14.

Albrecht Achilles’ Vorschlag, das Brautpaar gleich nach dem Mittagessen ins Brautgemach zu begleiten, fand allgemeinen Anklang, am meisten natürlich bei Moritz von Mertelsbach, den es drängte, seinen Witwerstand in den Armen seiner jungen Frau zu vergessen. Das aber brachte zwei Freundinnen in arge Verlegenheit. Bona versuchte, Zeit zu gewinnen, doch die anderen sahen darin nur jungfräuliche Angst und Scham und stachelten den Bräutigam mit deftigen Zoten an. Entsetzt sah sie sich nach Trudi um. Doch die war bereits aus der Halle geeilt und rannte in die Küche hinab, um zu dem alten Turm zu gelangen.

»Zum Abtritt geht es in die andere Richtung«, rief ihr eine Magd nach, die ihre Absichten missverstand. Trudi hatte kein Ohr für die Frau, sondern schlüpfte hinter dem Rücken ihrer Mutter vorbei, die gerade die Köchin schalt. Kurz darauf erreichte sie das versteckte Turmkämmerchen und öffnete mit bebenden Händen die kleine Truhe. Sie musste erst kramen, bis sie das Schächtelchen fand, das Bona ihr am Vortag gezeigt hatte. Nun lag der Gegenstand darin, den die Freundin so dringend benötigte. Es handelte sich um die Blase eines der vielen Hühner, die für dieses Fest geschlachtet worden waren.

Da Bona bei dieser Arbeit mitgeholfen hatte, war es ihr gelungen, das Ding ungesehen an sich zu nehmen und mit frischem Hühnerblut zu füllen. Sie hatte die Blase in aller Frühe hier versteckt, damit ihre Freundin sie später holen und ihr im Brautgemach heimlich zustecken konnte.

Trudi steckte das schwabbelnde Ding vorsichtig in ihre Ärmeltasche und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab. Als sie die Halle erreichte, hatten die weiblichen Gäste die junge Braut bereits nach oben geleitet, während die Herren vor der Treppe warteten und dem Bräutigam noch einen Becher Wein aufnötigten.

Hier kam sie nicht durch, stellte Trudi besorgt fest. Doch sie kannte Burg Fuchsheim gut und wusste, dass es noch einen anderen Weg gab. Auf diesem erreichte sie die Damen noch rechtzeitig und konnte sich ihnen unauffällig anschließen.

Mertelsbachs Verwandte Elgard von Rendisheim führte die Gruppe an, denn Fuchsheims vom Wein überwältigte Schwester schlief so fest in einer Ecke des großen Saales, dass man sie nicht hatte wachrütteln können. Statt ihrer überwachte Marie das Treiben und sorgte dafür, dass die Witze und Zoten nicht zu ausgelassen wurden. Sie hatte als Einzige Trudis Fehlen bemerkt und runzelte die Stirn, als ihre Tochter sich abgehetzt und doch irgendwie erleichtert wirkend unter die anderen Frauen mischte. Da Marie Bona von Fuchsheim für ein unbedachtes Ding hielt, begriff sie, was Trudi und die Braut planten. Ihr war der Bräutigam herzlich unsympathisch, und sie fürchtete ebenfalls, dass er Bona für ihre verlorene Jungfernschaft leiden lassen würde. Daher beschloss sie, nichts gegen den Streich zu unternehmen, sondern die Augen offen zu halten und dafür zu sorgen, dass er gelang. Sie warf Trudi einen mahnenden Blick zu und sah, dass ihre Tochter sich bemühte, weniger hastig zu atmen.

Unterdessen hatte die wuchtig gebaute Elgard von Rendisheim die Tür des Brautgemachs geöffnet, blieb aber auf der Schwelle stehen und beäugte alles mit kritischem Blick. Dadurch lenkte sie die Aufmerksamkeit von Trudi ab, der es jetzt gelang, Bona mit einem Lächeln zu signalisieren, dass sie ihren Auftrag ausgeführt hatte.

