56

Pine und Kettler wechselten einen Blick, bevor sie wieder auf die Bombe starrten.

Schließlich wandte Pine sich erneut Roth zu. »Das müssen Sie mir genauer erklären.«

»Die Russen haben uns diese taktische Kernwaffe geliefert, aber unsere Leute haben sie hier deponiert.«

»Warum zum Henker sollten unsere Leute den Grand Canyon in die Luft jagen?«, fragte Pine kopfschüttelnd.

»Diese Bombe kann nicht detonieren. Genau deshalb bin ich mir so sicher, dass sie nicht aus Nordkorea kommt.«

»Woher wollen Sie wissen, dass die Bombe nicht hochgehen kann?«, hakte Pine nach.

»Weil wichtige Bauteile fehlen.«

»Welche?«

»Okay, ich will es mal so erklären, dass es auch für Laien verständlich ist.« Roth deutete auf die Bombe. »Was Sie hier vor sich haben, ist eine Wasserstoffbombe – in der Fachsprache eine Fusionsbombe oder thermonukleare Waffe. Sie entfaltet ihre zerstörerische Wirkung auf ähnliche Weise, wie die Sonne Energie erzeugt. Die erste Stufe bei der Zündung einer solchen Bombe ist nichts anderes als die konventionelle Detonation einer A-Bombe. Dabei wird für Sekundenbruchteile eine Hitze von mehreren Millionen Grad Celsius erzeugt – gewaltige Energie, die nun wiederum dazu genutzt wird, den Fusionsprozess der eigentlichen und viel stärkeren Wasserstoffbombe in Gang zu setzen, was zu einer Detonation führt, die um ein Vielfaches verheerender ist als bei einer herkömmlichen Atombombe.«

»Soll das heißen, eine Wasserstoffbombe wie diese hier wird durch eine herkömmliche Atombombe gezündet?«, fragte Kettler.

Roth nickte. »Ganz recht.«

Kettler kratzte sich am Kinn. »Wenn das die Version für Dummies ist, will ich die komplizierte Variante gar nicht erst hören.«

»Was dem Ding hier fehlt«, fügte Roth hinzu und klatschte zu Pines Entsetzen erneut mit der Hand auf die Außenhülle der Bombe, »ist die Lithiumdeuterid-Ladung, ein funktionsfähiger Reflektor und ein Fusionspuffer. Ohne diese Teile ist das hier kaum mehr als sündhaft teurer Schrott.«

»Aber wenn das Ding nicht detonieren kann, wieso hat man es dann hierhergeschafft?«, fragte Kettler.

Es war Pine, die seine Frage beantwortete. »Damit die USA einen Vorwand haben, Nordkorea anzugreifen. Verdammt, jetzt weiß ich auch, was dieser Chung gemeint hat. Er sagte, dass Nordkorea zerstört wird, falls die Bombe hochgeht. Er wollte die Bombe finden und den Plan durchkreuzen.«

»Nur dass er den wahren Plan nicht gekannt hat«, erklärte Roth. »Diese Bombe hier kann zwar nicht detonieren, aber die Folgen für Nordkorea wären so verheerend, als wäre sie explodiert.«

»Wäre es denn nicht verdächtig, dass wichtige Bauteile fehlen?«

»Wer hätte das denn mitgekriegt?«, hielt Roth dagegen. »Die Presse kann die Bombe schwerlich auseinandernehmen und nachsehen, ob alles drin ist. Und die ›hinzugezogenen Experten‹ würden aller Welt erzählen, man habe die Bauteile nachträglich entfernt, damit nichts mehr passieren kann. Können Sie sich vorstellen, was für einen Aufschrei es in den Medien gäbe, wenn die Regierung verkündet, man habe im Grand Canyon eine Atombombe gefunden? Sie hätten die Bombe medienwirksam mit einem Hubschrauber aus dem Canyon geborgen, damit die ganze Welt es sieht.«

»Diese Leute wollten also mit der Bombe an die Öffentlichkeit gehen und einen Riesenwirbel auslösen. Und was dann?«, fragte Kettler.

