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Werkzeuge? Was für Werkzeuge? Das klang sehr nach Folterwerkzeugen, wenn sie bedachte, was hier unten vor sich ging. Oder nannte er seine Peitschen etwa Werkzeuge?
Dereks Worte fielen Kelsey ein und machten ihr angst.
Er peitscht sie, bis sie am ganzen Körper bluten. Offenbar erregt es ihn, wenn sie voller Blut sind.
Gott, warum mußte er ihr das erzählen? Sie hätte lieber nicht gewußt, was ihr bevorstand. Zwar hätte sie auch dann Angst gehabt – aber so? Unwissenheit war manchmal eine Gnade. Wissen war in diesem Fall entsetzlich.
Ashford war gegangen, um sein Mahl einzunehmen. Er tat etwas so Normales mitten in ihrem Alptraum. Aß er schnell? Langsam? Wieviel Zeit blieb ihr noch, bis er zurückkam, um sie einzuführen?
Sie hatte das Ganze nur ein bißchen hinausgezögert, als sie weggelaufen war. Aber das war seine Absicht gewesen. Es gehörte zu seinem Vergnügen. Da die erneute Verzögerung jetzt nur seiner eigenen Bequemlichkeit diente, konnte er in ein paar Minuten zurück sein.
John war immer noch da. Er sollte ihr die Lederfesseln anlegen, und deshalb rollte er sie zu Seite, um ihre Hände loszubinden. In dieser unbequemen Position, in der ihre Muskeln überdehnt wurden, mußte sie liegenbleiben,
während
er
die
Ledermanschette
über
die eine Hand zog. Ihr anderer Arm lag noch unter ihrem Körper, und deshalb konnte sie sich mit ihm nicht wehren.
Sie wäre jetzt allerdings auch gar nicht mehr in der Lage gewesen, etwas zu unternehmen. Ihre Hände waren wieder ganz gefühllos von den straffen Fesseln, und auch die Arme taten ihr mittlerweile weh, weil sie die ganze Zeit hinter dem Rücken verschränkt gewesen waren.
Als er fertig war, verließ er das Zimmer, ging jedoch nicht weit weg. Sie hörte, wie er eine andere Tür auf-schloß und wie jemand vor Angst aufschrie. Das Schluchzen dauerte an, bis die Tür wieder verriegelt wurde.
Kelsey schauderte. Du lieber Gott, sie hatte das blanke Entsetzen aus dem Schrei herausgehört, nur weil eine der Frauen dachte, Ashford oder sein Verwalter kämen zu ihr. Das würde Kelsey nicht aushalten, da war sie sich ganz sicher. Sie würde verrückt werden, wenn sie von jedem Tag immer wieder nur neue Schmerzen erwarten mußte.
John kam zurück in ihr Zimmer. Er legte drei Peitschen unterschiedlichen
Aussehens
und
unterschiedlicher
Länge über ihren Bauch – und ein Messer. Ashfords Werkzeuge. Er würde sie bei ihr benutzen. Sie hatte den Kopf gehoben, um sie anzusehen und konnte die Augen nicht davon abwenden. Fast wurde sie ohnmächtig.
Er kicherte, als er den Ausdruck in ihren Augen sah.
»Es wird noch genug von dir für mich übrig sein, wenn er mit dir fertig ist, Schätzchen«, versicherte er ihr. »Ich habe nicht so spezielle Wünsche.«
Ihr Blick wanderte zu ihm. Er hatte blaue Augen, eigentlich eine hübsche Farbe. Bei seinem verunstalte-ten
Gesicht
fiel
einem
das
nicht
sofort
auf.
Sie hatte ganz vergessen, daß Ashford John versprochen hatte, er könne später mit ihr anstellen, was er wolle. Aber würde ihr das dann überhaupt noch etwas ausmachen?
Der Verwalter ging und schloß die Tür hinter sich, ver-riegelte sie aber nicht. Auch die Lampe ließ er da. Damit sie die Werkzeuge weiter betrachten konnte?
Als die Tür sich hinter ihm schloß, bäumte Kelsey sich auf, um die Peitschen und das Messer auf den Fußboden zu befördern. Sie schauderte wieder und fühlte sich noch elender. Und sie fragte sich, ob sie, wenn sie nicht immer noch geknebelt wäre, nicht einfach anfangen würde zu schreien, sobald sich die Tür wieder öffnete.