Marie verlor allmählich die Geduld mit Frau Elgard, die die Tür nicht freigeben wollte, und das Gemurmel ihrer Begleiterinnen verriet, dass es ihnen genauso erging. »Wärt Ihr vielleicht so gütig, einzutreten? Die Herren werden bald den Bräutigam bringen. Ihr wollt doch nicht, dass sie uns noch hier auf dem Flur antreffen?«

Schließlich schob Hertha von Steinsfeld Frau Elgard durch die Tür. »Macht Platz! Andere wollen auch hinein.« Dann trat sie selbst ein und zog Bona hinter sich her.

Die Braut sah in ihrem grasgrünen Kleid mit den rosa Unterröcken und dem zu langen Flechten zusammengedrehten Haar, das sie an diesem Tag zum letzten Mal offen tragen würde, sehr jung und verletzlich aus, und sie wirkte so, als würde sie jeden Augenblick davonlaufen wollen.

Hardwins Mutter stieß die Zögernde auf das Bett zu. »Zier dich nicht so! Auch wenn du nicht weißt, wie es gehen soll – Herr Moritz weiß es gewiss.«

»Er hat ja auch schon oft genug für Nachwuchs gesorgt!«, warf eine andere Frau kichernd ein.

»Ich weiß nicht, was er sich denkt, so ein junges Ding zu heiraten.

Eine stramme Witwe hätte ihm wirklich reichen sollen«, giftete Elgard von Rendisheim.

Einige lachten, denn sie begriffen, wen die Frau mit einer strammen Witwe gemeint hatte.

»Vielleicht ist sie Herrn Moritz ein wenig zu stramm«, raunte Trudi ihrer Mutter ins Ohr.

Um Maries Mundwinkel zuckte es. Sie wusste nicht genau, wie eng verwandt Mertelsbach mit dieser Frau war, doch für eine genügend hohe Spende drückten die Vertreter der heiligen Kirche gewöhnlich das eine oder andere Auge zu. Moritz von Mertelsbach hatte diesen Weg wahrscheinlich vor allem deshalb nicht eingeschlagen, weil er sich eine Anwartschaft auf das Erbe von Fuchsheim sichern wollte, denn Bona war Ritter Ludolfs bisher einziges Kind. Allerdings hatte dieser erklärt, ebenfalls noch einmal heiraten zu wollen.

Unterdessen neckten die anderen Frauen Bona und erklärten ihr, wie tief ihr Bräutigam gleich in sie eindringen würde. Die Länge, die sie dabei mit ihren Händen andeuteten, hätte einen Hengst beschämen können. Bona wusste durch ihre Erfahrung mit Junker Hardwin genau, wie ein Mann an dieser Stelle beschaffen war, täuschte aber Entsetzen vor. »Bei Gott, er wird mich umbringen. Das kann keine Frau ertragen!«

»Macht sie nicht noch ängstlicher, als sie bereits ist«, wies Marie die Frauen zurecht und wandte sich dann Bona zu.

»Gott hat in seiner Güte gerichtet, dass alles richtig zusammenpasst. Es wird vielleicht zu Beginn ein wenig schmerzen, doch das vergeht bald, und in Zukunft wirst du dich freuen, wenn dein Mann zu dir kommt.«

»Bei einem jungen schmucken Ritter würde sie sich gewiss mehr freuen als bei diesem halben Tattergreis, der ihr Großvater sein könnte.« Die Sprecherin hatte einen Stall voller überständiger Töchter zu Hause, und alle wussten, dass sie diese Mertelsbach ohne Erfolg angedient hatte.

Die anderen Frauen achteten nicht auf diese boshaften Worte, sondern starrten Bona an, die nun entkleidet wurde. Die Braut hatte eine gute Figur, nicht zu zierlich und nicht zu stramm, und würde ihren Mann im Bett entzücken können. Nur am Bauch war sie vielleicht einen Hauch zu füllig.

