen in jede Ritze und rieben wie Scheuersand über die Haut. Am schlimmsten traf es die Augen, die in einem fort tränten, so dass man kaum etwas sehen konnte. Um wenigstens den Pferden diese Qual zu ersparen, hatte Eichenloh befohlen, ihnen Tücher um die Köpfe zu binden. Am liebsten hätte er auch noch die weichen Nüstern einwickeln lassen, aber die Tiere mussten schließlich Luft bekommen.

»Zur Hölle mit demjenigen, der uns bei diesem elenden Wetter und in einer solch üblen Gegend Krieg führen lassen will! So etwas kann sich auch nur jemand einfallen lassen, der um die Zeit brav zu Hause auf seinem Stuhl hockt und Würzwein säuft! Uns aber hat man nicht einmal gegönnt, das Christfest zu feiern.«

Eichenlohs Stellvertreter Quirin hatte sein Pferd neben das seines Anführers gelenkt und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Dann wies er mit einer ausholenden Geste auf die verschneiten Berge und die Bäume, die dick mit einer weißen Schicht überzogen waren. »Kannst du mir sagen, wie wir hier unser Ziel finden sollen? Für mich sieht das alles gleich aus, und unser angeblich so wegkundiger Führer scheint auch nicht mehr zu wissen, wo wir uns befinden!«

»Das glaube ich nicht. Der Mann geht immer noch in die Richtung, in der Teiflach liegt. Das zeigen mir die Bergspitzen. Ich habe mir von Seiner Majestät genau erklären lassen, wie die Gipfel aussehen, die wir unterwegs passieren müssen.«

»Das war sehr klug von Euch!« Hardwin von Steinsfeld, der direkt hinter Eichenloh ritt, machte aus seiner Bewunderung für ihren Anführer keinen Hehl.

Quirin spie aus. »In meinen Augen gleichen sich diese Berge wie ein Ei dem anderen. Sie sind alle verdammt hoch und mit Schnee bedeckt, der, wie ich gehört habe, von Zeit zu Zeit herabfällt und alles unter sich begräbt. Die Leute hier nennen das Lawinen. Ich will nur hoffen, dass wir keiner davon begegnen. Am besten sollten wir das Maul halten und jedes unnötige Geräusch vermeiden. Es soll hier nämlich Geister geben, die solche Schneehaufenlawinen über Reisende schütten, wenn sie sich gestört fühlen.«

»Dann solltest du mit gutem Beispiel vorangehen, denn deine Stimme hallt wie ein Schlachthorn über das Land«, riet Eichenloh ihm lächelnd.

Hardwin kicherte leise. Normalerweise dröhnte Quirins Organ so durchdringend, als wolle er Tote erwecken. Nun aber klappte der breit gebaute Mann seinen Mund zu und äugte wie ein verschrecktes kleines Mädchen zu den steil aufragenden Felswänden hinauf. Dabei war Quirin nach alledem, was Hardwin über ihn gehört hatte, ein beherzter Kämpfer und noch nie von einem Schlachtfeld geflohen. Es war wohl etwas anderes, feindlichen Kriegern gegenüberzustehen und sich seiner eigenen Kraft bewusst zu sein, als der unbekannten Natur mit ihren grausamen Gesetzen ausgeliefert zu sein.

Auch Eichenloh wünschte sich etwas Besseres, als im Schatten dieser steinernen Riesen zu reiten, doch wenn er König Friedrichs Wohlwollen erlangen wollte, musste er diesen Feldzug erfolgreich abschließen. Sein Blick schweifte über seine Männer, die er in so manchen Kampf geführt hatte, und las die Angst vor den Bergen und den Geistern, die hier leben sollten, auf ihren vor Kälte geröteten Gesichtern. Keiner redete, und die meisten blickten starr auf den Hintern des vor ihnen gehenden Pferdes. Auch die einheimischen Fußknechte, die hinter den Reitern marschierten, schienen von der Geisterfurcht befallen zu sein. Immer wieder schlug einer das Kreuz, und viele zuckten bei jedem Geräusch zusammen.

