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Kelsey saß steif auf dem Sofa in ihrem Zimmer. Derek ging mit unergründlicher Miene auf und ab.

Elizabeth saß neben Kelsey. Und das war der Grund, warum Kelseys Gesicht flammendrot war. Jetzt wuß-

ten beide die Wahrheit. Und sie schämte sich so sehr, daß sie fast aus dem Zimmer gelaufen wäre – ein paarmal schon.

»Du hättest zu mir kommen sollen, Kelsey«, sagte Elizabeth gerade. »Ich hatte mehr als genug Geld, um Elliotts Schulden zu bezahlen. So etwas hätte nicht zu passieren brauchen.«

»Das wußte ich damals nicht«, erwiderte Kelsey. »Weder Elliott noch ich hatten eine Ahnung, daß du soviel Geld besitzt.«

Elizabeth seufzte. »Ich weiß. Und du wolltest dich opfern, um uns alle zu schützen. Es macht mich nur rasend,

daß

das

überhaupt

passieren

mußte.

Ich

schwöre dir, ich hätte Elliott erschossen, wenn eine Pistole zur Hand gewesen wäre.«

»Ich habe nicht gedacht, daß er dir alles gesteht.«

»Sein Schuldgefühl machte ihm zu schaffen, nehme ich an. Er weiß, daß er die Grenzen überschritten hat. Und er hat dir das Ganze mit Vorbedacht vorgeschlagen, Liebes. Das hat er auch zugegeben. Daß er verzweifelt war, ist absolut keine Entschuldigung.«

»Wo ist er jetzt?«

»Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht«, sagte Elizabeth kühl. »Ich habe ihn aus meinem Haus hinausgeworfen.

Diese

Ungeheuerlichkeit

werde

ich

ihm niemals verzeihen.«

»Ich habe mich ja selbst dazu entschlossen, Tante Elizabeth. Er hat mich nicht gezwungen, mich zu verkaufen.«

»Verteidige ihn bloß nicht ...«

»Dann tue ich es«, unterbrach Derek. »Ich bin verdammt glücklich, daß er das getan hat, aus welchen Gründen auch immer er so gehandelt haben mag.«

»Derek!« rief Kelsey aus.

»Doch, ich bin glücklich«, beharrte er. »Es tut mir leid, daß du solche Ängste ausstehen mußtest, aber es tut mir nicht leid, daß ich dir begegnet bin, Kelsey. Ich hätte dich sonst nie kennengelernt.«

Sein Gesichtsausdruck war jetzt keineswegs mehr unergründlich, er sah im Gegenteil recht leidenschaftlich aus. Er meinte es wirklich ernst. Irgendwie erregte sie das – und sie wurde über und über rot.

»Egoist«, murmelte Elizabeth. »Und am Thema vorbei.

Kelsey kommt mit mir nach Hause. In ein oder zwei Jahren, wenn diese Angelegenheit in Vergessenheit geraten ist, wird sie ordentlich in die Gesellschaft eingeführt.«

»Nein«, sagte Derek geradeheraus. »Wenn Sie möchten, daß ich ihr richtig den Hof mache, dann bin ich einverstanden. Aber ich werde nicht mehr ein oder zwei Jahre warten ...«

»Junger Mann«, unterbrach Elizabeth ihn streng, »diese Entscheidung haben nicht Sie zu treffen, und ich glaube auch nicht, daß ich irgend etwas davon sagte, daß meine Nichte Sie heiraten wird.«

Kelsey schnappte nach Luft, als er ihre Tante finster ansah. »Madam, Sie wissen sehr wohl, daß ich Kelsey durch meine Beziehung zu ihr völlig kompromittiert habe. Warum zum Teufel bestehen Sie nicht darauf, daß ich sie heirate?«

»Weil ich überhaupt nicht darauf bestehe, daß sie jemanden heiratet. Sie muß entscheiden, wann und wen sie heiraten will, und bis jetzt habe ich noch nicht gehört, daß sie Sie heiraten möchte.«

Kelsey mußte sich die Hand vor den Mund halten, damit niemand ihr Lächeln sah. Diese beiden Starrköpfe waren ... nun, zumindest erstaunlich. Und sie kannte ihre Tante. Elizabeth war entschlossen, es Derek nicht leichtzumachen. Wahrscheinlich hielt sie ihn längst für eine ideale Partie für Kelsey. Aber das würde sie niemals zugeben.

Sie seufzte, weil Derek sie nun ansah und auf eine Antwort wartete, und ihre Antwort war immer noch die gleiche. »In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert, Derek. Ich bin nicht so zuversichtlich wie meine Tante, daß die Angelegenheit in Vergessenheit geraten wird.

An dem Abend waren Männer da, die dich kennen, sie haben dich mit Namen angeredet, und sie wissen, daß ich deine Mätresse geworden bin. Sie wären entsetzt, wenn du mich heiraten würdest. Und sie würden ganz sicher nicht schweigen.«

»Wie oft muß ich es dir noch sagen, Kelsey? Ich schere mich den Teufel um jeden Skandal, der uns betrifft.«

»Das stimmt nicht, und du weißt es«, erwiderte sie.

»Du hast bisher Skandale immer sorgfältig vermieden, weil dein Vater sie so verabscheut.«

»Mein Vater ist jetzt dafür, daß wir heiraten«, sagte er steif.