»Wahrscheinlich hätten sie sich an die Vereinten Nationen gewandt und dort ihr sogenanntes Beweismaterial präsentiert. Sie hätten detailliert dargestellt, wie die Nordkoreaner die Waffe in den Canyon geschmuggelt haben. Alles getürkt, versteht sich, aber sehr überzeugend.«

»Aber wäre es denn plausibel, dass Nordkorea auf amerikanischem Boden eine Bombe zünden will?«, wandte Pine ein. »Wo die Nordkoreaner doch genau wissen, dass wir ihr Land dem Erdboden gleichmachen, wenn man ihnen auf die Schliche kommt.«

»Unsere Seite würde darauf antworten, dass bei der Detonation der Bombe sämtliche Beweise vernichtet worden wären. Dann hätte sich nicht mehr feststellen lassen, woher sie gekommen ist. Was glauben Sie, wird passieren, wenn herauskommt, dass Nordkorea eine Atombombe mitten in Amerikas spektakulärstem Naturwunder zünden wollte? Ein Krieg wäre unausweichlich.«

»Ein Krieg mit unzähligen Opfern«, fügte Pine leise hinzu.

»Ja. Eine lange und blutige Auseinandersetzung, die größte seit dem Zweiten Weltkrieg. Millionen würden sterben. Hunderttausende schon am ersten Tag.«

»Mein Gott«, murmelte Kettler. »Und ich dachte, die Kriege im Irak und in Afghanistan wären schlimm gewesen.«

»Alle Kriege sind furchtbar, weil es jedes Mal zu viele Opfer gibt«, betonte Roth. »Wahrscheinlich erzählen uns irgendwelche Schlaumeier in der Regierung, man müsse in einem solchen Krieg eine gewisse Zahl von Opfern zwangsläufig in Kauf nehmen.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist einfach nur krank.«

»Aber warum haben unsere Leute die Hilfe der Russen in Anspruch genommen?«, fragte Pine.

»Wie gesagt, die Russen haben Nordkorea lange bei deren Atomprogramm unterstützt. Sie hatten also das Material, das unsere Regierung gebraucht hat, um diesen Plan in die Tat umzusetzen. So musste die koreanische Aufschrift nicht gefälscht werden, weil man die echten Teile bekam. Ohne die Russen hätten unsere Leute ähnliches Material auftreiben oder versuchen müssen, eine russisch-koreanische Bombe nachzubauen, und zwar aus Teilen, die man da und dort beschafft hätte. Aber das ist so gut wie unmöglich, weil der Markt für Nuklearwaffen … nun, sagen wir, sehr exklusiv ist. Die Akteure, die auf diesem Gebiet mitmischen, sind allesamt bekannt, und es lässt sich nachprüfen, wer welche Waffe gebaut hat. Hätten unsere Leute sich also nicht an Russland gewandt, sondern an andere Quellen, hätten sie eine Fährte hinterlassen, die man bis zu uns hätte zurückverfolgen können. Und dann wäre der Plan katastrophal in die Hose gegangen.«

»Aber warum haben die Russen sich darauf eingelassen?«, hakte Pine nach. »Was haben sie davon?«

»Wenn sie sich mit der einzigen verbliebenen Supermacht verbünden, stellen sie sich damit gewissermaßen auf unser Level. Russland möchte der tonangebende Faktor im Fernen Osten sein, doch es kann sich bei Weitem nicht mit Chinas Wirtschaftskraft messen. Also suchen die Russen nach Möglichkeiten, ihren Einfluss in der Region zu vergrößern. Ich kann mir vorstellen, dass sie für ihre Hilfe auf irgendeine Weise honoriert würden. Vielleicht hätte Russland einen Teil Nordkoreas annektieren können, wenn alles vorbei wäre. Dort gibt es ja durchaus interessante Bodenschätze, zum Beispiel Steinkohle, die Russland nutzen könnte, um die Wirtschaft im Osten des Landes zu beleben.« Er stockte, wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich. »Wer weiß, vielleicht wäre das der Anfang eines großen Tauschhandels, in dem wir und die Russen einen Teil der Welt untereinander aufteilen. Im Grunde ging es ja auch im Kalten Krieg genau darum, auch wenn die USA und Russland damals Feinde waren.«

»Uns verbindet auch heute nicht gerade viel«, wandte Pine ein.