Eichenloh wollte schon den Kopf darüber schütteln, da hörte er selbst etwas, das ihm die Nackenhaare aufstellte. Es begann mit einem Rauschen, das immer lauter wurde und zuletzt in ein tosendes Krachen überging. Gleichzeitig schien die Erde zu beben, und die Pferde gerieten in Panik. Einzelne Felsen und Eisplatten lösten sich und polterten in einer Woge weiteren Schnees dem Talgrund zu. Zum Glück flog keiner der Brocken in die Gruppe der Männer, die für Augenblicke wie erstarrt standen.

»Das war eine Lawine! Unser Heiland hat sie in Seiner Gnade ein Stück entfernt niedergehen lassen. Wir wollen ihm dafür danken!« Der Mann stimmte ein Gebet an, in das die anderen sofort einfielen.

Auch Eichenloh sprach die frommen Worte mit, fragte sich aber, ob er auf dem besten Weg war, eine Memme zu werden. Für einige Augenblicke hatte er Panik verspürt und wäre am liebsten umgekehrt.

»Weiter!«, befahl er, als das Gebet gesprochen war, und setzte sich wieder an die Spitze des Zuges.

Der einheimische Führer, der wie die Knechte zu Fuß ging, eilte hastig an seine Seite. »Wir müssen innerhalb der nächsten Stunde einen sicheren Platz erreichen. Heute Nacht wird es einen Schneesturm geben, den wir im Freien nicht überstehen würden.«

»Und wo soll es hier einen sicheren Platz geben?« Eichenloh deutete missmutig auf die weißummantelten Berge, die sie wie ein Wall umgaben.

»Ein Stück weiter vorne führt ein Seitental zu einer alten Höhlenburg. Früher haben Raubritter in dem Gemäuer gehaust, doch seit ein paar Jahren ist sie verlassen. Dort finden wir den Unterschlupf, den wir brauchen.«

Eichenloh nickte. »Es wird wohl das Beste sein. Mir reicht bereits der Wind, der uns jetzt um die Ohren pfeift. Einem richtigen Sturm möchte ich zu dieser Jahreszeit nur ungern im Freien ausgesetzt sein.«

»Dann vorwärts! Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!« Der Führer blickte besorgt auf die Berge im Osten, von denen der Wind nun spürbar kälter herabpfiff, und stapfte durch den Schnee voraus.

Da Eichenloh den Mann nicht vor der Zeit erschöpfen wollte, befahl er einem seiner Leute abzusteigen und dem Führer das Pferd zu geben. »Dir wird das Laufen leichter fallen, wenn du weißt, dass wir in kurzer Zeit ein Dach über dem Kopf haben«, rief er dem Söldner zu und trieb sein protestierend schnaubendes Pferd an.

Da der Schnee streckenweise hüfthoch lag und seine Oberfläche verharscht war, hatten sie die Beine der Pferde mit Decken umwickelt, damit diese sich nicht verletzten. Nun trampelten die Tiere den Schnee nieder oder pflügten sich hindurch, so dass die Fußkrieger ihnen zu folgen vermochten, ohne bei jedem Schritt einzubrechen. Auf diese Art und Weise kamen sie recht gut voran. Dennoch wären sie ohne ihren Führer nach kurzer Zeit verloren gewesen. Diese Erkenntnis stimmte Eichenloh wieder zuversichtlich. Bei diesem Wetter würden die Leute, die für Herzog Albrecht von Österreich die Burg halten sollten, gewiss keinen Angriff erwarten.

Eine Zeitlang bewegte sich der Zug fast lautlos weiter. Nur das gelegentliche Prusten der Pferde war noch zu vernehmen, aber das ging bald im Geheul des aufziehenden Sturms unter. Gleichzeitig stob der Schnee in dichten Flocken durch das immer schmäler werdende Tal, so dass man keine zehn Schritt weit sehen konnte, und Eichenloh fragte sich besorgt, ob ihr Führer unter diesen Umständen noch wusste, wo sie sich befanden. Als er schon annahm, der Mann habe die Abzweigung zur Höhlenburg verfehlt, winkte dieser heftig, nach links abzubiegen.

Es ging nun stärker bergan, und Eichenloh überlegte sich schon, ob er nicht absteigen sollte, um seinem Hengst den Weg zu erleichtern, da tauchten mit einem Mal mehrere Schatten vor ihm auf, und ehe er sich’s versah, prallte er mit einem anderen Pferd zusammen. Er konnte sich gerade noch im Sattel halten, doch der andere Reiter verlor den Halt und stürzte in den Schnee. Der lange Rock und das lange, blonde Haar zeigten Eichenloh zu seiner großen Überraschung, dass es sich um ein weibliches Wesen handeln musste.