Marie, die Bona ebenfalls musterte, erschrak, als sie deren Bäuchlein sah, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Offensichtlich hatte Bona nicht nur ihr Kränzchen verloren, sondern sich auch noch schwängern lassen. Das war eine Sache, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Auch wenn Mertelsbach selbst nicht so genau darauf achten mochte, wann Bona ihm das erste Kind gebar, würden andere es tun. Marie ärgerte sich nun über ihre Tochter, weil diese sich anscheinend von Bona hatte überreden lassen, ihr zu helfen. Wenn das herauskam, würde es auch Trudis Ruf schaden.

»Macht jetzt! Ich höre die Herren schon kommen«, trieb sie die Frauen an.

Ein paar von ihnen strichen Bona noch über den Bauch, die Scham und den Busen und murmelten dabei uralte Segenssprüche, die seit Generationen in ihren Familien weitergegeben worden waren, dann schlug Trudi das Laken zurück. Alle sahen darunter ein weiteres Tuch in blendendem Weiß, das Bonas Mutter einst nach alter Tradition eigenhändig für die Brautnacht ihrer Tochter gewebt und gebleicht hatte. Es war noch nie benützt worden und würde auch nie mehr verwendet werden, sondern einen Ehrenplatz in der Truhe einnehmen.

Marie trat neben Trudi, um zu verhindern, dass sie Dummheiten beging, und bedeutete Bona, sich hinzulegen. Diese tat es nur zögerlich und blickte Marie verstört an.

»Wie wir alle gesehen haben, kann der Bräutigam zufrieden sein. Hoffen wir, dass Bona dies auch mit ihm ist!« Maries Worte riefen Kichern hervor.

Elgard von Rendisheim schnaubte empört. »Herr Moritz ist ein Mann in den besten Jahren und weiß sehr wohl einem Weib Vergnügen zu bereiten!«

»Ihr habt es wohl schon mit ihm getrieben?«, stichelte eine Frau. Frau Elgards Erröten verriet, dass Mertelsbach sich während seiner Witwerzeit auch mit ihr getröstet hatte.

»Gib deiner Freundin einen Kuss und dann raus mit dir! Hier hat so ein Jüngferlein wie du nichts mehr verloren.« Maries Worte erschreckten Trudi und Bona gleichermaßen, denn es schien keine Möglichkeit zu geben, die Hühnerblase im Bett zu verstecken.

Trudi trat auf Bona zu und beugte sich über sie. Sie bekam den stoßweisen Atem ihrer Freundin ins Gesicht und las in deren Augen schiere Panik. Während sie Bona auf die Wange küsste, zog sie die Hühnerblase aus ihrem Ärmel und steckte sie unter das Laken. Jetzt konnte sie nur noch beten, dass niemand auf den Gedanken kam, das Tuch noch einmal anzuheben, ehe Bona die Blase an sich nehmen konnte. Was passierte, wenn die Herren zu früh mit dem Bräutigam erschienen und einer von denen das Ding entdeckte, mochte Trudi sich gar nicht vorstellen.

»Ich wünsche dir Glück! Möge dein Gemahl stark genug sein, dich bereits in dieser Nacht zu schwängern«, sagte Trudi, als sie sich erhob.

»Hört euch dieses Küken an! Das glaubt wohl noch, der Bauch würde gleich wachsen, wenn ein Mann seinen Riemen an der richtigen Stelle wetzt«, spottete eine Nachbarin.

Marie versetzte ihrer Tochter einen leichten Backenstreich. »Hinaus mit dir.«

Erleichtert schlüpfte Trudi aus dem Zimmer. Marie, der trotz aller Aufmerksamkeit entgangen war, dass ihre Tochter Bona die Hühnerblase zugesteckt hatte, folgte ihr auf dem Fuß.

Die ersten Herren standen bereits vor der Tür, doch im Augenblick achtete niemand auf das Brautgemach, denn alle Blicke richteten sich nach unten auf den Treppenabsatz, auf dem sich Michel und Otto von Henneberg erregt gegenüberstanden. Der junge Graf war betrunken und hatte alle Hemmungen verloren. Schwankend versuchte er, Michel zu packen, doch dieser wehrte ihn mit Leichtigkeit ab.

