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»Steht dir verdammt gut.«
Kelsey hatte gelächelt und es als Kompliment aufgefaßt
– in gewisser Weise. Es war das einzige, was Derek gesagt hatte, als er sie abholte, und das, nachdem er sie gut zwanzig Sekunden lang schweigend angestarrt hatte.
Sie kam sich richtig schön vor, ein Gefühl, das sie vorher selten gekannt hatte.
In der Kutsche jedoch kam er ihr wieder seltsam vor ..
Nun ja, er schien in einem Zwiespalt zu stecken, als er sie weiter anstarrte. Schließlich wurde ihr unter seinem prüfenden Blick unbehaglich, und sie fragte: »Stimmt irgend etwas nicht?«
»Weißt du eigentlich, daß du in diesen Sachen aussiehst wie eine unschuldige Debütantin?«
Sie errötete und wand sich auf ihrem Sitz. Am liebsten wäre ihr gewesen, es wäre ihm nicht aufgefallen. Aber da es nun schon einmal so war, sorgte sie besser dafür, ihn von diesem Gedanken abzulenken.
»Und wie habe ich heute nacht in diesem roten Negligé gewirkt?« fragte sie.
Wie sie gehofft hatte, glättete sich seine Stirn. Er mußte sogar grinsen, weil er merkte, worauf sie anspielte – das nahm sie wenigstens an. Aber sie mußte ganz sichergehen ...
»Siehst du?« fuhr sie fort. »Die Kleider machen die Leute, nicht die Person, die sie trägt. Zufällig war das das einzige Kostüm, das in der kurzen Zeitspanne für mich geändert werden konnte. Ich glaube, Mrs. Westerbury hat gedacht, wichtig sei nur, daß es für den Abend geeignet ist.«
»Ja, das habe ich ihr so gesagt. Na ja, ist schon in Ordnung. Ich muß nur meine Pläne etwas ändern.«
»Was hattest du für Pläne?«
»Ich hatte an ein Dinner an irgendeinem ruhigen, abge-schiedenen Ort gedacht, aber verdammt noch mal, ich hasse den Gedanken, mich nicht mit dir zu zeigen, wo du so schick aussiehst.«
Wieder errötete sie. Seine Komplimente gefielen ihr wirklich sehr, ihr wurde dabei ganz warm. Aber sie wollte ihm bestimmt keine Ungelegenheiten bereiten.
Deshalb sagte sie ganz vernünftig: »Bitte, du brauchst meinetwegen deine Pläne nicht zu ändern, nur weil ...«
»Überhaupt nicht, Liebes«, unterbrach er sie. »Ich wollte sowieso den neuen Küchenchef im Albany einmal ausprobieren. Und als krönenden Abschluß für den Abend dachte ich an einen Besuch in Vauxhall Gardens.«
Selbst sie hatte schon von Vauxhall Pleasure Gardens gehört. Ihre Eltern hatten häufiger davon geredet. Bei Tag war es ganz respektabel, mit seinen schattigen Alleen,
den
Verkaufsständen
und
Konzerten.
Am
Abend jedoch waren die schmalen Wege mit ihren Bänken ideal für Liebespaare, und anständige junge Damen hielten sich besser nicht allzu lange dort auf. Aber es war natürlich ein perfekter Ort für Gentlemen, die ihre Mätresse ausführen wollten, dachte sie.
Derek hatte jedoch auch noch andere Dinge vorgehabt.
Da es noch zu früh für ein Dinner war, besuchten sie weitere Geschäfte, und die Kutsche füllte sich mit Päckchen,
Hauben
und
Schuhen,
Sonnenschirmen,
und, worauf er besonders achtete, noch mehr Negligés, eine besonders peinliche Angelegenheit, da er jedes selbst aussuchen wollte.
Als sie schließlich im Albany ankamen, das sich als Hotel am Piccadilly herausstellte, war Kelsey ziemlich erschöpft. Der Speisesaal war sehr hübsch, und nach dem ersten Glas Wein begann sie sich zu entspannen. Das einzige Problem war nur, daß man Derek hier sehr gut kannte. Das mußte er jedoch vorausgesehen haben, denn er stellte sie zwei Herren, die auf sie zukamen, als Witwe Langton vor.
Der zweite Herr war so überrascht, daß er fragte:
»Doch nicht die Lady Langton, die ihren Ehemann erschossen hat?«
Daraufhin mußte Derek erklären, daß sie aus einer ganz anderen Familie käme, und die Lüge klang aus seinem Mund sehr viel besser als aus ihrem. Daß er nicht wußte, daß es eine Lüge war, verlieh ihm zusätzlich Glaubwürdigkeit.