»Aber im Moment scheinen die Dinge in eine andere Richtung zu laufen.«

»Die Nordkoreaner müssen Wind davon bekommen haben, dass etwas im Busch ist«, sagte Pine. »Deshalb haben sie diesen Chung geschickt, um herauszufinden, was Sache ist. Und um Sie aufzustöbern.«

»Verständlich, dass sie den Plan durchkreuzen wollten, schließlich geht es um ihre Existenz.«

»Wie haben Sie von der Sache erfahren?«

»Fred Wormsley war ein guter Freund meines Vaters und auch von mir. Er war so etwas wie ein Mentor für mich.«

»Ich habe gehört, dass er verunglückt ist.«

»Das ist eine Lüge. Er wurde ermordet. Wormsley ist der Grund, weshalb ich hier bin.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Pine.

»Bevor er starb, haben wir uns heimlich getroffen, Fred und ich. Aufgrund seiner hohen Position in der NSA hatten die ihn sogar für diese Wahnsinnsmission rekrutiert. Eigentlich sollte man meinen, dass bei einer so spektakulären Sache mehr Leute irgendetwas ausplaudern. Aber soviel ich weiß, war Fred der Einzige. Er wollte sich nicht mit diesem Plan abfinden und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Nach außen tat er aber weiter so, als würde er mitmachen, damit er möglichst viel über den Plan erfahren konnte. Aber irgendjemand hat offenbar Verdacht geschöpft und ihn verraten.«

»Und Sie setzen das fort, was Wormsley nicht mehr zu Ende bringen konnte«, fügte Pine hinzu.

Roth nickte. »Nachdem Fred mir erzählt hatte, was er weiß, bin ich aufgebrochen, um die Bombe zu suchen. Zum Glück kannte er die Lage dieser Höhle und konnte mir die Koordinaten noch mitteilen. Sonst hätte ich bei der Größe des Canyons keine Chance gehabt, die Bombe zu finden.«

»Und Ben Priest? Was hat der damit zu tun?«

»Ben war einige Jahre bei der CIA und ging dann zum Verteidigungsnachrichtendienst. Während ich in verschiedenen Staaten Massenvernichtungswaffen inspizierte, bemühte Ben sich hinter den Kulissen, meinen Teams einen besseren Zugang zu verschaffen. Damals wurden wir gute Freunde. Später hat er sich selbstständig gemacht – womit, weiß ich nicht genau. Ich habe nur gehört, dass er Leuten in brisanten Situationen hilft – Personen, die Insiderwissen über weltpolitische Gegebenheiten benötigen. Als ich ihm von dem Wahnsinn erzählt habe, der hier abläuft, war er sofort mit an Bord. Ihm war ebenso klar wie mir, dass dieser Plan ein Verbrechen ist. Wir wussten beide, dass wir ihn durchkreuzen müssen, um jeden Preis.«

»Auch wenn es ihn und seinen Bruder das Leben kostet«, sagte Pine leise.

Kettler, der aufmerksam zugehört hatte, meldete sich zu Wort. »Und was ist mit dem Maultier?«

Roth blickte ihn an. »Das Maultier war der Hauptgrund, warum ich zu Ben ging. Als ich von Fred Wormsley erfuhr, wo die Bombe liegt, erinnerte ich mich an etwas, was Ben mir einmal erzählt hatte. Er wollte schon lange auf einem Muli in den Canyon reiten. Ich hätte nie rechtzeitig ein Muli bekommen – die muss man mindestens ein Jahr im Voraus reservieren. Also heckten wir den Plan aus, dass ich seinen Platz einnehme. Es war perfekt. Und ich kannte mich hier aus, denn ich war mit Ben schon hier im Canyon, bevor ich den Muliritt gemacht habe.«

»Warum?«, wollte Kettler wissen.