»Das hier hat Eure Tochter nicht umsonst getan, Bierritter! Dafür wird sie bezahlen und Ihr mit ihr!« Obwohl Otto von Henneberg stark nuschelte, vernahm jeder der Anwesenden seine Drohung.

Michel sah auf den jungen Mann hinab wie auf einen geifernden Hund. »Wenn meiner Tochter auch nur ein Haar gekrümmt wird, werde ich Euch fangen und aufhängen lassen wie einen gemeinen Dieb. Und nun gebt den Weg frei!« Er versetzte dem Jüngeren einen Stoß und wandte sich verächtlich ab.

Otto von Henneberg wurde von einigen Gästen aufgefangen und auf die Beine gestellt. Dabei vernahm er einige verletzende Bemerkungen, die sowohl seiner Tat wie auch seinem jetzigen Zustand galten. Außer sich vor Wut, riss er seinen Dolch aus der Scheide und wollte auf Michel losgehen.

Eichenloh schlug ihm die Waffe aus der Hand. Der Dolch fiel auf die Treppe, kollerte die Stufen hinab und blieb vor den Füßen eines verspäteten Gastes liegen. Während sich die anderen nur für die Streithähne interessierten, bückte der Mann sich und hob die mit einem edelsteinbesetzten Knauf geschmückte Waffe auf.

Bei dem Besucher handelte es sich um Gressingen, der bis zuletzt mit sich gerungen hatte, ob er nach Fuchsheim reiten sollte oder nicht. Er hatte von Graf Ottos Fehlschlag erst in Gerolzhofen erfahren und war vor Angst fast gestorben, der Henneberger würde ihn der Anstiftung für diese Tat bezichtigen. In dem Fall würde er den Auftrag des Fürstbischofs nicht ausführen können und hätte alles verloren. Zudem konnte Graf Ottos Zorn sich ebenso gut gegen ihn statt gegen Trudi wenden, und der Gedanke an Michel Adler ließ ihn ebenfalls schaudern. Wenn der Kibitzsteiner erfuhr, wer hinter diesem heimtückischen Überfall auf seine Tochter und ihre Mägde steckte, war er seines Lebens nicht mehr sicher. Wusste Adler aber noch nichts davon, bestand die Gefahr, dass er ihn noch auf Fuchsheim zur Hochzeit mit seiner Tochter zwang. All das hatte ihn zögern lassen, doch die Tatsache, dass der Fürstbischof von ihm erwartete, die Geheimnisse seiner Feinde auszuspionieren, hatte ihn schließlich dazu bewegt, nach Fuchsheim zu reiten.

Nun blickte Gressingen auf Hennebergs Dolch und versuchte zu begreifen, was eben geschehen war. Anscheinend hatte der junge Narr Streit mit Michel Adler angefangen und war kläglich gescheitert. Mit einem Fluch steckte Gressingen die Waffe unter sein Wams und folgte den Männern, die in das Brautgemach strebten. Bona von Fuchsheim war ein hübsches Ding, und einen Blick auf ihre nackte Gestalt zu werfen, war den meisten das Gedränge und ein paar Stöße in die Rippen wert.

Gressingen hatte Bona bereits halbnackt gesehen, aber dennoch zwängte auch er sich nach vorne und vermochte einen kurzen Blick auf das Mädchen zu erhaschen, das offensichtlich schreckensstarr auf dem Laken lag und die Mächte des Himmels anzuflehen schien, diese Heimsuchung enden zu lassen.

Der Eindruck täuschte ihn nicht. Bona hatte die Zeit, die zwischen dem Abgang der Frauen und dem Auftauchen der ersten Männer vergangen war, genutzt und die Hühnerblase in ihre Scheide gesteckt. Jetzt starb sie beinahe vor Angst, das Ding könnte vor der Zeit platzen und das austretende Blut vor aller Augen ihre Schande offenbaren.

