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Für gewöhnlich ging Derek gern auf Bälle, allerdings nicht auf solche, bei denen über dreihundert Personen geladen waren, wie bei dem Ball heute abend. Aber er tanzte gerne, fand für gewöhnlich immer jemanden, mit dem er eine nette Partie Whist oder Billard spielen konnte, und meistens gab es auch ein oder zwei hübsche neue Gesichter, die ihm gefielen.

Das Gefallen dauerte jedoch nie allzu lange, da die meisten jungen Damen, die sich für diese Gelegenheiten so prächtig herausputzten und so scheu flirteten, nur auf eins aus waren: die Ehe. Und in dem Moment, in dem sie ihr Motiv zu erkennen gaben, verabschiedete Derek sich von ihnen, da Ehe das letzte war, für das er sich interessierte.

Ks gab einige wenige Ausnahmen von dieser Regel, das kam jedoch nicht allzu häufig vor. Selbst wenn ein Mädchen nicht auf der Stelle heiraten wollte, wurde sie doch von ihren Verwandten dazu gedrängt, sich mit dem Thema näher zu befassen. Nur äußerst selten konnte eine junge Dame diesem Druck widerstehen und sich einfach nur einige Zeit unbeschwert amüsieren.

Derek mochte diese unabhängigen jungen Frauen am meisten, und kannte ein paar von ihnen mittlerweile recht gut. Sie waren alle noch unschuldig, deshalb waren die Beziehungen zu ihnen auch nicht sexueller Natur. Ganz im Gegenteil. Derek respektierte die Regeln der Gesellschaft und fand es sogar erfrischend, mit ihnen auf einer harmlosen Ebene zu verkehren, gute Gespräche zu führen, Hobbies zu teilen und sich in ihrer Gesellschaft zu entspannen.

Das bedeutete jedoch nicht, daß er daneben nicht auch ständig Ausschau nach neuen Bettgefährtinnen hielt. Er suchte sie allerdings nicht unter den Debütantinnen, die in jeder neuen Saison in London auftauchten. Im allge-meinen waren es eher junge Ehefrauen, die unglücklich in ihrer Ehe waren, oder junge Witwen, die tun konnten, was ihnen beliebte – diskret natürlich. Und so verließ er selten einen der großen Londoner Bälle, ohne eine

Zusammenkunft

in

der

darauffolgenden Woche

oder sogar für den gleichen Abend verabredet zu haben.

Auf dem heutigen Ball jedoch schien ihn gar nichts zu interessieren. Er absolvierte seine Pflichttänze, um die Gastgeberin zufriedenzustellen, und hatte Mühe, nicht zu gähnen, bevor er seine jeweilige Tanzpartnerin an den nächsten Herrn auf ihrer Tanzkarte weiterreichen konnte. Er spielte ein wenig Whist, aber auch hier konnte er sich nicht auf das Spiel konzentrieren, obwohl die Einsätze ziemlich hoch wurden.

Zwei seiner früheren Geliebten hatten versucht, ihn zu einem weiteren Rendezvous zu überreden. Früher hätte er sie normalerweise mit dem Versprechen auf einen anderen Zeitpunkt vertröstet, aber heute abend hatte er ihnen einfach gesagt, er wäre zur Zeit in eine andere verliebt. Aber das war er gar nicht. Das Mädchen, das er zu Hause abgesetzt hatte, konnte er nicht als Affäre betrachten – noch nicht. Außerdem war man in eine Mätresse nicht verliebt, auf jeden Fall nicht wirklich.

Eine Mätresse war einfach nur ein angenehmes – und teures – Vergnügen.

Und er konnte es immer noch nicht fassen, daß er jetzt eine hatte. Das einzige Mal in seinem Leben, als er eine Frau zum Dank für ihre Gunst finanziell unterstützt hatte, hatte zu einem regelrechten Desaster geführt.

Ihr Name war Marjorie Eddings gewesen. Sie war eine junge Witwe guter Herkunft, die es nicht aufgeben konnte, weiter in den Verhältnissen zu leben, in denen sie aufgewachsen war. Er hatte ihre Schulden bezahlt –

wovon die meisten eigentlich die Schulden ihres ver-storbenen Ehemanns gewesen waren –, hatte das Haus, das sie geerbt hatte, renoviert und ihrem Wunsch nach teuren kleinen Schmuckstücken nachgegeben.

Er hatte sie sogar zu den vielen gesellschaftlichen Anlässen, zu denen sie immer noch eingeladen war, begleitet, obwohl er diese Rolle eigentlich nicht übernehmen

wollte.

