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Sie sah so zerbrechlich aus, wie sie dalag, die Haare feucht von Schweiß, mit Schweißtropfen auf der blas-sen Stirn und den Wangen. Ihr Atem ging stoßweise.
Aber Derek wußte, daß an Kelsey Langton nichts Zerbrechliches war. Sie hatte ein ganz schönes Temperament, auch wenn sie krank war. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie erst war, wenn es ihr gutging.
Dabei konnte er es ihr nicht verdenken, daß sie ihn mit einem
Kerzenleuchter
angegriffen
hatte,
nach
allem,
was ihr zugestoßen war. Er hatte seinen Kutscher nach Bridgewater zurückgeschickt, um zu erfahren, was geschehen war, und dieser hatte ihm gestern abend die Geschichte erzählt. Derek hatte nicht wissen können, daß die Zofe, die er angewiesen hatte, das Lebensnotwendige in das Cottage zu bringen, bereits von der Haushälterin entlassen worden war und deshalb keinen Anlaß sah, seinen Wünschen Folge zu leisten oder jemand anderen zu beauftragen. Sie hatte einfach ihre Sachen gepackt und war gegangen. Und auch Kelsey hatte davon natürlich keine Ahnung gehabt.
Derek hatte es ihr bis jetzt noch nicht erzählen können.
Sie war seit dem Abend noch nicht bei Bewußtsein gewesen.
Die
vom
Arzt
verordneten
Medikamente
hatten die Erkältung zwar wirksam bekämpft, aber der Arzt hatte auch davor gewarnt, daß wahrscheinlich noch eine Krise bevorstünde, ehe es zu einer Besserung käme. Jetzt jedoch hatte sie das Fieber überwunden und schlief friedlich. Es war eine lange Nacht gewesen.
Die zwei Tage vorher waren sogar noch länger gewesen, da er praktisch nicht von ihrer Seite gewichen war, seit sie vor drei Tagen in seinen Armen ohnmächtig geworden war.
Sie war eine schwierige Patientin, reizbar und streitsüchtig, wollte nicht zulassen, daß er etwas für sie tat, sondern wollte aufstehen und alles selbst machen. Aber er hatte darauf bestanden, sie mit kühlenden, nassen Lappen abzuwischen, zumindest die Körperteile, die sie ihm enthüllte, und ihr Mahlzeiten zu bringen, so wenig appetitlich sie auch waren. Er war in der Küche ziemlich unerfahren.
Heute sollte sich eine Köchin vorstellen. Er hatte seinen Kutscher zu einer Personalvermittlung geschickt, damit er jemanden einstellen konnte, bevor er nach Bridgewater zurückkehrte. Er würde engagieren, wer auch immer sich vorstellte, denn so bald wollte Derek keinen Fuß mehr in eine Küche setzen. Die anderen Dienstboten konnten warten, bis Kelsey wieder in der Lage war, sie selbst zu prüfen.
Die Nacht voller Leidenschaft, die er sich bei ihrer Rückkehr nach London vorgestellt hatte, war anders verlaufen, als von ihm erhofft. Letzten Endes hatte er Amys Empfang an diesem Abend nur so früh verlassen, um mit leidenschaftlicher Wut empfangen zu werden.
Aber sie hatten schließlich alle Zeit der Welt, wo er sie jetzt in London gut untergebracht wußte.
Kelsey erwachte vom Sonnenlicht, das das Zimmer überflutete. Derek hatte am Abend zuvor mal wieder vergessen, die Vorhänge zu schließen. Er hatte allerdings zahlreiche solcher Kleinigkeiten übersehen, Dinge, für die normalerweise die Dienstboten sorgten. Es spielte jedoch keine Rolle, schließlich hatte er nur helfen
wollen.
Selbstverständlich,
daß
er
Schuldgefühle
empfand, obwohl er eigentlich gar keinen Anlaß dazu hatte. Aber er wollte immer noch etwas wiedergutmachen, und das sprach für ihn.