Markgraf Albrecht stand neben dem Bräutigam mitten im Zimmer und beschrieb die körperlichen Vorzüge der Braut mit beredten Gesten. Ihm war anzusehen, dass er Mertelsbach noch ein wenig necken wollte, indem er ihn an der Ausübung seines eben erhaltenen Rechts hinderte, gerade weil der alte Ritter vor Gier auf sein Bräutchen beinahe verging.

Pratzendorfer hatte ebenfalls einen kurzen Blick auf die Braut geworfen, machte dann aber achselzuckend anderen Platz und verließ die Kammer wieder. Auf dem Flur stieß er beinahe mit Gressingen zusammen. Da die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste sich auf die Braut richtete und sich niemand in Hörweite befand, packte er den Junker und stieß ihn in eine düstere Ecke, die nicht so leicht eingesehen werden konnte.

»Ihr kommt spät!«

»Ich wurde aufgehalten«, versuchte Gressingen sich herauszuwinden.

»Ihr hättet bereits gestern erscheinen und mit etlichen Leuten reden sollen! Oder habt Ihr vergessen, in wessen Diensten Ihr steht?« Pratzendorfer sprach mit leiser Stimme, dennoch schnitten seine Worte Gressingen ins Mark.

Er begriff, dass der Fürstbischof und dessen Vertrauter ihn als besseren Knecht ansahen, und nahm sich vor, Herrn Gottfried zu beweisen, dass er ein treuer Gefolgsmann war, der Achtung verdiente. Dazu aber war es unbedingt notwendig, den Bischof mit etlichen Neuigkeiten zu überraschen. Da er aber keine Lügen erzählen durfte, musste er schleunigst mit dem einen oder anderen Herrn ins Gespräch kommen.

Er kehrte dem Prälaten mit einer knappen Verbeugung den Rücken und wollte auf Steinsfeld zugehen, der ihm früher wie ein Hündchen gefolgt war. Er glaubte zwar nicht, dass dieser halbe Knabe irgendwelche Geheimnisse kannte, aber Hardwin würde ihm gewiss sagen können, wer von den Feinden des Fürstbischofs auf Fuchsheim weilte. Da sah er Otto von Henneberg in dessen Nähe stehen und wich zurück.

Nun geriet Gressingen in eine Gruppe Würzburger Gefolgsleute, die nicht in sein Doppelspiel eingeweiht waren und ihn daher für einen Rebellen gegen ihren Lehnsherrn hielten. Er vernahm etliche beleidigende Äußerungen, und ein Mann stieß ihm sogar den Ellbogen in die Rippen, um ihn zu provozieren.

Gressingen fuhr zu ihm herum und wies nach draußen. »Wenn Ihr wollt, können wir morgen unser Geschick im Lanzenstechen miteinander messen!«

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Euch in den Staub zu schicken!« Der andere wandte ihm brüsk den Rücken zu und betrat mit seinen Freunden das Brautgemach, in dem Bona und Mertelsbach die Gaffer gleichermaßen zum Teufel wünschten, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Gressingen knirschte mit den Zähnen und schwor sich, es dem aufgeblasenen Kerl heimzuzahlen. Dabei achtete er nicht auf seine Umgebung und stand mit einem Mal einem Mann gegenüber, dem er während des Festes geflissentlich aus dem Weg hatte gehen wollen.

Von der sichtlichen Gier angewidert, mit der die Männer die nackte Bona anstarrten, hatte Michel die Kammer rasch wieder verlassen. Noch während er überlegte, ob er in die Halle zurückkehren oder Marie suchen und mit ihr sprechen sollte, sah er mit einem Mal Gressingen vor sich stehen. Sofort trat er auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Ich habe mit Euch zu sprechen, Junker Georg, und zwar an einem Ort, an dem keine fremden Ohren zuhören können.«

Der Klang seiner Stimme ließ Gressingen sein Heil in der Flucht suchen.

