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Der Mann folgte Pine und Blum in eine Linkskurve und behielt den Wagen fest im Blick.
Der Kia bog erneut links ab, dann rechts. Der Verfolger schaffte es gerade noch über die Kreuzung, bevor die Ampel auf Rot schaltete. Für einen Moment verlor er den Kia aus den Augen, war aber nach kurzer Zeit wieder dran und folgte Pine in eine Seitenstraße. Kaum war der Mann auf Sichtweite heran, lenkte sie den Kia in eine Parklücke.
Der Mann reagierte sofort. Er fand seinerseits einen freien Parkplatz, stellte den Motor ab und wartete.
Sekunden später stieg Blum aus dem Wagen.
Der Mann schaute auf die Uhr und lehnte sich im Sitz zurück.
Im nächsten Moment wurde die Beifahrertür aufgerissen. Der Mann starrte in die Mündung einer Pistole.
Pine stieg neben ihm ein. »Na so was«, sagte sie. »So schnell sieht man sich wieder.«
Es war der Mann, der ihnen in der Society for Good die Tür geöffnet und sie in Fabrikants Büro geleitet hatte.
Der Mann schaute von Pine zu Blum, die neben dem Fenster auf der Fahrerseite auftauchte, ehe sie hinten einstieg.
»He, was soll das?«, protestierte er. »Das ist illegal.«
Pine zückte ihre Dienstmarke. »Das gute Stück hier gibt mir das Recht, jeden zur Rede zu stellen, der sich verdächtig aufführt.«
»Verdächtig? Wieso?«
»Was wollen Sie hier?«, fragte Pine.
»Mit Ihnen sprechen.«
»Worüber?«
»Ben Priest. Ich kenne ihn.«
Pine ließ die Pistole sinken. »Okay. Aber zuerst würde ich gern Ihren Namen wissen.«
»Will Candler.«
»Gut. Dann schießen Sie mal los.«
»Ben war …« Candler räusperte sich und umfasste das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. »Er war an irgendeiner großen Sache dran. Etwas Brandgefährliches.«
»So viel weiß ich auch«, versetzte Pine. »Kommen Sie zur Sache.«
»Vor ein paar Wochen war Ben einmal spätabends im Büro. Er war so sehr von der Rolle, dass ich ihn gefragt habe, ob irgendwas nicht stimmt.«
»Und?«, fragte Blum. »Was hat er gesagt?«
»Anfangs hat er die Sache heruntergespielt und behauptet, dass alles in Ordnung sei. Aber ich ließ nicht locker. Ich sagte ihm, ich könne ihm vielleicht helfen. Ich bin schon ziemlich lange in Washington, müssen Sie wissen, und habe für mehrere Regierungen gearbeitet. Ich habe gute Kontakte. Außerdem war ich in verschiedenen Funktionen im Ausland tätig.«
»Hat Ben Ihnen erzählt, worum es geht?«
»Leider nur wenig. Er war immer schon verschwiegen und hat nicht viele Freunde. Die Arbeit ist sein Leben.«
»Ich weiß. Sie ist ihm sogar wichtiger als seine Familie.«
»Ben hat von einer riesigen Verschwörung gesprochen, die katastrophale Schäden anrichten könne, mit globalen Konsequenzen. Wie ich es verstanden habe, wollte er verhindern, dass es so weit kommt.«
»Er hat Ihnen aber nicht erzählt, worum genau es geht?«, hakte Pine nach.
»Nein.«
Blum meldete sich zu Wort. »Aber die Leute, die hinter dieser Verschwörung stecken, dürften inzwischen mitbekommen haben, dass Priest davon weiß. Also werden sie sich hüten, ihren Plan in die Tat umzusetzen.« Sie wandte sich an Pine. »Oder sehe ich das falsch?«
Candler schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Leute, die über Macht verfügen, oft einsame Entscheidungen treffen und die Dinge nicht immer realistisch sehen.«
»Weil solche Leute besoffen sind von ihrer Macht und glauben, mit allem durchzukommen«, sagte Blum.
»So könnte man sagen, ja.«
Pine dachte an den Army-Hubschrauber, der in Arizona gelandet und wenige Minuten später mit den verletzten Priest-Brüdern an Bord weggeflogen war. Und an die beiden Russen in Ben Priests Haus. An die falschen Feds in Simon Russells Haus. Und schließlich an Sung Nam Chung, den Koreaner, der als Killer für wechselnde Auftraggeber tätig war. Falls tatsächlich jemand einen Staatsstreich plante, stellte sich die Frage, wer wann wo zuschlagen würde. Und für wen arbeitete Chung?
»Irgendetwas müssen wir tun können«, sagte Blum in die Stille hinein.
Candler schüttelte den Kopf. »Ich bin Wissenschaftler, nicht Jason Bourne.«
Pine warf Blum einen kurzen Blick zu, ehe sie sich wieder an Candler wandte. »Danke für die Information. Falls Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich unter dieser Nummer erreichen.«
Sie schrieb ihre Handynummer auf ein Stück Papier und gab es ihm.
Als die beiden Frauen aus dem Wagen stiegen, sagte Candler: »Eine Sache noch.«
»Ja?« Pine drehte sich zu ihm um.
»Mr. Fabrikant hat gleich nach Ihnen das Haus verlassen. Ich hörte ihn noch sagen, er müsse dringend weg.«
»Wohin?«
»Das habe ich nicht verstanden, aber ich habe seine Sekretärin gefragt. Sie organisiert seine Reisen.«
»Wusste sie, wohin er fährt?«
»Ja. Sie sagte, er habe es ganz kurzfristig beschlossen. Er ist zu ihr ins Büro gekommen, gleich nachdem Sie weg waren.«
»Wo will er hin? Bitte, sagen Sie jetzt nicht, nach Nordkorea.«
»Nein. Nach Moskau. Noch heute Abend.«