Alles

natürlich

vollkommen

achtbar

und in Ehren, so daß er sie hinterher immer wieder nach Hause brachte, wie es sich gehörte, und dann Stunden warten mußte, bis er sich hineinschleichen konnte, um zu seinem Recht zu kommen — wobei sie die Hälfte der Zeit behauptete, zu müde zu sein. Und obwohl sie während der ganzen sechs Monate ihrer Beziehung genau wußte, daß er an einer Heirat nicht interessiert war, hatte sie die ganze Zeit geplant, ihn vor den Altar zu locken.

Selbst wenn er sie so geliebt hätte, daß eine dauerhafte Beziehung in Frage gekommen wäre, was nicht der Fall war, konnte er es nicht ausstehen, wenn jemand mit Tricks arbeitete und ihn anlog, wie sie es tat. Sie behauptete, ein Kind zu erwarten, was nicht stimmte.

Dann sorgte sie dafür, daß über ihre Verbindung ge-klatscht wurde, und behauptete, er habe ihr die Ehe versprochen. Das war ihr letzter Strohhalm. Und damit ging sie zu seinem Vater.

Natürlich hatte Marjorie die Familie Malory unterschätzt. Es war unmöglich, sich bei ihnen mit Lügen einschleichen zu wollen. Dereks Vater wußte nur zu gut, daß sein Sohn nie ein solches Versprechen gegeben hatte; Jason Malory wäre nämlich nur zu glücklich gewesen, hätte es sich so verhalten.

Aber Jason wußte, daß sein einziger Sohn noch nicht dazu bereit war, eine Familie zu gründen, und Gott sei Dank versuchte er nie, Derek zu zwingen, seine Meinung zu ändern. Derek hingegen war sich im klaren darüber, daß das eines Tages anders werden würde. Die Verantwortung, die Linie fortzuführen und, in Dereks Fall, der Titel, den er eines Tages erben würde, waren eine große Verpflichtung.

Was Marjorie anging, nun, auch Jason liebte Lügnerin-nen nicht. Er war ein Mann mit strengen Prinzipien.

Und da er seit seinem sechzehnten Lebensjahr das Oberhaupt der Familie gewesen war und seine jüngeren Brüder so oft wegen ihrer Unbotmäßigkeiten zur Rechenschaft hatte ziehen müssen, genau wie Derek und Reggie, die von ihm erzogen worden waren, hatte er im Umgang mit solchen Problemen eine gewisse Geschicklichkeit entwickelt.

Außerdem verfügte er über ein hitziges Temperament.

Nur der wirklich Unschuldige war in der Lage, Jasons wütenden Predigten standzuhalten. Der Schuldige verging rasch vor Scham; Frauen brachen in Tränen aus, da es äußerst unangenehm war, wenn der Himmel über einem einstürzte, wie Onkel Tony es so gern formulierte.

Marjorie war in Tränen aufgelöst und entlarvt gegangen; nie mehr hatte sie Derek belästigt. Sie hatte ihm während ihrer kurzen Beziehung reichlich Geld aus der Tasche gezogen, deshalb empfand er wegen des schlim-men Endes keine Schuld. Und er hatte seine Lektion gelernt – zumindest hatte er das geglaubt.

Die Frau, die er heute abend gekauft hatte, würde sich allerdings nicht – oder sollte es zumindest nicht – so wie Marjorie verhalten. Kelsey Langton war nicht von Adel, auch wenn sie sich so anhörte, sie war nicht privi-legiert aufgewachsen, deshalb würde sie einfach nur dankbar sein für alles, was er ihr bot, während Marjorie das als selbstverständlich betrachtet hatte.

Außerdem hatte er sie schließlich gekauft. Die Rechnung steckte als Beweis in seiner Tasche. Und er wußte immer noch nicht, was er davon halten sollte. Aber schließlich hatte sie sich selbst zum Kauf angeboten. Sie war ja nicht ohne ihre Einwilligung verkauft worden und .. nun, er dachte besser über diesen Teil gar nicht nach. Er hatte eine Mätresse erworben, ohne es eigentlich zu wollen, einfach nur deswegen, um diesen Schurken Ashford daran zu hindern, eine weitere Frau zu quälen, und diese Frau hätte keine Möglichkeit gehabt, seinen Grausamkeiten zu entkommen.

Derek hatte gehofft, Ashfords Perversionen ein Ende zu setzen, indem er ihn zusammenschlug. Auch jetzt versuchte er, sich ihm in den Weg zu stellen, wenn auch auf legalere Weise, wie bei dieser absurden Auktion, und indem er Häuser aufsuchte wie das von Lonny, der Frauen für solche Zwecke zur Verfügung stellte.

Früher hatte Ashford billige Huren für eine Nacht gekauft. Solche Frauen konnten seinen grausamen Spielchen nichts entgegensetzen, und was noch schlimmer war, sie glaubten wahrscheinlich auch noch, daß die paar Pfund, die er ihnen hinwarf, eine großzügige Entschädigung für die Narben waren, die er hinterließ.