Ohne sich zu besinnen, sprang er vom Pferd, beugte sich über die Frau und starrte sie fassungslos an. Es schien unmöglich. Sollte ein Berggeist ihn narren, um ihn an seinem Verstand zweifeln und scheitern zu lassen? Hilfesuchend drehte er sich zu Quirin um, doch es war Junker Hardwin, der ihm die Bestätigung gab.

»Bei Gott, das ist doch Trudi Adler! Wie kommt die hierher?«

»Das würde ich auch gerne wissen!« Eichenloh klang bärbeißig, gleichzeitig fühlte er sich seltsam hilflos. Als er Trudi das letzte Mal gegenübergestanden hatte, war sie überzeugt gewesen, er sei der Mörder ihres Vaters, und hatte ihn beschimpft. Nun bemerkte er ihre viel zu dünne Kleidung und begriff, dass sie beim Sturz die Besinnung verloren hatte.

»Rasch, eine Decke, bevor sie erfriert«, fuhr er Quirin an.

Sein Stellvertreter gab den Befehl weiter und wies dann auf zwei weitere Gestalten, die auf ihren Gäulen hingen. »Den beiden scheint es noch schlechter zu gehen!«

Jetzt erst nahm Eichenloh Uta und Lampert wahr. Die Magd wimmerte nur noch, und ihre Tränen waren auf den Wangen zu Eisperlen erstarrt. Sie ließ sich widerstandslos vom Pferd heben und in eine Decke hüllen. Dann banden ein paar Söldner Lampert los, der das Bewusstsein wiedererlangt hatte, aber immer noch hilflos auf dem Pferd hing, hoben ihn herab und wickelten ihn in Schaffelle und Pferdedecken.

Quirin beuge sich über Trudi, die nun die Augen geöffnet hatte, aber vor Kälte zitterte und kein Wort herausbrachte. Erst als er ihr eine Tonflasche mit Branntwein an die Lippen hielt und ihr ein paar Tropfen der scharfen Flüssigkeit einflößte, schien sie sich ihrer Umgebung bewusst zu werden. »Habt Dank, gute Leute. Das war Rettung in letzter Not. Ich glaubte uns schon verloren.«

»Trudi! Sag, wie kommst du hierher?« Hardwin drängte sich an Quirin vorbei und kniete sich neben sie.

»Hardwin?« Auf Trudis Gesicht spiegelten sich Unglauben, Erstaunen und zuletzt Erleichterung.

Zu seiner eigenen Verwunderung ärgerte Eichenloh sich über die Freude, die die kleine Adlerin angesichts des jungen Mannes zeigte. Um klarzustellen, wem sie ihr Leben verdankte, schob er Hardwin beiseite und stellte sich breitbeinig vor Trudi hin.

»Gottes Gruß, Jungfer. Ihr habt Euch wirklich eine angenehme Zeit zum Reisen ausgewählt.«

Die Ironie in seinen Worten färbte Trudis Gesicht weiß. Sie biss die Zähne zusammen, damit ihr kein falsches Wort entschlüpfte. »Wenn Ihr zu dieser Zeit reisen könnt, warum sollte ich es nicht auch tun?«

Ihre Antwort bewies Eichenloh, dass sie ihn immer noch als Feind ansah. Er wollte achselzuckend über ihre Haltung hinweggehen, doch ihre Abneigung traf ihn stärker, als er erwartet hatte. Eigentlich hätte die Zeit ausreichen müssen, den Schmerz des Mädchens zu lindern. Auch hätte sie nur richtig nachdenken müssen, um zu erkennen, dass er sich wohl kaum zu Otto von Hennebergs Gunsten verwendet hätte, wenn er der Mörder ihres Vaters gewesen wäre.

»Ich reise im Auftrag des Königs. Dabei ist es gleichgültig, zu welcher Jahreszeit und bei welchem Wetter«, erklärte er barsch.

