8.

Als Gressingen und Henneberg einige Zeit später in einer Kammer im Gästehaus zusammensaßen, fasste der Jüngere sich an den Kopf.

»Die ehrwürdige Äbtissin hat eine Zunge wie ein Schwert! Hast du alles verstanden, was sie von uns fordert?«

Gressingen schenkte sich und seinem Begleiter Wein aus dem Krug ein, den eine aufmerksame Magd auf den Tisch gestellt hatte, und lachte leise auf. »Ihre Worte waren doch klar und deutlich, oder nicht?«

»Ich weiß nicht so recht. Sie will einen Vertrag, den ihre Vorgängerin abgeschlossen hat, nicht anerkennen. Aber das darf sie doch nicht!«

»An ihrer Stelle würde ich ihn auch nicht anerkennen. Es ist doch offensichtlich, dass die vorige Äbtissin ihrem Neffen Geld zukommen lassen wollte. Dafür hat sie mit diesem Wirtsschwengel auf Kibitzstein ein Komplott geschmiedet und ihm ein Viertel des Klosterguts verpfändet. Hätte die Frau noch länger gelebt, hätte sie Michel Adler wohl auch noch die Vogteirechte verkauft und einiges andere dazu. Aber die Statuten des Stifts lassen einen Landverkauf für solche Zwecke nicht zu. Wundert es dich da, dass die jetzige Oberin gegen solch einen perfiden Raub vorgehen will?«

»Wenn das so ist, natürlich nicht!« Übermütig grinsend streichelte Otto den Knauf seines Schwerts und stieß Junker Georg an. »Wir beide werden diesen Adler schon auf die Größe zurechtstutzen, die ihm zukommt. Wie schon die ehrwürdige Äbtissin gesagt hat: Von uns bekommt er keine einzige Traube.«

Gressingen wunderte sich, dass Graf Otto so naiv war, seine Beweisführung zu schlucken, stach aber sofort nach. »Mit Worten wird Adler sich nicht davon abhalten lassen, die Weinberge des Klosters abzuernten. Laut der Äbtissin haben seine Leute bereits mit der Lese begonnen.«

Da Graf Otto mehr als ein Jahr mit Eichenloh geritten war und auch schon in kleineren Scharmützeln gekämpft hatte, hielt er sich für einen tapferen Krieger und fähigen Anführer. Dies wollte er seiner neuen Dienstherrin und ganz besonders auch seinem Bruder beweisen. Er trank seinen Becher leer und schob ihn Gressingen zum Nachfüllen hin. »Was meinst du? Wie viele Leute werden wir brauchen, um eine Fehde mit Kibitzstein führen zu können?«

»Muss es direkt eine Fehde sein? Wie ich die Äbtissin verstanden habe, sollst du nur Adlers Leute von ihrem Land fernhalten. Das ist kaum schwerer, als ein paar Vögel zu verscheuchen.«

Dem eifrigen Neuvogt passte diese Bemerkung nicht, denn er sah sich schon als Held, der die Feinde der ehrwürdigen Äbtissin niederrang. Er schnaufte, trank den nächsten Becher Wein in einem Zug leer und stellte das Gefäß so hart auf die Tischplatte, dass es knallte.

»Ich wäre ein schlechter Vogt, würde ich die Möglichkeit einer größeren Fehde nicht in Betracht ziehen. Wie viele Bewaffnete, glaubst du, kann der Kibitzsteiner auf die Beine stellen?«

»Auf jeden Fall nicht genug, um dem Kloster schaden zu können – zumindest dann nicht, wenn sich der Fürstbischof auf die Seite der Äbtissin stellt«, antwortete Gressingen achselzuckend, »und das wird Herr Gottfried tun!«

Dann erinnerte er sich daran, dass Michel Adler vor gut einem Dutzend Jahren eine Fehde mit dem Pfälzer Edelmann Rumold von Lauenstein und dessen Tochter Hulda geführt und gewonnen hatte. Allerdings hatte der Kibitzsteiner damals auf einige Freunde bauen können. Er berichtete Otto, was er über die damalige Auseinandersetzung wusste, wiegelte aber sofort ab.

»Diese Männer würden ihm heute nicht mehr beistehen. Damals hatten dieser Wirtsschwengel und seine Helfer den Segen des Pfalzgrafen Ludwig, dem Vater des jetzigen Ludwig IV. von der Pfalz. Aber nun stellt sich die Situation anders dar. Mit Gottfried Schenk zu Limpurg steht der mächtigste Herr in diesen Landen auf deiner Seite.«

»Auf unserer Seite, wolltest du wohl sagen.«

Gressingen schüttelte den Kopf. »Nein, nur auf deiner! Ich kann dir zwar hier im stillen Kämmerlein erzählen, wie die Situation aussieht, die du in deiner neuen Stellung vorfindest, aber ich darf nicht in Erscheinung treten. Die hiesigen Burgherren sind zumeist nicht gut Freund mit dem Fürstbischof, und sie könnten mir mein Eintreten gegen Adler verübeln. Das aber kann ich mir in meiner Situation nicht leisten.«

Als Otto von Henneberg ihn enttäuscht anstarrte, legte er ihm den Arm um die Schulter und sprach beschwörend auf ihn ein. »Sieh es doch von deiner Warte aus. Auch wenn du zum Vogt bestimmt worden bist, würden alle sagen, Gressingen ist der Ältere, und Henneberg macht doch nur, was jener ihm rät. So aber kannst du allen zeigen, wer die Interessen der frommen Frauen von Hilgertshausen vertritt.«

Otto lächelte verlegen und fühlte sich gleichzeitig geschmeichelt. »Nicht, dass ich etwas gegen deinen Ratschlag hätte, doch entscheiden will ich immer noch selbst.«

»So habe ich es mir auch gedacht. Wie ich die Äbtissin verstanden habe, hat sie bereits Bewaffnete zum Wirtschaftshof geschickt, mit denen du die Kibitzsteiner Knechte und Mägde vom Stiftsland vertreiben kannst. Tu es und zeig ihr, dass du der Mann bist, den sie sich für ihre Vogtei gewünscht hat.«

Es fiel Gressingen weitaus leichter, als er gedacht hatte, Graf Otto zu lenken. Der junge Henneberger nahm jede seiner Bemerkungen auf und schmiedete mit der Begeisterung eines Knaben Pläne. Zwischendurch gab er lachend zu, dass er seinem Bruder Magnus zeigen wollte, dass er kein Kind mehr war, sondern selbständig zu handeln vermochte.

Die Tochter der Wanderhure
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