Wahrscheinlich würde sie das.
Die Lederfesseln gaben nicht nach. Sie drehte sich hin und her und zerrte an ihnen, aber nichts löste sich. Es war unmöglich, sich selbst zu befreien.
Und wieder öffnete sich die Tür, nur allzubald. Ihr kam es so vor, als seien nur Minuten vergangen. Es war Ashford. Er mußte sein Essen heruntergeschlungen haben.
Kelsey erstarrte vor Angst. Er blickte auf seine »Werkzeuge« auf dem Fußboden und zischte mißbilligend.
Das Messer hob er auf. Kelsey erbleichte. Er fuhr damit an ihre Wange. Ein Schnitt, und sie konnte den Knebel ausspucken. Sie bedankte sich nicht bei ihm – weil sie nur zu gut wußte, daß er ihn entfernt hatte, damit er sie schreien hören konnte.
Aber sie würde nicht schreien. Sie würde ihren Verstand benutzen und auf ihn einreden. Es war die einzige Chance, die ihr blieb. Er war nicht bei Sinnen – jedenfalls nicht vollständig. Wenn es ihr gelang, ihn an der richtigen Stelle zu treffen, würde er sie vielleicht in Ruhe lassen, vielleicht ließ er sie sogar gehen. Es war eine verzweifelte Hoffnung, aber die einzige, die ihr noch geblieben war.
»Binden Sie mich jetzt los, Lord Ashford, bevor es zu spät ist. Sie hätten mich nicht entführen dürfen, aber ich werde nichts verraten, wenn ...«
»Ich habe dich nicht mitgenommen, um dich jetzt wieder gehen zu lassen, meine Hübsche«, sagte er und trat ans Ende des Bettes.
»Warum haben Sie mich überhaupt mitgenommen? Sie haben doch schon andere Mädchen hier. Ich habe gehört, wie sie ...« Im letzten Moment enthielt sie sich zu sagen »geschrieen haben«.
»Ja, zumeist heimatlose Schlampen, die niemand vermißt und die keine Freunde haben, die sich um sie sorgen. Allerdings habe ich auch noch eine hier, die ich auf einer Versteigerung gekauft habe, genau wie dich.«
»Warum halten Sie sie hier fest?«
Er zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
»Lassen Sie sie jemals wieder gehen?«
»O nein, das kann ich nicht. Wenn sie erst einmal hier sind, dürfen sie nie wieder fort.«
»Aber sie kommen doch nicht freiwillig!« schrie sie.
»Ich zumindest nicht!«
»Und?«
»Warum brauchen Sie so viele?«
Er zuckte wieder mit den Schultern. »Narben bluten nicht mehr so leicht.«
Er sagte das vollkommen leidenschaftslos, dabei war er doch derjenige, der ihnen die Narben zufügte. Es war ihm wirklich gleichgültig. Er fühlte überhaupt keine Schuld. Seine Worte bestätigten ihr nur, was sie sich bereits gedacht hatte.
Er schob das Messer, das er noch immer in der Hand hielt, unter ihr Kleid und zerschnitt den Stoff. Sie keuchte auf. Er lächelte.
»Keine Angst, meine Hübsche. Du brauchst diese Kleider nicht mehr«, sagte er und schnitt das Kleid weiter bis zur Taille auf. Dann stellte er sich neben das Bett und betrachtete die Ärmel ihrer Jacke. »Ihr Huren zieht sie doch dauernd aus, deshalb brauchst du dir hier unten die Mühe nicht selbst zu machen.«
Er lachte über seinen eigenen Scherz.
»Ich bin keine Hure.«
»Aber natürlich bist du eine, genau wie sie.«
Schon wieder erwähnte er die andere Frau, in einem Tonfall, der deutlich machte, daß sie die schlimmste Sünderin auf der Welt gewesen sein mußte. »Wer ist sie?«
Ein kaltes Funkeln trat in seine Augen, und er schlug sie ins Gesicht. »Erwähne sie nie mehr, oder ...«
Der Schlag hatte ihren Kopf auf die andere Seite ge-schleudert. Er schob das Messer unter ihren Ärmel und begann ihn aufzuschneiden, noch bevor sie den Kopf wieder drehte, um ihn anzustarren.