»Und ich will zum König, um Gerechtigkeit zu erflehen. Könnt Ihr mich zu ihm bringen?« Es tat Trudi fast körperlich weh, ausgerechnet diesen Mann um etwas zu bitten. Da er jedoch der Anführer des Trupps war, würde sie sich an ihn halten müssen.

»Zum König wollt Ihr? Was sucht Ihr beim dritten Friedrich?« Eichenloh musterte Trudi verblüfft. Wenn ein junges Ding wie sie so viele Meilen zurücklegte, und das noch im Winter, musste es um Leben oder Tod gehen.

Trudi wollte ihm schon sagen, dass ihn das nichts anginge, biss sich aber auf die Lippen. Im Augenblick war sie von den Launen dieses Mannes und seiner Gnade abhängig, und daher bequemte sie sich zu einer höflicheren Antwort. »Ich will Seine Majestät um Schutz für Kibitzstein bitten, das von den Kreaturen des Würzburger Bischofs bedroht wird.«

Eichenloh schüttelte verwundert den Kopf. Als er die Gegend um Würzburg verlassen hatte, hatte Kibitzstein als gesichert gegolten. Trudis nächste Worte klärten ihn darüber auf, dass die Nachbarn nach dem Tod ihres Vaters die Mutter bedrängten und ihr die Pfänder abnehmen wollten, während der Würzburger Bischof gleich die Hand nach dem gesamten Besitz ausstreckte.

Ohne es zu wollen, empfand Eichenloh großen Respekt für die scharfzüngige Jungfer. Natürlich war es Irrwitz, so eine weite Reise mit nur einer Magd und einem einzigen Knecht anzutreten. Doch nur der, der etwas wagte, konnte gewinnen.

Hardwin deutete auf Trudis Stute, die mit tief gesenktem Kopf dastand und nicht weniger zitterte als ihre Herrin. »Hast du die Sättel verkaufen müssen, um an Geld zu kommen?«

Trudi zog die Decke enger um sich, weil ihre Zähne vor Kälte und Aufregung klapperten. »Die mussten wir auf unserer Flucht zurücklassen, sonst hätten diese elenden Räuber uns wieder erwischt.«

»Flucht? Räuber? Das klingt nach einer längeren Geschichte.« Eichenloh hätte seine Neugier am liebsten auf der Stelle gestillt, doch ihr Führer zog ihn am Ärmel und deutete auf den Himmel.

»Wir müssen weiter! Der Sturm, der sich da zusammenbraut, wird uns das Fleisch von den Knochen reißen!«

Quirin fluchte. »Und was pfeift uns jetzt um die Ohren? Etwa ein mildes Lüftchen?«

»Du wirst den Unterschied merken. Jetzt kommt endlich! Wenn wir nicht bald die Höhlenburg erreichen, könnt ihr eure Seelen dem Herrn empfehlen – oder dem Teufel, wenn euch das lieber ist.« Mit diesen Worten trieb der Führer sein Pferd an, ohne sich darum zu kümmern, ob die anderen ihm folgten.

Eichenloh wollte Trudi auf ihre Stute heben, sagte sich dann aber, dass sie dort zu sehr frieren würde, und setzte sie vor sich in den Sattel. Dabei schlang er seinen weiten Umhang um sie und drückte sie fest an sich, um sie mit seinem Leib zu wärmen.

Sie versteifte sich, fühlte aber dann, wie die Kälte aus ihren Knochen wich, und atmete ein wenig auf. Auch wenn sie Eichenloh im Grunde für einen schlimmen Schurken hielt und seinen abgeschlagenen Kopf hatte sehen wollen, so verdankte sie ihm nun ihr Leben und das ihres Gesindes. Das musste sie ihm zugutehalten.

Dann kamen ihr die Worte des Führers in den Sinn, und sie blickte zu Eichenloh auf. »Ihr wollt zur Höhlenburg? Von dort kommen wir gerade.«

Der Ritter starrte sie verdattert an. »Was habt Ihr mit dieser Burg zu schaffen?«

»Dort sind Uta, Lampert und ich von zwei Schurken gefangen gehalten worden. Die Kerle haben uns entführt und beraubt. Überdies wollten sie auch noch Lösegeld von meiner Mutter erpressen. Aber es ist uns gelungen, ihnen zu entkommen.« Sie musste schreien, so stark heulte der Sturm.