Roth deutete auf das Werkzeug, den Schutzanzug und den Proviant. »Sie können eine solche Waffe nicht mit einem Schraubenzieher öffnen, und als Schutz brauchen Sie auch ein bisschen mehr als eine Schwimmbrille. Hinzu kommen Proviant, Wasserfilter und andere Utensilien. Ich konnte das viele Gepäck nicht beim Maultierritt nach unten bringen, also haben wir die Sachen unweit der Phantom Ranch versteckt. In der Nacht, als ich für alle Welt verschwunden bin, habe ich mit dem Muli die Ausrüstung in die Nähe meines Zielorts transportiert. Den Rest des Weges habe ich die Sachen getragen.«

»Und warum haben Sie das Maultier getötet?«, hakte Kettler nach.

»Es stürzte von einem Felsen und hat sich die Vorderläufe gebrochen. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich sowieso vor, das Tier zu töten. Ich hatte ein Betäubungsmittel dabei, um es auf humane Weise zu machen.«

»Aber warum?«, beharrte Kettler.

»Wir waren weit weg von der Phantom Ranch. Das Maultier wäre niemals lebend zurückgekommen. Irgendwann wäre es von Raubtieren getötet worden. Ich wollte nicht, dass es leiden muss.«

»Und warum haben Sie dem Tier die Buchstaben J und K eingeritzt?«, wollte Pine wissen.

»Ich konnte nicht wissen, ob ich lebend zurückkomme. Normalerweise ist es unklug, sich allein in den Grand Canyon zu wagen. Für den Fall, dass ich im Canyon sterbe – durch Schlangenbiss, Absturz, Dehydrierung, was auch immer –, sollte jemand erfahren, dass es um etwas geht, das in einer Höhle versteckt ist. Deshalb das J und K. Es steht für Jordan und Kinkaid.«

»Sie wussten von der Jordan-Kinkaid-Expedition?«

»Ja.«

»Zwei Buchstaben im Fell eines Mulis, die auf eine verborgene Höhle im Grand Canyon hinweisen?«, sagte Pine. »Nicht gerade ein großartiger Tipp.«

Roth lachte bitter auf. »Was sollte ich denn schreiben? ›Hey, Leute, in einer Höhle da unten liegt eine Atombombe?‹ Es hätte ja sein können, dass die falschen Leute das tote Maultier finden.«

»Und dann haben Sie das Muli auf die Seite gedreht, um zu verhindern, dass Aasfresser sich darüber hermachen?«, fragte Kettler.

»Ja. Sonst wäre von meinem kostbaren Hinweis nach wenigen Stunden nichts mehr übrig geblieben.«

Pine schaute ihn fragend an. »Und die drei schwer bewaffneten Männer, die mir draußen vor der Höhle aufgelauert haben? Sie hätten die Bombe doch holen können, oder sehe ich das falsch? Die Friedensgespräche sind gescheitert. Warum haben die Hintermänner ihren Plan nicht in die Tat umgesetzt? Dann hätte der Medienrummel längst begonnen.«

»Natürlich wollten sie die Bombe so schnell wie möglich bergen«, erwiderte Roth. »Nur haben sie das gute Stück nicht gefunden.«

Pine runzelte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz einfach«, sagte Roth. »Das hier ist nicht die Höhle, in der die Bombe ursprünglich versteckt war.«

»Was?« Pine riss die Augen auf. »Aber …«

»Ich selbst habe die Bombe hierhergeschafft.«

»Sie haben das Ding von einer Höhle in die andere geschleppt? Wie haben Sie das geschafft?«

Statt einer Antwort holte Roth eine Art Hightech-Rucksack mit einem speziellen Tragegestell aus einem dunklen Winkel der Höhle.