Michel hielt ihn jedoch scheinbar mühelos fest. »Ihr kommt jetzt mit mir!«

Er schob Gressingen auf eine enge Wendeltreppe zu, die in den hinteren Teil des Burghofs führte. Von da aus ging es durch eine Pforte in den Garten der Burg. Dort, so hoffte Michel, würde sich um diese Zeit niemand aufhalten.

Gressingen spürte Michels unbeugsamen Willen und verfluchte sich, weil er sich nicht von Fuchsheim ferngehalten hatte. Dann aber sagte er sich, dass er Michel Adler noch immer Sand in die Augen streuen und eine Verlobung oder gar Heirat mit dessen Tochter bis zum Sankt Nimmerleinstag hinausschieben konnte.

Diese Überlegung machte es ihm möglich, ein verbindliches Lächeln aufzusetzen, und er deutete eine Verbeugung an. »Wie Ihr wünscht, Kibitzstein. Ich wollte Euch sowieso an einem der nächsten Tage aufsuchen.«

Michel sah seinem Gegenüber an, dass der Mann log, und es tat ihm in der Seele weh, seine Tochter an einen solch unwürdigen Burschen zu verlieren. Doch er hielt es für seine Pflicht, Trudis Ehre zu retten.

Wie er erwartet hatte, befand sich niemand im Garten. An den meisten Stellen gab es nur noch blanke Erde, wo vorher Kohlköpfe, Rettiche und anderes Gemüse gestanden hatten. Alles war abgeerntet worden, um die Gäste zu verköstigen.

Weder Michel noch Gressingen merkten, dass Pratzendorfer ihnen gefolgt war. Der Prälat stand nun im Schatten der gemauerten Pforte und lauschte.

Gressingen beschloss, sich mit Frechheit zu retten. »Was soll das Ganze, Kibitzstein? Ihr tut so, als wolltet Ihr mir Geheimnisse anvertrauen, die niemand anderes wissen darf.«

»So kann man es nennen. Wisst Ihr, Gressingen, ich würde Euch einen Schurken nennen, wenn es nicht um meine Tochter ginge.«

»Ein Schurke? Das ist ein hartes Wort! Ihr werdet mir dafür geradestehen müssen.«

Michels Griff wurde härter. »Zuerst wirst du mir geradestehen müssen, Bürschchen! Trudi hat mir gebeichtet, was zwischen dir und ihr im Fuchsheimer Wald vorgefallen ist. Ich lasse nicht zu, dass du meine Tochter zur Hure machst und sie danach fortwirfst wie einen alten Handschuh!«

Michels Stimme hatte jeden verbindlichen Klang verloren.

Gressingen überlegte verzweifelt, wie er sich aus dieser Klemme winden konnte. Leugnen half nichts mehr, denn jede Hebamme konnte bezeugen, dass Trudi keine Jungfrau mehr war. Da er erst nach dem Mittagsmahl eingetroffen war, war ihm entgangen, dass Trudi mit dem Markgrafen Albrecht Achilles in einem Bett geschlafen und dabei nach Ansicht der übrigen Gäste ihre Jungfernschaft verloren hatte. Er sah nur den erzürnten Vater vor sich, der ihn für den Schänder seiner Tochter hielt, und wusste, dass er an einem Scheideweg angekommen war. Wenn er alles abstritt, hatte er eine Fehde am Hals, die nur sein oder Adlers Tod beenden würde. Doch ebenso wenig konnte er die Tat zugeben und das Mädchen heiraten. Selbst wenn der Fürstbischof und Pratzendorfer auf dieses Spiel eingehen und die Ehe später annullieren würden, so würde ihm in dem Augenblick, in dem er Trudi in ein Kloster steckte, bei allen Nachbarn der Ruf eines üblen Schurken und Mitgiftjägers anhaften. Die Ablehnung selbst derer, die jetzt zu Würzburg standen, wäre ihm dann ebenso gewiss wie der Hass und die Rachegelüste der Freunde des Kibitzsteiners.

Ich muss Zeit gewinnen, dachte er und suchte nach einer passenden Antwort.