Uta, die nur eine Decke erhalten hatte und wieder auf ihrem Gaul saß, hatte Trudis Worte vernommen und trieb das Tier neben Eichenlohs Pferd. »Das sind ganz üble Schufte, edler Herr! Sie haben mir wieder und wieder Gewalt angetan und mich schrecklich geschlagen. Schaut her!« Trotz des starken Windes zog Uta ihren Rock hoch und entblößte ihren von blutigen Striemen gezeichneten Oberschenkel.

Eichenloh knirschte mit den Zähnen, während Uta eine wirre Kurzfassung der letzten Stunden in der Höhlenburg gab. Er entnahm dem Wortschwall nur, dass es der Magd gelungen war, einen der Räuber mit dem Schürhaken niederzuschlagen, während dieser sich an Trudi Adler verging, und ballte unwillkürlich die Faust.

Trudi warf ihrer Magd einen dankbaren Blick zu. Uta mochte geschwätzig sein und gewiss nicht die Dienerin, die eine Frau sich wünschen mochte, doch die gemeinsamen Erlebnisse verbanden sie miteinander wie Schwestern.

»Der Kerl wollte Euch schänden! Ist es ihm gelungen?« Eichenloh wusste selbst nicht, weshalb er diese Frage stellte.

Trudi stieß die Luft zischend durch die Zähne. »Er hat mich zu Boden geworfen und begonnen, mir Gewalt anzutun. Doch dank Utas Hilfe vermochte er sein Werk nicht zu vollenden.«

»Bei Henneberg habt Ihr Euch besser gewehrt!«

»Wäre mir das möglich gewesen, hätte ich die Klinge in seine Eingeweide gestoßen! Doch der Kerl hat mir den Dolch an die Kehle gesetzt.«

Trudi fühlte sich von den Worten verletzt und wandte den Kopf ab.

Eichenloh bemerkte ihre Erschütterung und nannte sich einen Narren. Trudi mochte Mut haben, aber sie war doch nur ein Mädchen, das gegen einen zu allem entschlossenen Mann auf verlorenem Posten stand. Gleichzeitig wuchs sein Zorn auf die Kerle, die sie und ihre Magd gequält hatten. Als Trudi wieder zu ihm hochsah, wirkte sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt, und in seinen Augen glühte ein Feuer, das sie erschreckte.

Sie schob den Gedanken weg, dass sie in den Armen eines ihr eigentlich verhassten Mannes lag, und genoss die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Bald fühlte sie sich so kraftlos, dass sie sich wünschte, einzuschlafen und erst wieder zu erwachen, wenn die Welt sich zum Guten gewandelt hatte. Mit dem Gedanken dämmerte sie trotz des unbequemen Sitzes auf dem Sattelbogen weg.

»Wenn wir nur die Spuren der Jungfer und ihrer Leute finden könnten!« Der verzweifelte Ausruf ihres Führers verriet Eichenloh, dass der Mann nun doch die Orientierung verloren hatte. Da die Luft von dahinwirbelnden Schneeflocken erfüllt war und der Wind alle Spuren in kurzer Zeit verwehte, war es aussichtslos, die Stapfen zu suchen, die Trudis Pferde hinterlassen hatten.

Eichenloh ließ den Blick über seine Männer schweifen, soweit er sie in dem Schneetreiben noch ausmachen konnte. Die grauen Gesichter derer, die hinter ihm ritten, verrieten ihm, wie erschöpft sie waren, und er sah auch, dass die Fußknechte immer weiter zurückblieben. Offensichtlich hatte ihr Führer nicht übertrieben, als er sagte, der Trupp sei ohne schützendes Dach dem Tod geweiht. Das schienen auch die Wölfe bereits zu wissen, denn ihr Geheul übertönte sogar das Tosen des Sturms. Den Raubtieren reichte ein zottiger Pelz als Schutz gegen die Unbilden des Wetters, und wenn der Wind zu scharf blies, kauerten sie aneinandergepresst in einer Kuhle und warteten, bis das Unwetter vorübergezogen war. Eichenloh ertappte sich dabei, die Tiere zu beneiden. Wenn nicht bald ein Wunder geschah, würden diese noch in der Nacht einen reich gedeckten Tisch vorfinden.

»Dort müssen wir hin!« Utas Ausruf ließ den Ritter hochschrecken.