»Die Bombe ist nicht so schwer, wie Sie vielleicht glauben. Ich habe diese Tragevorrichtung selbst entwickelt. Ich hatte sie in ihre Einzelteile zerlegt, und Ben hat sie zu Fuß in den Canyon gebracht und in einem Versteck deponiert. Nachdem das Muli tot war, montierte ich das Tragegestell und brachte damit meine Ausrüstung Stück für Stück hierher – und dann auch die Bombe.«

»Und woher wussten Sie von dieser Höhle?«

»Ich bin früher oft hier im Canyon gewandert, auch abseits der Wege. Bei einer dieser Wanderungen habe ich diese Höhle entdeckt. Als mir klar wurde, dass die Bombe ganz in der Nähe versteckt war, beschloss ich, sie herzuschaffen. Außerdem hatte ich ein Tarnnetz dabei, mit dem ich den Eingang verbergen konnte, wenn ich die Höhle verließ.«

»Warum haben Sie die Höhle überhaupt verlassen?«, fragte Pine. »Haben Sie Wasser gebraucht? Wahrscheinlich sind Sie seit Tagen hier unten.«

»Richtig«, bestätigte Roth. »Ganz in der Nähe gibt es eine Quelle, und ich habe Wasserfilter dabei. Außerdem werden einige meiner Werkzeuge mit Solarbatterien betrieben – die musste ich gelegentlich aufladen.«

»Und seit Sie hier unten sind, arbeiten Sie an dieser Bombe?«, fragte Pine.

»Eine solche Apparatur zu demontieren und wieder zusammenzubauen ist eine langwierige und mühsame Angelegenheit, vor allem, wenn man allein ist.«

»Mich wundert, dass die Höhle mit der Bombe nicht rund um die Uhr von Soldaten bewacht wurde«, meinte Pine. »Dann wären weder Sie noch sonst jemand an das Ding herangekommen.«

»Das konnten die Leute hinter den Kulissen nicht riskieren«, erwiderte Roth. »Hätte jemand mitbekommen, dass Soldaten eine Höhle hier im Grand Canyon bewachen, hätte das gewaltiges Aufsehen erregt. Es hätte den ganzen Plan zunichtegemacht. Alles musste stimmen, damit die Strippenzieher damit durchkommen. Anschließend wären sie zum geeigneten Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gegangen und hätten einen Riesenzirkus veranstaltet.«

»Und dieser aus Sicht der Hintermänner geeignete Zeitpunkt war gekommen, als die Friedensgespräche geplatzt waren, nicht wahr?«, sagte Pine. »Damit war der Weg frei für ihren Plan.«

»Ja. Und hätte irgendein Augenzeuge vorher bewaffnete Männer bei der Höhle gesehen – wie hätten diese Männer dann glaubwürdig behaupten können, zufällig auf die Bombe gestoßen zu sein?« Mit einem Lächeln fügte Roth hinzu: »Ich hätte zu gern ihre Gesichter gesehen, als sie in ihre Höhle kamen und feststellen mussten, dass die Bombe verschwunden ist.«

»Sie haben die Bombe also von der Stelle, an der sie deponiert war, hierhergetragen«, sagte Pine.

Roth nickte. »Mit einiger Mühe, muss ich zugeben.«

»Und die Soldaten haben die ganze Gegend danach abgesucht. Und nach Ihnen.«

»So muss es gewesen sein«, bestätigte Roth.

»Der Wortführer der Männer sagte mir, er und die anderen seien mir gefolgt, in der Hoffnung, dass ich sie zu Ihnen führe«, erklärte Pine.