Als sie am zweiten Morgen erwachte, war auch er in ihrem Zimmer. Am Tag zuvor hatte er sie mit Tee, Fleischbrühe und Medikamenten begrüßt. Heute morgen war er nicht nur da, er lag sogar in ihrem Bett.
Es war eine ziemliche Überraschung für sie, ihn beim Aufwachen neben sich liegen zu sehen. Sie zermarterte sich den Kopf, ob es vielleicht einen anderen Grund für seine Anwesenheit in ihrem Bett gab als den, daß er einfach zu müde gewesen war, um sich ein anderes Bett zu suchen. Aber sie konnte sich an nichts erinnern als die leichte Mahlzeit, die sie am Abend zuvor kaum herun-terbekommen hatte, und an ihr hohes Fieber.
Heute morgen allerdings ging es ihr wesentlich besser.
Sie fühlte sich zwar noch ein bißchen schwach, nachdem sie zwei Tage ans Bett gefesselt gewesen war, aber das Fieber war weg. Ihr war sogar zum ersten Mal seit ein paar Tagen ein wenig kalt. Sie stellte fest, daß das Feuer im Kamin bis auf wenige Scheite herunterge-brannt und daß ihr Nachthemd feucht war vom nächtlichen Schwitzen.
Es war eine große Versuchung, sich an den Körper neben ihr zu kuscheln, um wieder warm zu werden, aber sie brachte es nicht über sich, obwohl Derek schlief. Er mochte sie ja in den letzten Tagen gepflegt haben, mochte bald ihr Liebhaber sein, aber sie kannte ihn schließlich kaum – und sie wünschte, es wäre ihr nicht eingefallen, daß er bald ihr Liebhaber sein würde.
Allein der Gedanke daran war ihr unbehaglich, vor allem, wo er jetzt neben ihr lag. Nun ja, unbehaglich vielleicht nicht – eher körperlich verwirrend. Plötzlich war sie sich allzu sehr dessen bewußt, daß er ein großer, gutaussehender Mann war, und da er schlief, konnte sie ihn in Ruhe betrachten.
Er lag auf der Decke auf dem Rücken, einen Arm ange-winkelt über seinem Kopf, den anderen schlaff neben sich. Die langen Ärmel seines Hemdes waren bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, und auf seinen Unterarmen kräuselten sich die gleichen goldenen Haare wie auf seinem Kopf. Er hatte ziemlich ausgeprägte Unterarm-muskeln, seine Handgelenke waren kräftig und seine Hände groß.
Ein weiteres Büschel goldener Haare lugte auf seiner Brust unter dem offenen Hemdkragen hervor. Da ein Arm hinter dem Kopf lag, spannte sich sein Hemd, und sie konnte sehen, wie breit seine Brust war, wie hart und flach sein Bauch. Und seine Beine waren so lang, daß er mit den Füßen bis ans Ende des Bettes reichte. Er hatte seine Schuhe ausgezogen, die Socken jedoch ange-lassen.
Seine Kinnmuskeln waren jetzt im Schlaf entspannt, seine
festen
Lippen
nur
ein
wenig
geöffnet.
Er
schnarchte nicht, sie fragte sich jedoch, ob er es nicht manchmal tat. Wahrscheinlich würde sie es mit der Zeit herausfinden.
Sie sah lange, goldene Wimpern, die ihr vorher gar nicht aufgefallen waren, weil seine wandelbaren grünen Augen ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatten. Er runzelte die Stirn im Schlaf, offensichtlich träumte er etwas, was ihm nicht behagte. Fast hätte sie ihm mit den Fingern glättend über die Stirn gestrichen, aber sie traute sich nicht.
