8.

Peter von Eichenloh strahlte eine so schlechte Laune aus, dass ein wütender Eber neben ihm wie ein Lamm gewirkt hätte. Sogar Quirin, der ihn viel länger kannte als Hardwin, konnte sich nicht erinnern, seinen Anführer jemals so zornig erlebt zu haben. Eichenlohs Gesicht sah zum Fürchten aus, und er knetete die Schachfiguren, die er gerade gegen Steinsfeld zog, als wolle er das Elfenbein in Teig verwandeln. Er hätte mit dem nächsten Zug seinen Gegner matt setzen können, stattdessen schleuderte er seine Dame gegen die Wand.

»Der Teufel soll die Weiber holen!«

»Alle oder ein ganz spezielles?«, stichelte Hardwin.

Peter von Eichenloh hieb so auf den Tisch, dass die übrigen Spielfiguren hochschnellten und durch den Raum flogen.

»Wegen mir alle! Aber eines ganz besonders!«

»Dabei hat sie dir doch heute gar keinen Schweinskopf nachgeworfen«, spöttelte Hardwin weiter und ließ sich im nächsten Augenblick nach hinten fallen, um Peters Fausthieb zu entgehen.

»Ich habe sie heute nicht bei der Abendtafel gesehen, und ihre Magd schnattert unten bei dem anderen Weibervolk herum. Sie war auch nicht in ihrer Kammer!« Junker Peters Anklagen klangen reichlich verworren, doch seine beiden Freunde begriffen, was er meinte.

»Also bist du in Trudis Zimmer gewesen, um nachzusehen, wo sie abgeblieben ist«, stellte Hardwin fest.

Eichenloh nickte. »Sie war nicht da; und ich habe sie auch nirgendwo anders getroffen. Wenn du mich fragst, hat sie sich während des Mahles in Gressingens Kammer geschlichen, um die Nacht mit ihm zu verbringen. Morgen, wenn Gressingen zum Frühstück geführt wird, schlüpft sie wieder hinaus und kehrt in ihre Kammer zurück, als wäre nichts geschehen. Ich kenne doch die Weiber! Schließlich habe ich es einem Weib zu verdanken, dass der Würzburger Bischof mich im Büßerhemd sehen will – und danach in seinem Kerker.«

»Nein, nein! Da verkennst du Trudi völlig! Sie ist keine Frau mit lockerer Moral, sondern …«

»Ha!« Junker Peter riss die Tür auf, blieb aber stehen und durchbohrte Hardwin mit seinem Blick. »Ich werde dir beweisen, dass ich recht habe! Jetzt hole ich diese Metze aus Gressingens Kammer und bringe sie hierher, damit ihre Schande allen offenbar wird!«

Hardwin und Quirin hörten ihn den Gang hinunterstürmen und sahen einander kopfschüttelnd an.

»Herrgott im Himmel! Peter ist nicht mehr bei Sinnen!«, sagte Hardwin und wollte hinter seinem Anführer herlaufen.

Quirin hielt ihn zurück. »Lass ihn in Ruhe! Wenn er solch eine Laune hat, ist er unberechenbar. Ist das Mädchen bei Gressingen, kannst du ihr ohnehin nicht mehr helfen. Ist sie es nicht, wird er sich hoffentlich draußen im Freien austoben.«

Hardwins Blick irrte ein paar Atemzüge lang zwischen dem Söldner und der Tür hin und her. Dann nickte er und begann, die im Raum herumliegenden Schachfiguren aufzusammeln.

Unterdessen hatte Junker Peter den Korridor erreicht, in dem Gressingens Kammer lag, und ging unwillkürlich auf Zehenspitzen, um das Liebespaar nicht vorzuwarnen. Erst als er die Tür fast erreicht hatte, fiel ihm auf, dass der Posten vor dem Zimmer fehlte. Das musste nichts heißen, denn der Mann konnte zum Abtritt gegangen sein. Nur wären in dem Fall die Riegel vorgeschoben gewesen. Aber die Tür war nur angelehnt, und Gressingens Stimme drang heraus. Sie troff vor Hohn.

