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»Na, das war ziemlich seltsam, wenn du mich fragst«, sagte Reggie zu ihrem Mann, als sie die Vorbereitungen für ihr Abendessen traf. »Alle drei haben Ausflüchte gemacht . . Fast hatte es den Anschein, als ob sie gar nicht kommen wollten. Du meine Güte, es ist doch nur ein Abendessen, ein paar Stunden ihrer kostbaren Zeit.

Schließlich können sie doch hinterher tun, was immer sie normalerweise auch tun.«

»Percys Cousine, sagst du?« war Nicholas’ Antwort. Er runzelte die Stirn.

Reggie seufzte. »Hast du überhaupt zugehört, was ich außer seiner Cousine noch erwähnt habe?«

Nicholas blinzelte. Es stimmte, ihm ging die ganze Zeit durch den Kopf, daß Percy ihm einmal gesagt hatte, er habe keine anderen Verwandten, weder nahe noch entfernte, und jetzt tauchte auf einmal eine entfernte Cousine auf. Er hatte jedoch auch mitbekommen, was sie sonst noch gesagt hatte – jedenfalls im großen und ganzen.

Also versicherte er ihr: »Natürlich habe ich dir zugehört, Liebes. Warum denkst du denn, daß sie Ausflüchte machen? Vielleicht hatten sie tatsächlich etwas anderes vor.«

Sie gab ein wenig damenhaftes Schnauben von sich.

»Wenn es etwas Wichtiges gewesen wäre, hätten sie es doch sicher erwähnt, oder? Aber das haben sie nicht getan. Und die Vorstellung, hierherkommen zu müssen, schien ihnen bemerkenswertes Unbehagen zu bereiten.«

Er schmunzelte. »Percy und Derek haben hier praktisch gewohnt, so oft waren sie hier, alleine deshalb kann das schon gar nicht stimmen. Du hast sie wahrscheinlich einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt und dir die Ausflüchte eingebildet.«

»Meinst du?« erwiderte sie skeptisch. »Nun ja, wir werden es ja heute abend sehen, ob sie sich normal benehmen oder nicht. Und wenn nicht, bitte ich dich, herauszufinden, was dahintersteckt. Offenbar wollen sie sich mir ja nicht anvertrauen, aber bei dir ist es etwas anderes.«

»Reggie, du machst dir wahrscheinlich viel zu viele Gedanken wegen nichts, also gib jetzt Ruhe. Wenn wirklich etwas nicht in Ordnung ist, werden wir es schon erfahren. Und im übrigen, danke, daß du Percy und Derek eingeladen hast. Dann fühle ich mich wenigstens nicht so allein.«

Damit spielte er natürlich auf ihre Onkel James und Tony an. Er hatte sich auf diesen Abend nicht mehr so besonders gefreut, nachdem sie ihm eröffnet hatte, daß ihre Onkel kämen.

Sie knuffte ihn warnend. »Keinen Streit heute abend.

Du hast versprochen, daß du dich gut benimmst.«

Er umarmte sie und lächelte sie unschuldig an. »Das werde ich, wenn sie es auch tun.«

Reggie seufzte, sie sah die Katastrophe bereits voraus.

Wann hätten sich ihre Onkel schon jemals gut benommen?

Anthony zog Derek beiseite, bevor sie sich ins Speisezimmer begaben. Sie hatten sich im Salon getroffen, wo sich Anthony und sein Bruder James von ihrer besten Seite gezeigt hatten, was äußerst selten vorkam, wenn sie sich im gleichen Raum mit Nicholas Eden befanden.

Aber wahrscheinlich hatte es etwas damit zu tun, daß auch die Kinder da waren. James hatte seine kleine Jacqueline, die er Jack nannte, auf dem Schoß, und Roslynn kümmerte sich um Baby Judith. Es war ganz erstaunlich, wie vorbildlich sich Dereks jüngere Onkel benahmen, wenn ihre Töchter in der Nähe waren.

Jetzt jedoch, als Anthony die anderen schon ins Speisezimmer vorgehen ließ, blickte er ziemlich ernst drein, als er zu Derek sagte: »Hältst du es für eine gute Idee, mit Aldens Cousine zu schlafen?«

Derek hatte das Gefühl, ihm hätte jemand einen Schlag in den Magen versetzt. »Wie kommst du darauf . .?«

Anthony unterbrach ihn lachend: »Na komm schon, mein lieber Junge, ich habe das alles schon selber erlebt.

So wie du sie ansiehst, ist es ziemlich offensichtlich.«

Derek errötete. Und er hatte schon geglaubt, der Abend ließe sich großartig an.

Leider war ihm keine vernünftige Entschuldigung mehr eingefallen, um absagen zu können, ohne daß Reggie ihm das das ganze nächste Jahr vorwerfen und ihn behandeln würde wie den letzten Schuft. Er hatte sich sogar überlegt, ob er nicht einfach einen Unfall oder eine plötzliche

Erkrankung

vorschieben

sollte,

aber

er

kannte seine Cousine gut genug, um zu wissen, daß sie mißtrauisch sein und darauf bestehen würde, ihm einen Arzt zu schicken.