»Was sagst du?«

»Die Höhlenburg liegt in dieser Richtung«, erklärte die Magd mit Nachdruck.

Der einheimische Führer machte eine wegwerfende Geste. »Woher willst du das wissen? Du hast diesen Weg doch erst ein Mal zurückgelegt, und da konntest du wohl kaum weit sehen.«

»Ich erinnere mich an den Busch dort drüben. An dem sind wir vorbeigekommen!« Uta zeigte auf ein Gebilde, das ebenso gut ein Felsvorsprung hätte sein können, wäre da nicht ein einzelner Zweig gewesen, der aus dem Schnee herausragte.

Der Führer winkte ab und wollte geradeaus weiter, doch Eichenloh zog sein Pferd herum, um sich den Busch anzusehen. »Die Frau hat recht! Im Windschatten des Gebüschs sind noch Spuren von Gäulen zu sehen.«

Nun kehrte der Führer um, warf einen Blick auf die Spur und sah Eichenloh unschlüssig an. »Wenn Ihr es befehlt, ziehen wir in die Richtung.«

Seinem Tonfall nach schien er nichts von der Idee zu halten. Eichenloh aber trieb sein Pferd in die Schlucht, auf die Uta zeigte. Bald musste er absteigen und Trudi wie ein Kind auf den Arm nehmen, denn der Sturm blies mit einer solchen Wucht durch den Engpass, dass der Boden blankgefegt und höllisch glatt war.

Eine Weile glaubte er, die Magd müsse sich vertan und sie in eine Sackgasse geführt haben, denn die Felsen rückten immer enger zusammen. Dann ging es mit einem Mal einen steilen Abhang hinauf, und auf dem höchsten Punkt sah er in einen Felsenkessel hinab, in dem sich der Wind fing und den Schnee wie in einer Windhose im Kreis trieb. Zwei dunkle Flecken bewegten sich schneckenhaft langsam auf dem hellen Hintergrund, und als Eichenloh, der wieder aufgestiegen war, näher kam, sah er zwei Reiter vor sich, deren Tiere offensichtlich kurz vor dem Zusammenbrechen standen. Da der Sturm in einer Weise tobte, die selbst die Wilde Jagd beschämt hätte, nahmen die beiden nicht wahr, dass Eichenlohs Trupp allmählich zu ihnen aufschloss.

»Das sind die beiden Schurken!«, rief Uta Eichenloh zu. Sie musste schreien, damit er sie verstand.

Stammberg und Hohenwiesen war es offensichtlich gelungen, ihre Pferde einzufangen und die Flüchtlinge zu verfolgen. Doch der Sturm hatte die weitere Suche unmöglich gemacht, und nun versuchten sie, zur Höhlenburg zurückzukehren. Durch das Toben der Elemente nahmen sie die fremden Krieger erst wahr, als sich Eichenlohs kräftig gebauter Hengst zwischen ihre Pferde schob.

Stammbergs Hand fuhr noch zum Schwertgriff. Doch da tauchte Quirin neben ihm auf und bedrohte ihn mit seiner Klinge, und Hardwin von Steinsfeld nahm sich Hohenwiesen vor.

»Was soll das?«, rief der Raubritter empört, entdeckte dann aber Uta und sah deren hasserfüllte und gleichzeitig triumphierende Miene. Während Stammberg sich noch über die Feindseligkeit der so plötzlich aufgetauchten Männer wunderte, begriff Hohenwiesen, dass ihre Gefangenen bei ihrer Flucht auf diese Reitergruppe gestoßen waren und Unterstützung erhalten hatten.

»Euch hat wohl der Teufel geschickt!«, fluchte er, erinnerte sich dann aber an den Marktflecken, an dem sie Trudi und deren Gefolge getroffen hatten. Das war in Altötting gewesen, einem Ort, an dem die Heilige Jungfrau besondere Verehrung genoss. Angesichts der Mutter Jesu hatten sie die junge Adlige betrogen, in die Irre geführt und hierhergebracht, und was danach geschehen war, hatte der Gottesgebärerin wohl ebenso wenig gefallen. Eine kalte Hand legte sich um Hohenwiesens Herz, und als er sich zu dem Anführer der Reiter umdrehte, las er in dessen Augen seinen Tod.

Die Tochter der Wanderhure
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