»Oder was? Wollen Sie mich schlagen? Das tun Sie doch sowieso.«
»Glaubst du etwa, es gibt keine anderen Methoden, dich noch mehr leiden zu lassen – genau wie sie es getan hat? Ich versichere dir, nur die anderen Huren hier unten werden deine Schreie hören.«
O Gott, jede konnte die Qualen der anderen hören.
Aber das wußte sie ja, sie hatte ja selbst schon die Schmerzenslaute gehört. Jetzt allerdings würden die anderen ihre hören.
War das Absicht, wollte er damit das Entsetzen der anderen Frauen, die er hierhergebracht hatte, noch steigern? Offensichtlich stand hinter all seinen Taten eine Absicht, als ob er die gleiche Szene schon häufig auf dieser Bühne gespielt hätte. Es gab nur einen einzigen Bediensteten hier – und der war Ashford völlig ergeben.
Niemand würde je erzählen, welch grauenhafte Dinge hier geschahen.
Wie lange schon hatte Ashford dieses Leben führen können? Wie lange waren manche Frauen schon hier unten? Er peitschte Prostituierte so heftig aus, daß die Narben sie ihr Leben lang entstellten. Derek hatte es selbst gesehen. Aber diese Frauen waren wenigstens frei, nachdem er ihnen das angetan hatte. Was war jedoch mit den Frauen hier im Keller, die niemals hier herauskamen? Tat er ihnen noch schlimmere Dinge an?
Sie mußte weiter mit ihm reden. Immer, wenn sie etwas sagte, hörte er auf, an ihr herumzufingern. Wäre es richtig, »sie« noch einmal zu erwähnen.
»Sie haben mich Lord Malory gestohlen. Glauben Sie, er weiß das nicht und kommt Ihnen nicht auf die Schliche?«
Er hielt inne. Eine Spur von Besorgnis zeigte sich in seiner Miene, aber er schüttelte sie schnell ab.
»Mach dich nicht lächerlich«, verwies er sie. »Huren laufen ständig weg.«
»Nicht, wenn sie es nicht wollen, und er weiß, daß ich das nie tun würde. Und er ist nicht dumm. Er weiß genau, wo er nach mir suchen muß. Ihre einzige Chance ist, mich gehen zu lassen.«
»Wenn er kommt, bringe ich ihn um.«
»Wenn er kommt, bringt er Sie um«, berichtigte sie ihn.
»Aber das wissen Sie bereits, Lord Ashford. Es ist recht tapfer von Ihnen, so leichtfertig mit dem Tod zu spielen.«
Er wurde blaß. »Ohne einen Beweis kann er gar nichts machen. Und er wird dich hier nie finden. Niemand kennt diesen Ort.«
Offensichtlich hatte er auf alles eine Antwort. Derek zu erwähnen, nützte gar nichts. Er hatte Angst vor ihm, aber hier fühlte er sich sicher.
Jetzt wandte er sich dem anderen Ärmel zu und schnitt ihn bis zur Schulter auf. Sie mußte es riskieren, noch einmal jene Frau zu erwähnen. Ihre Zeit war fast abge-laufen. Offenbar war das das einzige Thema, das ihn wirklich beunruhigte.
»Haben Sie sie auch hierhergebracht?«
»Halt den Mund!«
Sie hatte ihn erschüttert. Das Messer glitt aus und schnitt ihr in den Arm. Sie zuckte zusammen, aber sie durfte sich jetzt nicht damit aufhalten. Zumindest hatte er sie nicht wieder geschlagen.
»Warum hassen Sie sie so?«
»Halt den Mund! Ich hasse dich nicht. Ich habe dich nie gehaßt. Aber du hättest nicht mit deinem Liebhaber weglaufen dürfen, als Vater herausfand, daß du eine Hure bist. Er hat mich verprügelt, weil du nicht da warst. Du hättest zulassen sollen, daß er dich umbringt.
Du hast es verdient. Ich wollte es nicht für ihn tun, als ich dich fand, aber ich hatte keine andere Wahl. Du mußtest bestraft werden. Du verdienst es immer noch.«
O Gott, er hielt jetzt sie selbst für diese andere Frau –
war es seine Mutter? Er hatte sie umgebracht, und er würde sie immer wieder umbringen, um sie für ihre Sünden zu »bestrafen«, genau wie er für ihre Sünden bestraft worden war. Sie hatte sich gerade zu noch mehr Schmerzen verurteilt, als er ihr ohnehin zugefügt hätte
– wäre sie nur nicht so dumm gewesen, seinen Wahnsinn zu wecken.