Doch da sprach Michel bereits weiter. »Meine Tochter ist auf diesem Fest von Albrecht Achilles, dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, zur Ehrenjungfrau erwählt worden. Wie du weißt, schließt dies auch Dinge mit ein, die nicht gerade jungfräulich sind. Doch damit wirst du wohl leben können. Nun wirst du mit mir in die Halle zurückkehren, und dort werden wir beide deine Verlobung mit Trudi bekanntgeben. In zwei Monaten wird geheiratet. Bis dorthin wird wohl klar sein, ob euer erster Sohn am Hof des Markgrafen erzogen wird oder bei euch bleiben kann.«

Gressingen schwirrte der Kopf. Trudi war die Bettgespielin des Brandenburgers geworden. Damit war sie keine Jungfrau mehr, und niemand mehr konnte ihn für den Verlust ihres Kränzchens verantwortlich machen. Aber ein Blick in Michels Gesicht vertrieb die Hoffnung, die kurz in ihm aufgekeimt war. Der Mann würde sich mit nichts anderem als seiner offiziellen Zustimmung zu einer Heirat mit seiner Tochter zufriedengeben.

Für einige Augenblicke fragte Gressingen sich, ob er unter diesen Umständen seine Pläne ändern sollte. Immerhin konnte er über Trudi an ein hübsches Lehen in Albrecht Achilles’ Machtbereich kommen und zusätzlich über die üppige Mitgift seiner Frau verfügen. Aber wenn er diesen Schritt tat, würde der Fürstbischof von Würzburg ihn unnachsichtig verfolgen lassen.

Bei dieser Vorstellung geriet er in Panik. Er hatte sich Pratzendorfer und dem Würzburger Bischof auf Gedeih und Verderben ausgeliefert und einen heiligen Eid geleistet. Unter anderen Umständen hätte der Prälat eine erzwungene Verlobung und vielleicht auch eine Ehe mit Trudi Adlerin für null und nichtig erklären lassen können. Aber das Interesse des Markgrafen an dem Mädchen ließ diesen Ausweg nicht mehr zu. Stieß er Trudi zurück, beleidigte er Albrecht Achilles und machte ihn zu einem ähnlich hartnäckigen Feind.

»Ich … ich … werde«, stotterte er und verschränkte die Arme vor die Brust. Dabei presste er Otto von Hennebergs Dolch gegen seine Rippen.

Mit einem Mal fühlte er eine Anspannung, die sein Blut rascher durch die Adern trieb, und er warf einen forschenden Blick in die Runde. Außer ihm und Michel Adler war niemand in Sichtweite.

Er atmete kurz durch und blickte zu Boden, als sei er beschämt.

»Verzeiht mir bitte die Entjungferung Eurer Tochter, doch die Leidenschaft für sie hat mich hinweggerissen. Selbstverständlich werde ich sie heiraten. Ich habe nur nicht gewagt, als mittelloser Ritter vor Euch zu treten und um ihre Hand zu bitten. Dies tue ich hiermit und bitte Euch, mich als Euren Eidam in Eure Arme zu schließen.«

Michel war erleichtert, dass Gressingen nachgab. Auch wenn dieser Mann nicht der Schwiegersohn war, den er sich gewünscht hatte, so bekam Trudi doch den ersehnten Gatten. Er würde nur darauf achten müssen, dass Gressingen sie gut behandelte. Daher öffnete er die Arme und umarmte den Junker.

Gressingen zog unbemerkt den Dolch aus seinem Wams, ehe er ebenfalls die Arme um sein Gegenüber legte. Einen Augenblick zögerte er noch, dann stieß er Michel die Klinge mit aller Kraft in die Seite.

Michel öffnete den Mund zum Schrei, doch Gressingen presste ihm die Linke auf den Mund. »Stirb, du Bierritter!«, höhnte er und umklammerte sein Opfer, bis es erschlaffte. Dann stieß er Michel zu Boden und starrte schwer atmend auf ihn herab. Beim Anblick der gebrochenen Augen, die immer noch einen überraschten Ausdruck zeigten, lachte er höhnisch auf und wandte sich erleichtert ab.