Sie wollte nicht, daß er neben ihr aufwachte. Absolut nicht. Ihre Lage war im Moment zu intim, und es war gar nicht auszudenken, auf welche Ideen er dabei kommen mochte – nun ja, vielleicht auch nicht. Sie sah wahrscheinlich ziemlich entsetzlich aus. Zwei Tage lang war sie nur feucht abgewaschen worden, und ihre Haare mußten dringend gewaschen werden, weil sie nachts immer so geschwitzt hatte. Zweifellos sah sie ganz entsetzlich aus.
Ein
Bad
wäre
jetzt wunderbar,
ein
entspannendes
heißes Bad. Sie spürte jeden Muskel und sehnte sich danach, sich die Haare zu waschen. Vielleicht konnte sie ja fertig sein, bevor Derek aufwachte, und dann würde sie zumindest anständig aussehen, wenn sie sich bei ihm für seine liebevolle, wenn auch ein wenig herrschsüchtige Pflege bedankte.
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, erstaunte es sie, daß er sich selbst um sie gekümmert hatte. Schließlich wäre das nicht nötig gewesen, er hätte eine Pflegerin engagieren können. Sie nahm allerdings an, daß er aus schlechtem Gewissen geblieben war, um ihr zu beweisen, daß er nicht so gefühllos und gedankenlos war, wie sie gedacht hatte.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, stand sie auf und griff nach ein paar Kleidungsstücken. Bevor sie die Ba-dezimmertür hinter sich schloß, warf sie noch einen letzten Blick auf ihn. Er schlief immer noch fest – zumindest war ihr nicht aufgefallen, daß er die Augen einen Spalt geöffnet hatte und sie beobachtete.
Das Bad tat wahre Wunder, anschließend fühlte sie sich wieder vollkommen gesund. Sie nahm sich sogar noch die Zeit, ihre Haare zu trocknen, bevor sie sich anzog.
Ihre Haare bürstend, trat sie wieder ins Schlafzimmer.
Sie hatte wohl doch ziemlich lange gebraucht, denn Derek war nicht mehr da. Das Feuer im Kamin brannte wieder und erfüllte den Raum mit angenehmer Wärme.
Allerdings hatte sie die Kälte vorher nicht mehr wahr-genommen, nachdem sie so lange Derek angeschaut hatte. Als sie sah, daß er sogar das Bett gemacht hatte, lächelte sie und wünschte sich inbrünstig, sie hätte ihn dabei beobachten können.
Es dauerte eine Zeitlang, bis sie ihre Haare wieder fest-gesteckt hatte, dann ging sie hinunter, um nachzusehen, ob Derek das Haus verlassen hatte. Aber das hatte er nicht. Er stand in der Küche und kochte Tee. Auf einem Tablett neben ihm stand ein Teller mit sechs Gebäck-stücken. Noch hatte er sich nicht umgezogen, Wahrscheinlich hatte er noch gar keine Kleidung zum Wechseln hier.
Sie lächelte, als er aufblickte und sie auf der Schwelle stehen sah. »Ich kann gar nicht glauben, daß Sie die Zeit gefunden haben, um zu backen«, sagte sie und wies auf den Kuchen.
Er schnaubte. »Ziemlich unwahrscheinlich, und ich will es lieber auch nie versuchen. Nein, ich habe gehört, wie ein Straßenhändler vorbeikam und bin hinuntergelau-fen, um nachzusehen, was er verkaufte. Es war nur einfaches Gebäck, aber das reicht ja für diese Tageszeit, und es ist sogar noch warm.«
Sein »Ich will es lieber auch nie versuchen« war verständlich, wenn sie sich die katastrophale Unordnung in der Küche ansah. Als er ihren Gesichtsausdruck regi-strierte, während sie sich in der Küche umblickte, sagte er zu ihr: »Heute wird sich eine Köchin vorstellen ..
Was?« fügte er hinzu, als sie daraufhin noch entsetzter dreinblickte.
»Sie wird ihren Kopf hier hereinstecken und sofort wieder verschwinden«, prophezeite sie ihm.