Traurig, aber wahr. Doch selbst wenn sich Derek entschlossen hätte, Ashford anzuzeigen, da er die Perversionen des Mannes ja miterlebt hatte, so kannte er doch keine Opfer, die gegen ihn hätten aussagen können. Sie wären gekauft worden, bevor es jemals zu einer Verhandlung käme.

Derek hatte jedoch das sichere Gefühl, daß er bald etwas unternehmen müsse, wo er so genau wußte, daß Ashford immer noch sein Unwesen trieb. Aber er konnte nicht herumlaufen, und jede Frau, auf die es Ashford abgesehen hatte, ihm vor der Nase wegkaufen, selbst wenn er Wind davon bekäme. Schließlich verfügte er nicht über unendlich viel Geld. Heute abend hatte er aus einem Impuls heraus gehandelt.

Vielleicht sollte er mit seinem Onkel James einmal dar-

über sprechen. James hatte während seiner Freibeuter-zeit viel mit der dunklen Seite des Lebens zu tun gehabt. Wenn jemand wußte, wie man mit einem solchen Mistkerl wie Ashford umgehen mußte, dann er.

Aber das hatte Zeit bis morgen. Heute abend fiel es ihm entsetzlich schwer, sich zu vergnügen. Und als er schließlich ständig ein paar sanfte graue Augen statt der blauen Augen seiner jeweiligen Partnerin auf sich gerichtet sah, begann er sich zu fragen, ob Jeremy und Percy nicht recht gehabt hatten. Was zum Teufel tat er eigentlich noch auf diesem Ball, wo es doch eine reizende junge Frau gab – und dazu noch unter seinem Dach –, die wahrscheinlich zu Bett gegangen war und sich wunderte, warum er nicht bei ihr lag?

Natürlich versetzte ihm das »unter seinem Dach« einen Dämpfer. Er kam mit seinem Vater vor allem deshalb so gut aus und wurde selten für irgend etwas zur Rechenschaft gezogen, weil er ganz genau wußte, daß sein Vater seine Vergnügungen nicht einschränken würde, solange er sie mit der nötigen Diskretion betrieb. Und daran hatte Derek sich immer gehalten.

Nie hatte er seine Verhältnisse in das Londoner Stadthaus mitgenommen oder auf die beiden Landgüter, die ihm

überschrieben

worden

waren.

Dienstbotenklatsch

konnte schlimmer sein als alles andere, es gab keine schnellere Verbindung zwischen den Häusern in einer Straße als die durch die Butler, die Kutscher, die Zofen oder die Lakaien. Und das bedeutete, daß er heute abend seine neue Mätresse auf keinen Fall näher kennenlernen würde.

Schließlich gab er es auf, so zu tun, als amüsiere er sich, und suchte nach Percy und Jeremy, um ihnen mitzuteilen, daß er jetzt ginge und ihnen die Kutsche später zurückschicken würde. Sie grinsten ihn anzüglich an und zwinkerten ihm zu, weil sie natürlich dachten, er führe nach Hause, um endlich zu seinem Vergnügen zu kommen. Aber ihre Väter waren ja auch nicht so streng wie Jason Malory.

Auf der Heimfahrt dachte er über das Mädchen nach.

Kelsey

Langton

gehörte

schließlich

nicht

zu

den

Dienstboten. Und sie würde auch nicht lange genug im Haus bleiben, um mit dem Personal zu tratschen. Eigentlich konnte er sie doch besuchen, er mußte nur am nächsten Morgen wieder in seinem Bett liegen. Sein Kammerdiener würde nichts davon merken, da er von dem Mann nie verlangte, seinetwegen aufzubleiben.

Er mußte sich gar nicht lange überreden, Kelsey einen kurzen Besuch abzustatten. Deshalb war es für ihn eine ziemliche Enttäuschung, als Hanly ihm die Tür öffnete, obwohl es doch schon so spät war, und damit seine Pläne vereitelte.

Lästiger alter Kerl. Wenn Hanly nicht in der Halle gestanden und ihm nachgesehen hätte, wie er die Treppe hinaufging, hätte Derek immer noch zu den Dienstbo-tenräumen schleichen und nach Kelsey suchen können.

Aber er bezweifelte nicht einen Augenblick lang, daß Hanly weiter dort unten herumlungern und ihn beobachten würde.

Und dann würde Dereks Vater es innerhalb einer Woche erfahren, und es gäbe eine große Diskussion über Besitz, Diskretion und darüber, daß man dafür sorgen müsse, daß es bei dem Dienstbotenklatsch immer nur um andere und nie um das eigene Haus ging. Und das alles

nur

für

ein

bißchen

Vergnügen

mit

einem

Mädchen, das er jederzeit haben konnte – außer heute nacht! Nun, besser nicht. Aber es war schon verdammt hart, alleine einzuschlafen.