Also hatte er mit Percy und Jeremy gesprochen, und als Percy ihm versichert hatte, er könne die Lüge aufrecht-erhalten, daß Kelsey seine Cousine sei, hatte er beschlossen, es zu riskieren. Schließlich war ja nur die Familie anwesend, und es ging auch nur um einen Abend. Und selbst Wenn etwas schiefgehen würde und sie aufflögen, dann würde es zumindest keinen öffentlichen Skandal geben – nur einen äußerst wütenden Jason Malory.

Nicholas hatte sofort gewußt, wer Kelsey war, als Derek sie ihm vorgestellt hatte, und hatte Derek mit Blicken durchbohrt. Aber als er sah, wie Kelsey sich benahm, hatte er sich rasch wieder entspannt. Sie wirkte genau wie das, was Reggie von ihr dachte. Sie sah aus wie eine Lady. Sie benahm sich wie eine Lady. Und da Kelsey seiner Frau gleich zu Beginn mitgeteilt hatte, sie würde schon bald wieder aufs Land zurückkehren, war von der engen Freundschaft der beiden Frauen auch nicht mehr die Rede.

Aber offenbar hatte Derek selbst ihre wahre Beziehung aufgedeckt, da er einfach nicht anders konnte, als sie hingerissen anzusehen. Er wollte allerdings nicht, daß Anthony sich deswegen Sorgen machte.

Also sah er sich gezwungen, zuzugeben: »Kelsey ist nicht Percys Cousine.«

»Nicht?«

»Nein, sie steht in überhaupt keiner Beziehung zu ihm.

Reggie hatte sie schon früher kennengelernt, verstehst du, und sie irrtümlich für ein Mitglied der Gesellschaft gehalten, und als sie dann gestern Kelsey mit mir gesehen hat, da mußten wir ihr das ja erklären, weil sie keine Anstandsdame dabeihatte. Und Jeremy kam auf die Idee, sie zu Percys Cousine zu machen, was gut paßte, da er auch mit von der Partie war.«

»Und wer ist sie dann?«

»Meine Mätresse«, murmelte Derek.

Anthony zog die Augenbrauen hoch. »Ich höre wohl nicht richtig. Du hast doch nicht wirklich gesagt . .?«

Derek nickte, und Anthony brach in lautes Gelächter aus. »Du lieber Himmel, Reggie bringt dich um, wenn sie herausfindet, daß sie sich mit deiner Mätresse so gut versteht.«

Derek

zuckte

zusammen.

»Es gibt keinen

Grund,

warum sie das jemals erfahren sollte. In ein paar Tagen fährt sie wieder nach Silverley, und die beiden werden sich nie wiedersehen.«

»Hoffentlich. Aber warum hast du deiner Cousine nicht einfach die Wahrheit gesagt? Sie ist schließlich eine verheiratete Frau, obwohl sie sich ihren Mann besser ein bißchen sorgfältiger ausgesucht hätte. Aber sie wäre sicher nicht so schockiert gewesen.«

»Das stimmt, aber wahrscheinlich konnte keiner von uns einen klaren Gedanken fassen. Ich jedenfalls war nicht dazu in der Lage. Und Jeremy wollte uns einfach die Peinlichkeit ersparen, die aus der Wahrheit entstanden wäre, und machte sie zu Percys Cousine.«

Anthony grinste. »Gott, was für eine Auswahl — Percys Cousine oder eine Bordsteinschwalbe. Ich glaube, ich hätte mich für keins von beidem entschieden.«

»Percy ist ein guter Freund, Onkel Tony«, verwies ihn Derek. »Loyal, vertrauenswürdig .. «

»Das bezweifle ich nicht, mein lieber Junge«, unterbrach ihn Anthony. »Deswegen bleibt er aber doch ein verdammter Schwachkopf.«

Das konnte Derek kaum bestreiten, also gab er achsel-zuckend auf. Anthony legte seinem Neffen einen Arm um die Schultern und ging mit ihm ins Speisezimmer.

Eine letzte Bemerkung konnte er sich allerdings nicht verkneifen. »Kaum zu glauben, daß sie nicht von Adel sein soll. Bist du sicher, daß sie dich nicht einfach nur anschwindelt?«

Derek blieb abrupt stehen. Konnte das sein? Nein, un-möglich. Keine Lady würde sich versteigern lassen, wie Kelsey es getan hatte.

Anthony blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an, aber Derek schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf. »Nein, ich bin absolut sicher.«

»Freut mich, das zu hören. Es kommt nämlich ziemlich häufig vor, daß ihr jungen Leute auf diese Art und Weise zur Ehe gezwungen werden sollt, das machen Frauen öfter, für gewöhnlich mit Hilfe von Verwandten. Aber das weißt du ja wahrscheinlich, du hast dich ja bisher auch nicht einfangen lassen. Du mußt eben vorsichtig sein, mein Junge. James und ich wären die letzten, die dir Vorwürfe machen würden, aber du weißt, wie dein Vater ist. Du kannst nur hoffen, daß er von der kleinen Komödie heute abend keinen Wind bekommt.

Wenn er davon erfährt, möchte ich nicht in deinen Schuhen stecken.«

Das wollte Derek auch nicht.