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Derek hatte etwas Jungenhaftes an sich, mit seinem widerspenstigen blonden Haarschopf und seinem charmanten Lächeln, das ihn recht harmlos wirken ließ.
Aber an diesem Tag war Kelsey klargeworden, daß sich hinter der Fassade mehr verbarg. Sie war vor Angst erstarrt, als sie Lord Ashford wiedergesehen und das ganze Entsetzen der Versteigerung noch einmal erlebt hatte. Derek jedoch hatte ihr bewiesen, was in ihm steckte. Und sie war unendlich froh, daß er nicht so harmlos war, wie er immer wirkte.
Im Gegenteil. Er hatte dem Mann einen Finger gebrochen. Und sie zweifelte nicht daran, daß er ihm noch mehr gebrochen hätte, wenn er damit nicht einen Skandal heraufbeschworen hätte.
Sie hatte ihn darauf hingewiesen, weil sie wußte, wie sehr er einen Skandal fürchtete, und weil sie wußte, daß sie damit die Auseinandersetzung wahrscheinlich beenden konnte. Und so war es ja auch gewesen. Über ihre Beweggründe war sie sich allerdings nicht ganz im klaren. Vielleicht wollte sie nicht zusehen, wie er gewalt-tätig reagierte? Oder vielleicht hatte ihr der arme Ladenbesitzer leid getan, der sich um seine Waren sorgte?
Vielleicht hatte sie auch plötzlich eine Art Beschützerinstinkt empfunden, weil es um Derek ging und sie nicht wollte, daß er etwas tat, was er später bereuen würde. Das war es wirklich wert, daß sie sich darüber Gedanken machte.
Ursprünglich hatte sie beschlossen, sich ihrem Status als Mätresse gemäß, so unpersönlich wie möglich zu verhalten. Aber mit der Zeit war es ihr unmöglich geworden, diesen Entschluß durchzuhalten. Sie mochte Derek, war gern mit ihm zusammen, schlief gern mit ihm, mochte einfach alles an ihm. Und wenn er nicht irgend etwas wirklich Schreckliches täte, um das zu ändern, würden ihre Gefühle für ihn immer stärker werden.
Das war ein entsetzlicher Gedanke. Sie wollte Derek nicht lieben. Sie wollte sich nicht vor dem Tag fürchten müssen, an dem er ihr sagen würde, daß er keine Verwendung mehr für sie habe. Und dieser Tag würde irgendwann kommen. Und dann wollte sie lieber vor Erleichterung aufseufzen und sich nicht die Augen aus dem Kopf weinen.
Sie wußte, daß er früher schon einmal eine Mätresse gehabt hatte, es war also durchaus nicht grundlos, sich Sorgen zu machen. In einem der Gespräche mit Percy und Jeremy war erwähnt worden, daß Derek die Beziehung nach einigen Monaten, und nicht nach Jahren, beendet hatte.
Die außergewöhnlich hohe Summe, die er ausgegeben hatte, um Kelsey zu kaufen, bedeutete ihm nicht viel, so reich wie seine Familie war. Sie konnte also nicht davon ausgehen, daß das eine Rolle spielte. Nein, wenn er eine Neue wollte, würde er sie bestimmt wegschicken, ohne auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen. So einfach war das. Und sie wußte nicht, wie sie sich diesen Tag leichter machen sollte; jedenfalls würde er nicht leichter werden, wenn sie so etwas Dummes tat, wie sich in ihn zu verlieben.
Derek brütete stumm über den Vorfall mit Ashford nach, hatte jedoch den Arm beschützend um sie gelegt und streichelte geistesabwesend ihre Hand. Da Kelsey selbst schweigend grübelte, war es eine recht ruhige Fahrt.
Beim nächsten Halt stieg Kelsey nicht aus der Kutsche, und Derek bat sie auch nicht darum. Als er jedoch nach kurzer Zeit wiederkam, reichte er ihr ein Päckchen.
»Das ist für dich«, sagte er nur. »Mach es auf.«
Sie blickte argwöhnisch auf die kleine Schachtel in ihrer Hand. Ihr war leider klar, warum er ihr etwas schenkte, so schuldbewußt, wie er sie ansah. Als sie die Schachtel öffnete, fand sie darin einen herzförmigen Anhänger aus winzigen Diamanten und Rubinen an einer kurzen, dünnen Goldkette. Sehr einfach, sehr elegant, sehr teuer.
»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte sie leise und starrte auf den Anhänger.
»Doch, ich mußte es tun«, erwiderte er. »Ich fühle mich im Moment so schuldbewußt, daß ich wahrscheinlich in Tränen ausbreche, wenn du nicht auf der Stelle sagst, daß du mir verzeihst.«
Sie blickte ihn mit großen Augen an, um zu sehen, ob er das ernst meinte, aber sein Gesichtsausdruck verriet ihn, und sie lächelte. Das mit dem Weinen meinte er nicht ernst, aber er fühlte sich wirklich schuldig.