Eichenloh verstand zwar nicht, was der Mann sagte, aber er war gewarnt und wollte sein Schwert ziehen. Das lag jedoch in seiner Kammer. Stattdessen lockerte er den Dolch und schob die Tür vorsichtig auf, um zu sehen, was sich in dem Raum abspielte. Als Erstes entdeckte er den toten Wächter, dann Gressingen mit dem blutigen Schwert in der Hand und zuletzt Trudi. Ihre Miene verriet, dass sie vor Zorn kochte und gleichzeitig mit ihrem Leben abgeschlossen zu haben schien.

Gressingen stand mit dem Rücken zur Tür, bedrohte das Mädchen mit der Klinge und überschüttete es mit Schmähungen. Dann schwang er mit einem letzten Auflachen das Schwert. »Nun leb wohl, Metze!«

In dem Augenblick brüllte jemand hinter ihm: »Halt!«

Gressingen fuhr herum und sah Eichenloh mit dem Dolch auf sich zukommen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass auch Trudi ihren Dolch zog, und handelte so, wie sein Ausbilder es ihm beigebracht hatte. Seine Klinge beschrieb einen Bogen, zwang Eichenloh, zurückzuweichen, und im gleichen Schwung führte er die Waffe gegen Trudi. Das Mädchen versuchte noch, sich zu ducken, doch das Schwert traf sie mit einem hässlichen Geräusch am Kopf. Blut schoss aus der Wunde und färbte ihr Haar rot.

Gressingen sah noch, wie sie zusammensank, und griff Eichenloh an. Sein Streich traf den Arm seines Gegners und prellte ihm den Dolch aus der Hand. Bevor Eichenloh danach greifen konnte, riss Gressingen die Waffe zurück und stieß sie ihm in den Leib.

Ohne einen Laut ging der Söldnerführer zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Gressingen sah schwer atmend auf ihn herab, warf dann Trudi einen Blick zu und sah ihren Kopf in einer Blutlache liegen. Die Sache war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Nun war er nicht nur das Mädchen los, sondern auch den Söldnerführer, der sich als hartnäckiger Verfolger hätte erweisen können. Da die Zeit drängte, wischte er das Schwert am Bettlaken ab, steckte es in die Scheide und verließ eilig die Kammer. Draußen schob er noch die Riegel vor, damit niemand zu früh Verdacht schöpfte.

Da er an den Gottesdiensten hatte teilnehmen dürfen, kannte er den kürzesten Weg zur Kapelle und legte die Strecke im Laufschritt zurück. Das Glück blieb ihm treu, denn er traf auf keine Menschenseele, und als er das Gotteshaus erreichte, standen noch keine Wachen davor. Doch gerade, als er die Tür hinter sich schloss, vernahm er Kommandos und das Klirren von Waffen. Im Schein der einzelnen Kerze, die in einer Laterne über dem Altar brannte, hastete er durch den Innenraum, schlüpfte in die Sakristei, in der es so schwarz war wie in einer mondlosen Nacht. Erschöpft lehnte er sich hinter der Tür gegen die Wand, damit jemand, der kurz hereinblickte, ihn nicht gleich entdecken konnte.

Der König schien keine Eile zu haben, denn er blieb auf dem Gang stehen und sprach mit einem Begleiter. Das gab Gressingen die Zeit, sich um seinen Fluchtweg zu kümmern. Er tastete sich zur Außentür der Sakristei und zerrte an den Riegeln. Sie ließen sich nur schwer bewegen und verursachten ein schleifendes Geräusch, das ihm durch Mark und Bein ging. Er zuckte zusammen und lauschte. Doch es schien niemandem etwas aufgefallen zu sein. Als er probehalber die Klinke drückte, ließ die Tür sich öffnen.

Zufrieden zog er die Tür wieder ins Schloss und kehrte auf Zehenspitzen zu der Pforte zurück, die von der Sakristei in die Kapelle führte. In diesem Moment kam Friedrich herein und wandte sich dem Platz zu, auf dem er stets kniete, um zu beten. Gressingen wartete noch eine Weile, um zu sehen, ob eine der Leibwachen den Raum kontrollierte. Doch der König blieb allein.

Als Friedrichs Gebete jedes andere Geräusch übertönten, schlich er auf Zehenspitzen auf ihn zu und hob sein Schwert, um es in den Rücken des Königs zu bohren.

Die Tochter der Wanderhure
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