Sie blinzelte. »Hat er seine Meinung geändert, weil vor meinem Namen jetzt ›Lady‹ steht?«

»Nein, wegen meiner Mutter. Ich glaube, er wollte sie vor langer Zeit heiraten, aber er ließ sich von Konven-tionen leiten, und das bedauert er nun.«

»Aber die Unterstützung deines Vaters ändert nichts an ...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Regina Eden wartete gar nicht auf ein »Herein«, sondern steckte grinsend den Kopf durch die Tür. »Oh gut, ich störe nicht«, sagte sie und kam herein.

»Reggie, wir führen gerade ein ziemlich privates Gespräch.« Derek schüttelte den Kopf.

»Tatsächlich?« Sie heuchelte Überraschung. »Oh, du meine Güte – nun, ich brauche nicht lange. Ich dachte nur, du solltest von dem Skandal erfahren, der morgen losbrechen wird.«

»Noch ein Skandal?« Er seufzte. »Was ist jetzt schon wieder?«

»Nun, ich weiß aus bestunterrichteten Kreisen, daß morgen ein Gerücht in London umgehen wird, daß Derek Malorys langjährige Verlobte ...« Sie machte eine Pause und blickte Kelsey an. »Wußten Sie, daß die beiden seit ihrer Geburt verlobt waren? Nun, jedenfalls hat sich die junge Dame solche Sorgen gemacht, ob er sie überhaupt heiraten wollte, daß sie beschloß, ihn zu zwingen, seine wahren Gefühle preis-zugeben.«

»Reggie, wovon redest du eigentlich?« fragte Derek un-gläubig. »Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht verlobt gewesen!«

»Natürlich bist du das, Cousin, und laß mich bitte aus-reden. Dieses Ondit wird noch viel besser.«

»Sie hat den Verstand verloren«, versicherte Derek, an Kelsey gewandt. »Ich schwöre, ich habe keine Verlobte ...«

»Oh, sei still, Vetter, jetzt hast du eine«, warf Reggie grinsend ein. »Nun, wie ich gerade sagte, diese junge Dame ist ein ziemlicher Wildfang und denkt sich gerne Streiche aus – das habe ich auch gerne gemacht, als ich noch jünger war –, und daher beschloß sie, sie könne nur herausbekommen, was Lord Malory wirklich für Sie empfindet, wenn sie ihn zwingen würde, sie zu kaufen, und zwar auf einer Versteigerung.

Stellt euch das vor! Ausgefallen, ich weiß, aber das arme Mädchen liebt ihn so sehr, daß sie nicht mehr klar denken konnte. Und natürlich bezahlte er, um sie auszu-lösen, eine Riesensumme, wie ich hinzufügen möchte.

Das ist so romantisch, findet ihr nicht auch? Natürlich hat er sie sofort wieder zu ihrer Tante zurückgebracht und das Hochzeitsdatum festgelegt, um sicherzugehen, daß sie nicht noch einmal etwas so Törichtes tut.«

Derek war hingerissen. »Du lieber Gott, Reggie, du hast das Problem tatsächlich gelöst – und wirklich brillant!«

Sie strahlte ihn an. »Nicht wahr? Übrigens, selbst Onkel Edward ist der Meinung, dieser Skandal sei so albern, daß er nur ein paar Männer zum Schmunzeln bringen wird. Die Damen, nun, sie werden es romantisch finden, genau wie ich.«

»Das stimmt wahrscheinlich«, pflichtete Elizabeth ihr bei. »Es hat einen gewissen Reiz – dieser junge Mann, der das Mädchen vor seiner eigenen Dummheit bewahren muß.«

»Kelsey?« sagte Derek. »Dieser Skandal ist nichts im Vergleich zu der Wahrheit, die niemand je erfahren wird.«

Sie wußte, was er von ihr hören wollte, antwortete aber nicht sofort, sondern dachte eine Zeitlang darüber nach, daß der Grund, aus dem sie ihn nicht hatte heiraten wollen, nun nicht mehr zählte. Und der Grund, den sie ihm nicht genannt hatte, war nun ihr einziges Hindernis auf dem Weg zum Glück.

Sie sprudelte ihn heraus. »Du erwartest von mir, daß ich einen Mann heirate, der mir noch nie gesagt hat, daß er mich liebt?«

Derek starrte sie ungläubig an. Regina verdrehte die Augen. Elizabeth dagegen kicherte und sagte: »Männer sind in dieser Beziehung so nachlässig. Sie sagen es allen anderen, nur nicht der einen, die es gerne hören möchte.«

»Frauen aber auch«, erwiderte Derek und sah Kelsey mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Oder habe ich es jemals von dir gehört?«

Kelsey errötete. »Ich war wohl genauso nachlässig.«

»Wahrscheinlich sollten wir jetzt gehen«, meinte Reggie zu Elizabeth.

»Ganz richtig.«

Kelsey schaute immer noch Derek an. Sie hörte noch nicht einmal, wie sich die Tür hinter ihrer Tante und ihrer Freundin schloß. Er ergriff ihre Hand, zog sie auf das Sofa und küßte die Hand sanft.

»Sag es, Liebes. Sag, daß du mich liebst.«

»Ich liebe dich«, gestand sie ihm. »Sehr.«

Er lächelte sie an. »Das wußte ich. Und du wußtest, daß ich dich liebe. Du hast es gewußt, seit ich dich zum ersten Mal fragte, ob du mich heiraten willst. Warum sonst sollte ich dich zur Frau haben wollen?«

Sie seufzte und schmiegte sich an ihn. »Wer weiß schon, was einen Mann bewegt? Ich bestimmt nicht. Ich mußte es hören, Derek.«

Er zog sie nahe an sich heran. »Dummes Mädchen. Ich werde es dir von jetzt an ständig sagen.«