Er runzelte die Stirn. »Unsinn«, meinte er, sagte dann aber: »Meinst du? Nun gut, ich werde es ihr schon schmackhaft
machen,
hierzubleiben.
Wenn
du
die
Köchin jedoch nicht gut findest, dann laß sie bitte nicht gehen, bevor du einen Ersatz für sie hast – es sei denn, du kannst selber kochen. Deine anderen Dienstboten kommen im Laufe der Woche, um sich vorzustellen.«
»Also bleibe ich wirklich hier?«
»Findest du das Haus nicht schön?«
Er sah so enttäuscht aus, daß sie ihm rasch versicherte:
»Natürlich finde ich es schön, ich wußte nur nicht genau, ob ich hierbleiben sollte.«
»Gott, habe ich das nicht gesagt? Nein? Also, ich habe einen Mietvertrag für sechs Monate abgeschlossen, der leicht verlängert werden kann. Wenn dir also irgend etwas nicht gefällt, Möbel oder so, können wir das ändern. Das hier wird dein Zuhause sein, Kelsey. Ich möchte, daß du dich hier wohl fühlst.«
Sie errötete bei der Erwähnung der Länge des Mietvertrags, der ja auch etwas mit der Dauer ihres Verhältnisses zu tun hatte – das noch nicht einmal richtig begonnen hatte. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bin sicher, ich werde mich hier wirklich wohl fühlen.«
»Hervorragend. Sollen wir denn jetzt dieses magere Mahl im Eßzimmer zu uns nehmen, wo es aufgeräumter ist?«
Sie lächelte und ging aus der Küche. Das Eßzimmer war besonders hübsch um diese Tageszeit, es lag nach Osten und war sonnig, da die Sonne noch nicht hinter Wolken verschwunden war, ein seltener Zustand um diese Jahreszeit.
»Wie viele Dienstboten soll ich einstellen?« fragte sie, während sie ihm gegenüber Platz nahm und ihm Tee einschenkte.
»So viele wie du brauchst.«
»Bezahlen Sie die Löhne oder soll ich mich darum kümmern?«
»Hmm, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.
Es wird am einfachsten sein, wenn ich dir Geld für den Haushalt und zu deiner persönlichen Verwendung gebe. Übrigens – sobald du dich wieder gut genug fühlst, müssen wir einkaufen gehen. In deinem kleinen Koffer hast du wahrscheinlich nicht allzu viele Kleider.«
Wahrscheinlich hätte sie ihm diese Ausgaben ersparen können, wenn sie sich ihre eigene Garderobe kommen ließe. Aber wie sollte sie das Tante Elizabeth erklären, wo sie doch angeblich nur kurz in Kettering war, um eine Freundin zu besuchen? Es war schon schlimm genug, daß sie weiterhin irgendwelche Entschuldigungen erfinden mußte, um ihre Abwesenheit hinauszögern zu können.
Außerdem
entsprachen
ihre
Kleider
wahr-
scheinlich nicht dem Stil, den er sich für sie vorstellte, obwohl sie inständig hoffte, daß nicht weitere gräßliche rote Kleider dabeisein würden.
Deshalb antwortete sie: »Wie Sie wollen.«
»Und fühlst du dich wirklich besser heute morgen?«
fragte er zögernd. »Ist das Fieber weg?«
»Ja, mir geht es wieder ganz gut.«
Sein Lächeln konnte man plötzlich nur noch als sinnlich bezeichnen. »Ausgezeichnet. Dann überlasse ich dich jetzt deinen Pflichten und komme heute abend wieder.«
Kelsey hätte sich ohrfeigen können, weil sie nicht gemerkt hatte, warum er sich nach ihrer Gesundheit erkundigte. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, was er mit
»ich komme heute abend wieder« meinte. Wenn sie noch ein bißchen gejammert hätte, wäre ihr ein kleiner Aufschub vergönnt gewesen. Aber jetzt konnte sie nur noch errötend nicken.