»Was Sie dann ja auch unfreiwillig getan haben«, erwiderte Roth. »Gott sei Dank konnten Sie diese Kerle aufhalten, bevor sie hier reinkamen.« Er schüttelte den Kopf. »Wir waren ziemlich nahe am Abgrund.«

»Wir stehen immer noch am Abgrund«, widersprach Pine und schaute auf die Bombe. »Was haben Sie jetzt vor?«

»Ich werde alles dokumentieren. Die Bombe lasse ich hier. Ich verschließe die Höhle, verlasse den Canyon auf schnellstem Weg und gehe mit dem, was ich entdeckt habe, an die Öffentlichkeit, ohne das Versteck der Bombe zu verraten. Ich war gerade mit der Arbeit hier fertig, als Sie kamen.«

»Aber die Leute, die hinter der Sache stecken, könnten ein Team herschicken, das die Bombe sucht. Und wenn sie gefunden wird, könnten diese Leute immer noch versuchen, ihren Plan durchzuziehen. Falls Sie dann der Öffentlichkeit erzählen, was wirklich geschehen ist, werden die Sie als Verräter oder Verrückten hinstellen. Oder Sie würden einfach verschwinden.«

»Ich weiß.« Roth verzog das Gesicht. »Ich kann aber nicht mit einer Bombe im Gepäck aus dem Canyon steigen. Das schafft niemand.«

»Vielleicht könnten wir einen Hubschrauber des Park Service anfordern«, schlug Kettler vor.

Pine schüttelte den Kopf. »Nein, diese Leute überwachen garantiert die Kommunikation in der Gegend.«

»Aber hier liegen lassen können wir das Mistding auch nicht«, erwiderte Kettler. »Es kann vielleicht nicht detonieren, aber es ist radioaktives Material darin, oder?«

Roth nickte. »Das könnte tatsächlich ein Problem werden, falls die Bombe beschädigt wird.«

Pine trat näher an die Bombe heran und betrachtete sie. »Sie sagen, die Russen haben das Ding geliefert?«

»Ja.«

»Dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich mit vagen Versprechungen zufriedengeben … mit der Aussicht auf nordkoreanische Kohle oder so etwas.«

Roth trat näher heran. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Ist Ihnen irgendwas Ungewöhnliches an dieser Bombe aufgefallen?«

»Etwas Ungewöhnliches? Wie meinen Sie das?«

»Sie haben schon viele Atomwaffen untersucht, Mr. Roth. Hat diese hier irgendeine Besonderheit, die Ihnen so noch nicht untergekommen ist?«

Roth betrachtete die Waffe einen Moment lang. »Ja, schon. Diese Teile hier sind außergewöhnlich.« Er deutete auf mehrere kleine Nieten in der Metallhülle. »Die finden Sie auf jeder Seite. Ich dachte, dass sie vielleicht zur Verstärkung dienen, obwohl sie nicht wirklich notwendig sind.«

Pine fuhr mit der Hand über eine der Stellen und klopfte mit den Fingerknöcheln dagegen. »Hier ist es hohl.«

Roth betrachtete die Stelle stirnrunzelnd. »Damit habe ich mich nicht weiter beschäftigt.«

Sie ging um die Waffe herum, betrachtete eine Niete nach der anderen im Licht ihrer Taschenlampe und blickte zu Roth auf. »Auf jeder Seite gibt es eine Niete, die ein bisschen anders aussieht.« Sie deutete auf eine Niete. »Können Sie hier ein Stück herausschneiden?«

»Das soll ein Witz sein, oder?«, fragte Roth.

»Haben Sie eine bessere Idee?«, fragte Pine zurück.

Roth nahm eine Metallschere vom Werkzeughaufen. Er grinste verzerrt. »Falls wir jetzt einen Fehler machen, sind wir unser Leben los und die USA den Grand Canyon.«

Vorsichtig durchschnitt er das Blech. Darunter kam ein kleines elektronisches Gerät zum Vorschein.

»Was, zum Henker …«, stieß Roth hervor.

»Wenn Sie ein modernes Auto fahren, kennen Sie die Dinger«, sagte Pine. »Kleine runde Scheiben, die auf allen Seiten eingebaut sind.«

Roth betrachtete das winzige Gerät in der Bombenhülle. »Im Auto … das sind Kameras. Wollen Sie damit sagen, das hier ist eine Art Kamera?«

»Ja.« Pine hielt das Metallteil hoch. »Das Objektiv ist als Niete getarnt. Wahrscheinlich ist eine Abhörvorrichtung integriert.«

»Wozu soll das gut sein?«, fragte Kettler.