Er lächelte reuevoll. »Der heutige Tag war eine ziemliche Katastrophe, nicht wahr?«
»Nicht ganz«, erwiderte sie errötend.
»Nun ja, das nicht«, stimmte er ihr grinsend zu. »Aber der Rest – es tut mir aufrichtig leid, daß du im gleichen Raum wie dieser Bastard Ashford sein mußtest und dann auch noch in dieses abscheuliche Zusammentreffen hineingezogen wurdest.«
Sie schauderte innerlich. »Er ist ein grausamer Mann, nicht wahr? Ich habe es schon an dem Abend, als er auf mich geboten hat, in seinen Augen gesehen – und heute wieder.«
»Er ist schlimmer, als du dir vorstellen kannst«, entgegnete Derek und erklärte ihr, wie krank dieser Mann tatsächlich war. Er erzählte ihr alles, oder deutete es zumindest an, damit sie seine Warnung verstand.
»Wenn du ihn jemals wiedersehen solltest, Kelsey, wenn ich nicht bei dir bin, lauf sofort weg, egal wo du bist – das heißt, wenn es geht.«
Ihr war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen, fast wurde ihr übel. »Wenn es geht?«
»Ja, wenn du sicher bist, daß er dir nicht folgen kann.
Du solltest niemals mit ihm allein sein. Geh auf Fremde zu, wenn es sein muß, schrei um Hilfe, aber halte dir den Mann vom Leib.«
»Ja, ganz bestimmt«, versicherte sie ihm. »Ich hoffe, ich sehe ihn nie wieder, Sollte ich ihn aber doch noch einmal treffen, dann wird er mich nicht sehen, solange ich ihn als erste bemerke, das verspreche ich dir.«
»Gut, und jetzt sag, daß du mir verzeihst.«
Sie lächelte ihn an. »Das tue ich, obwohl ich dir nichts zu verzeihen habe. Und jetzt nimm das hier wieder und laß dir dein Geld zurückgeben. Du brauchst mir keinen Schmuck zu kaufen.«
Er schmunzelte. »Kelsey, mein Liebes, es ist nicht sehr mätressenmäßig, so etwas zu sagen. Und ich werde den Schmuck nicht zurücknehmen. Ich möchte, daß du ihn trägst. Es wird sehr hübsch zu deinem lavendelfarbenen Kleid aussehen.«
Und zu einem halben Dutzend weiterer Kleider, die noch geliefert werden, hätte sie sagen können, tat es aber nicht. Statt dessen seufzte sie. »Dann wäre es wahrscheinlich sehr ungezogen von mir, mich nicht zu bedanken.«
»Ja, äußerst ungezogen.«
Sie lächelte. »Danke.«
»Sehr, sehr gern geschehen, mein Liebes.«
Es war seine letzte Besorgung gewesen. Danach fuhren sie nach Hause, er blieb zum Abendessen – und natürlich auch die Nacht über.
Das hatte er eigentlich nicht vorgehabt. Wenn Jason länger in der Stadt blieb, dann traf sich Derek zumindest zum Abendessen mit ihm. Und da er dieses Mal nicht wußte, wann Jason nach Haverston zurückkehren wollte, wußte er auch nicht, ob er am nächsten Tag noch Gelegenheit haben würde, ihn zu sehen.
Aber so gerne er mit seinem Vater über die Scheidung geredet hätte – und über die Frau, die er so lange geheimgehalten hatte –, er wollte noch viel lieber bei Kelsey bleiben.
Die Begegnung hatte ihr einen Schock versetzt, das wußte er. Und er machte sich ernsthafte Sorgen um sie.
Unglaublicherweise
hatte
Ashford
sie
behandelt,
als
gehöre sie ihm und sei ihm nur zeitweise entwendet worden. Seine Bemerkungen hatten auch darauf hin-gedeutet, daß er sie dafür bezahlen lassen würde, daß sie ihm gestohlen worden war, wenn er sie zurückbekäme.
Und
er
hatte
äußerst
zuversichtlich
ge-
wirkt, daß er sie zurückbekommen würde. Wer konnte schon voraussagen, welche Pläne in seinem kranken Hirn entstanden?
Derek konnte nicht die ganze Zeit über bei Kelsey bleiben. Sie ging alleine aus, zur Anprobe bei der Schneiderin, zum Einkaufen und Gott weiß wohin. Er konnte sie auch nicht bitten, das nicht zu tun, schließlich beruhten seine Befürchtungen nur auf einfachen Drohungen.
Morgen wollte er noch einmal seinen Onkel James besuchen,
um
seinen
Rat
einzuholen.
Wahrscheinlich
machte er sich ganz unnötige Sorgen. Heute nacht jedoch würde er Kelsey nicht aus den Augen lassen.