Als Gressingen durch die Gartenpforte trat, sah er Cyprian Pratzendorfer vor sich und tastete nach seinem eigenen Dolch. Der Prälat hob die Hand. »Ich glaube, ein Mord reicht fürs Erste, mein Sohn. Wie es aussieht, hast du den Fürstbischof soeben von einem unangenehmen Nachbarn befreit. Dafür wird er dir gewiss Dank wissen. Trotzdem solltest du die Burg sofort verlassen und dich fürs Erste in Franken nirgends mehr sehen lassen. Sonst könnten einige Leute die richtigen Schlüsse ziehen und dir diesen Mord mit gleicher Münze heimzahlen wollen. Aber du wirst nicht ohne Ziel reisen müssen, denn ich kenne einen Herrn, der einen Mann mit einer ruhigen Dolchhand gut gebrauchen kann.«

»Ich bin kein Meuchelmörder!«, fuhr Gressingen auf.

Pratzendorfer stieß ein höhnisches Lachen aus. »Und was war das eben? Ein ehrlicher Zweikampf?«

Gressingen wollte seinen Dolch ziehen, doch der Prälat packte seine Hand und drückte so fest zu, dass dem Junker vor Schmerz die Tränen in die Augen traten.

»Ein Dolchstoß ist schnell geschehen, doch man muss wissen, wann man ihn wagen kann. Etliche Herren haben ihre Waffen zur falschen Zeit gezogen und wurden dafür in Stücke gehackt. Du aber dürftest wissen, wann es sich lohnt, etwas zu riskieren. Und lohnen würde es sich für dich in reichem Maße.«

»Hätte ich mehr zu erwarten, als der Fürstbischof mir zugestehen würde?«, fragte Gressingen unwillkürlich.

Pratzendorfer stellte zufrieden fest, dass der Junker angebissen hatte. »Der Rang eines Grafen mit einem Besitz, der diesem Stand entspricht, wäre dir sicher, mein Sohn.«

Gressingen sah den Prälaten forschend an. »Sagt mir, wer Eure Freunde sind und wo ich sie treffen kann.«

Auf seinem Gesicht mischte sich die Angst vor Entdeckung mit der Gier nach einer reichen Belohnung. Je mehr Meilen er zwischen sich und den Toten bringen konnte, umso weniger hatte er zu befürchten.

Der Prälat legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Gressingen atmete auf. An dem Ort würde er in Sicherheit sein, und allein der Name seines neuen Auftraggebers verhieß ihm eine glänzende Zukunft.

»Du solltest jetzt gehen, mein Sohn. Reite, so schnell du kannst. Sollten Freunde nach dir fragen, werde ich dich bei ihnen entschuldigen.«

Dieser Rat kam Gressingens Wünschen entgegen. Er bat den Prälaten, ihn zu segnen und noch einmal von seinen Sünden freizusprechen. Dieser schlug das Kreuz über ihm, murmelte eine lateinische Formel und wies dann auf einen Pfad, der über den hinteren Zwinger zu den Ställen führte. Obwohl der Kirchenmann erst seit kurzer Zeit in der Burg weilte, hatte er sich bereits umgesehen und wusste, wie man unbemerkt von einem Teil in den anderen kommen konnte.

Gressingen lief hastig zu dem gewiesenen Tor, sattelte sein Pferd und führte es so vorsichtig aus der Burg, dass ihn nur ein paar übermüdete Knechte bemerkten, die froh waren, in Ruhe gelassen zu werden, und seine Anwesenheit sofort wieder vergaßen.

Auch Pratzendorfer kehrte dem Gemüsegarten den Rücken und stieg die enge, altmodisch steile Wendeltreppe empor. Dabei übersah er den Knecht, der die Küche verlassen hatte, um nachzusehen, ob im Garten nicht doch noch etwas Gemüse oder Kraut zu finden war, das zur Verköstigung der Gäste taugte.

Die Tochter der Wanderhure
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