»In meiner Zeit im Washington Field Office hatte ich mal einen Fall, da ging es um einen russischen Spionagering. Ich musste in der Ukraine ermitteln. Unsere Leute wiesen uns darauf hin, dass möglicherweise unser Hotelzimmer überwacht wird und wir dementsprechend vorsichtig sein sollen. Ich schlief angezogen, benutzte mein Handy nie im Zimmer und habe drinnen nie über etwas gesprochen, was mit dem Auftrag zu tun hatte. Die Russen haben eine Vorliebe für diesen Überwachungskram. Als wir dort ein Botschaftsgebäude bauen ließen, machten wir den Fehler, russische Firmen damit zu beauftragen. Es stellte sich heraus, dass die Botschaft eine einzige große Kamera mitsamt Rekorder war.«

»Aber warum sollten die Russen in dieser Bombe ein Überwachungssystem installieren?«, fragte Roth.

»Damit haben sie aufgezeichnet, wie unsere Leute die Bombe hier platziert haben, nicht die Nordkoreaner. Das Material ist inzwischen garantiert in einer russischen Datenbank gespeichert.«

»Verdammt!«, fluchte Kettler. »Wollen Sie damit sagen …«

»Falls wir tatsächlich auf der Basis getürkter Beweise einen Krieg vom Zaun brechen …«

Kettler brachte den Satz für sie zu Ende: »Hätten die Russen hieb- und stichfeste Beweise, dass wir die Welt belogen haben.«

»Sie nennen das Kompromat«, fügte Pine hinzu und blickte Roth fragend an. »Was glauben Sie, wie viel die Russen als Gegenleistung für ihr Schweigen von uns verlangen könnten?«

Roth ließ sich mit dem Rücken gegen die Felswand sinken. »Alles, was sie wollen.«

»Sehen Sie?«

Roth starrte entsetzt auf die Bombe. Im Flüsterton sagte er: »Glauben Sie, die hören immer noch mit?«

Pine schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. Hier unten gibt es keinen Handyempfang, und auch ein Satellitensignal kann diese Felsen nicht durchdringen.«

»Aber wie könnten die Russen belastendes Material sammeln, um die USA zu erpressen?«

»Das haben sie schon, lange bevor die Bombe in diese Höhle gelangt ist. Das Ding musste ja in die Staaten geliefert und dann hierhertransportiert werden. Die Russen haben todsicher aufgezeichnet, wie die Waffe von amerikanischer Seite in Empfang genommen wurde und wie Amerikaner in Uniform sie in ein Flugzeug verladen haben, um sie nach Arizona zu bringen. Möglicherweise haben sie auch Aufzeichnungen, auf denen zu sehen ist, wie die Bombe mit einem Hubschrauber in den Canyon geflogen wird. Es gibt also reichlich Bild- und Tonmaterial, das belegen kann, wie tief die USA in diese Sache verstrickt sind.« Sie warf einen Blick auf die Bombe. »Sicherheitshalber sollten wir auch die anderen Kameras unbrauchbar machen.«

Roth griff erneut zur Blechschere und entfernte mit Pines und Kettlers Hilfe auch die anderen Überwachungsgeräte aus der Bombenhülle. Pine verstaute die Mini-Kameras in ihrem Rucksack.

»Und was jetzt?«, fragte Roth.

»Ich weiß, Sie hatten andere Pläne – aber wir sollten diese Bombe aus dem Canyon bringen«, sagte Pine entschlossen.

»Warum?«, wollte Roth wissen.

»Weil wir diese Überwachungssysteme als Druckmittel benutzen können.«

»Und wie stellen Sie sich das vor?«, fragte Roth.

Bevor Pine antworten konnte, hörten sie ein unverkennbares Geräusch. Sie eilten nach vorn zum Eingang der äußeren Höhle. Hier hörten sie das Knattern noch deutlicher.

»Ein Hubschrauber!«, zischte Roth.

»Und der kommt sicher nicht, um uns zu bergen«, sagte Pine.