Während
des
hervorragenden
Essens
fragte
sie:
»Warum eine Witwe?«
»Nun ja, Witwen können tun, was ihnen beliebt, weißt du, während junge Debütantinnen, wonach du im Moment sicher auf den ersten, zweiten und dritten Blick aussiehst, eine Anstandsdame brauchen. Und ich gebe ganz bestimmt keine gute Anstandsdame ab. Jeder, der mich kennt, würde das ohne weiteres auch so sehen.«
Er grinste sie ohne jedes Schuldbewußtsein an.
»Es würde nicht funktionieren, weil du mich eher verführen als beaufsichtigen würdest, nicht wahr?« neckte sie ihn.
»Aber natürlich«, erwiderte er, und seine Augen glit-zerten begehrlich.
Da wurde er von zwei Herren unterbrochen, die er ganz bestimmt nicht erwartet hatte.
Jeremy Malory und Percy Alden setzten sich unaufgefordert an seinen Tisch, und Derek fragte: »Wie zum Teufel habt ihr mich gefunden?«
Percy, der gierig das Essen auf ihren Tellern musterte, antwortete: »Der junge Bursche hier mußte deinem Onkel Anthony eine Nachricht von seinem Vater über-bringen. Und da das gerade die Straße herunter ist, konnten wir nicht umhin, deine Kutsche hier vor dem Hotel stehen zu sehen. Übrigens, wie ist das Essen? So gut, wie man sagt?«
Derek blickte ziemlich mürrisch drein. »Habt ihr beide heute abend nichts Besseres vor?«
»Etwas Besseres als essen?« Percy schien ganz entgeistert.
Jeremy
schmunzelte.
»Du
könntest
einfach
deinen
Kellner rufen, Cousin. Du willst uns doch nicht wirklich eine so reizende Gesellschaft beim Abendessen vorenthalten, wo du sie zu jeder anderen Zeit genießen kannst. Sei doch nicht so herzlos.«
»Er lauert schon die ganze Woche darauf, deine Beglei-terin zu sehen«, fügte Percy hinzu. Eigentlich hatte er das nur flüstern wollen, aber es gelang ihm nicht. »Du könntest wirklich Gnade walten lassen, alter Junge.«
Der Tisch wackelte bedenklich, weil jemand unter ihm mit dem Fuß trat. Da Percy und Jeremy daraufhin einander ansahen, war leicht zu erraten, wer getreten hatte.
Derek seufzte. »Wenn ihr schon dableiben wollt, dann benehmt euch wenigstens.«
Kelsey hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Lächeln zu verbergen. Jeremy strahlte jetzt, wo er seinen Willen bekommen hatte, und wandte sich mit seinem hinreißenden Grinsen ihr zu. Sie hatte vergessen, wie unglaublich gut dieser junge Mann aussah.
Einen Augenblick lang war sie ganz verwirrt und starrte ihn an, bis er fragte: »Und, wie behandelt der Kerl Sie, meine Liebe?«
Sie errötete, nicht nur, weil sie ihn so angestarrt hatte, sondern auch weil dieses Thema bei weitem zu persönlich war.
Daher erwiderte sie unverfänglich: »Gerade heute erst hat er eine erstaunliche Summe Geld für mich ausgegeben, um meine Garderobe aufzufrischen, beziehungsweise, um mich neu auszustatten.«
Jeremy wischte ihre Antwort mit einer Handbewegung weg. »Das hätte er so oder so getan – aber wie behandelt er Sie? Sie brauchen nicht vielleicht Hilfe?« fragte er hoffnungsvoll. »Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung, wissen Sie.«
Der Tisch wackelte erneut. Dieses Mal konnte Kelsey ein lautes Auflachen nicht unterdrücken, da jetzt Derek getreten hatte. Und Jeremy war nicht so zurückhaltend wie Percy. Er knurrte laut, schleuderte ihm wütende Blicke zu und murmelte: »Verdammt, jetzt reicht es aber.«
Percy schmunzelte. »Du meine Güte, Jeremy, hat dir niemand beigebracht, daß du nie versuchen sollst, jemandem die Lady zu stehlen, wenn du genau vor ihm sitzt?«
Jeremy schnaubte. »Ich würde doch meinem eigenen Vetter nichts wegnehmen. Er weiß, daß ich bloß Spaß gemacht habe. Oder, Derek?« Auf Dereks eisigen Blick hin johlte er: »Ich glaube es nicht! Derek eifersüchtig?
Du wirst doch nie eifersüchtig!«
»Paß auf dein anderes Knie auf«, warnte Percy ihn grinsend.
Jeremy schob sofort seinen Stuhl zurück, wobei er fast umkippte, und brummte: »Du lieber Himmel, ich hab’s schon beim erstenmal begriffen. Ich werde mindestens eine Woche lang blaue Flecken haben. Du brauchst es nicht noch einmal zu probieren.«
Derek schüttelte den Kopf und murmelte: »Unverbesserlicher Spitzbube!«
Jeremy hatte es gehört und grinste. »Na ja, natürlich.
Sonst macht es doch keinen Spaß.«